Mit einer Kooperationsvereinbarung der Landkreisverwaltung, der AOK Ostwürttemberg, des Kreisseniorenrats Ostalb e. V. und der Stadt Neresheim fiel am 18. Juni im Aalener Landratsamt der offizielle Startschuss für das Einsamkeitsnetzwerk im Ostalbkreis.
Einsamkeit hat viele Gründe
„Einsamkeit, vor allem von älteren Menschen, aber auch von jungen, wird ein immer wichtigeres Thema“, betonte Landrat Dr. Joachim Bläse. Einsamkeit habe Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Gesundheit der Betroffenen. Die Rahmenbedingungen in der Gesellschaft haben sich laut Bläse dahingehend geändert, dass immer mehr Menschen auch auf dem Land allein leben, gerade im Alter und ohne soziale Kontakte, oft in ihrer eigenen Welt. Dies schade ihnen selbst in Form von physischen und psychischen Erkrankungen, aber auch ihrer Sicht auf Demokratie und Gesellschaft. So hätten einsame Menschen ein signifikant niedrigeres Vertrauen in politische Institutionen. Auch würden Armut, Care-Arbeit und Migration eng mit Einsamkeit zusammenhängen.
Die Leiterin des Ostalb-Gesundheitsamts Dr. Anna Rohr konkretisierte die gesundheitlichen Auswirkungen: „Einsamkeit ist mehr als nur ein unangenehmes Gefühl und geht mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken einher. Einsamkeit ist in der Medizin jedoch keine anerkannte Diagnose. Der Zustand bzw. das Empfinden wird eher als krankmachender Faktor betrachtet. Einsamkeit und Isolation sind psychosoziale Stressoren, die mit erheblichen gesundheitlichen Folgen einhergehen können. Es können Symptome wie Kopfschmerzen, Verspannungen, Schlafstörungen, eine reduzierte Immunabwehr sowie Angst und Panikattacken bis hin zu Depressionen auftreten. Auch das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Alzheimer Demenz und für eine Suchtentwicklung steigt durch Einsamkeit. Vorbestehende kognitive Defizite werden durch Einsamkeit verschlimmert, das Suizidrisiko steigt. Einsamkeit führt zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und zu einer reduzierten Lebenserwartung. Umso wichtiger ist es, Präventionsmaßnahmen gegen Einsamkeit zu etablieren, um dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung begegnen zu können.“
„Dem wollen wir mit dem Netzwerk Maßnahmen entgegensetzen unter Beteiligung auch der Umgebung dieser Menschen, denn gesellschaftliche Teilhabe, soziale Bindungen und Bildung wirken Einsamkeit entgegen“, erklärte der Landrat die Hintergründe für die Initiative. Sozialdezernentin Julia Urtel ergänzte, im Jahr 2025 sei jeder vierte Mensch im Ostalbkreis älter als 65 Jahre, dies entspreche rund 85.000 Personen. Deshalb wolle man mit den Projektpartnern ein Netzwerk gegen die Einsamkeit knüpfen mit der Stadt Neresheim als erste Pilotkommune.
Was bietet das Einsamkeitsnetzwerk
Projektleiter Manuel Gillner bei der Landkreisverwaltung informierte über die Bausteine des Einsamkeitsnetzwerks im Einzelnen. So sollen zweimal jährlich Einsamkeitskonferenzen mit allen Kooperationspartnern durchgeführt werden. Dabei sollen die Angebote für einsame Menschen genauer beleuchtet werden. In der Folge soll es eine Übersicht über die Angebote im Kreis in Form einer Landkarte geben. „Dabei ist uns der Austausch mit den Kommunen und lokalen Anbietern sehr wichtig. Denn dort sind die nötigen Kenntnisse und Kontakte zu Vereinen und Kulturveranstaltungen, zu Stammtischen und Ähnlichem vorhanden. Wir haben auch schon Projekte in anderen Bundesländern recherchiert, die sich bewährt haben“, so Gillner. Dies seien Silbernetz e. V. in Berlin und Culture on Prescription, das vom Gesundheitsamt Frankfurt am Main erprobt wurde. Als überregionale Netzwerkpartner habe man diese beiden Institutionen für das Netzwerk „Ostalb Gemeinsam“ gewinnen können, die ihre Erfahrungen teilen und bei der Schulung von Ehrenamtlichen unterstützen.
Hotline, Besuchsdienste und Kultur auf Rezept
Ganz konkret soll künftig beispielsweise eine Hotline für einsame Menschen ab 60 Jahren eingerichtet werden. Hierbei gehe es vor allem um eine niederschwellige Kontaktaufnahme, erklärte Gillner. Damit sollen isolierte Menschen wieder erste persönliche Verbindungen aufbauen können. Die Hotline werde außerdem über das Angebot der jeweiligen Kommune informieren und Ansprechpersonen benennen, um über die persönlichen Probleme zu sprechen. Auf Wunsch könne, so die Planung, ein wiederkehrender, verbindlicher Telefontermin einmal wöchentlich vereinbart werden. Die Betreuung der Hotline soll durch Seniorenräte oder entsprechend geeignete Strukturen in den Kommunen übernommen werden.
Organisiert werden sollen ferner ehrenamtlichen Besuchsdienste. Dabei können Gespräche im Umfeld der betroffenen Personen, Spaziergänge oder die Begleitung zu einem Angebot der jeweiligen Kommune stattfinden. Dadurch sollen die Betroffenen animiert werden, aus ihrer Häuslichkeit zu kommen und sich mit anderen Personen zu treffen.
Als besonders innovativ stellte Gillner das sogenannte „Sozialrezept“ vor. Häufig seien Hausärztinnen und -ärzte sehr gut über das persönliche Umfeld ihrer älteren Patientinnen und Patienten informiert und könnten eine drohende Vereinsamung gut erkennen. Aus diesem Grund sollen die Ärztinnen und Ärzte im Ostalbkreis die Möglichkeit erhalten, „Sozialrezepte“ auszustellen. Das Rezept berechtigt die Personen zur kostenlosen Teilnahme an Angeboten der jeweiligen Kommune. Die zur Verfügung stehenden Angebote und die Häufigkeit der Teilnahme müssten, so Gillner, von den Kommunen festgelegt werden. In Deutschland stecke die Verordnung von Sozialrezepten noch in den Kinderschuhen. Eine direkte Verordnung durch Hausärzte ist in dieser Form deutschlandweit noch nicht erprobt.
Zusätzlich zu den Maßnahmenempfehlungen sollen die Kommunen durch das Einsamkeitsnetzwerk Beratung und Unterstützung bei der Auswahl und Stellung von Förderanträgen erhalten. Die Stadt Neresheim ist die erste Kommune, die das Projekt vor Ort umsetzen wird. Dort sind laut Gillner auch Ärzte mit im Boot, die die Ausstellung von Sozialrezepten testen werden.
Margot Wagner vom Kreisseniorenrat und Hans-Joachim Seuferlein, Geschäftsführer der AOK Ostwürttemberg, unterstützten die Wichtigkeit des Projekts. Soziale Kontakte seien, so Seuferlein, seiner Meinung nach noch wichtiger als Sport und Bewegung für die Gesundheit. Einsamkeit müsse aus der Tabuzone. Bürgermeister Thomas Häfele sah Neresheim als Flächengemeinde mit vielen, teils auch kleinen Teilorten, als einen passen Ort für das Projekt.
„Wir haben den Start unseres Netzwerks in die bundesweite Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ gelegt. Sie soll für das Thema Einsamkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sensibilisieren und Unterstützungsangebote in ganz Deutschland sichtbar machen. Damit könnte der Zeitpunkt für die Gründung unseres kreisweiten Netzwerkes nicht besser sein. Wir tragen damit unseren Teil zur Strategie gegen Einsamkeit bei“, so Landrat Dr. Bläse abschließend.
Die AOK bzw. die Landesverbände der Pflegekassen fördern das Netzwerk „Ostalb Gemeinsam“ mit 25.000 Euro.
Weitere Infos unter www.gemeinsam.ostalbkreis.de