Abwarten und beobachten – das war zunächst die Richtlinie der Göppinger Kreispolitik, als Ende 1969 das „Denkmodell“ der Landesregierung auf den Tisch kam. Erleichtert hatte man zur Kenntnis genommen, dass der 1938 gebildete Landkreis Göppingen in seiner bisherigen Form weitgehend erhalten bleiben sollte. Nur einige wenige Gemeinden standen zur Disposition, Zuwachs und Verlust würden sich in etwa die Waage halten. Darüber hinaus war der seit 1966 amtierende Göppinger Landrat Dr. Paul Goes (1920-2003) in die Reschke-Kommission berufen worden und konnte dort die Reformdiskussionen mitgestalten. Allerdings war der nordöstliche Nachbarlandkreis Schwäbisch Gmünd von Beginn an zur Auflösung vorgesehen und die dort einsetzende Dynamik ließ die Ruhe in Göppingen nur bis zum Frühjahr andauern.
Mitte April war es dann mit dem Frieden im Filstal vollends vorbei: Göppingens OB Dr. Herbert König (1912-1992) trat mit dem Entwurf eines „Hohenstaufenkreises“ in die Öffentlichkeit, der die bisherigen Landkreise Göppingen und Schwäbisch Gmünd sowie optional Teile des Raumes um Kirchheim unter Teck und Weilheim aus dem ebenfalls angezählten Landkreis Nürtingen umfasste. Königs persönliche Zielsetzung war dabei einigermaßen durchschaubar: Nach ambitionierten Bauvorhaben und zahlreiche Eingemeindungen während seinen bislang 16 Amtsjahren versuchte der zuweilen recht impulsive Oberbürgermeister damit insbesondere den Status eines Oberzentrums für „sein“ Göppingen zu erreichen. Der Vorschlag wurde in der regionalen Presse mit Begeisterung aufgenommen und sogleich rege diskutiert. Der nicht abgesprochene und gegen die bisherige Landkreisstrategie verstoßende Entwurf Königs sorgte derweil beim sich düpiert fühlenden Landrat sowie den Mitgliedern des Kreisrats für erhebliche Verstimmung und einen giftigen Briefwechsel zwischen Goes und Göppingens OB. Dieser berief sich auf sein gutes Recht für einen persönlichen Vorschlag, unterstellte dem Landrat im Gegenzug Eifersucht auf seine Idee und ihm darüber hinaus eine viel zu zögerliche Vorgehensweise vor.
Einmal in der Welt und medial ausgiebig befeuert, ließ sich die Vision des „Hohenstaufenkreises“ nicht so schnell wieder einfangen. Während man zwar im Kirchheimer Raum dankend abwinkte und der Nürtinger Landrat im Kreistag sinngemäß äußerte, dass die Zeiten der Staufertreue inzwischen vorbei seien, sah man im Schwäbisch Gmünd doch eine Alternative oder zumindest einen erweiterten Verhandlungsspielraum gegenüber der ungeliebten Option einer Verbindung mit Aalen. Im Filstal hatten die Gmünder Nachbarn unterdessen schon etwas für Verstimmung gesorgt, weil sie einige Gemeinden des nordöstlichen Göppinger Kreisgebiets in Planspiele für einen „Remskreis“ integrierten – der aber in Stuttgart bereits Anfang Mai 1970 komplett durchfiel. Dagegen hatte OB König vom Innenminister Walter Krause ein wohlmeinendes Lob für seinen „bemerkenswerten Vorschlag“ erhalten und berief sich fortan konsequent auf dieses. Auf verschiedenen Ebenen, über Parteikanäle und Wirtschaftsverbände wurden nun die Spielräume ausgelotet. Göppinger Wirtschaftskraft und Gmünder Kulturreichtum – diese Kombination erschien manchem Regionalpolitiker attraktiv, der einflussreiche Göppinger SPD-Politiker Karl Riegel sprach beispielsweise vom „gegenseitigen“ Schenken. Derweil versuchte Landrat Goes während der Sitzungen des „Gemeinsamen Ausschusses“ der Reformkommissionen für einen Zusammenschluss von Göppingen und Gmünd oder zumindest für eine Abgabe eines Teils des Gmünder Kreisgebiets zu werben – sein konkret am 6. Mai 1970 strategisch durchaus klug platzierter diesbezüglicher Vorschlag erhielt jedoch nur wenig Resonanz und wurde abgelehnt.
Die auf für Juli 1970 terminierten Gutachten der Kommissionen und die daraus zu erwartende vorläufige Entscheidung der Landesregierung für ein bestimmtes Reformmodell erhöhte den Druck besonders auf die Schwäbisch Gmünder Seite, so dass diese nach Einladung aus dem Filstal eine Kreistagsfraktion zu Verhandlungen nach Göppingen schickte. Doch die vor allem auf Göppinger Seite hohen Erwartungen an die gemeinsame Sitzung am 7. Juli 1970 erfüllten sich nicht: Die offenkundig auf weiteres Taktieren setzenden Gmünder konnten sich trotz Göppinger Verweisen auf das sich bald schließende Zeitfenster nicht zu einem Votum für eine Option entschließen und man ging ergebnislos auseinander. Die Fortsetzung der Gespräche am 23. Juli 1970 in Schwäbisch Gmünd, quasi parallel zur Entscheidungsfindung der Landesregierung, fanden nach den Gutachten der Kommissionen, die weiterhin für der Erhalt Göppingens und die Auflösung Gmünds plädierten, unter hohem Entscheidungsdruck statt. Denn den „Hohenstaufenkreis“ sahen die Kommissionen als nicht erstrebenswert an: „Eine Zuordnung des Mittelbereichs Schwäbisch Gmünd nach Göppingen ist ebenfalls nicht möglich. Zwischen Schwäbisch Gmünd und Göppingen bestehen allenfalls geringe sozio-ökonomische Verflechtungen.“ Mit Telegrammen und Telefonverbindungen hielt man nun am 23. Juli den Kontakt zu Stuttgart, während die Göppinger ihre nördlichen Nachbarn von einer Kooperation und der großen Dringlichkeit einer Entscheidungsfindung überzeugen wollten. Gmünds OB Norbert Schoch zeigte sich allerdings dabei laut Protokoll relativ uncharmant: „Die Fragen Göppingen und Aalen sind eine ganz schwere Entscheidung und eigentlich nur eine Wahl zwischen zwei Übeln. Die Frage ist nun, welches wäre das geringere Übel von den beiden.“ Zuletzt versuchten die Gmünder vor einer Festlegung zu erfahren, ob eine klare Stellungnahme pro „Hohenstaufenkreis“ überhaupt die Chance für ein nochmaliges Umdenken der Landesregierung eröffnen würde. Die knappen Antworten aus Stuttgart fielen letztlich eher negativ, wenn auch nicht definitiv aus: Göppingen bliebe erhalten, Gmünd käme zu Aalen – das war der Stand von Ende Juli/Anfang August 1970, selbst wenn OB König nach dem somit weiter ausbleibenden Votum der Gmünder erneut beim Innenminister nachzuhaken versuchte.
Nachdem man in diesen Tagen in der Presse zunächst nach den tatsächlichen oder vermeintlich Schuldigen für das Scheitern des „Hohenstaufenkreises“ suchte, traten die CDU-Vertreter des Göppinger Kreisverbands mit einer Denkschrift zugunsten desselben auf den Plan und der Göppinger Bundestagsabgeordnete Dr. Manfred Wörner verkündete vollmundig, dass nunmehr die „Stunde der Abgeordneten“ gekommen sei. Von der Presse im Remstal als neues Göppinger „Angebot“, obwohl freilich ohne jede politische Legitimation, interpretiert und von Gmünder Seite gern als Stärkung der Verhandlungsbasis gegenüber Aalen angenommen, führte dieser neue Impuls schließlich zum finalen Zerwürfnis. Ausgehend von der Gmünder CDU-Größe Prof. Erich Ganzenmüller formulierten die Gmünder die Bedingung an den Landkreis Göppingen, für einen Zusammenschluss die Region des „Mittleren Neckarraums“ zu verlassen. Dieses von Heidenheim unterstützte Ansinnen an die Göppinger, nach einem Regionswechsel in Ostwürttemberg „die erste Geige“ zu spielen, wurde im Göppinger Kreistag jedoch klar abgelehnt. Die mittlerweile doch schon angespannten Verhältnisse zwischen den benachbarten Amtskörperschaften sowie ihren politischen Protagonisten wurden zudem durch mehrere hart umkämpfte Grenzgemeinden, speziell Degenfeld, Wißgoldingen und Maitis, verschärft und gipfelten in gegenseitigen Anschuldigungen meist über die Presse.
Spätestens Ende 1970 war der „Hohenstaufenkreis“ in der Diskussion mit den Göppinger Nachbarlandkreisen kein relevantes Thema mehr, was auch die Unterlagen zu Gesprächen von Gmünder und Aalener Delegationen im Staatsministerium belegen. In den Anfang Dezember 1970 eingereichten Stellungnahmen der Kreisgemeinden zur Kreisreform fand sich ebenfalls kaum mehr ein Niederschlag zu Königs Idee – neben der Stadt Göppingen allenfalls bei Gemeinden wie Wäschenbeuren, Ottenbach oder Rechberg, die bei einem „Hohenstaufenkreis“ von einer Randlage ins Zentrum gerückt wären. Die Göppinger Kreispolitik berief sich fortan darauf, dass man ausreichende Angebote gemacht habe und der Spielball nun allein im Gmünder Feld liege.
Eine Aufteilung des Schwäbisch Gmünder Kreisgebiets stand offenkundig nie ernsthaft zur Debatte, der Kreis forderte kompromisslos seine weitere Eigenständigkeit, wollte allenfalls ungeteilt in ein neues Kreisgebiet überführt werden und dann dort Kreis- und Regionalsitz werden. Über die richtige Strategie flogen innerhalb der Gmünder Kreispolitik gleichermaßen die Fetzen und gegenseitige Vorwürfe fanden regelmäßig ihren Niederschlag in der Presse: Landrat Dr. Friedrich Röther beharrte hartnäckig auf dem Status Quo und ließ Anfang Februar 1971 noch eine Bürgerbefragung durchführen – in der irrigen Hoffnung, damit die Landesregierung unter Druck setzen zu können. Dagegen sah Erich Ganzenmüller im Regionalsitz die zukünftig entscheidende Größe und beanspruchte nach der diesbezüglichen Entscheidung zugunsten Schwäbisch Gmünds die Verdienste für diesen Erfolg komplett für sich. Letzten Endes kam es wie zuvor vielfach prophezeit: Schwäbisch Gmünd wurde mit Aalen zum „Ostalbkreis“ vereinigt und verlor den Kreissitz sowie einige Randgemeinden. Bis zur Verabschiedung des Kreisreformgesetzes am 23. Juli 1971 beschäftigte die regionalen Politiker dann weitgehend der teilweise erbitterte Kampf um die Zuordnung einzelner Gemeinden, größere Veränderungen ergaben sich indes nicht mehr und in Göppingen wandte man sich wieder den Großprojekten Kreiskrankenhaus und Müllheizkraftwerk zu. Im Nachhinein und mit etwas Abstand trauerte die Göppinger Kreispolitik der vielleicht verpassten Chance auf Vergrößerung des Kreisgebiets doch etwas mehr nach, als die knappen Worte des landratsamtsinternen Jahresberichts für 1970 erkennen ließen: „Die Bemühungen um den Hohenstaufenkreis waren – ohne dass der Landkreis Göppingen dies zu vertreten hat – erfolglos.“