Wie gelingt soziale Daseinsvorsorge in einer sich wandelnden Gesellschaft? Die diesjährige Fachtagung widmete sich der Weiterentwicklung der sozialen Daseinsvorsorge und stellte die zentrale Frage in den Mittelpunkt, wie dieser Transformationsprozess gestaltet werden kann. 115 Fach- und Führungskräfte aus Verwaltung, Wissenschaft, Politik, Verbänden, Organisationen und Zivilgesellschaft folgten der Einladung des Landkreistags und kamen nach Allensbach-Hegne. Gleichzeitig stellte der Landkreistag die Neuauflage der Broschüre „Landkreise und Quartiersentwicklung“ vor.
„Angesichts eines unerbittlichen demografischen Wandels und einer tiefgreifenden Krise der öffentlichen sowie insbesondere der kommunalen Finanzen bleibt schlicht nichts anderes übrig, als die soziale Daseinsvorsorge neu zu denken“, betonte Prof. Dr. Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg, in seiner Begrüßung. „Auch wenn es hier kein Patentrezept gibt, so steht doch außer Frage, dass die strukturelle Stärkung von Bürgerschaftlichem Engagement sowie lebendige und sorgende Quartiere wichtige Mosaiksteine für die Daseinsvorsorge von morgen sind“, unterstrich von Komorowski.
Sozialminister Manne Lucha MdL hob in seinem Impuls die wichtige Rolle des Quartiers hervor und zeigte auf, wie das Quartier selbst die Daseinsvorsorge konkret vor Ort gestaltet: „Dienstleistungen in der Daseinsvorsorge sind von doppelter strategischer Bedeutung: Sie bestimmen für den Einzelnen die Lebensqualität und Chancen zur Selbstverwirklichung. Zugleich beeinflusst die Daseinsvorsorge entscheidend die Standortqualität und damit die Zukunftschancen eines Quartiers, eines Ortes oder einer Region. Gelebte Quartiersentwicklung ist Daseinsvorsorge“, so Lucha.
Prof. Dr. Peter Dehne, Projektleiter am Institut für kooperative Regionalentwicklung an der Hochschule Neubrandenburg, referierte lebhaft und praxisnah, wie Bürgerschaftliches Engagement und soziale Daseinsvorsorge untrennbar miteinander verbunden sind. Er betonte, dass hybride Partnerschaften ein zentraler Schlüssel zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen seien, und führte weiter aus: „Im Grunde geht es um eine Quartiers- und Dorfentwicklung für alle Generationen, die auf Beteiligung und Verantwortungsübernahme ausgerichtet ist. Voraussetzung ist, dass irgendjemand einen Anfang macht und andere zum Mitmachen gewinnt.“ Die Aufgabe der Landkreise, Städte und Gemeinden sei dabei, „neben der Planung, Leistungserbringung und Gewährleistung von Daseinsvorsorge mehr als früher Entwicklungs- und Managementaufgaben zu übernehmen. Sie müssen die Menschen in ihren Quartieren und Dörfern auf dem Weg zu solidarischen Gemeinschaften motivieren, moderieren, koordinieren, qualifizieren und wertschätzen.“
Einen weiteren Impuls setzten PD Dr. Anja Reichert-Schick, Leiterin der Themengebiete Bildung und Zukunftsfragen bei der Wüstenrot Stiftung, sowie Dr. Petra Potz, Inhaberin von location³ – Wissenstransfer, mit ihrem gemeinsamen Projekt zur Stärkung sozialer und gebauter Strukturen im Quartier. Sie untersuchen, wie Quartiere, das Wohnumfeld und die Nachbarschaft gegen zunehmende Einsamkeit gewappnet werden können. „Bürger- und Nachbarschaftsvereine, Kirchengemeinden und Religionsgemeinschaften, Initiativen, Sportvereine etc. bieten vielfältige Anknüpfungspunkte und Raum für soziales Engagement und Interaktion und tragen zu einer lebendigen Nachbarschaftsstruktur bei. Gleichzeitig können sie Seismografen sein, um einsamkeitsgefährdete Menschen zu identifizieren und niederschwellig zu unterstützen, wenn Personen in diesen Bereichen für das Thema Einsamkeit sensibilisiert und geschult sind. Entscheidend ist zudem das Zusammenspiel von baulicher Gestaltung und aktiver sozialer Infrastruktur. Ein einsamkeitsresilientes Quartier braucht offene, gut erreichbare und vielfältig nutzbare Räume, die soziale Begegnung und Teilhabe ermöglichen“, so die Projektpartner.
Die Moderatorin Dr. Antje Grobe unterhielt sich in gewohnt angenehmer Atmosphäre mit dem Landrat des gastgebenden Landkreises Konstanz, Zeno Danner, Prof. Dr. Peter Dehne und Ingrid Engelhart, Vorsitzende des gemeinnützigen SPES e.V., über die Möglichkeiten, wie die Impulse auf politischer Ebene und im Quartier vor Ort umgesetzt werden können.
Die bei der Anmeldung abgefragten Themen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden genutzt für das kreative und innovative Format der „Floor-Moderation“. Der leergeräumte Veranstaltungssaal war Schauplatz und Diskussionsort. Die Top-Themen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zierten nicht nur den Saalboden, sondern wurden zu Themeninseln, die es ermöglichten, die unterschiedlichen Sichtweisen darzulegen, zu diskutieren und Lösungsansätze zu finden. Die Ergebnisse zeigten: Die Herausforderungen sind vielfältig, und ebenso vielfältig müssen die Lösungen sein. Mutige und innovative Wege sind notwendig, um die soziale Daseinsvorsorge nachhaltig zu gestalten.
Zum Abschied stellte Hauptgeschäftsführer von Komorowski dankbar fest: „Die Fachtagung macht Mut, sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Wie vielfältig die Angebote sein können und vor allem, welche Partnerinnen und Partner zur Verfügung stehen, ist nicht zuletzt im direkten Gespräch ganz deutlich geworden. Ein besonderer Dank gilt dem Sozialministerium, das die Fachtagung seit Jahren unterstützt. Wenn es die Reichenauer Tage nicht gäbe, man müsste sie glatt erfinden!“
Hier geht es zur Neuauflage der Broschüre "Landkreise und Quartiersentwicklung"