Es sind die Momente, in denen die Welt scheinbar ihren Atem anhält, in denen wir die Verletzlichkeit unseres Daseins am deutlichsten spüren. Krisen wie eine Pandemie, extreme Wetterereignisse wie die aktuellen Fluten, die Bedrohung kritischer Infrastruktur und Kriege – sie erreichen uns oftmals unvorbereitet und unerwartet. Sie hebeln unser alltägliches Gefühl von Sicherheit aus und treffen uns – gesamtgesellschaftlich, aber auch jede und jeden Einzelnen von uns – damit an einer hochsensiblen Stelle: unserem Vertrauen in eine geordnete Zukunft. Krisen führen uns ganz unverhohlen vor Augen, dass die Welt, in der wir leben, einem ständigen Wandel ausgesetzt ist, dessen Geschwindigkeit und Richtungen häufig nur schwer vorhersehbar sind.
Wie können wir mit Krisen in unserer modernen, hochtechnisierten Zeit umgehen? Eine zugegebenermaßen erste abstrakte Antwort, die zugleich naheliegend und logisch klingt, ist: Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. In dieser Feststellung liegt eine unglaubliche Wucht. Gleichzeitig formuliert sie Herausforderungen. Der Wesenskern der Krise ist immer eine außergewöhnliche, akute und zumeist diffuse Bedrohungslage, die unter hohem Handlungsdruck unter Kontrolle gebracht werden muss. Eine ganze Reihe weitreichender Entscheidungen muss adhoc und zumeist ohne Kenntnis all ihrer Auswirkungen getroffen werden. Zugleich erscheint oftmals das Unterlassen von Handlungen, aus Zwang oder Opportunität, kurzfristig und situativ als vorteilhaft, kann aber langfristig eine Verschärfung der Krisenlage befördern und jegliche noch so kleine Schwachstelle im System offenlegen.
Es ist deshalb eine politische und aus meiner Sicht notwendige parlamentarische Frage, sich mit Weitsicht und Strategie mit den Themen Krisenfestigkeit und Krisenbewältigung zu beschäftigen. Und dabei kann eine Enquetekommission etwas leisten, was der „normale“ Parlamentsbetrieb nur bedingt leisten kann: Die strukturierte, fraktionsübergreifende Befassung mit einer Materie von herausgehobener gesellschaftlicher Bedeutung, unter Einbeziehung von Sachverständigen und der Zivilgesellschaft.
Die Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ ist dieser Aufgabe intensiv über zwei Jahre in 25 Sitzungen nachgegangen. Sie hat dabei 136 Expertinnen und Experten aus Verwaltung und Wissenschaft, aus Unternehmen, Kommunen und Verbänden angehört, Fachleute und Interessengruppen haben 75 Stellungnahmen eingereicht. Wesentlicher und neuer Bestandteil der Kommission stellte ein Bürgerforum sowie eine Kinder- und Jugendbeteiligung dar.
Die Arbeit der Kommission war grob unterteilt in vier Handlungsfelder: Im ersten Handlungsfeld hat sie sich, motiviert durch die Pandemie, mit Herausforderungen im Gesundheitswesen befasst, im zweiten mit dem Katastrophenschutz, das dritte Handlungsfeld adressierte Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Kontext von Krisen, das vierte die Krisenresilienz wirtschaftlicher Strukturen.
Die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission zahlen auf diese drei sich wechselseitig beeinflussenden Grundpfeiler der Krisenbewältigung auf verschiedene Art und Weise ein.
Vor dem Hintergrund des Themenschwerpunkts dieser Ausgabe der Landkreisnachrichten werde ich im Folgenden konkrete Handlungsempfehlungen aus zwei Bereichen der Katastrophenvorsorge vorstellen, erstens der föderalen Aufgabenverteilung und zweitens der Modernisierung der integrierten Leitstellen. Die Beispiele sollen einen ersten Eindruck von der Arbeit der Enquetekommission und ihren Ergebnissen vermitteln. Dabei handelt es sich notwendigerweise um eine kleine Auswahl mit Bezug zur wichtigen Rolle der Land- und Stadtkreise. Der gesamte Bericht, der einen detaillierten Überblick zur Thematik aus landespolitischer Sicht bietet, kann online unter https://www.landtag-bw.de/home/der-landtag/gremien/untersuchungsausschusseenqueteko/enquetekommission-krisenfeste-ge/dokumente.html abgerufen werden.
Beispiel 1: Aufgabenverteilung beim Katastrophenschutz
Die Kommunen und Landkreise sind, insbesondere aufgrund ihrer Vernetzung vor Ort mit Feuerwehren, kommunaler Verwaltung und lokalen Organisationen, der Hauptakteur und zentrale Ansprechpartner beim Bevölkerungsschutz und in Katastrophenszenarien. (Vgl. Kapitel 4.2.12.) Die bestehende föderale Aufgabenverteilung hat sich nach Ansicht der Kommission bewährt, diese Einschätzung deckt sich mit der positiven Bewertung der Aufgabenverteilung durch den Landkreistag.
Die Vernetzung der verschiedenen Akteure, insbesondere zwischen Hilfsorganisationen und staatlichen Behörden, sollte aus Sicht der Enquetekommission allerdings weiter ausgebaut werden.
Auf Landesebene soll im Innenministerium die zuständige Abteilung zu einem Bevölkerungsschutz-Präsidium als institutionalisierte Anlaufstelle für die Akteure des Bevölkerungsschutzes weiterentwickelt werden. (4.2.4. c)
Beispiel 2: Weiterentwicklung der Integrierten Leitstellen
Wesentlichen Handlungsbedarf hat die Kommission bei der Weiterentwicklung und Modernisierung der Leitstellen als den zentralen Einrichtungen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr ausgemacht. Die Leitstellen in Baden-Württemberg weisen bekanntermaßen keine einheitlichen Standards und große Unterschiede hinsichtlich Trägerschaft, Leitstellensoftware, Redundanzen, Informationstechnik, Alarmierungsprozessen und Weiterem auf, so dass zumeist auch keine einheitlichen digitalen Schnittstellen zwischen den Leitstellen existieren. (Vgl. Kapitel 4.2.7.)
Gleichwohl werden wir selbst mit größtmöglicher Vorsorge, Weitsicht und entsprechenden Entscheidungen Krisen nicht vollständig vorbeugen können. Vielmehr wird es auch weiterhin krisenhafte Situationen und Lagen geben. Die Frage, wie und in welcher Verfassung wir ihnen begegnen, liegt allerdings in unserer Hand. Zuvorderst dürfen wir der Zukunft bei aller notwendigen Vorausschau nicht mit Vorbehalten begegnen. Es liegt an uns, einen positiven Gestaltungshorizont als Orientierung und Halt aufzuzeigen, der mindestens auf eine offene, vielfältige und zugleich solidarische Gesellschaft und auf verlässliche, stabile und auch mutige, demokratische Institutionen aufbaut.
Die Enquetekommission hat mit ihrem Abschlussbericht und ihren Handlungsempfehlungen hierzu eine Wegbeschreibung vorgelegt. Es ist nun ein Auftrag an das Land und ein Angebot an alle am Aufbau einer resilienten Struktur Beteiligten, diesen Pfad in eine krisenfestere Zukunft aktiv gemeinsam im Kleinen und Großen zu gehen.
Schließlich benötigt Krisenvorsorge eine umfassende Betrachtung und Einbeziehung von diversen Fachbereichen und stellt eine dauerhafte Aufgabe und Herausforderung dar, die, wie die Enquete, nicht nur in den laufenden Prozessen und Abläufen verortet sein sollte. Inspiriert durch die überaus gewinnbringenden Erfahrungen in der Kommission rege ich daher an, ein dauerhaftes Gremium einzurichten, um sich zu herausgehobenen Fragen gesamtgesellschaftlicher Tragweite sowie zu aktuellen Entwicklungen und zukunftsrelevanten Themen auszutauschen. Als Vorbild könnte das „Committee for the Future“ in Finnland dienen.
Es bleibt mir abschließend festzuhalten: Rechnen Sie mit der Krise, aber gestalten Sie mit Mut und Zuversicht und in enger Kooperation mit den vielen Menschen und Akteuren vor Ort den gesellschaftlichen Fortschritt.