Nein heißt Nein!

Das Projekt FRAUEN STÄRKEN zieht Bilanz nach einem Jahr

Gewalt gegen Frauen mit Behinderung ist ein Tabuthema! Dabei erfahren Frauen und Mädchen mit Behinderung doppelt bis dreimal so oft Gewalt wie Frauen ohne Behinderung. Bei Frauen mit Sprachbehinderung liegt diese Zahl bei erschreckenden 70 Prozent.
Petra Martin-Schweizer · Landkreis Konstanz · 26. Juni 2023
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Gewalt gegen Frauen mit Behinderung ist ein Tabuthema! Dabei erfahren Frauen und Mädchen mit Behinderung doppelt bis dreimal so oft Gewalt wie Frauen ohne Behinderung. Bei Frauen mit Sprachbehinderung liegt diese Zahl bei erschreckenden 70 Prozent. Im eigenen Zuhause, im Freundeskreis oder durch Fremde, aber auch in Einrichtungen wie Werkstätten für Menschen mit Behinderung (kurz WfbM) oder durch begleitende Personen erfahren Frauen Gewalt und Diskriminierung. Viele der Frauen und Mädchen sind auf Unterstützung im Alltag angewiesen. Wo genau die Grenzen zwischen etwa pflegerischer Betreuung und einer Verletzung des eigenen Körpers verlaufen, ist für die Betroffenen oftmals schwer auszumachen. Noch schwerer ist es, die Verletzungen auszusprechen und sich dagegen zu wehren. Wenn verbale Angriffe und sexualisierte Belästigung geschehen, fehlt es oft an niederschwelligen Anlaufstellen für die Frauen. Viele Frauen mit Behinderung wissen nicht, wohin sie sich auch außerhalb ihres Wohnprojekts oder der Werkstätte wenden können. Hier setzt das Projekt „FRAUEN STÄRKEN“ an.
 

Das Projekt FRAUEN STÄRKEN wird ins Leben gerufen

Das Projekt ist im Rahmen eines Sachstandsberichts zur kommunalen Umsetzung der Istanbul-Konvention im Landkreis Konstanz auf Initiative der Gleichstellungsbeauftragten entstanden. Die Istanbul-Konvention, die 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist, sieht den besonderen Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderung vor. Auch in der UN Behindertenrechts-Konvention von 2008 wird das Selbstbestimmungsrecht für Menschen mit Behinderung gefordert. In Artikel 16 der Konvention verpflichten sich die Staaten Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderung vor jeglicher Form von Gewalt, Diskriminierung – auch aufgrund des Geschlechts – Missbrauch und Ausbeutung zu schützen.

Voraussetzung für das Projekt war die Bereitschaft aller Beteiligten, Frauen mit Behinderung gut zuzuhören, Defizite zu erkennen, sie zu benennen und Veränderungen zur Verbesserung der Lebenssituation von Frauen zuzulassen.

In den Blick genommen wurden Frauen mit geistigen, körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen, mit Sinnesbehinderungen, Sprachbehinderungen und chronischen Suchterkrankungen.

Laut Caritasverband Singen-Hegau e.V. leben 940 Mädchen und Frauen mit Behinderungen im Landkreis Konstanz. Mit Unterstützung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg wurde Ende 2021 das Projekt ins Leben gerufen. Es richtet sich an Frauen und Mädchen mit Behinderung ab 16 Jahren, an Fachstellen zu Gewalt gegen Frauen, an alle Institutionen, medizinische Einrichtungen und alle Fachstellen, die mit Frauen mit Behinderung zusammenarbeiten. Als weiteren Baustein bekommen Frauen Tools an die Hand, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken, ihre eigenen Grenzen zu erkennen, diese ernst zu nehmen und sich gegen Grenzverletzungen bestenfalls selbst behaupten zu können. Sie lernen, sich Hilfe zu holen und sie lernen Fachstellen kennen, an die sie sich vertrauensvoll wenden können. So nahmen im ersten Projektjahr bereits über 100 Frauen an mehrteiligen Selbstbehauptungskursen teil. In Folgekursen erhielten die Frauen zusätzlich Informationen einer Präventionskraft der Polizei und von Frauen helfen Frauen in Not e.V. im Landkreis Konstanz.

Im Kurs lernen wir Frauen:
So setze ich Grenzen.
Der Kurs sagt mir:
Es ist okay, wenn ich Grenzen setze.

Der Fokus des Projekts richtete sich insbesondere an alle Stellen, die mit Frauen mit Behinderung arbeiten. Hierfür wurde ein umfassendes Präventions- und Gewaltschutzkonzept erstellt, welches unter anderem Gewaltformen beschreibt und konkrete Handlungsempfehlungen für Fachpersonal im Umgang mit Gewaltsituationen enthält, etwa mit Hilfe von Interventionsplänen. Das Konzept wurde in die Leichte Sprache übersetzt. Es betont auch die Wichtigkeit von Fortbildungen zum Thema Gewalt an Frauen mit Behinderungen sowie Schulungen zu Leichter und Einfacher Sprache, um Hemmschwellen weiter abzubauen und Handlungssicherheit zu festigen. Weitere Kursangebote und Fortbildungen für Fachkräfte, Betreuungskräfte und Angehörige sind in Planung. Für Frauen mit Behinderung ist eine Broschüre in Leichter Sprache entstanden „Nein heißt Nein“.

Ich weiß jetzt:
Ich kann etwas tun,
wenn ich Gewalt erfahren habe.
Ich kenne die Beratungsstellen.

Bilanz nach dem ersten Projektjahr

Der Steuerungskreis des Projektes bestand aus der Projektleitung und Präventionskraft Sandra Nicolaus, der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Konstanz Petra Martin-Schweizer, der Peer Beraterin mit Behinderung Ines Muskalla, der Übersetzerin für Leichte Sprache Ingrid Laible und der Selbstbehauptungstrainerin Bianka Neußer. Durch die hohen sich ergänzenden Expertisen gelang es, sowohl die Selbstbehauptungskurse mit einer Vielzahl an Frauen zu organisieren und durchzuführen, als auch das umfassende Konzept zum Schutz und Prävention vor Gewalt zu erstellen. Frauen mit Behinderung, Frauenbeauftragten der Werkstätten, Fachstellen im Landkreis und die Mitglieder des Steuerungskreises arbeiteten hierbei eng zusammen. Die Zusammenarbeit mit Mädchen und Frauen mit Behinderung und den Frauenbeauftragten der Einrichtungen war für den Verlauf des Projektes unerlässlich.

Im März dieses Jahres feierte das Projekt „FRAUEN STÄRKEN“ im großen Kreis aus Teilnehmerinnen der Selbstbehauptungskurse, Mitwirkenden im Projekt, Angehörigen, Vertretungen der Träger und der Politik. Das Präventions- und Schutzkonzept wurde veröffentlicht. Die Veranstaltung fand in einfacher Sprache statt! Der Zuspruch von allen Seiten war enorm. Die Mädchen-Tanzwerkstatt „Fair & Cool“ begleitete das Programm. Bei dieser Veranstaltung wurde auch die „Aktion Rote Bank“ vorgestellt, Das Logo von FRAUEN STÄRKEN konnte darauf platziert werden. Die Bank mit der Aufschrift „KEIN PLATZ FÜR GEWALT GEGEN FRAUEN“ wird an verschiedenen Stellen des Landkreises in den nächsten Monaten aufgestellt.

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Mit der Feier endete das Projekt FRAUEN STÄRKEN selbstverständlich nicht. Ziel ist, die Handlungsempfehlungen und das Angebot der Selbstbehauptungskurse in den kommenden Monaten innerhalb des Landkreises weiterzutragen und das Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderung in die Öffentlichkeit zu bringen. Eine Netzwerk- und Koordinierungsstelle, die Betroffene unterstützt, Selbstbehauptungskurse, aber auch Kurse und Fortbildungen für Fachkräfte organisiert, wird vom Landkreis finanziell unterstützt und ist bei Caritas-Singen-Hegau angesiedelt. Zusätzlich wird das Projekt und Konzept nun auch landesweit bekannt. Mit Unterstützung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration wurde bei Caritas Singen-Hegau ist eine weitere Stelle angesiedelt, die das Projekt über den Landkreis hinaus in Baden-Württemberg vorstellt und andere Landkreise in den ersten Schritten hin zu einem eigenen Präventions-und Schutzkonzept begleitet.
 

Weitere Informationen

Eine begleitende Broschüre zum Gewaltschutzkonzept Nein heißt Nein! gibt einen ersten wichtigen praxisnahen Überblick über das Thema Gewalt an Frauen mit Behinderung. Erkenntnisse aus den Kursen und aus Gesprächen mit Betroffenen, über konkrete erste Handlungsmöglichkeiten, sowie über bestehende Hilfestellen sind darin in Leichter Sprache nachzulesen. Auch das Schutzkonzept wurde in Leichter und üblicher Sprache geschrieben.

Ansprechpartnerin im Projekt ist Carina Meyer.

www.caritas-singen-hegau.de/projekt-frauen-staerken
frauenstaerken@caritas-singen-hegau.de.
 

Nähere Informationen erhalten Sie auch von Petra Martin-Schweizer.

www.LRAKN.de/gleichstellung
gleichstellung@LRAKN.de

Logo des Projekts
Logo des Projekts
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Petra Martin-Schweizer ist Gleichstellungsbeauftragte im Landkreis Konstanz
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