Bürgerschaftliches Engagement im Wandel

Ehrenamt wieder attraktiv machen

Wenn der Posten des Kassenwarts nicht mehr besetzt werden kann und keine neuen Mitglieder dem Verein beitreten, beginnt im Vorstand das Grübeln. Das Bürgerschaftliche Engagement befindet sich in einer Phase der Veränderung. Alte Gewissheiten zählen nicht mehr, was also tun? Ein Zwischenfazit des Projekts MHoch3, das Engagierte fit für die Zukunft machen will.
Marco Schwind · Ortenaukreis · 09. Oktober 2023
Austausch zwischen den Vereinen im World-Café
Austausch zwischen den Vereinen im World-Café
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„Das Ehrenamt befindet sich in einem strukturellen Wandel. Das ist vielfach belegt“, fasst Nicolas Krieg, Vorstandssprecher des Stadtjugendrings Kehl e.V., die aktuelle Situation zusammen. Um von dieser Erkenntnis ins Tun zu kommen, hat sich der Stadtjugendring Kehl e.V. mit der Vernetzungsstelle für Bürgerschaftliches Engagement des Landratsamtes Ortenaukreis zusammengetan und das Projekt MHoch3 (Mach Mal Mit) für drei Kommunen im Ortenaukreis ins Leben gerufen.

Bei „Mach Mal Mit“ handelt es sich nicht nur um eine Aufforderung an junge Menschen sich zu engagieren, das Projekt richtet sich auch an Vereine und ruft dazu auf, die gesellschaftlichen Veränderungen mitzugestalten. Dafür werden den Teilnehmenden drei Schulungen und ein Inspirationstag angeboten. Diese Veranstaltung fungiert als Höhepunkt des Projekts: die Teilnehmenden treffen dort auf junge Menschen und inspirieren sie für kleine Engagementvereinbarungen.

Die Schulungen sollen die Teilnehmenden dabei unterstützen, strukturelle Veränderungen in ihren Vereinen und Organisationen anzustoßen, um sie zukünftig wieder attraktiver für junge Menschen zu machen. Zusätzlich gibt es vorab eine Auftaktveranstaltung, an der sich Vereine und Organisationen zum Projekt MHoch3 informieren können und ein Austausch unter den Vereinen ermöglicht wird.

Als Zielgruppe stehen Vereine, Gruppen und Initiativen aus Kehl, Rheinau und Willstätt im Fokus, die sich in der Jugendarbeit engagieren oder junge Menschen gewinnen möchten.

Mit diesem Konzept bewarben sich der Stadtjugendring Kehl e.V. und die Vernetzungsstelle für Bürgerschaftliches Engagement erfolgreich um die Förderung „Gemeinsam engagiert in BW“ des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
 

Stakeholder sorgen für Aufschwung

Zu Beginn des Projekts hat der Stadtjugendring Kehl e.V. als ersten Schritt eine Stakeholder-Analyse durchgeführt. Die Methode kommt aus dem Projektmanagement und hilft dabei, Menschen und Organisationen zu identifizieren, die den Erfolg eines Projekts positiv beeinflussen können.

Erarbeitung einer Stakeholder-Analyse
Erarbeitung einer Stakeholder-Analyse
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„Für die Bekanntmachung eines Projekts ist die Nutzung der vorhandenen Netzwerke und Strukturen ein wesentlicher Erfolgsfaktor“, bilanziert Nicolas Krieg die Analyse. Deshalb stellte der Stadtjugendring eine Arbeitsgruppe zusammen, die für MHoch3 Stakeholder suchte, die mittelbar das Projekt weitertragen und bekannt machen können. Als wichtige Netzwerkpartner wurden die Bürgermeister und das Verwaltungspersonal ausgemacht, die bereits ein Netzwerk zu lokalen Vereinen ihrer Gemeinde pflegen.

So plante die Verwaltung einer Kommune bereits, unabhängig von MHoch3, zwei Austauschtreffen für Sportvereine im Januar 2023 und eine für Kulturvereine im März 2023 zu organisieren. An beiden Veranstaltungen, mit rund achtzig Teilnehmenden, konnte die Vernetzungsstelle MHoch3 vorstellen. Die Werbung für das Projekt stieß dabei auf große positive Resonanz und Interesse für die Auftaktveranstaltung im April 2023.

Mikroübergabe mit OB Britz bei Austauschveranstaltung der Stadt Kehl
Mikroübergabe mit OB Britz bei Austauschveranstaltung der Stadt Kehl
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Erfolgreiches Einbeziehen aller Verwaltungsebenen

Als ein wichtiger Stakeholder für das Gelingen des Projekts wurde auch der Dezernent für Bildung, Jugend, Soziales und Arbeitsförderung im Landratsamt Ortenaukreis identifiziert. Durch ein unterstützendes Schreiben konnten die kommunalen Ansprechpartner, die für Ehrenamtliche zuständig sind, noch besser erreicht werden.

In direkten Gesprächen wurde die Idee des Projekts erläutert und der bisherige Verlauf dargestellt. Durch diese Stakeholder erhielt das Projekt weitere Unterstützung und konnte auch über deren Netzwerke bekannt gemacht werden. Die Gesamtzahl der erreichten Vereine summierte sich auf diesem Weg für alle drei Gemeinden auf 300 Kontakte.


Mit dem World-Café zu neuen Ideen

40 Interessierte aus allen drei Kommunen fanden sich am 19. April 2023 zur Auftaktveranstaltung im Kulturhaus Kehl ein. Das Rahmenprogramm bildete ein kurzer Vortrag, in dem die Projektbestandteile vorgestellt wurden und einem anschließenden World-Café.

In der kurzen Präsentation wurden die Ziele, ein zeitlicher Ablauf des Projekts und potenziell weitere Projekte zur langfristigen Verstetigung im Anschluss vorgestellt.

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Danach führten die Mitglieder des Stadtjugendrings ein World-Café durch. Diese Methode dient zur Gruppenarbeit und soll ein Wohlfühlerlebnis schaffen, bei dem ein kreativer Austausch, ähnlich einer Kaffeehaus-Atmosphäre, ermöglicht wird.

In drei Runden an vier Thementischen tauschten sich die Vereine zu unterschiedlichen Bereichen aus, um herauszufinden, an welchem Punkt sie aktuell stehen und was nächste Schritte sein könnten. Fragestellungen der Thementische waren:

  • Was sind Ihre aktuellen Herausforderungen in der Vereinsarbeit?
  • Stellen Sie sich Ihre Tätigkeit in Ihrem Verein als einen großen Kuchen vor. Zeichnen Sie Ihre Arbeitsanteile in verschieden große Stücke auf.
  • Womit waren/sind Sie erfolgreich, um neue Mitglieder zu gewinnen?
  • Welche Tipps haben Sie an andere Vereine, um deren Vorstand bei der Mitgliedergewinnung zum Scheitern zu bringen?

Zu einem Café gehört nicht nur eine gute Verpflegung sondern auch die kreative Freiheit, in einen offenen Austausch zu gehen, um allen möglichen Ideen und Meinungen Platz zu geben. Für einen optimalen Rahmen wurden die Mitglieder des Stadtjugendrings vorab in der Methode geschult, um sie als Gastgebende an den Tischen einzusetzen. Durch geschickte Fragestellungen hielten sie die Gespräche am Laufen und sorgten dafür, dass alle Ergebnisse schriftlich festgehalten wurden.

Planungsgruppe für das World-Café bei der Auftaktveranstaltung
Planungsgruppe für das World-Café bei der Auftaktveranstaltung
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Nach dem World-Café gab es nochmals die Möglichkeit, sich themenunabhängig informell im Plenum auszutauschen. Zum Abschluss der Veranstaltung wurden die Ergebnisse des World-Cafés vorgestellt und eine Kontaktliste angelegt, um im Sommer die weiteren Termine für die Schulungen und den Inspirationstag anzukündigen.

Drei Handlungsfelder rücken in den Fokus

Die Beiträge der Vereine machen deutlich, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, was strukturell geändert werden muss, damit Engagement wieder attraktiv für junge Menschen wird.

Damit das gelingen kann, wurden drei Handlungsfelder herausgearbeitet:

  • Öffentlichkeitsarbeit: für Vorstandssprecher ist es wichtig zu klären, welche Zielgruppen es gibt, über welche Kanäle sie erreicht werden können und welche Themen aufbereitet werden müssen, damit sich junge Menschen dafür interessieren.
  • Digitale Mitgliedergewinnung: junge Menschen verbringen vermehrt Zeit in digitalen Räumen und können dort gewonnen werden. Dazu verfügt diese Zielgruppe über Medienkompetenzen, die von Vereinen in ihre Engagement-Strukturen eingebunden werden können.
  • Kinder- und Jugendbeteiligung: auch Vereine sind Orte, in denen demokratische Entscheidungen getätigt werden. Die Einbeziehung von jungen Menschen in Entscheidungsprozesse, auch in digitaler Form, ist ein wesentlicher Faktor, um für junge Menschen attraktiv zu sein.

Organisatorische Hürden bleiben nicht aus

Mit den Vereinen wurde vereinbart, dass im Anschluss an die Auftaktveranstaltung eine Umfrage gestartet wird, wann die Fortbildungen im Herbst 2023 stattfinden sollen. In Absprache mit den Referierenden der drei Qualifizierungen sollten auf diesem Wege Interessenten für eine Teilnahme an den Schulungen gewonnen werden.  Die Terminplanung partizipativ umzusetzen, stieß aufgrund der terminlichen Möglichkeiten der Referierenden und der bereits weitgehend belegten Räumlichkeiten in den Kommunen schnell an Grenzen. Zwar konnten inzwischen für das Projekt alle nötigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, doch eine Abstimmung mit allen Beteiligten gestaltete sich schwierig.
 

Die nächsten Schritte

Eine Herausforderung besteht darin, dass ehrenamtlich Tätige über geringe Zeitbudgets verfügen und das Projekt dagegen sich über mehrere Termine erstreckt. Auch deshalb wird MHoch3 im Sommer über verschiedene Kanäle offensiv beworben. Dafür werden sowohl digitale Kanäle, wie Instagram, Facebook und ein Podcast genutzt, als auch klassische Printmedien in Form von Zeitungen und Bürgerblättern, um eine breite Zielgruppe anzusprechen und zu gewinnen. Am 14. Oktober startet die erste Fortbildung zum Thema Öffentlichkeitsarbeit. Ehrenamtlich Tätige mit ihren geringen zeitlichen Ressourcen für ein mehrtägiges Projekt zu gewinnen, ist dabei eine große Herausforderung, doch „die ersten Anmeldungen liegen bereits vor und wir sind optimistisch, dass das Projekt einen Beitrag zum erfolgreichen Wandel im Ehrenamt leisten wird“, zeigt sich Nicolas Krieg zuversichtlich.

Das Projekt wird finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag von Baden-Württemberg beschlossen hat.

Marco Schwind zeichnet für die Vernetzungsstelle für Bürgerschaftliches Engagement im Landratsamt Ortenaukreis verantwortlich
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