Zum Jubiläum kommen die Erfinder der Veranstaltungsreihe dorthin, wo alles begann. Mit Blick auf den Bodensee erzählen Dietmar J. Herdes, Sozialdezernent a. D. des Landkreistags Baden-Württemberg, Prof. Dr. Sigrid Kallfaß und Johannes Fuchs, langjährige Fachberater des Landkreisnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, wie es zur Idee der jährlichen Veranstaltung für die Führungs- und Fachkräfte der Landkreise und Vertreter der Zivilgesellschaft kam und was über die Jahre das Erfolgsgeheimnis war.
Wie sind die Reichenauer Tage zur Bürgergesellschaft entstanden, wer hatte die Idee?
Dietmar J. Herdes: Die Idee zur Veranstaltung war im besten Sinne eine Gemeinschaftsarbeit und das Ergebnis einer vorausgegangenen Bestandsanalyse bei den Landkreisen. Das noch junge Landkreisnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (Gründung 1997) sollte als einen Konzeptbaustein eine landesweite Plattform erhalten. Es galt, die Rolle der Landkreise im Handlungsfeld Bürgerschaftliches Engagement zu definieren.
Prof. Dr. Sigrid Kallfaß: Es ging uns vor allem darum, mit den Führungs- und Fachkräften der Landkreise und weiteren Akteuren aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, die Gesellschafts- und Zukunftsfragen zu diskutieren. Gerade die zweitägigen Veranstaltungen waren richtungsweisend. An Tag 1 gab es Impulse und die wissenschaftliche Expertise, Tag 2 gehörte den Fachkräften und diente der Ideenfindung und kollegialen Beratung. Die Praktiker wollen Antworten auf die eigenen Fragestellungen und neue Projekte kennenlernen.
Wie lief die erste Veranstaltung am 7. und 8. April 2003?
Johannes Fuchs: Die Resonanz war durchweg positiv und bestärkte uns darin, die folgenden Veranstaltungen zu planen und eben nicht möglichst zentral in oder um Stuttgart einzuladen, sondern ganz in den Süden des Landes zu gehen. Nach vier Jahren war uns dann klar, dass daraus eine jährliche Veranstaltungsreihe wird. Die ersten Jahre fand die Tagung noch auf der Klosterinsel Reichenau statt, seit 2007 dient das damals neu eröffnete Tagungshotel St. Elisabeth des Klosters Hegne, mit Blick auf die Reichenau, als Kulisse.
"Die Reichenauer Tage bedeuten für mich super organisierte, hochinformative Tage. Eine Austauschplattform für den Sozialbereich in Baden-Württemberg, der mit nichts zu vergleichen ist. Hier trifft sich die Szene zum kreativen Austausch, um das Netzwerk stabil zu halten, ganz besonders in Zeiten in denen unser Fachbereich mehr denn je gefordert ist. Die Reichenauer Tage geben mir persönlich eine große Portion Motivation und Hoffnung für den beruflichen Alltag mit."
Marianne Thoma, Altenfachberaterin im Landratsamt Tuttlingen
Gab es persönliche Sternstunden – bleibende Erinnerungen im Zusammenhang mit den Reichenauer Tagen zur Bürgergesellschaft?
Prof. Dr. Sigrid Kallfaß: Die Sternstunden entstanden ganz natürlich durch interessante Referentinnen und Referenten aus Politik und Wissenschaft.
Johannes Fuchs: Spontan fällt mir hierzu die Veranstaltung 2007 ein. Klaus Töpfer, Bundesumweltminister a. D., war als erster Redner eingeplant. Als er kurz vor Beginn noch nicht am Tagungsort war, erreichte uns der Anruf, dass er nun in Friedrichshafen – also auf der gegenüberliegenden Seeseite sei. Offensichtlich hatte er nach einem Termin am Vortag in München die Anreise von dort unterschätzt. Wir mussten kurzerhand die Tagesordnung anpassen und die Abholung organisieren. Ende gut, alles gut!
Wie gelang die Themenfindung und woher kamen die jeweils passenden Referentinnen und Referenten?
Dietmar J. Herdes: Im eigentlichen Sinne lief die Themensuche das ganze Jahr über und ergab sich aus Zusammenkünften mit den Führungs- und Fachkräften der Landkreise selbst. In Teilen auch von (bundes-)politischen Reformen wie den Gesetzesreformen Hartz III und IV geprägt oder der Flüchtlingskrise 2015/2016 beeinflusst. Die Aktualität war das oberste Gebot.
Prof. Dr. Sigrid Kallfaß: In der Regel wurden aktuelle Themen, die noch nicht „abgelutscht“ waren und die für Baden-Württemberg und das Thema interessant schienen, ausgewählt. Im Vordergrund stand immer die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements und im Besonderen seine Förderung in den Landkreisen. Zuerst kam das Thema/die Frage, was die Sozialdezernate vor Ort umtreibt und die dortige Netzwerk- und Projektarbeit ausmacht. Dann kam die Suche nach passenden Referentinnen und Referenten.
"2006 war ich erstmals Teilnehmer der Reichenauer Tage; damals noch im katholischen Familienheim auf der Insel Reichenau. Die Tagungsstätte platzte aus allen Nähten; dass die Veranstaltung einen Nerv getroffen hat war deutlich. Die Stärke des Landes Baden-Württemberg beruht besonders auf der starken Rolle der Zivilgesellschaft. Die Reichenauer Tage haben sich als zentraler Kongress des Bürgerengagements in Baden-Württemberg etabliert. Sie sind anregend, bereichernd, vernetzend und damit Treibsatz der starken Bürgergesellschaft in unserem Land."
Ignaz Wetzel, Sozialdezernent im Landratsamt Bodenseekreis
Haben Sie Wünsche für die Zukunft der Reichenauer Tage zur Bürgergesellschaft?
Prof. Dr. Sigrid Kallfaß: Für mich war die Veranstaltung immer ein Baustein neben der Netzwerkarbeit und Qualifizierung der Fachkräfte sowie der Kooperation mit weiteren Akteuren z. B. im Rahmen der Förderprogramme und der Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium und den Schwesterverbänden Gemeindetag und Städtetag. Diese gesamte Vielfalt gilt es zu erhalten und stetig fortzuentwickeln.
Johannes Fuchs: Die Veranstaltung ist ein wichtiger Impulsgeber. Man geht mit neuen Perspektiven und Ideen zurück an den Arbeitsplatz. Diese Denkanstöße und den Dialog braucht es. Im besten Fall zeigt die Veranstaltung das ganze Potential der Bürgergesellschaft für und in den Landkreisen.
Dietmar J. Herdes: Das Verwaltungshandeln muss noch mehr vom Bürger aus gedacht werden. Gerade deshalb braucht es Veranstaltungen wie diese als Ausgangspunkt für soziale Innovationen. In diesem Sinne setze ich auch darauf, dass 2033 die 30. Reichenauer Tage zur Bürgergesellschaft stattfinden werden. Ad multos annos!
Download: Themenübersicht über die Reichenauer Tage zur Bürgergesellschaft seit 2003