Stärkung des ÖPNV in Baden-Württemberg

„Ein guter ÖPNV braucht ein stabiles finanzielles Fundament“

Ein sehr gutes Nahverkehrsangebot in Baden-Württemberg ist ein unverzichtbarer Faktor, um beim dringend notwendigen Klimaschutz schneller voranzukommen und das Gelingen der Verkehrswende zu sichern. Doch der ÖPNV im Südwesten kann nur dann auf Dauer attraktiv bleiben, wenn dessen notwendige Finanzierung klar geregelt ist.
Prof. Dr. Alexander Pischon · Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) - Landesgruppe Baden-Württemberg · 15. Dezember 2023
Ein zuverlässiges Nahverkehrsangebot ist von großer Bedeutung, um die Ziele der Verkehrswende zu erreichen. Das Foto zeigt eine Stadtbahn der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) auf der Murgtalstrecke.
Ein zuverlässiges Nahverkehrsangebot ist von großer Bedeutung, um die Ziele der Verkehrswende zu erreichen. Das Foto zeigt eine Stadtbahn der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) auf der Murgtalstrecke.
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Wer die drängenden gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich meistern will, kommt am öffentlichen Nahverkehr und den Unternehmen, die diesen in Baden-Württemberg täglich auf die Schiene und auf die Straße bringen, nicht vorbei. Für einen wirksameren Klimaschutz in den kommenden Jahren müssen deutlich mehr Bürger*innen als bisher vom Umstieg vom eigenen Pkw auf Bus und Bahn überzeugt werden.

Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und hohe Qualitätsstandards sind für unser Nahverkehrsangebot Pflicht, um in der täglichen Konkurrenz mit dem privaten Auto „das Rennen zu machen“. Doch um den ÖPNV so attraktiv wie möglich zu gestalten, darf unsere Branche nicht beim Status quo verharren. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten bereits viele richtige Weichen gestellt und können mit Recht stolz darauf sein, auf welches Angebot unsere Kund*innen bereits heute auf ihrem Weg zur Arbeit, zur Schule oder in ihrer Freizeit zurückgreifen können. Doch es braucht den klaren politischen Willen, die Attraktivitätssteigerung noch weiter oben auf der Agenda anzusiedeln und mit den erforderlichen finanziellen Mittel zu unterfüttern.

Es muss weiterhin massiv in den Ausbau und den Betrieb des Nahverkehrs im Land investiert werden. Verkehrsminister Winfried Hermann hat zu Recht die Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 als konkretes politisches Ziel ausgerufen. Auf diesem vom Verkehrsministerium skizzierten Weg müssen wir weiter konsequent voranschreiten.

Klimafreundlich und elektrisch: Für einen attraktiven Nahverkehr kommen – wie hier bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe – im ganzen Land sukzessive mehr E-Busse zum Einsatz und machen den Nahverkehr für die Fahrgäste noch attraktiver.
Klimafreundlich und elektrisch: Für einen attraktiven Nahverkehr kommen – wie hier bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe – im ganzen Land sukzessive mehr E-Busse zum Einsatz und machen den Nahverkehr für die Fahrgäste noch attraktiver.
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In diesem Zusammenhang war die Entscheidung zur Einführung des beliebten Deutschlandtickets durch Bund und Länder im ersten Schritt sicherlich eine gute Idee – vor allem unter dem Aspekt, mehr Menschen durch einen günstigen Preis und ein einfaches Ticket über Tarif- und Verbundgrenzen hinweg von der Nutzung des Nahverkehrs zu überzeugen.

Doch leider müssen wir feststellen, dass es mit der Entscheidung für ein solches günstiges Ticket allein noch lange nicht getan ist. Das Ticket ist noch keineswegs der Endpunkt einer notwendigen Entwicklung – auch wenn es schon heute einen attraktiven Anreiz für Millionen von Fahrgästen bietet. Denn das Deutschlandticket brachte leider auch den Effekt mit sich, dass die Erträge aus den Fahrkarten in ganz Deutschland deutlich geringer ausfallen als bisher.

Dies führt dazu, dass die finanziellen Lasten auf der kommunalen Ebene bei unseren Städten und Gemeinden deutlich ansteigen werden. Somit wirkt sich das vermeintlich positive Mittel des neuen Tickets auf der finanziellen Seite auch negativ auf lokaler Ebene aus. Hinzu kommt, dass der disruptive Prozess der Einführung durch den Bund auch zahlreiche Verwerfungen bei Verbünden und Verkehrsunternehmen mit sich gebracht hat. Die Finanzierung des Deutschland-Tickets ist aktuell nicht einmal für das Jahr 2024 gesichert. Mit steigenden Kosten in vielen Bereichen geht auch eine steigende Zuschusspflicht einher, die vom Land und den Kommunen in Baden-Württemberg geschultert werden muss. Wenn sich der Bund wie angekündigt ab 2026 aus der Finanzierung des Tickets zurückzieht, stehen spätestens dann das Land und die Kommunen mit enorm gestiegenen Kosten allein da.

Wenn es darum geht, dass man den Nahverkehr eigentlich politisch stärken will, muss man klar konstatieren: Die beschriebenen Einnahmeausfälle sind für das Erreichen dieses zentralen Ziels kontraproduktiv. Wir werden auch in Zukunft einen sehr großen Finanzbedarf für den Erhalt des heutigen ÖPNV-Angebots, als auch für dessen weiteren Ausbau haben. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat sich selbst einen ambitionierten Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV zwischen Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vorgenommen. Allein für die daraus resultierenden Maßnahmen besteht bundesweit künftig ein enormer Finanzierungsbedarf. Bislang sind aber noch keinerlei Mittel für diesen Pakt vorgesehen.

Damit mehr Menschen im Land auf Bus und Bahn umsteigen, ist eine ausreichende Finanzierung des ÖPNV unabdingbar. Das Symbolbild zeigt den stark frequentierten Karlsruher Stadtbahntunnel.
Damit mehr Menschen im Land auf Bus und Bahn umsteigen, ist eine ausreichende Finanzierung des ÖPNV unabdingbar. Das Symbolbild zeigt den stark frequentierten Karlsruher Stadtbahntunnel.
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Erschwerend kommt leider die problematische Gesamtsituation hinzu, dass alle Kommunen und Nahverkehrsunternehmen aufgrund der hohen Inflation, stetig steigender Material- und Energiepreise und den daraus resultierenden hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften unter enormem finanziellen Druck stehen. Die Kommunen drohen angesichts dieses Bündels an Problemen auf einem hohen Berg an betrieblichen Kosten rund um ihren ÖPNV sitzen zu bleiben – wenn das Land und der Bund keine zusätzliche Unterstützung bereitstellen.

Worin besteht nun die Lösung, um den Nahverkehr in Baden-Württemberg nachhaltig und dauerhaft zu stärken? Wir vom VDV fordern sowohl bundesweit als auch bei uns auf Landesebene, dass ein großer Anteil der verfügbaren Regionalisierungsmittel künftig auch deutlich stärker als bisher in die Kommunen fließen muss. Das ist unabdingbar, um die Kommunen in ihrer schwierigen Lage nicht allein zu lassen und dadurch zugleich die Attraktivität des ÖPNV dauerhaft zu erhalten. Bei diesem Thema vertritt der VDV gegenüber dem Land inhaltlich vergleichbare Positionen wie der Städtetag oder der Landkreistag, die diesen finanziellen Bedarf ebenfalls erkannt und deutlich benannt haben.

Nun ist die Politik am Zug, um die Stärkung des Nahverkehrs im Land zu gewährleisten. Aus eigener Kraft kann dies in der aktuellen Krisensituation weder den Städten und Gemeinden noch den einzelnen Unternehmen und Verbünden gelingen.

Das Deutschlandticket ist ein gutes Beispiel, um zu veranschaulichen, dass die Politik die großen Weichen nun dringend richtig stellen muss. Nach letzten VDV-Schätzungen erfordert das Ticket rund 4,2 Milliarden Euro jährlich durch Bund und Länder, um die Einnahmeausfälle zu kompensieren, die durch das neue Ticket vor Ort erst entstanden sind. Die Besteller, der Bund und die Länder, können oder wollen diese Mittel aber nun nach der Entscheidung in der Ministerpräsidenten-Konferenz am 6. November gar nicht in voller Höhe aufbringen. Die Bereitstellung an Ausgleichsmitteln führt gleichzeitig dazu, dass für den dringend benötigten Ausbau des ÖPNV-Angebots kein zusätzliches Geld mehr vorhanden ist. Der VDV hat im Zusammenhang mit dem Deutschlandticket deshalb nicht umsonst darauf hingewiesen, dass für dessen Erfolg auch ein Deutschlandangebot im ÖPNV erforderlich ist. Auch seitens des Landes wurden ursprünglich für die Mobilitätsgarantie eingeplante Finanzmittel nun zur Finanzierung des Deutschlandtickets herangezogen.

Ein Teil der künftigen ÖPNV-Finanzierung ist darüber hinaus durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts gefährdet. Es gibt dadurch nun große Unklarheit, ob bereits für die Umstellung der Busflotten auf emissionsfreien Betrieb oder die Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur reservierte Mittel im Klima- und Transformationsfonds überhaupt noch zur Verfügung stehen. Eine Möglichkeit, dieses gravierende Problem in den Griff zu bekommen, bestünde darin, klimaschädliche Subventionen in Milliardenhöhe in Deutschland abzubauen und die frei werdenden Gelder dem ÖPNV-Ausbau zukommen zu lassen.

Ohne die Bereitstellung der notwendigen Mittel bleibt der ÖPNV aber beim Status quo „stehen“ und kann keinen effektiven Beitrag zu mehr Klimaschutz oder der Verkehrswende leisten.

Prof. Dr. Alexander Pischon ist Vorsitzender der baden-württembergischen Landesgruppe des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbunds (KVV).
Prof. Dr. Alexander Pischon ist Vorsitzender der baden-württembergischen Landesgruppe des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbunds (KVV).
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Selbstverständlich sind auch die Verkehrsverbünde und kommunalen Nahverkehrsunternehmen dazu bereit, ihren Beitrag zur Gesamtthematik zu leisten. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auch über den Zusammenschluss einzelner Verkehrsverbünde nachzudenken. In unserer Region steht die mögliche Fusion des VPE mit dem KVV sowohl in Pforzheim als auch in Karlsruhe weit oben auf der politischen Agenda und wird bereits breit öffentlich diskutiert.

Wenn von politischer Seite über das Thema Synergieeffekte und Effizienz gesprochen wird, darf aber auch nicht vergessen werden, dass gerade heutzutage – angesichts des Fachkräftemangels und im Wettbewerb um die besten Köpfe – ein Personalabbau bzw. Einsparungen im ÖPNV das völlig falsche Signal wären. Vielmehr brauchen wir das Engagement und die Erfahrung all derer, die auch bereits heute unseren Nahverkehr im Land am Laufen halten. Ein guter ÖPNV braucht engagierte und motivierte Expert*innen sowie ein stabiles finanzielles Fundament. Wenn unser ÖPNV in dieser Weise nachhaltig von der Politik gestärkt wird, dann kann es uns gemeinsam gelingen, die vielfältigen Herausforderungen zu meistern.   

Prof. Dr. Alexander Pischon ist Vorsitzender der baden-württembergischen Landesgruppe des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbunds (KVV)
Schlagworte: ÖPNV
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