Kinderschutz als gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Erfolgreicher Kinder- und Jugendschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe

Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir als Land sehr ernst nehmen. Erfolgreicher Kinder- und Jugendschutz ist nur möglich, wenn die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe so ausgestattet sind, dass sie ihre Aufgaben uneingeschränkt und ressourceneffizient wahrnehmen können.
Leonie Dirks · Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg · 05. Juli 2024
Leonie Dirks ist Ministerialdirektorin und Amtschefin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
Leonie Dirks ist Ministerialdirektorin und Amtschefin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
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Kinder und Jugendliche haben einen besonderen Schutz- und Begleitungsbedarf. Wie ein Kind aufwächst und welche Erfahrungen es macht, hat nachhaltige Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg. Es ist daher die Aufgabe einer modernen Gesellschaft, so vielen Kindern wie irgend möglich ein sicheres und gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Unsere Gesellschaft darf es nicht hinnehmen, dass Kinder Gewalt erfahren und dass sie nicht als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft mit eigenen Bedürfnissen und Rechten anerkannt werden.

Hauptträger dieses Schutzauftrages ist die Kinder- und Jugendhilfe, angeführt von den Jugendämtern der Stadt- und Landkreise sowie der kreisfreien Städte im Land. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter gehören aus meiner Sicht zu den zentralen Stützen des Sozialstaates. Ihr vorrangiger Auftrag ist es, den Müttern, Vätern und anderen Sorgeberechtigten und vor allem den Kindern und Jugendlichen zu helfen und sie zu unterstützen.

Die aktuelle krisenhafte weltpolitische Lage stellt auch unser Land vor Herausforderungen. Die Flüchtlingskrise von 2015, die Corona-Pandemie und der damit verbundene Lockdown sowie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurden zu globalen Krisen, die sich fundamental auf die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen und damit auch auf die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe auswirken. Auch die Krisen bei Kindern und Jugendlichen werden immer komplizierter und überlagern sich.

Für Baden-Württemberg bedeuten die anhaltenden Fluchtbewegungen aus dem Nahen Osten und der Ukraine zudem, dass vermehrt unbegleitete Kinder und Jugendliche zu uns kommen. Was zunächst als Ausnahme galt, hat sich zum Alltag entwickelt. Das bedeutet auch eine permanent hohe Belastung für die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.

Das Sozialministerium hat das Ziel, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter zu unterstützen und pragmatische Lösungen für die zukünftigen Herausforderungen zu finden. Das betrifft selbstverständlich nicht nur die Unterbringung und Unterstützung der unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA). In diesem Bereich wurden jedoch bereits verschiedene Lösungsansätze entwickelt:

Zum einen wurde gemeinsam mit dem Städte- und dem Landkreistag Baden-Württemberg im Januar 2023 ein Fünf-Punkte-Plan entworfen, der später um acht weitere Maßnahmen ergänzt wurde, um die Jugendämter bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA) zu unterstützen. Dazu gehört unter anderem, dass das medizinische Alter jetzt dezentral festgestellt wird. Und es werden sogenannte „Brückenlösungen“ für unbürokratische Notunterbringung geschaffen.

Im September 2023 hat das Sozialministerium gegenüber dem KVJS/Landesjugendamt zudem die bundesweite Verteilung der UMA angewiesen, die seitdem ununterbrochen läuft. Darüber hinaus übernimmt seit Dezember 2023 das KVJS/Landesjugendamt das Terminmanagement zwischen abgebendem und aufnehmendem Jugendamt und sorgt damit für weitere organisatorische Entlastung. Die UMA werden von den Landesverbänden des DRK Baden-Württemberg befördert und übergeben. Das KVJS/Landesjugendamt übernimmt die Koordination.

Mit dem KVJS wurde ein unbürokratisches Abrechnungssystem für Personal- und Sachkosten vereinbart. Um auch mittelfristig weitere Entlastungen für die Stadt- und Landkreise zu bewirken, unterstützt das Sozialministerium weiterhin zukunftsfähige Lösungen wie die Weiterentwicklung einzelner Jugendämter zu Kompetenzzentren. Das Sozialministerium hilft bei der landesinternen freiwilligen Übernahme von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen, um die Disparitäten zwischen den Stadt- und Landkreisen im Land auszugleichen und die Lasten gerecht zu verteilen.

Zur Entlastung der Jugendämter wird derzeit auf eine aufgeschlüsselte Abrechnung verzichtet, sodass lediglich eine getrennte Ausweisung von Betriebs- und Nebenkosten erforderlich ist.

Auf Länderebene setzt sich das Sozialministerium dafür ein, die Situation in Baden-Württemberg zu verbessern. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurde im Rahmen der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) im Mai 2024 um eine rechtliche Einschätzung und Überprüfung gebeten, ob eine Abweichung von der Spitzabrechnung (§ 89d Absatz 1 SGB VIII) ermöglicht werden kann und auch sogenannte „Vorhaltekosten“ oder „Strukturkosten“ durch das Land übernommen werden können. Die JFMK hat mit der Stimme Baden-Württembergs eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes gefordert und sich für die Einführung der UMA-Pauschale eingesetzt. So können die Lasten zukünftig besser verteilt werden.

Im September 2024 habe ich mir selbst ein Bild der herausfordernden Situation in Lörrach gemacht und gegenüber dem BMFSFJ bereits im Oktober 2023 auf Staatssekretärsebene darauf hingewiesen, wie im Landkreis Lörrach an den Grenzübergängen zur Schweiz vermehrt UMA aus Italien und der Schweiz nach Deutschland und Baden-Württemberg durchgeleitet werden. Diese Informationen wurden an das Bundesinnenministerium sowie an das Auswärtige Amt weitergegeben, und gemeinsam mit vielen anderen Hinweisen an die Bundesregierung konnte der Druck so erhöht werden, dass entsprechende Grenzkontrollen eingeführt bzw. verstärkt wurden.

Das Sozialministerium arbeitet auch an Lösungen für die angespannte Personalsituation in der Kinder- und Jugendhilfe. Es reicht nicht aus, die Fachkräfte in diesem Arbeitsfeld zu halten. Es muss auch gelingen, neue Mitarbeitende für dieses Berufsfeld zu gewinnen. Deshalb sollen im Rahmen des Masterplans Jugend gezielt Projekte gefördert werden: Das Projekt „Profis für Kinder und Jugendliche“ läuft seit Januar 2023 und soll Fachkräfte im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendsozialarbeit gewinnen und binden. Seit Januar 2024 läuft das Projekt „Beratung in der offenen Kinder- und Jugendarbeit“, um die Fachkräfte in der offenen Kinder- und Jugendarbeit zu stärken.

Mit der Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg (LKJHG) werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine gelingende Kinder- und Jugendarbeit verbessert.

Das Land steht zur Verantwortungsgemeinschaft mit den Kommunen und unterstützt auch über formelle Zuständigkeitsgrenzen hinweg die öffentlichen Träger der Jugendhilfe bei ihren zahlreichen Aufgaben und bei der Weiterentwicklung der Jugendhilfe. Der Austausch zwischen Land und Kommunen ist und bleibt hier zentral, um den Herausforderungen in diesem Bereich begegnen zu können. Konkret geht es darum, wie Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe so gestärkt und unterstützt werden können, dass sie ihre Aufgaben gut wahrnehmen können. Zögern Sie deshalb nicht, mit konkreten Ideen und Vorschlägen auch an das Ministerium heranzutreten, wo Sie Handlungsbedarfe sehen.

Bildlich gesprochen arbeiten wir bereits an vielen Baustellen, um die aktuelle Situation zu verbessern. Es bedarf aber weiterhin starker Bemühungen innerhalb der Verantwortungsgemeinschaft der Städte und Landkreise. Der Kinderschutz ist eine Querschnittsaufgabe der Gesellschaft und muss als solche verankert werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Masterplan Kinderschutz mit seinen 26 Projekten und 17 Projektpartnern. Der Fokus liegt auf Prävention, Intervention und Betroffenenarbeit. Dazu gehört die Entwicklung einer Gesamtstrategie Kinderschutz mit den mehr als vierzig Akteuren der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. Ziel ist es, den Kinderschutz im Land weiter auszubauen und die Fachkräfte und Ehrenamtlichen in ihrer Arbeit effizient und nachhaltig zu unterstützen. Arbeitsschwerpunkte sind derzeit vor allem die Information, die Sensibilisierung und das Empowerment von Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern und Erziehungsbeauftragten. Qualifizierungsangebote für Fachkräfte und Ehrenamtliche müssen ausgebaut werden, und der Kinderschutz muss im Kontext von vulnerablen Personengruppen gesehen werden. Ein Schwerpunkt ist der digitale Kinder- und Jugendschutz.

Nur gemeinsam wird es uns möglich sein, die augenblicklichen und die kommenden Herausforderungen zu meistern. Wir brauchen die Landkreise, die Kommunen und die öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Und wir zählen auf die ganze Gesellschaft, um das Ziel eines erfolgreichen und ganzheitlichen Kinderschutzes zu erreichen.

Leonie Dirks ist Ministerialdirektorin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg
Schlagworte: Jugend , Kinder
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