Rettungskette 5G

Früher Therapiebeginn trotz weiter Transportwege

Im Ostalbkreis haben sich verschiedene Gesundheitsakteure und Technologieunternehmen zusammengeschlossen, um die notfallmedizinische Versorgung mit Hilfe von 5G-Technologie zu verbessern.
Prof. Dr. med. Ralf von Baer , Daniel Huber · Ostalbkreis · 08. Januar 2024
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Das Forschungsprojekt wird durch die 5G-Umsetzungsförderung im Rahmen des 5G-Innovationsprogramms des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr bis Ende 2024 gefördert und umfasst ein Gesamtvolumen von mehr als fünf Millionen Euro.


Aufgabenstellung

Die Herausforderung der steigenden Fallzahlen und Kosten in der Notfallmedizin, insbesondere aufgrund der wachsenden Inanspruchnahme durch geriatrische Patienten, führt zu einem Mangel an Notfallkapazitäten in ländlichen Regionen, was wiederum lange Wartezeiten für die Patienten zur Folge haben kann.[1] Die digitale Transformation des Notfallmanagements zielt darauf ab, die effizientere Nutzung begrenzter Ressourcen zu ermöglichen und gleichzeitig die Patientenversorgung zu optimieren. Um dies zu erreichen, ist die Etablierung einer digitalen Vernetzung unerlässlich, um die Kommunikation zwischen den Akteuren der Rettungskette zu verbessern und die Koordination von Rettungsmitteln und Krankenhauskapazitäten zu intensivieren.

Herzkreislauferkrankungen stellen eine wesentliche, häufige medizinische Herausforderung dar und erfordern eine effektive Behandlung sowohl in der präklinischen als auch in der klinischen Phase der Versorgung. Herzkreislauferkrankungen, einschließlich Herzinfarkt und akuter Herzinsuffizienz, gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen.[2] Die präklinische Phase spielt dabei eine entscheidende Rolle bei der frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Herzkreislauferkrankungen. Ein schneller Zugang zu medizinischer Hilfe und die korrekte Anwendung lebensrettender Maßnahmen können die Überlebenschancen erheblich verbessern.[3]

Die Rettungskette umfasst verschiedene Schritte, die von der Notfallerkennung über die Alarmierung des Rettungsdienstes bis hin zur stabilen Krankenhausversorgung reichen. Besonders der Faktor Zeit hat einen kritischen Einfluss auf das Therapieergebnis von Herzkreislauferkrankungen. Obwohl die Rettungskette als lebensrettender Prozess konzipiert ist, gibt es potenzielle Aspekte, die verbessert werden können. Dazu gehören unter anderem die unzureichende Notfallerkennung durch Laien, Verzögerungen bis zur Alarmierung des Rettungsdienstes, sowie die inadäquate Durchführung der Reanimationsmaßnahmen durch Ersthelfende aufgrund zu geringer und unregelmäßiger Erste-Hilfe-Schulungen. Auch die zunehmenden und zeitaufwändigen Transporte in spezialisierte Krankenhäuser können optimiert werden.[4]

Das Projekt Rettungskette5G adressiert hierbei die Frage, welche 5G-Technologien wie in der Notfallversorgung vernetzt und über die gesamte Rettungskette eingesetzt werden können sowie welche spezifischen Mehrwerte sich daraus ergeben. Mit Hilfe der 5G-Technologie ergeben sich, durch Verbesserung der Bandbreite und Übertragungsgeschwindigkeit, eine Vielzahl an Möglichkeiten sowohl für innovative Technologien, als auch für bereits auf dem Markt etablierte telemedizinische Dienstleistungen. Innovative Technologien wie Smartphone-Apps, Augmented Reality, Robotik und teilautonome Rettungsdrohnen sollen für die Notfallversorgung entwickelt, erprobt und die Umsetzbarkeit in der praktischen Anwendung demonstriert werden.
 

Das Projektgebiet

Der Ostalbkreis ist mit einer Fläche von 1.511 km² drittgrößter der 35 Landkreise in Baden-Württemberg. Mit einer Einwohnerzahl von 319.631 (Stand 31.12.2022) beträgt die Bevölkerungsdichte 212 Einwohner/km². Damit gehört der Ostalbkreis zu den Landkreisen mit einer mittleren Bevölkerungsdichte.

Rettungskette 5G – Früher Therapiebeginn trotz weiter Transportwege
Rettungskette 5G – Früher Therapiebeginn trotz weiter Transportwege
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Das Projektgebiet umfasst sowohl ländliche als auch urbane Aspekte, die sich besonders für die Erprobung von 5G-Technologien eignen. Angesichts der demographischen Entwicklung in der Region ist zu erwarten, dass der Anteil akutmedizinischer, darunter insbesondere geriatrischer Notfälle ansteigen wird. Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass hochspezialisierte Ärzte und Pflegekräfte flächendeckend vorgehalten werden können. Das Projektgebiet umschließt die Stadt Aalen, in der sich das Ostalb-Klinikum sowie eine Rettungswache mit drei Rettungswagen und einem Notarztstandort befinden, und erstreckt sich in die angrenzende ländliche Gemeinde Essingen, einschließlich des Ortsteils Lauterburg und Forst.
 

Folgende Technologien (Anwendungsszenarien) werden getestet:

Alarmierung mobiler Ersthelfer

Ersthelfer[5] im Projektgebiet werden mit einem weiterentwickelten Alarmierungssystem ausgestattet. Hierzu wird die App Region der Lebensretter von FirstAED genutzt. Dabei wird im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstandes, unmittelbar nach Übertragung von Einsatzort und Diagnose, die Ortung der Ersthelfer über die App gestartet. Das System entscheidet auf Basis festgelegter Algorithmen, welche Ersthelfer zum Notfallort geschickt werden. Wenn ein öffentlich zugänglicher AED in der Nähe des Notfallortes oder auf dem Weg eines Ersthelfers liegt, wird der Ersthelfer durch die App aufgefordert, den AED auf dem Weg zum Notfallort mitzubringen.

Die Ersthelfer erhalten eine Hilfestellung zur Durchführung von Herz-Lungen-Wiederbelebungen in Form des CorPatch®-Sensors, der über eine App (CorPatch®-App) gesteuert wird. Der Ersthelfer klebt dabei den Sensor auf die Mitte des Brustkorbs eines Patienten und wird von der App angeleitet eine Herzdruckmassage durchzuführen. Die Technik liefert hierbei ein Echtzeit-Feedback zur Reanimationsqualität und gibt Anweisungen zur Verbesserung.

Zusätzlich wird angestrebt, in der Region eine teilautonome Rettungsdrohne als ergänzendes Rettungsmittel zu etablieren. Sollte kein AED in der Nähe des Notfallortes verfügbar sein oder die Drohne in kürzerer Zeit eintreffen können, kommt diese zum Einsatz und bringt das benötigte Gerät.
 

Ultraschall-Robotik im Rettungswagen

Es wird ein kraftreflektierendes Ultraschall-Telerobotersystem konzipiert und aufgebaut. Hierbei wird auf Arzt-Seite ein haptisches Interface und auf Patienten-Seite ein Roboter installiert. Dieser führt eine Ultraschallsonde über den Patienten, wobei die ausgeübte Kraft des Arztes gemessen und reflektiert wird. Der Arzt bekommt die angewandte Kraft und Bewegungen sowohl per 5G-Verbindung über das haptische Interface als auch über audio-visuelle Kommunikation zurückgespiegelt.
 

Integrierter Versorgungsnachweis

Die Notaufnahme wird durch eine Notaufnahmesoftware gesteuert und diese ist digitaler Dreh- und Angelpunkt zwischen Rettungsdienst, Leitstelle und Krankenhausinformationssystem. Zusätzlich wird in der Notaufnahme ein Versorgungsnachweissystem eingeführt, um Echtzeitinformationen über verfügbare Ressourcen und Kapazitäten an den Rettungsdienst zu übertragen. Der Rettungsdienst wird über Fahrzeugkomponenten zum GPS-Tracking überwacht, sodass der Versorgungsnachweis das Routing zur nächstgeeigneten Klinik in Echtzeit berechnen kann. Alle Akteure der Rettungskette haben zu jeder Zeit Zugriff und Einblick in verfügbare Ressourcen und können so die dynamischen Abläufe der Projektregion sekundengenau steuern.
 

Telemedizinische Voranmeldung und Notfallassistenz

Über die Voranmeldung werden der Klinik Vitaldaten, Elektrokardiogramme (EKGs), Bilder der Einsatzstelle, PDF-Protokolle und Textdateien vom Rettungsdienst zur Verfügung gestellt, um sich auf die Ankunft des Patienten vorzubereiten. Zusätzlich wird ein Telekonsil eingerichtet, bei dem Rettungsdienstfachpersonal mittels Augmented Reality mit einem Telekonsilarzt (Arzt in der Notaufnahme) kommunizieren und Informationen austauschen kann. So stehen dem Notfallsanitäter virtuelle Verfahrensbeschreibungen in einer Augmented Reality-Umgebung zur Verfügung. Vorbefunde aus dem Krankenhausinformationssystem können direkt am Einsatzort von Notfallsanitätern und Notärzten eingesehen und genutzt werden. Der Notfallsanitäter trägt eine Augmented Reality-Brille, durch die er, unter Supervision eines Telekonsilarztes aus der Notaufnahme, z.B. eine Ultraschalluntersuchung relevanter Bereiche durchführen kann.
 

Digitales Verlegungsmanagement

Der Informationsaustausch zwischen den Rettungsmitteln wird über ein Tablet-PC mit Audio- und Videoverbindung realisiert. Das Ziel ist es, den Dokumentationsprozess rechts- und patientensicher zu gestalten und dabei die Ressourcen des medizinischen Personals für die Dokumentation  auf ein Minimum zu reduzieren.

Niederschwellige Verlegungen von stabilen Patienten werden durch einen Arzt im Ostalb-Klinikum per Videoübertragung begleitet. Es wird untersucht, ob die unnötige Bindungen von Notärzten bei Verlegungen ohne vitale Bedrohung, ergänzend zur telemedizinischen Notfallassistenz, durch ein digitales Verlegungsmanagement eingespart sowie unterstützt werden kann. Die Verlegung von Patienten wird durch eine bedarfsgerechte Echtzeitverbindung zwischen Rettungswagen und stationiertem Arzt im Ostalb-Klinikum begleitet. Etwaige Maßnahmen können von einem Arzt im Ostalb-Klinikum an das Rettungsteam im Rettungswagen delegiert und mittels Videoübertragung überwacht werden.


[1] Schmiedel, 2019, [2] Townsend et al., 2022, [3] Stroop, Kerner, Strickmann & Hensel, 2020, [4] Harjola, P. et al., 2017, [5] Ersthelfer verfügen über medizinische Qualifikation und/oder Grundausbildung im Rettungsdienst bzw. Sanitätsdienst. Die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs genügt nicht als Qualifikation.

Konsortium

Das Vorhaben wird vom Landratsamt Ostalbkreis als Konsortialführung geleitet und durch das Innovationsmanagement des ZTM unterstützt. Konsortialpartner mit Förderung sind die Hochschule Aalen – Technik und Wirtschaft, die Kliniken Ostalb gkAöR, das Deutsche Rote Kreuz - Kreisverband Aalen e.V., die FirstAED GmbH, die SYSTEM STOBEL GmbH & Co. KG, die medDV GmbH sowie die Inpixon GmbH. Als Technologiepartner für die 5G-Infrastruktur ist die Telefónica Germany GmbH & Co. OHG involviert.

Assoziierte Partner werden durch den Deutschen Rat für Wiederbelebung, die DRF Stiftung Luftrettung gemeinnützige AG, der Region der Lebensretter e.V., die Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e.V. und die Techniker Krankenkasse repräsentiert. Ferner sind das Innenministerium Baden-Württemberg, das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg und das Regierungspräsidium Stuttgart im Projekt engagiert.

Literaturverzeichnis

Harjola, P., Tolonen, J., Boyd, J., Mattila, J., Koski, R., Palomäki, A. et al. (2017). The role of pre-hospital management in acute heart failure. European journal of heart failure, 19 (2), 287–289. doi.org/10.1002/ejhf.712

Schmiedel, R. (2019). Leistungen des Rettungsdienstes. Analyse des Leistungsniveaus im Rettungsdienst für die Jahre … und … ; Bericht zum Forschungsprojekt (Berichte der Bundeszentrale für Straßenwesen). Bremen: Fachverl. NW in der Carl-Schünemann-Verl.-GmbH.

Stroop, R., Kerner, T., Strickmann, B. & Hensel, M. (2020). Mobile phone-based alerting of CPR-trained volunteers simultaneously with the ambulance can reduce the resuscitation-free interval and improve outcome after out-of-hospital cardiac arrest: A German, population-based cohort study. Resuscitation, 147, 57–64. doi.org/10.1016/j.resuscitation.2019.12.012

Townsend, N., Kazakiewicz, D., Lucy Wright, F., Timmis, A., Huculeci, R., Torbica, A. et al. (2022). Epidemiology of cardiovascular disease in Europe. Nature Reviews Cardiology, 19 (2), 133–143. doi.org/10.1038/s41569-021-00607-3

Prof. Dr. med. Ralf von Baer ist Professor in den Studienbereichen Health Sciences & Gesundheit an der Hochschule Aalen , Daniel Huber ist Akademischer Mitarbeiter im Studienbereich Health Sciences an der Hochschule Aalen
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