Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut in Baden-Württemberg

Systematische Förderung des Landes ab 2023 als Konsequenz aus der Armutsberichterstattung

Armut von Kindern und Jugendlichen darf sich nicht auf ihre gesellschaftliche Teilhabe und ihr weiteres Leben auswirken.
Dr. Michael Wolff · Stuttgart · 02. Dezember 2022
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Zum 1. Januar 2023 schafft das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration deshalb eine für Kommunen attraktive, transparente und verlässliche Fördersystematik zum Aufbau von neuen Präventionsnetzwerken gegen Kinderarmut sowie für die Weiterentwicklung der bestehenden Netzwerkstandorte mit neuen Elementen – und nun auch für die Verstetigung von bereits gut etablierten Netzwerken, das heißt für die Fortsetzung der bestehenden Erfahrungen und Umsetzungsschritte im Sinne von Nachhaltigkeit.

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration und die FamilienForschung im Statistischen Landesamt bieten im Januar 2023 zwei digitale Informationsveranstaltungen an (Webex), in denen Sie sich über den Ansatz der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut und die Fördermöglichkeiten persönlich informieren und Ihre Fragen stellen können: 17.01.2023, 10-12 Uhr oder 31.01.2023, 13-15 Uhr,
Anmeldung: armutspraevention@sm.bwl.de

Die Förderung baut auf die Daten zur Armutsgefährdung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern und zu Wechselwirkungen mit Gesundheit, Bildung, Wohnen etc. auf.

Zum Ansatz der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut
Ziel eines Präventionsnetzwerkes gegen Kinderarmut ist es, eine integrierte kommunale Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut zu entwickeln.
Weitere Informationen zum Ansatz: www.starkekinder-bw.de/ansatz-pnetz

Die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aus armutsgefährdeten Familien sollen auf diesem Wege gesteigert werden und die Heranwachsenden sollen dazu befähigt werden, die ihnen zur Verfügung stehenden Teilhabemöglichkeiten auch individuell einzulösen.

Armutsbekämpfung und Armutsprävention liegen im Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Die Aktivitäten des Landes sind eine zusätzliche Freiwilligkeitsleistung. Es ist das Ziel des Landes, die Kommunen, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft, dabei zu unterstützen, möglichst frühzeitig in Strukturen und Angebote für ein gesundes Aufwachsen von allen Kindern und Jugendlichen zu investieren. Materielle Armutsgefährdung im Kindesalter soll sich nicht negativ auf die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe im weiteren Leben auswirken. Alle Kinder und Jugendlichen sollen gut und gesund aufwachsen, damit sie ihr weiteres Leben selbstbestimmt führen und gestalten können und zu mündigen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern heranwachsen.

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration strebt an, bis 2030 ein Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut in jedem Stadt- und Landkreis in Baden-Württemberg zu etablieren. Auf diesem Weg befinden wir uns in einer strategisch wichtigen Phase: Es ist Halbzeit, das heißt in 22 Kreisen gibt es schon entsprechende Aktivitäten, in den anderen 22 Kreisen noch nicht.

Übersicht über die Standorte: https://www.starkekinder-bw.de/standorte/

In einigen Städten und Gemeinden der 22 noch nicht am Ansatz der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut beteiligten Kreise bestehen bereits eine Reihe von Angeboten zur Förderung der Teilhabechancen von armutsgefährdeten Kindern. Auch die Kreise sind häufig auf diesem Gebiet aktiv. Die bestehenden Angebote sind bei verschiedenen Trägern angesiedelt, werden unterschiedlich finanziert und basieren auf verschiedenen Rechtsgrundlagen. Diese Einzelmaßnahmen sind nicht immer aufeinander abgestimmt, was zu Doppelungen und Lücken im Gesamtangebot führen kann.

Durch die Arbeit eines Präventionsnetzwerks gegen Kinderarmut soll die Unübersichtlichkeit der Angebotslandschaft überwunden und eine integrierte kommunale Gesamtinfrastruktur zur Armutsprävention geschaffen und weiterentwickelt werden.

In diesem Prozess gibt es drei zentrale Bausteine:

Präventionskette:
Sie ist Kern der Umsetzung einer integrierten kommunalen Gesamtstrategie zur kindbezogenen Armutsprävention. Die Präventionskette erstreckt sich von der Geburt bis zum Übergang von der Schule in den Beruf (in der Regel von 0 bis 18 Jahren) und bildet entlang der alters- und entwicklungsbezogenen Biografie der Kinder und Jugendlichen unterschiedliche Handlungsfelder ab. Die bereits bestehenden Unterstützungsangebote für armutsgefährdete Kinder, Jugendliche und deren Familien in kommunaler und freier, gemeinnütziger Trägerschaft werden erhoben, systematisch visualisiert und so miteinander verbunden. Es werden Präventionslücken sichtbar.

Netzwerkgruppe:
Es handelt sich um eine Vernetzungsplattform für alle Organisationen und Initiativen, die sich bei der Bekämpfung von Kinderarmut vor Ort engagieren. Sie sollen ihre Aktivitäten durch die Zusammenarbeit in der Netzwerkgruppe gegenseitig kennenlernen und zusammenwirken, die vorhandenen Angebote aufeinander abstimmen sowie neue gemeinsame Angebote schaffen, um die Lücken der Präventionskette zu schließen.

Netzwerkkoordination:
Die Abstimmung, Lenkung und fachliche Weiterentwicklung der Netzwerkgruppe gehören zu ihren Aufgaben. Die Person, die diese Aufgabe ausführt, sollte entsprechend qualifiziert sein bzw. werden und über interne und externe Ausführungskompetenzen verfügen.

Verwaltungsvorschrift des Sozialministeriums über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Präventionsnetzwerken gegen Kinderarmut (VwV PNetz)
Mit der VwV PNetz soll zum 1. Januar 2023 eine dreigliedrige Förderung des Landes eingeführt werden, die aufeinander aufbaut:

Baustein PNetzAufbau:
Aufbau von neuen Präventionsnetzwerken gegen Kinderarmut (unter Nutzung vorhandener Strukturen)

Baustein PNetzWeiterentwicklung:
Weiterentwicklung bestehender Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut mit neuen Elementen (z. B. Erweiterung des Zielgruppenalters, neue thematische Schwerpunkte, größeres Projektgebiet etc.)

Baustein PNetzVerstetigung:
Verstetigung, das heißt Fortsetzung der laufenden Arbeit bereits gut etablierter Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut

Für alle drei Bausteine gelten insbesondere die folgenden Förderkriterien:

Antragsberechtigt für die Förderung sind Kommunen (Kreise, Städte, Gemeinden), aber auch Kirchen, Sozialverbände, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und andere gemeinnützige Organisationen der Zivilgesellschaft.

Entscheidend ist, dass das Vorhaben von Anfang an im Sinne der Vernetzung als Zusammenarbeit zwischen kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren angelegt ist. Auch innerhalb der Kommunalverwaltung sollte eine bessere themenorientierte Vernetzung zwischen den Ämtern und Sachgebieten angestrebt werden.

Das Vorhaben kann sich auf einen Kreis, eine Stadt oder eine Gemeinde erstrecken. In einem ersten Zugang kann auch ein Stadtteil, ein Ortsteil oder ein Quartier als Pilotstandort dienen. Die Auswahl des Projektgebiets soll anhand der Sozialstruktur erfolgen, das heißt, die Projekte sollen an Orten stattfinden, an denen von einer besonders hohen Armutsgefährdung oder sozialen Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen auszugehen ist.

Das Vorhaben soll stets die Altersspanne der 0 bis 18 Jahre im Blick haben, kann sich aber in einem ersten Zugang auf eine kleinere Altersspanne beschränken.

Für eine wirksame Präventionskette ohne Lücken ist es notwendig, dass die Netzwerkgruppe auf Grundlage einer Angebots- und Bedarfserhebung neue Angebote zur Prävention von Kinderarmut und deren Folgen plant und umsetzt, z. B. Beteiligungsförderung, Förderung der Kindergesundheit und der gesunden Ernährung sowie Bewegungsförderung, Sensibilisierung der Fachkräfte und der Öffentlichkeit für das Thema Kinderarmut oder Aufbau von Familienpatenschaften oder Lotsensystemen für Familien.

Entscheidend ist, dass die neuen Angebote an der örtlichen Angebotsstruktur und den örtlichen Bedarfen von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern andocken.

Bei den aufeinander aufbauenden Förderungen mit den Bausteinen PNetzAufbau und PNetzWeiterentwicklung handelt es sich in der Regel jeweils um eine 24-monatige Projektlaufzeit mit einer maximalen Fördersumme in Höhe von bis zu 100.000 Euro. Zur Sicherstellung der Gesamtfinanzierung wird eine 30-prozentige Eigenbeteiligung vorausgesetzt.

Nachdem ein Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut diese beiden Förderbausteine durchlaufen hat, besteht ab 2023 erstmals die Möglichkeit, eine Förderung mit dem Baustein PNetzVerstetigung zu beantragen. Damit geht das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit: Die Maßnahmen der Armutsprävention des Landes waren bisher schon evidenzbasiert. Zukünftig unterstützt das Land auch die Weiterführung der aufgebauten Strukturen und Angebote, damit diese nach und nach in kommunal gefestigte Bahnen gelenkt werden können. Dafür können unter bestimmten Voraussetzungen bis zu 30.000 Euro pro Jahr als Zuschuss zum Fehlbedarf bereitgestellt werden.

Zu den Voraussetzungen von Baustein PNetzVerstetigung gehört unter anderem, dass eine integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut weitgehend geschaffen sein muss. Außerdem müssen der Mehrwert und eine positive Wirkung der bereits geleisteten Projektarbeit erkennbar sein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist es auch wichtig, dass kreisangehörige Städte und Gemeinden oder Organisationen der Zivilgesellschaft, die Projektträger sind, sich mit dem Kreis zusammensetzen und die weitere Entwicklung des Vorhabens planen und festlegen.

Armutsberichterstattung für Baden-Württemberg
Um passgenaue Unterstützungsangebote zur Bekämpfung und Prävention von Kinderarmut entwickeln zu können, braucht es eine aussagekräftige Datengrundlage.

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Im Jahr 2021 hat das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration zusammen mit der FamilienForschung im Statistischen Landesamt den Bericht zu Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg veröffentlicht.

Der Bericht nimmt die Bedingungen für ein gutes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in den Blick. Der Fokus liegt dabei auf empirischen Ergebnissen zu verschiedenen Dimensionen der Lebenslage von Kindern und Jugendlichen und den diesbezüglichen kommunalen und zivilgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten.

Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration baut des Weiteren die bisherige Armutsberichterstattung mithilfe eines Konzepts von vier Modulen aus. Für die Umsetzung wird die FamilienForschung im Statistischen Landesamt beauftragt. Bei der Umsetzung wird der Landesbeirat für Armutsbekämpfung und Prävention Baden-Württemberg, in dem auch die Kommunalen Landesverbände vertreten sind, intensiv beteiligt.

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Ausgehend vom Ersten Armuts- und Reichtumsbericht für Baden-Württemberg (2015) werden entsprechende Grundlagendaten jährlich im Gesellschaftsmonitoring
(www.gesellschaftsmonitoring-bw.de) detailliert fortgeschrieben.

Kurzanalysen bieten bis zu zweimal pro Jahr die Möglichkeit einer vertiefenden Analyse ausgewählter Ergebnisse und Entwicklungen, die sich im Gesellschaftsmonitoring zeigen.

Einmal jährlich wird ein Thema aus dem Bereich Armut und Reichtum als Gesellschaftsreport Baden-Württemberg bearbeitet. Dabei wird eine sozialwissenschaftliche Datenanalyse mit good practice ergänzt und es werden Schlussfolgerungen für die Praxis gezogen. Die Ergebnisse werden aufgegriffen und deren Umsetzung im Rahmen eines Förderaufrufs zur Armutsbekämpfung und Armutsprävention angeregt.

Im Zeitraum 2023 bis 2025 werden drei Berichte zur gesellschaftlichen Teilhabe erstellt. Diese beinhalten die wissenschaftliche Analyse eines Schwerpunktthemas, Handlungsempfehlungen des Landesbeirats für Armutsbekämpfung und Prävention, die aus der Analyse abgeleitet werden sowie einen Beitrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration.

 

Dr. Michael Wolff ist Referent für Armut und soziale Teilhabe im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg
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