Mit dabei, so erzählt es gerne Ex-Landrat Karl Röckinger, der seinerzeit als Dezernent des Enzkreises mit nach Italien reiste: Der derzeitige Verkehrsminister des Landes, der sich mit „Ich bin der Winnie“ vorgestellt habe.
Karl Röckinger musste noch lange Jahre Überzeugungsarbeit leisten, ehe sich der damalige Landrat Dr. Heinz Reichert und der Kreistag von seiner Idee einer Kreispartnerschaft mitreißen ließen: Erst 1989 gab es einen ersten offiziellen Besuch aus der Provincia Reggio Emilia und einen Gegenbesuch in der Heimat von Parmiggiano Reggiano, dem berühmten Käse, von Parmaschinken und Aceto Balsamico. Nochmals vier Jahre später unterzeichneten die beiden Landräte schließlich das offizielle Partnerschaftsdokument.
Viel schneller ging es bei einigen Gemeinden aus den beiden Kreisen: San Polo d’Enza und Eisingen verbindet eine „gemellagio“ seit 1989; Illingen und Castelnovo ne' Monti folgten 2003, 2018 verbrüderten sich Vezzano sul Crostolo und Friolzheim. Die ersten aber, bei denen der deutsch-italienische Funke übersprang, waren Rubiera und Neulingen. Wie diese Partnerschaft entstand, welche Emotionen sie noch heute zu wecken vermag und wie sie über die Jahre gepflegt und immer wieder neu „erfunden“ wurde, erzählt im zweiten Teil eines Podcasts Kreisrat Heinrich Furrer, 1985 Fußball-Jugendtrainer in Neulingen und Begleiter des ersten Jugendaustauschs mit Rubiera.
Ein Landrat als Ehrenbürger
Auch die Partnerschaft des Enzkreises mit den polnischen Partnerkommunen Mysłowice, Imielin und Chelm Słaski geht auf Jugendbegegnungen zurück: Ende der 80er Jahre verbrachten Kinder aus dem oberschlesischen Kohlerevier ihre Sommerferien im Enzkreis. Hintergrund waren die schlechte Luftqualität n der südpolnischen Region – und die hohe Strahlenbelastung nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl.
Erste Besuche führten dazu, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger, Mitarbeiter aus der Verwaltung ebenso wie Kreisräte, für Hilfen in der belasteten Region engagierten. Konvois mit Kleidung und Medikamenten, medizinische Ausrüstung, Feuerwehrfahrzeuge: Vieles half in den polnischen Städten und Gemeinden, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und den ersten Jahren in der Marktwirtschaft die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Dabei setzte der Enzkreis auch eigene Mittel ein – 100.000 D-Mark waren es 1993 – und warb Bundesmittel in beachtlicher Höhe für die Restaurierung der Marienkirche in Mysłowice ein.
1996 wurden die Urkunden mit der Stadt Mysłowice und den beiden kleineren Gemeinden, die seit dem Vorjahr (wieder) selbständig geworden waren, von den Bürgermeistern und Landrat Werner Burckhart unterzeichnet. Für seine Verdienste verlieh ihm die Stadt 2002 die Ehrenbürgerwürde – eine Auszeichnung, die zuvor nur sehr wenigen Menschen (und keinem Deutschen) zuteilgeworden war.
Wer die Stadt im Dreiländereck heute besucht, staunt, wie viel sich über die Jahrzehnte verändert hat. Viele Fördermittel aus Brüssel verschwanden zwar zunächst im Untergrund (nämlich für die Sanierung der Kanalisation und des Fernwärmenetzes); aber sie sorgten auch für ein Kleinod wie den Schlosspark mit Promenade, Spiel- und Tennisplätze, Sporthallen und Resten des ehemaligen Auswandererbahnhofs.
Doppelt hält besser: Pforzheim und der Enzkreis gemeinsam
Im Nordwesten Ungarns, nahe der Stadt Sopron (deutscher Name: Ödenburg), öffnete sich im Sommer 1989 der Eiserne Vorhang zum ersten Mal. Hunderte DDR-Bürgerinnen und Bürger nutzten das „Paneuropäische Picknick“, das ungarische Aktivisten dort ausgerichtet hatten, um durch ein für kurze Zeit offenes Tor im Grenzzaun nach Österreich zu fliehen, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Heute befindet sich an der Stelle des Picknicks eine Gedenkstätte, deren Besuch zum Pflichtprogramm jeder Delegation aus Pforzheim und dem Enzkreis gehört, die das ungarische Partnerkomitat besucht.
2001 hatten die Bemühungen der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft zum Erfolg geführt: Feierlich wurde ein Freundschaftsvertrag zwischen der Stadt Pforzheim und dem Enzkreis auf der einen und dem Komitat Györ-Moson-Sopron auf der anderen Seite unterzeichnet. Bereits ein Jahr später fand das Internationale Jugendcamp des Enzkreises mit knapp 100 Teilnehmenden am südöstlichen Ufer des Neusiedler Sees statt: in der Gemeinde Fertöd mit der großartigen Schlossanlage, dem „ungarischen Versailles“.
Dort wurde 2007 der Partnerschaftsvertrag unterzeichnet – diesmal vom inzwischen zum Landrat gewählten Karl Röckinger zusammen mit seinem Pforzheimer OB-Kollegen und im Beisein zahlreicher Stadt- und Kreisräte. Immer wieder führten Delegationsreisen nach Ungarn – zuletzt im vorigen Jahr, als sich der Kreistag über Natur- und Umweltschutz informierte. Und natürlich stand auch die weltberühmte Abtei Pannonhalma, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, auf dem Programm.
Wer einen kleinen Blick in deren wertvolle Innenausstattung verschiedener historischer Gebäude im Komitat werfen möchte, ist herzlich zu einem virtuellen Rundgang eingeladen, den der Pforzheimer Künstler Janusz Czech 2022 für die Europäischen Wochen der Stadt Pforzheim entworfen hat.
Die 4. Partnerschaft verbindet den Enzkreis mit Afrika
Über den Landkreistag in Berlin landete die Anfrage im Landratsamt Enzkreis: Verwaltungsfachleute und Politiker aus dem Distrikt Masasi in Tansania seien auf der Suche nach einem deutschen Landkreis zum Zweck des Austauschs und um (voneinander) zu lernen. Was 2012 als ursprünglich einmalig geplanter Besuch begann, mündete in rasanter Geschwindigkeit in eine sogenannte Klimapartnerschaft - und zehn Jahre später in eine vollwertige Partnerschaft. Die Urkunde unterzeichneten Vertreterinnen und Vertreter aus Masasi und der vierte Landrat des Enzkreises, Bastian Rosenau.
Was alle vier Partnerschaften – und auch die langjährigen Kontakte des Enzkreises nach Schweden oder Spanien – verbindet: Immer ging es und geht es ums Tun, um gemeinsame Aktivitäten, um Jugendaustausch, gegenseitige Hilfeleistungen oder darum, voneinander zu lernen – das genaue Gegenteil von „Verwaltungs-Tourismus“ oder reinen Honoratiorenbesuchen.