Fast jeder zehnte ambulante Pflegedienst sieht seine Situation als existenziell so gefährdet, dass er möglicherweise in den nächsten zwei Jahren schließen muss. Das ergab eine Umfrage der Diakonie Deutschland, die im November 2023 veröffentlicht wurde. Um diesem Dilemma zu entgehen, aber auch, um die ambulante Pflege zukunftssicher zu machen, braucht es mutige Macher*innen mit neuen Ideen.
Und da man im Team bekanntlich stärker ist, denn als Einzelkämpfer, gehen motivierte Projekt-Teams beim D-Care Lab Innovationsprogramm an den Start. Sie setzen sich zusammen aus einem Leistungserbringer und einem Leistungsempfänger. Dieses Konzept ist einmalig in Deutschland und das Programm ist erfolgreich.
Aus der ersten D-Care Lab BW Runde im Jahr 2020 ist beispielsweise die hilver-App hervorgegangen. Eine Helfer-App zur Vermittlung von Alltagshelfer*innen im Ehrenamt. Ideengeber und hilver-Gründer Thomas Walter ging zusammen mit zwei Personen des Landkreis Raststatt auf die Innovationsreise und entwickelte während der Module das Konzept für sein digitales Helfernetzwerk. Heute hat die App 1.500 Nutzer*innen und kommt in 15 Kommunen mit einer Größe von 2.500 bis 30.000 Einwohner*innen zum Einsatz. Seit 2023 sind auch die Stadt Baden-Baden mit 60.000 und die Stadt Heidelberg mit 160.000 Einwohner*innen an hilver-Bord. Eine Erfolgsgeschichte!
Die Innovationsreise
Auch die Teilnehmenden der diesjährigen D-Care Runde haben schon erfolgreiche Prozesse durchlaufen. Bei den Mai-Modulen beschäftigten sich die Teams mit der Lösungsfindung für ihre individuelle Pflege-Herausforderung sowie mit der Umsetzung erster Prototypen zu ihrer Idee. Dabei hatten die Teams die Wahl, eine User Journey Map zu erstellen, ein Rollenspiel zu ihrem Projekt zu initiieren, eine fiktive Werbung zu schalten oder ein 3-D-Modell zu bauen.
Im Juni-Modul haben die Pflege-Projekte alles rund um die Themen Finanzierung und soziale Geschäftsmodelle erfahren: Besonderheiten, Finanzierungsmodelle und die Erarbeitung eines eigenen Social Business Plans standen auf der Agenda. Zudem gab es Inputs von Wolfgang Weis, Referent im baden-württembergischen Sozialministerium, zum Thema „Innovationsprogramm Pflege“ sowie zum Thema „Modellprojektförderungen gewinnen“, von Dr. Katja Vonhoff, Abteilungsleiterin Innovation und Nachhaltigkeit bei der Diakonie Baden. Sie lobt die Zusammenarbeit des Kooperationsprojekts der Diakonie und dem Social Innovation Lab: „Wir haben gelernt, wie soziale Innovationsprozesse gestaltet werden und der Innovations-Vibe bei den Teams erlebbar wird. Die Diakonie hat hingegen Fachexpertise rund um die Pflege und Finanzierung eingebracht sowie die Steuerung der regionalen Partner übernommen. Gemeinsam haben wir eine lebendige Innovationscommunity für Baden-Württemberg initiiert.“
Mitte Juli fand das letzte Modul vor der großen öffentlichen Abschlussveranstaltung am 24. September im Hospitalhof in Stuttgart statt. Dabei standen Wirkung und Kommunikation im Fokus. Und was nehmen die Teilnehmenden aus dem Angebot des Social Innovation Lab mit? „Wir hatten als Pflegeeinrichtung schon immer einen guten Draht zum Landkreis. Aber durch das Programm kommen wir anders zusammen. Es hat entscheidend dabei geholfen, gemeinsam ein abstraktes Ziel zu konkretisieren und ein gutes Konzept zu erarbeiten“, sagt Michaela Klein, die von der Paulinenpflege Winnenden e.V. gemeinsam mit Christian Müller vom Rems-Murr-Kreis das Projekt “UnKe” angeht.
Ihr Projekt soll das Unterstützungsangebot von Kindern und Jugendlichen mit Einschränkungen in ihrem Landkreis verbessern. „Wir haben im Programm gelernt, ein konkretes Angebot zu schaffen, die Bedürfnisse unserer Zielgruppe zu verstehen und entlang dieser das Angebot auszurichten“, sagt Christian Müller vom Landratsamt Rems-Murr-Kreis.
Ein anderes Tandem, bestehend aus Landkreis und Träger, zieht ebenfalls ein positives Programm-Fazit: „Man denkt neu. Das war für mich fast das Wichtigste. Wir haben durch neue Methoden, neue Perspektiven bekommen und konnten so neue Lösungen entwickeln”, sagt Gerdy Jauß, vom Landkreis Heidenheim. Gemeinsam mit Alex Voigt, von der DRK-Heidenheim Pflegedienste gGmbH, wollen sie die nicht ausgelasteten Tagespflegen in ihrem Landkreis als Unterstützungsangebote einsetzen, um eine Überlastung zu minimieren und einen Heimeinzug der älteren Menschen zu vermeiden.
„Der Effekt der Veränderung und der Möglichkeit, dass etwas Neues entsteht, ist durch das Programm garantiert – egal wie und ob das Projekt erfolgreich wird. Das ist herausragend und absolut einmalig“, sagt Voigt. Seine Projekt-Partnerin Gerdy vergleicht das Programm weiter mit einer kürzlich besuchten Brandschutzübung: „Damit ein Feuer entsteht, braucht es Sauerstoff, Material und Hitze – das alles haben wir beim D-Care Lab bekommen. Jetzt muss der Funke weiter überspringen auf andere Träger, Unternehmen und die Zielgruppe.“
Als Projektbeirat unterstützt der Landkreistag Baden-Württemberg das Innovationsprogramm seit dessen Start mit dem Ziel, die Innovation in der Pflege und im Quartier weiter voranzutreiben. Die Projektteams werden während des Innovationsprozesses durch die Fachberatung Quartiersentwicklung in Form eines Mentoring inhaltlich begleitet.