"Wir gewinnen zunehmend den Eindruck, dass landespolitische Entscheidungen die Besonderheiten des Ländlichen Raums immer weniger berücksichtigen"
Briefe aus dem Neckar-Odenwald-Kreis in die Stuttgarter Ministerien sind nichts Ungewöhnliches, denn nur so kann der ländliche Raum immer wieder auf drängende Probleme vor Ort aufmerksam machen. Wenn aber Landrat Dr. Achim Brötel gemeinsam mit dem Kreisvorsitzenden des Gemeindetags Bürgermeister Thomas Ludwig (Seckach) einen deutlichen Brief an die Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Thekla Walker schreibt, muss in Stuttgart doch einiges verrutscht sein. Stein des Anstoßes sind dabei die geänderten Förderrichtlinien Wasserwirtschaft, die im Mai in Kraft getreten waren. Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung seien Grundbausteine der kommunalen Daseinsvorsorge, heißt es in dem Schreiben, das auch von zahlreichen weiteren Bürgermeistern aus dem gesamten Kreisgebiet mitunterschrieben worden ist. "Diese Leistungen müssen für unsere Bürgerinnen und Bürger aber auch bezahlbar bleiben, was die Städte und Gemeinden schon immer vor große Herausforderungen gestellt hat", betonen Brötel und Ludwig.
So habe es in den letzten 15 Jahren viele gesetzliche Verschärfungen gerade im Bereich der Abwasserbeseitigung gegeben, deren Umsetzung für die kommunalen Haushalte mit erheblichen Investitionen verbunden waren. Oft seien diese Vorgaben allerdings an der Realität vorbeigegangen. Folge davon seien deutlich gestiegene Investitionskosten, die dann aber auch wieder entsprechend höhere Fördermittel nach sich ziehen. Jetzt seien die Fördermittel jedoch zurückgefahren worden, sodass die wachsende Deckungslücke letztlich von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt werden muss.
"Wir gewinnen deshalb zunehmend den Eindruck, dass bei landespolitischen Entscheidungen die Anforderungen und Besonderheiten des Ländlichen Raums immer weniger oder gar nicht mehr gesehen und berücksichtigt werden", folgern die Verfasser. Brötel und Ludwig weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Mittelausstattung für die Sanierung von Wasser- und Abwasserleitungen in den vergangenen Jahren schon mehr als unzureichend gewesen sei. Gleichzeitig seien die Baukosten aber gestiegen, was zu einer Reduzierung der Antragsbewilligung geführt habe. Das Spannungsfeld zwischen dringenden Sanierungsmaßnahmen und der Vermeidung von Gebührensprüngen habe sich insbesondere im Bereich der Härtefälle weiter verschärft, zumal etliche Anträge aus der Finanzierungsnot heraus erneut gestellt worden seien.
Viele Leitungen, die nach der Gebietsreform vor 50 Jahren verlegt wurden, müssten nun aber geradezu zwangsläufig saniert werden: "Gerade im Ländlichen Raum mit seinen großen Leitungslängen und vergleichsweise wenigen Einwohnern schlagen Förderkürzungen oder Förderausfälle aber sehr schnell auf die Abwassergebühren durch. Für die Sanierung von Wasserleitungen gilt das analog", betonen Brötel und Ludwig und ziehen Bilanz: "In diesem Jahr können von 36 gestellten Fachförderanträgen im Bereich Abwasserbeseitigung aus unserem Landkreis gerade einmal drei (!) Anträge bewilligt werden. Die sieben Anträge aus dem Bereich Wasserversorgung wurden hingegen bis auf einen einzigen allesamt abgelehnt." Die Änderung der Förderrichtlinien, insbesondere die Härtefallregelung, seien daher "absolut unverständlich". Für die Sanierung von Wasserleitungen gebe es gar keine Förderung mehr. Zudem sei unter anderem der Anteil der zur Verfügung stehenden Mittel für die Härtefallförderung von maximal 15 Prozent aus Wasser- und Abwasserförderung auf maximal zehn Prozent nur noch aus der Abwasserförderung reduziert, was zusätzlich noch mit einer Anhebung der Schwellenwerte als maßgeblichem Kriterium der Förderhöhe einhergehe.
"Die neuen Förderrichtlinien werden für die Gemeinden in unserem Landkreis und deren Bürgerinnen und Bürger deshalb einen sehr deutlichen Anstieg der Gebühren und Beiträge zur Folge haben. Dabei ist es aber doch gerade eines der Ziele der Förderrichtlinien, unzumutbar hohen Gebühren- und Beitragsbelastungen entgegenzuwirken", so die Verfasser. Eine Gemeinde müsste, um einen Fördersatz in bisheriger Höhe zu erreichen, beispielsweise die Wasser- und Abwassergebühren jeweils verdoppeln. Eine Akzeptanz in der Bevölkerung könne man dafür nicht erwarten. Weiter heißt es in dem Schreiben, das der Ministerin auch eine konkrete Beispielrechnung aufzeigt: "Vor Ort kämpfen wir bereits seit Jahren mit regelmäßigen Gebührensteigerungen, die wir unseren Bürgerinnen und Bürgern erklären müssen. Die nun geänderten Förderrichtlinien werden diese Situation noch deutlich weiter verschärfen."
Damit kein Missverständnis aufkommt, unterstreichen Brötel und Ludwig stellvertretend für alle Unterzeichner aber auch, dass sich die Kommunen ihrer Verantwortung beim Umweltschutz sehr wohl bewusst seien. Maßnahmen zur Erneuerung von Wasser- und Abwasserleitungen seien nichts anderes als gelebter Umweltschutz vor Ort. Um handlungsfähig zu bleiben, benötige man aber eine ausreichende Förderung von Bund und Land, besonders für Maßnahmen mit direkten finanziellen Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürgern. Am Ende ihres Briefes bitten die Verfasser deshalb eindringlich darum, die Änderungen nochmals zu überdenken und die Richtlinien kurzfristig wieder anzupassen. Schließlich bedürfe es auch unter dem Aspekt des Umweltschutzes keiner Mittelkürzungen, sondern gerade umgekehrt vielmehr sogar eines noch deutlich verstärkten Mitteleinsatzes.