Der Landkreis Bühl

Ein Opfer der Kreisreform?

Wenige Tage vor dem Jahreswechsel 1969/1970 verbreitete der Landkreis Bühl Exemplare des Denkmodells der Landesregierung an die Kreisräte und die Bürgermeister des Landkreises.
Martin Walter · Landkreis Rastatt · 13. März 2023
Luftaufnahme mit dem Bühler Landratsamt in der Bildmitte. Um 1965.
Luftaufnahme mit dem Bühler Landratsamt in der Bildmitte. Um 1965.
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Landrat Erwin Trippel berief für den 27. Februar 1970 eine Bürgermeisterversammlung ein und bat die Landkreisbürgermeister wortwörtlich um eine „gründliche Durcharbeitung“ der Vorlage, sowie um Stellungnahme der Kreisgemeinden. In Bühl wurde das Denkmodell in der Sitzung vom 7. Januar 1970 diskutiert. Nur wenige Tage später fand am 24. Januar 1970 in Baden-Baden eine Sitzung statt, an der neben Innenminister Krause, die Landräte in Mittelbaden und einige Delegierte benachbarter Städte teilnahmen. Dabei stellte Innenminister Walter Krause als Hauptredner das Denkmodell vor und skizzierte die Grundlagen, die zu der Idee einer Kreisreform geführt hätten. Krause verwies darauf, dass dem Landtag in Stuttgart die Entscheidung obliege.


In Bühl regt sich Widerstand

Letztendlich lag die Stellungnahme des Landkreises Bühl vom 18. Februar 1970 sehr schnell vor. Im Ergebnis sprach sich Bühl für den weiteren Erhalt des Kreises Bühl aus. „Der Landkreis Bühl wird im maßgebenden Zeitpunkt 1980 115.000 Einwohner haben. Auch ohne Korrekturen und Ergänzungen hat er damit im Wesentlichen die für einen Landkreis der Zukunft erforderliche Mindestgröße.“ Die Fraktionen des Bühler Kreistags stimmten der Auffassung von Landrat Trippel grundsätzlich zu und gaben ihrerseits Erklärungen ab. Die CDU formulierte ihre Haltung in deutlichen Worten: „Der im Denkmodell vorgesehene Großkreis Rastatt – Baden-Baden – Bühl ist in dieser Größe nicht erforderlich und in dieser Zusammensetzung nicht zweckmäßig. Rastatt ist als Sitz des Landratsamts ungeeignet.“ Die CDU präferierte den Vorschlag gemeinsam mit Baden-Baden und zusätzlichen Teilen des Kreises Kehl mit der Stadt Lichtenau und Gemeinden entlang der „Entwicklungsachse Achertal-Freistett“ einen neuen Kreis zu bilden. Noch drastischer äußerte sich die Kreistagsfraktion der Bühler FDP, die zu dem Ergebnis gelangte, dass „eine Einordnung des Landkreises Bühl in einen Großkreis Rastatt, in vielerlei Hinsicht einen völlig unlogischen Gewaltakt darstellen würde.“

Studioportrait des langjährigen Bühler Landrats Erwin Trippel (1951 -1971). Trippels Kampf um einen Fortbestand des Kreises Bühl wurde nicht belohnt.
Studioportrait des langjährigen Bühler Landrats Erwin Trippel (1951 -1971). Trippels Kampf um einen Fortbestand des Kreises Bühl wurde nicht belohnt.
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Diese Bemühungen des Landrats Trippel wie auch des Bühler Kreistags werden noch verständlicher, wenn man sich die Entwicklungen in den benachbarten südlichen Landkreisen vor Augen führt. Hier war sehr schnell klar, dass die Landesregierung die Schaffung eines „Großkreises Offenburg“ unterstützen würde. So sprach sich Innenminister Walter Krause bei der Versammlung der Vereins Badischer Ratsschreiber im Juni 1970 für einen Kreis Offenburg aus, der die bisherigen Landkreise Kehl, Lahr, Offenburg und Wolfach umfassen sollte. In dieser „Oberkircher Rede“ stellte Krause klar, dass sich „zwischen den Konzentrationsräumen Mannheim-Heidelberg-Karlsruhe im Norden und Freiburg-Lörrach-Basel im Süden“ ein „Zentrum rund um Offenburg befinden müsse, das ein anziehungskräftiges Zentrum schaffen soll.“ Die Zukunft des Landkreises Bühl sparte Krause bei dieser Rede allerdings aus.

Dass ein Fortbestehen des Landkreises Bühl zu diesem Zeitpunkt zumindest gefährdet war, belegt die öffentliche Berichterstattung über die sehr emotional geführte vierstündige Kreistagssitzung in Achern am 18. April 1970. Der Bühler Kreistag sprach sich sehr klar gegen das sog. „25-er-Modell“ der Landesregierung aus, da dies definitiv einen Zusammenschluss mit Rastatt und Baden-Baden bedeutet hätte. Und damit verbunden wäre auch der Verlust der bisherigen Bühler Selbstständigkeit gewesen. Und das wollte in Bühl natürlich niemand. Was bis in den Frühling 1970 hinein „nur“ als Damoklesschwert über dem Landkreis Bühl hing, wurde mit der von der Landespressekonferenz am 24.Juli 1970 veröffentlichten Koalitionsvereinbarungen traurige Gewissheit für den Landkreis Bühl. Der Landkreis Bühl sollte diesen Vereinbarungen zufolge aufgelöst werden. Noch am 5. Juni 1970 hatte Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger im Beisein des Landtagspräsidenten Camill Wurz im Haus „Alban-Stolz“ Hoffnung für eine Zukunft des Kreises Bühl genährt und gegenüber Landrat Erwin Trippel hervorgehoben, dass „es keine Gefahr für den Landkreis Bühl gäbe.“ Ein Trugschluss?

In einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung vom 11. August 1970 erhob der Kreistag „scharfen Protest“ gegen die beabsichtigte Aufteilung des Landkreises und beauftragte Landrat Erwin Trippel „alles Erforderliche zu veranlassen, um den Beschluss des Kreistags Nachdruck zu verleihen und diesen Regierung und Landtag zur Kenntnis zu bringen.“ Der damalige Oberregierungsrat (und spätere Landrat) Dr. Großmann trug in dieser Sitzung den Kreisräten die entscheidenden Unterschiede der Koalitionsvereinbarung in Vergleich zu den Inhalten des Reschke- und des Dichtel-Modells als Alternative zur Aufteilung vor. Beide Modelle unterstrichen, dass Landkreise mit 120.000 bis 150.000 Einwohnern durchaus rationell und effektiv arbeiten könnten. Und genau dies „treffe zu“, so Dr. Großmann, „wenn die Kreisreform einen Zusammenschluss Bühls mit Baden-Baden vorsehen würde. Zudem unterstrich Dr. Großmann, ebenso wie Landrat Erwin Trippel, dass die über Jahre hinweg erfolgten Diskussionen „über Nacht ganz einfach vom Tisch gewischt worden sind“. Der Kreistagresolution schlossen sich übrigens sämtliche Bürgermeister des Landkreises Bühl an. Bekanntermaßen haben die geäußerten Proteste und der intensive Einsatz der Bühler Entscheidungsträger nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt.

Bronzeteller des Landkries Bühl mit Kreiswappen. Um 1962.
Bronzeteller des Landkries Bühl mit Kreiswappen. Um 1962.
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Die Initiative des Kreisrates wurde vom Bühler Gemeinderat einhellig und sehr vehement unterstützt. Das Gremium stimmte dem genannten Gesetzesentwurf nicht zu und forderte „1. Es wird eine Region Mittelbaden geschaffen. 2. Es wird ein Landkreis Bühl/Baden-Baden geschaffen. 3. Der Landkreis Bühl/Baden-Baden wird der Region Mittelbaden und dem Regierungsbezirk Freiburg zugeordnet.“ Zur Begründung führte der Gemeinderat in seinem Beschluss vom 4. November 1970 aus: „Die Region Mittelbaden ist aus den übereinstimmenden und überzeugenden Gründen der Gutachten der Dichtel- und der Reschke-Kommission erforderlich. Mittelbaden ist regionalplanerisch eine Einheit, die nicht zerrissen werden darf. […] Mittelbaden darf nicht zur Anreicherung der angrenzenden Regionen Mittlerer Oberrhein und Südlicher Oberrhein zerrissen werden.“
 

Der Landkreis Bühl wird aufgelöst

Der „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Verwaltungsreform“, das sog. Kreisreformgesetz, wurde am 6. Oktober 1970 veröffentlicht und darin Folgendes festgehalten: „Der Landkreis Bühl wird aufgelöst.“ Zum „Trost“ für die Bühler sei hier angemerkt, dass zu diesem Zeitpunkt bzw. in diesem ersten Entwurf auch der Landkreis Rastatt als aufgelöst betrachtet wurde und sein Gebiet mit Ausnahme der Gemeinde Waldprechtsweier einem neu zu bildenden Landkreis Baden-Baden zuzuordnen sei. Der nördliche Teil des Kreises Bühl wäre in diesem Falle ebenfalls einem Landkreis Baden-Baden zugeordnet worden.

Auch wenn die entscheidenden Weichenstellungen schon vorgenommen waren, entschieden war bis zu diesem Zeitpunkt letztendlich noch nicht alles. Der Landkreis Bühl kämpfte weiterhin für seinen Erhalt. Und so war es natürlich nur konsequent, dass das Thema Kreisreform weiterhin auf der Agenda des Kreistages stand. Im Kreistagsbeschluss vom 8. Dezember 1970 untermauerte das Gremium seine Auffassung, dass der Landkreis Bühl sehr wohl „lebensfähig“ sei. Zum einen dürfe die angedachte Region Mittelbaden  als Gegengewicht zum Raum Straßburg auf der anderen Rheinseite nicht „zerrissen“ werden, zum anderen entspräche aber auch die Einwohnerzahl des Kreises mit 133.000 Einwohnern (inklusive des Baden-Badener Umlands) dem Gutachten der Reschke- und der Dichtel-Kommission, das eine optimale Kreisgröße bei einer Einwohnerzahl von 120.000 bis 150.000 Menschen ansetzte. Dass der Beschluss das Ergebnis der Dichtel-Kommission als „überzeugend“ darstellte (die ja einen Kreis Bühl/Baden-Baden mit Sitz in Bühl favorisierte), das bedarf sicher keiner Erklärung. Und damit war es auch nur konsequent, dass das Kreisgremium zu folgendem Entschluss gelangte: „Es wird eine Region Mittelbaden geschaffen. Es wird ein Landkreis Bühl/Rastatt geschaffen.“ Übrigens schloss sich der Gemeinderat der Stadt Bühl dieser Forderung des Kreistags einstimmig an.
 

Sitzung der mittelbadischen Kreistage - Gibt es eine Region Mittelbaden?

Außergewöhnlich war sicher eine gemeinsame Sitzung der mittelbadischen Kreistage der Landkreise Bühl, Kehl, Offenburg und Wolfach sowie des Gemeinderat der Stadt Baden-Baden nur wenige Tage später auf Einladung des Offenburger Landrats Dr. Gerhard Gamber (der aus Bühl stammte) am 9. Februar 1971 in Offenburg. Im Kern stand die Forderung nach einer „Region Mittelbaden“ mit den drei Landkreisen: 1. Baden-Baden/Bühl, Offenburg-Kehl-Wolfach und 3. Lahr-Emmendingen-Nord. Am selben Tag fand in Bühl eine Sitzung des Kreistages statt, dessen Ergebnis allerdings für die Beteiligten sehr ernüchternd war: „Eine Erhaltung des Kreises Bühl sei vermutlich nicht zu erreichen.“ Tatsächlich war in jenen Tagen eine Trennung des Kreises abzusehen. Diese Trennung wurde auch nach außen hin dadurch klar erkennbar, dass die Bürgermeister der nördlichen Kreisgemeinden und diejenigen der südlichen Kreisgemeinden im Februar und im März 1971 an unterschiedlichen Orten tagten und im Rahmen ihrer Besprechungen zu unterschiedlichen, aber klar formulierten Ergebnissen kamen. Der Süden orientierte sich in Richtung Offenburg, der Norden des Kreises Bühl in Richtung Baden-Baden.Natürlich wurde auch auf Landesebene weiterhin beraten und diskutiert. Die Landesregierung hatte am 20. Januar 1971 einen weiteren Entwurf beschlossen und dem Landtag zur Beratung vorgelegt. Innenminister Walter Krause bat die Landkreise und Gemeinden wie bereits zuvor um ihre Stellungnahmen. Auch in diesem Fall reagierte Landrat Trippel mit der gebotenen Schnelligkeit, er legte aber besonderes Augenmerk darauf, dass der Landkreis wenigstens nach außen hin, geschlossen auftrat. Trippel schwor die Bürgermeister des Kreises Bühl auf ein einheitliches Handeln ein und teilte diesen Folgendes mit: „Der Entwurf der Stellungnahme wurde so formuliert, dass von einer Beibehaltung der früheren Stellungnahme ausgegangen wird und dass sowohl den Gemeinden des Mittelbereichs Bühl wie denjenigen des Mittelbereichs Achern die Möglichkeit der Zustimmung gerade auch der unter Berücksichtigung ihrer besonderen Probleme gegeben ist, ohne dass die Stellungnahmen voneinander abweichen müssen. Wir sollten unter allen Umständen die Einheitlichkeit der Stellungnahme wahren.“ Der Landkreis Bühl verweigerte auch weiterhin dem Entwurf der Kreisreform die Zustimmung und forderte bei Nichtannahme des Antrags eine Anhörung durch den Landtag.

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Die letzte Kreistagswahl in Bühl

Bei der Kreistagswahl in Bühl am 24. Oktober 1971 handelt es sich um die letzte Wahl eines Kreisparlamentes im Landkreis Bühl. In sieben Wahlkreisen wurden 34 Kreisverordnete gewählt. Die Wahl fand gemeinsam mit der Wahl der Gemeinderäte in den Kommunen statt. Natürlich spielte bei diesen Wahlen bereits die bevorstehende Kreisreform eine nicht unbedeutende Rolle. So begründet der Bühler OB Erich Burger bei einer Wahlveranstaltung der CDU im „Deutschen Kaiser“ am 20. Oktober 1971, seine Kandidatur für den Kreistag mit folgenden Worten: „Ich sehe es als meine Pflicht an, die gefährdeten Interessen der Stadt Bühl beim Landkreis, besonders auch beim neuen Großkreis Rastatt zu vertreten.“ Die bevorstehende Kreisreform beschäftigte zudem den Kandidaten Dr. Eichler: „Die Raumschaft Bühl müsse sich schon jetzt auf das Leben im neuen Kreis einstellen. Es müssten Tatsachen geschaffen werden, an denen auch der Kreis Rastatt nicht vorbeigehen könne.“

Insgesamt 139 Kandidaten hatten sich um die insgesamt 34 Sitze des letzten Bühler Kreistags beworben. Die Wahlbeteiligung lag bei über 70 % und zeigte deutlich das Interesse der Bürger an dieser Wahl (auch wenn die Wahlbeteiligung im Vergleich zur Kreistagswahl von 1965 etwas geringer war). Wahlsieger wurde erwartungsgemäß die CDU, für die knapp  60 % der Stimmen abgegeben wurden. Im (alten) Landkreis Rastatt lag die Wahlbeteiligung in ähnlicher Höhe. Allerdings geriet das Votum der Bürger für die CDU nicht ganz so deutlich. Sie erhielt zwar 38,6 % der Stimmen, hatte aber in der SPD (35,7 %) und den Freien Wählern mit 19,7 % eine starke Opposition.  Letztendlich umfasste der neue Kreistag in Bühl 38 Kreisräte. Allerdings waren sie Kreisräte auf Zeit. Denn zum 31. Dezember 1972 ging die Ära des Bühler Kreistags offiziell zu Ende.
 

Der „Landkreis Bühl wird bald nur noch Geschichte sein“

Für Bühl hingegen schloss sich der Kreis. Ministerpräsident Hans Filbinger nahm sich zwar als einziger Vertreter der Regierungskoalition dem Anliegen des Kreises Bühl an, sah aber aufgrund anderer Entscheidungen keine Möglichkeit zu einer Fusion mit Baden-Baden. So war Filbinger der Auffassung, dass „1. Nach der Beibehaltung des Landkreises Karlsruhe südlich von Karlsruhe kein Raum mehr für 2 Landkreise Rastatt und Baden-Baden/Bühl sei“, dass „2. Für diese beiden Landkreise deshalb kein Raum sei, weil der Landkreis dann zu klein wäre, dass „3. die Bereiche Achern und Kappelrodeck sich bei der Anhörung für die Angliederung an den Kreis Offenburg ausgesprochen hätten“ und dass „4. der Bereich Bühl notwendig für eine Anreicherung des Landkreises Rastatt sei.“ In der Diskussion der Lesung wurden die Belange des Kreises Bühl kaum berücksichtigt. Der Kreis Bühl, die „Goldene Au“ wurde auf die Kreise Rastatt, Baden-Baden und dem Ortenaukreis aufgeteilt, und war von da an nur noch Geschichte.

Martin Walter ist Leiter des Kreisarchivs im Landkreis Rastatt
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