Dass ich als jemand, der den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zuletzt als Rechtsreferendar betreten hat - das war allerdings noch im letzten Jahrtausend, damals Anfang der 90er Jahre im hochwohllöblichen 2. Senat, Abgaben und Erschließungsbeitragsrecht rauf und runter - dass ausgerechnet ich dereinst einmal bei einem Präsidentenwechsel ein Grußwort sprechen würde, hätte ich mir seinerzeit sicher auch nicht gedacht. Manchmal kommt es aber erstens anders als man zweitens denkt.
Und: So stehe ich jetzt als Vertreter der gesamten kommunalen Familie vor Ihnen und habe im Interesse der Grußworteffizienz sogar gleich vier verschiedene Hüte auf. Alles, was ich sage, sage ich nämlich nicht nur als Vizepräsident des Landkreistags Baden-Württemberg und für unseren heute leider anderweitig gebundenen Präsidenten, meinen Tübinger Kollegen Joachim Walter, sondern auch für den Städtetag und seinen Präsidenten Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, für den Gemeindetag mit seinem Präsidenten und Hauptgeschäftsführer Steffen Jäger an der Spitze und für den Oberbürgermeister der Sitzstadt des Verwaltungsgerichtshofs Christian Specht hier aus Mannheim.
Es war sicher ein kluger Schachzug der Regie, das alles zu bündeln. Schon der unvergessene Manfred Rommel hat für solche Konstellationen nämlich festgestellt, Grußwortredner stünden grundsätzlich im Dienste der Gleichheit - wo man auch hinkommt, man hört immer das Gleiche - und deshalb vorgeschlagen, am besten auch alle gleichzeitig sprechen zu lassen. Begründung: wenn ohnehin keiner zuhört, spart das wenigstens Zeit. In gewisser Weise folgen wir diesem Ordnungsprinzip heute ja auch. Das Motto heißt nur: Mehrere Fliegen mit einer Klappe, nämlich mit meiner.
Ich will die Gelegenheit meines kurzen Grußworts zu drei kleinen Impulsen nutzen. An der Spitze stehen natürlich der Dank an den ausgeschiedenen und die guten Wünsche für den amtierenden Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Der Mittelteil soll dann einigen Gedanken zur Schicksalsgemeinschaft, zunehmend aber eben leider auch zur Leidensgemeinschaft von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit vorbehalten sein. Und: Schließlich will ich auch noch etwas zur zentralen Bedeutung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in einem von radikalen Strömungen leider zunehmend in Frage gestellten Rechtsstaat sagen.
Ich beginne mit dem Dank und den guten Wünschen. Dostojewskij soll einmal gesagt haben: „Die beste Definition des Menschen lautet: undankbarer Zweibeiner“. Es muss aber nicht so sein. Selbst in einer Gesellschaft, die - so empfinde ich es zumindest - leider immer mehr von notorischer Unzufriedenheit und dauernder Nörgelei geprägt wird, darf man nämlich umgekehrt ruhig auch einmal zufrieden und dankbar sein. Einer meiner schönsten Termine in diesem Jahr war die Einweihung des Freigeländes in einer Kita mit tierpädagogischem Konzept, übrigens der ersten in ganz Baden-Württemberg, zusammen, liebe Frau Ministerin Gentges, mit Ihrem Kabinettskollegen, Herrn Minister Hauk. Und: Teil des Freigeländes ist auch ein neues Ziegengehege. Dieser Termin war für mich vor allem deshalb so schön, weil es dort noch nicht einmal für die Ziegen etwas zu meckern gegeben hat.
Wir haben, lieber Herr Ellenberger, an den zwölf Jahren, in denen Sie an der Spitze unseres Verwaltungsgerichtshofs gestanden sind, aber ebenfalls nichts herumzumeckern. Im Gegenteil: Sie haben diese Aufgabe mit der Ihnen eigenen Souveränität wirklich ganz hervorragend gemeistert. Nichts anderes war aber ja auch zu erwarten gewesen, wenn man Sie kennt.
Natürlich geben auch wir uns in unserer täglichen Arbeit in der Verwaltung alle erdenkliche Mühe, die Gerichte so wenig wie irgend möglich zu belasten. Ganz vermeiden lässt es sich aber halt auch nicht immer. Sie haben den Verwaltungsgerichtshof jedoch stets sicher durch die Herausforderungen und Stürme unserer Zeit geleitet - von ungeahnten Flüchtlingswellen bis hin zu dem kleinen fiesen Virus, das jetzt wirklich niemand von uns auch noch gebraucht hätte. Als exzellenter Jurist mit langjähriger Verwaltungserfahrung waren Sie zweifelsohne eine Idealbesetzung für den VGH. Vielen herzlichen Dank deshalb für Ihr großes Lebenswerk und alles Gute für Ihren neuen Lebensabschnitt.
Zugleich begrüße ich Sie, sehr geehrter Herr Präsident Prof. Graßhof, jetzt auch ganz offiziell in Ihrer neuen Funktion und beglückwünsche Sie im Namen der Kommunalen Landesverbände hierzu. Auch Sie sind, wenn ich das so sagen darf, mit allen Wassern der Justiz, aber genauso der Verwaltung gewaschen. Von daher habe ich überhaupt keinen Zweifel daran, dass Sie weiterhin nahtlos dort anknüpfen werden, wo Ihr Vorgänger aufgehört hat. Es eilt Ihnen nicht nur der Ruf eines außergewöhnlichen Organisationstalents, sondern auch der eines zugewandten und wertschätzenden Führungsstils voraus. Beides sind wichtige, ja unverzichtbare Voraussetzungen für Ihr neues Amt. Es kann deshalb nur gut werden. Das wünschen wir Ihnen jedenfalls von Herzen. Alles Gute und auch weiterhin viel Fortune für Sie.
Der offizielle Wechsel im Amt des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs ist aber auch für uns in der Verwaltung ein herausragendes Ereignis. Ich hatte es bereits eingangs erwähnt: Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind in gewisser Hinsicht eine Schicksalsgemeinschaft, zunehmend aber eben leider auch eine Leidensgemeinschaft. Das gilt sogar schon von Verfassungs wegen. Schließlich heißt es ja in Art. 20 Absatz 3 unseres Grundgesetzes: „… die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“. Die Gesetzesbindung ist es also, die Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit eint. Genau diese Gesetzesbindung stellt uns beide aktuell aber auch vor ziemliche Herausforderungen.
Das fängt schon damit an, dass wir es zunehmend mit einem Normgeber zu tun haben, der in scheinbar grenzenloser Detail- und manchmal vielleicht auch Selbstverliebtheit Regelungen erlässt, auf die die Welt ganz sicher nicht gewartet hat. Mein absolutes Highlight in diesem Zusammenhang ist immer noch die Photovoltaik-Pflicht-Verordnung, kurz PVPf-VO, des Umweltministeriums Baden-Württemberg, die die Solarpflicht auf Dachflächen regelt. Ich liebe dieses Gesetz vor allem deshalb, weil es dem staunenden Leser in seinem § 4 Abs. 4 Nr. 1 mitteilt, dass - Achtung! - dass die Dachflächen unterirdischer Bauten für eine Solarnutzung nicht geeignet seien.
Also ganz ehrlich: Von allein wäre man ja nicht draufgekommen. Bevor deshalb die ersten Menschen ihre Photovoltaikmodule im Garten vergraben und sich anschließend wundern, warum der Ertrag so gering ist, ist dieser fürsorgliche Hinweis des Ministeriums deshalb schon ausgesprochen hilfreich. Um eine solche Frage überhaupt für regelungsbedürftig zu halten, muss man allerdings dem realen Leben ziemlich weit entrückt sein. Aber man sieht einmal mehr: Uns wird seitens des Normgebers einfach immer geholfen. Oberirdisch, unterirdisch und außerirdisch.
Und: Das ist jetzt nur ein klitzekleines Beispiel, das in der Umsetzung sicher keinen Aufwand verursacht. Sie dürfen diese wundersame Verordnung in einer stillen Stunde aber gerne einmal weiterlesen. Dort finden sich nämlich auch noch Sätze wie der (§ 4 Abs. 1): „Eine Dachfläche gilt als zur Solarnutzung geeignet, wenn 1. mindestens eine ihrer Einzeldachflächen eine zusammenhängende Mindestfläche von 20 Quadratmetern hat und eine Neigung von höchstens 20 Grad aufweist oder bei einer Neigung von 20 bis 60 Grad nach Westen, Osten und allen dazwischenliegenden Himmelsrichtungen zur südlichen Hemisphäre ausgerichtet ist (Standardnachweis) oder 2. mindestens eine Teildachfläche dieser Einzeldachflächen eine zusammenhängende Mindestfläche von 20 Quadratmetern aufweist, hinreichend von der Sonne beschienen, hinreichend eben und keiner notwendigen Nutzung vorbehalten ist, die einer Solarnutzung entgegensteht (erweiterter Nachweis)“.
Wer bitte soll denn so etwas als Bürger noch verstehen? Wohlgemerkt: Da geht es nicht um ein neues Atomkraftwerk, sondern um eine popelige Photovoltaik-Anlage auf dem Dach.
Und: Wer bitte soll so etwas im Verwaltungsvollzug noch mit vertretbarem Aufwand prüfen? Bei einer Neigung von 20 bis 60 Grad nach Westen, Osten und allen dazwischenliegenden Himmelsrichtungen zur südlichen Hemisphäre hin ausgerichtet. Hätten wir in diesem Land nicht eigentlich sehr viel Wichtigeres zu tun?
Nicht umsonst haben die drei kommunalen Landesverbände zusammen mit fünf Wirtschaftsverbänden deshalb ja auch eine Entlastungsallianz vereinbart. Unser Staat muss endlich wieder normal werden, damit wir uns mit künftig tendenziell eher weniger Personal auf diejenigen Aufgaben konzentrieren können, die wirklich wichtig sind. Was schlicht nicht mehr umsetzbar ist, muss weg. So wie es ist, kann es jedenfalls nicht weitergehen.
Das ist aber nicht das Einzige, was uns gemeinsam zusetzt. So beobachten wir etwa auch mit zunehmender Sorge, dass speziell auf Bundesebene die Gesetze mit immer heißerer Nadel gestrickt werden und deshalb geradezu zwangsläufig auch sehr viel häufiger handwerklich einfach schlecht gemacht sind. Das erschwert nicht nur uns im Verwaltungsvollzug das Leben, sondern es stellt dann in der Folge auch die Gerichte vor gewaltige Herausforderungen.
Ja, es ist sicher richtig, dass der Gesetzgeber in krisenhaften Zeiten schneller reagieren muss als sonst. Und ja, es ist auch richtig, dass die Politik angesichts einer immer gereizteren Grundstimmung in unserer Gesellschaft manchmal einfach durch entschieden-schnelles Handeln auch einen ruckartigen Kontrapunkt setzen muss. Es darf dann aber trotzdem nicht zum Dauerzustand werden, dass Gesetzgebungsverfahren nur noch durchgepeitscht werden und die so wichtige Anhörung sach- und fachverständiger Kreise dadurch zur bloßen Formsache, um nicht zu sagen zur reinen Farce verkommt. Qualitätskontrolle ist nämlich auch für die Rechtsetzung ein ganz zentrales Verfahrenselement.
Was die Beteiligungsrechte der Abgeordneten anbelangt, hat das Bundesverfassungsgericht im Sommer im Zusammenhang mit dem sog. „Heizungsgesetz“ Klartext gesprochen. Für die Anhörungsrechte der Kommunalen Spitzenverbände kann aber nichts anderes gelten. Wenn sich die Bundesregierung etwa bei der Kindergrundsicherung das Recht herausnimmt, monatelang untereinander zu streiten, wir dann aber genau sieben Tage Zeit bekommen, um zu einem dicken Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, der nicht zuletzt auch die gesamte Verwaltung umkrempeln will, dann ist das eine reine Feigenblattanhörung, aber nicht mehr.
In einer Schicksals- und Leidensgemeinschaft befinden sich Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit schließlich aber auch überall dort, wo der Gesetzgeber schlicht kontrafaktisch handelt, also die Lebenswirklichkeit einfach ausblendet. Und: Auch diese Fallkonstellationen nehmen leider stark zu. Da werden auf der einen Seite generös staatliche Leistungsversprechen normiert, von denen auf der anderen aber eigentlich jeder wissen müsste, dass sie sich in der Realität nur unvollkommen oder womöglich sogar überhaupt nicht einlösen lassen.
Ich will hier nur zwei aktuelle Beispiele nennen, die zuletzt auch die baden-württembergische Verwaltungsgerichte beschäftigt haben.
Da ist zum einen der gesetzlich verbriefte Anspruch auf einen Kitaplatz. Ich will da bitte nicht falsch verstanden werden: An der bildungspolitischen Sinnhaftigkeit und der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit von sehr viel besseren Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder kann ganz bestimmt niemand auch nur den leisesten Zweifel haben. Nur: Was sollen die Kommunen denn eigentlich machen, wenn sie überhaupt keine realistische Chance haben, das zur Betreuung notwendige Personal auf dem nationalen oder internationalen Arbeitsmarkt zu akquirieren? Ich weiß von einem nigelnagelneuen Kindergarten in einer baden-württembergischen Gemeinde, der nicht bezogen werden kann, weil sich trotz aller nur denkbaren Bemühungen schlicht und ergreifend keine Erzieherinnen und Erzieher finden lassen. Das mag einen fassungslos machen, aber es ist nun einmal Teil unserer Lebenswirklichkeit, mit der wir umgehen müssen, ob wir es wollen oder nicht.
Das zweite Beispiel betrifft den Rettungsdienst. Natürlich machen sich möglichst ambitionierte Hilfsfristen im bodengebundenen Rettungsdienst gut. Je kürzer, desto besser. Ich selbst bin seit über 20 Jahren Mitglied unseres Bereichsausschusses für den Rettungsdienst und nehme an nahezu jeder Sitzung auch persönlich teil, weil mir das Thema sehr wichtig ist. Was sollen die Verantwortlichen vor Ort aber denn bitte tun, wenn die Wege im ländlichen Raum naturgemäß einfach weit sind und durch eine unsägliche Krankenhausfinanzierung künftig wahrscheinlich sogar noch weiter werden? Was sollen wir denn machen, wenn ein plötzlicher Wintereinbruch - ich komme aus dem Odenwald, da weiß man auch noch, was Schnee ist - oder wenn eine Straßensperrung aufgrund einer Baumaßnahme das Einhalten der Hilfsfrist schon im Ansatz unmöglich macht? Und: Was sollen die Verantwortlichen vor Ort eigentlich veranlassen, wenn es derzeit schlicht keine arbeitslosen Notfallsanitäterinnen und -sanitäter gibt, die es aber zwingend bräuchte, damit die Hilfsfrist landauf landab in dem vorgegebenen ehrgeizigen Umfang sichergestellt werden kann?
Im römischen Recht war so etwas noch relativ einfach zu lösen. „Impossibilium nulla est obligatio“. Unmögliches kann von niemand verlangt werden. Jetzt haben wir heute aus guten Gründen aber natürlich ein anderes Rechtssystem. Gottseidank. Trotzdem sehen und spüren wir aber doch beide, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit gleichermaßen, dass das den Grundsatz der Gesetzesbindung am Ende in Teufels Küche bringt. Wem aber ist denn dann gedient?
Mit einem letzten Aspekt der Schicksals- und Leidensgemeinschaft von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit komme ich dann schließlich wieder auf meinen Ausgangspunkt zurück. Unser Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der ja ein Freund blumiger Bilder ist, hat vor kurzem mit Blick auf die ungebremste Regulierungswut des Gesetzgebers von einem „wüsten Brombeergestrüpp“ gesprochen, das kaum noch zu bändigen sei. Und dann wörtlich: „Wir sind in den Kommunen, im Land und im Bund an einem Scheideweg, weil wir das Personal gar nicht mehr haben werden, so filigrane Regulierung überhaupt zu administrieren. Wir werden so nicht mehr regieren können“ (RNZ vom 15. August 2023).
Das Problem fehlender Köpfe gilt allerdings nicht nur für die Verwaltung, sondern es gilt in gleicher Weise auch für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wir alle werden künftig nämlich mit tendenziell weniger Personal auskommen müssen. Dafür spricht schon die demographische Entwicklung.
Die Künstliche Intelligenz allein wird es dann aber auch nicht richten. Wir erleben ja ganz aktuell, dass die natürliche Dummheit mindestens im selben Maß zunimmt wie die künstliche Intelligenz. Und: Das macht zumindest mir offen gesagt wesentlich mehr Sorgen.
Dass Montesquieus längst entsorgtes Richterbild dann in Gestalt von Chatbots plötzlich fröhliche Urständ feiert, ist jedenfalls nichts, was ich erwarte und schon gar nichts, was ich uns allen wünschen würde. Am Ende des digitalen Tages wird nämlich trotz algorithmenbasierter Entscheidungsfindung und -vorbereitung immer noch eine erhebliche Diskrepanz zwischen unserem überkomplexen Rechtssystem einerseits und der deutlich rückläufigen Zahl von Menschen in Rechtsberufen andererseits bestehen bleiben.
Dagegen gibt es deshalb nur ein einziges Mittel, nämlich die Verringerung von Komplexität. Eine massive Aufgabenkritik, der Abbau von überflüssiger Regulierung und die konsequente Priorisierung öffentlicher Aufgaben sind nicht nur zwingende volkswirtschaftliche Notwendigkeiten, sondern zugleich auch entscheidend dafür, dass der demokratische und rechtsstaatliche Grundsatz der Gesetzesbindung praktisch überhaupt noch umsetzbar bleibt.
Mein dritter und letzter kleiner Impuls für heute soll hingegen ganz bewusst der zentralen und meiner festen Überzeugung nach sogar immer wichtiger werdenden Bedeutung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in einem Rechtsstaat gelten, der ganz aktuell leider mehr und mehr in Bedrängnis gerät. Umfrageergebnisse radikaler Parteien allein sind zwar sicher noch keine Gefahr. Sie zeigen uns andererseits aber halt doch schon auch sehr deutlich, wie die Menschen ticken.
Und: Wir dürfen auch da die Augen nicht vor der Realität verschließen. Das Vertrauen in die Demokratie ist unübersehbar im Sinkflug. Deutschland radikalisiert sich. Tumbe Parolen und inhaltsleeres Geschwätz gelten für manche plötzlich doch wieder als Alternative, obwohl sie gerade das definitiv nicht sind. Wenn dieser Trend so anhält, wird es sich trotz aller Abwehrmechanismen auf Dauer aber wohl gar nicht vermeiden lassen, dass solches Gedankengut auch in die Verwaltungen einsickert oder sich sogar in demokratisch legitimierten Mandaten niederschlägt.
Der Rechtshistoriker Michael Stolleis hat vor zehn Jahren beim Festakt zum 150-jährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Weimar davon gesprochen, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit „der Prüfstein des Rechtsstaats“ ist, weil sie den „gerichtsförmigen Schutz der Rechte des Bürgers und (die) Einhaltung der Rechtsregeln durch den Staat“ garantiert. Und: Historische Belege für diese These fallen einem auch sofort ins Auge. Die Marginalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im NS-Staat etwa, genauso aber die schon 1952 erfolgte frühe Abschaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der ehemaligen DDR.
Umso wichtiger ist es deshalb gerade jetzt, die Rolle und die Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu stärken. Unsere Verwaltungsgerichte sind nämlich in der Tat Garanten für Bürgerrechte, Bürgerfreiheiten und Bürgerteilhabe. Sie sind das vor allem deshalb, weil sie ihre Aufgabe von Anbeginn an auch als Vitalisierung des Grundgesetzes verstanden haben. Das „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“, um ein berühmtes Wort von Fritz Werner, dem dritten Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, zu zitieren - das ist es, was bis heute völlig zu Recht das Selbstverständnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit prägt. Möge es auch morgen und übermorgen noch so sein. Dafür ist dann aber eben auch eine klare Haltung von uns allen gegenüber extremistischen Strömungen jedweder Art gefragt.
Schließen will ich mit einem Gedicht der großen galizischen Dichterin Mascha Kaléko. Dieses Gedicht, das ich sowohl dem ehemaligen als auch dem neuen Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit auf den Weg geben will, heißt „Sozusagen grundlos vergnügt“. Mascha Kaléko schreibt dort Folgendes:
"Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen und dass Fische schweigen.
Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.
In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
Weil er sich selber liebt den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt und neu!
Ich freu mich, dass ich ... ich freu mich, dass ich mich freu“.
Mascha Kaléko, „Sozusagen grundlos vergnügt“. Diese Zeilen sollen Sie beide, lieber Herr Ellenberger und lieber Herr Prof. Graßhof, jetzt auch in Ihren jeweils neuen Lebensabschnitt begleiten. Freuen Sie sich ganz einfach daran, dass Sie sich freuen. Und: Bleiben Sie vor allem gesund. Das ist sicher das Wichtigste von allem.
In diesem Sinne: Alles Gute und Gottes Segen für Sie! Oder, wie es ein früherer Ministerpräsident unseres Bundeslandes jetzt wahrscheinlich in seinem geschliffenen Oxford-Englisch sagen würde: „I wish you what“. „Ich wünsch‘ Ihnen was“.