Europa – meine Hoffnung

Den Mehrwert Europas nicht aufgeben

Viel wird über die Europäische Union geredet, geschimpft oder mokiert. Sei es über überbordende Bürokratie und Berichtspflichten, sei es über unsinnige Regelungen oder unverständliche Anliegen. In diesem Kontext werden die wichtigsten Errungenschaften der Europäischen Einigung überdeckt. Es ist an der Zeit daran zu erinnern, dass wir dieser historischen Einigung Frieden und Wohlstand verdanken.
Evelyne Gebhardt · Europa-Union Baden-Württemberg e.V. · 11. April 2024
Die Landesvorsitzende der 
Europa-Union Baden-Württemberg e.V. Evelyne Gebhardt
Die Landesvorsitzende der Europa-Union Baden-Württemberg e.V. Evelyne Gebhardt
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Viel wird über die Europäische Union geredet, geschimpft oder mokiert. Sei es über überbordende Bürokratie und Berichtspflichten, sei es über unsinnige Regelungen oder unverständliche Anliegen. Ich gebe zu, auch in der EU werden Fehler gemacht, wie überall. Beamt*innen, Abgeordnete oder Regierungsvertreter*innen sind nun mal ganz normale Menschen. Aber stimmt es überhaupt, dass wegen europäischer Gesetze krumme Gurken nicht verkauft werden durften, Bäume auf Kreisel an Kreisstraßen gefällt werden müssten? Nein, ganz und gar nicht.

Nehmen wir als Beispiel folgendes Gerücht: die Europäische Kommission wolle den Verkauf von Brezeln verbieten – ein großer Aufreger bei uns in Baden-Württemberg. „Das ist ja ein Irrwitz“, „das kann doch nicht wahr sein“. Natürlich ist es nicht wahr! Der Gesetzgeber - also Europäisches Parlament und Ministerrat - haben auf Vorschlag der Europäischen Kommission ein Gesetz verabschiedet, um zu verhindern, dass Bürger*innen belogen werden können. Also zum Beispiel beim Kauf von salzhaltigen Waren mit der Bezeichnung „dieses Produkt ist gesund“ in die Irre geführt werden. Von Verbot kein Wort. Sie dürfen weiterhin so viele Brezeln verspeisen, wie sie möchten. Ich finde sie auch sehr lecker.

Ein weiteres Beispiel möchte ich besonders herausstreichen, weil es die Kommunalpolitik sehr direkt angeht: „Warum muss ich bei der Vergabe von Aufträgen immer das billigste Angebot nehmen?“. So oder so ähnlich die Vorwürfe, die mir immer wieder entgegengeschleudert werden, verbunden mit dem Hinweis, dass die Europäische Kommission sich doch bitte nicht überall einmischen solle. So ist es tatsächlich nicht!

Im europäischen Gesetz steht nicht das billigste, sondern das günstigste Angebot müsse berücksichtigt werden. Das macht einen großen Unterschied. Im EU-Recht wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es möglich ist bei Ausschreibungen zum Beispiel ökologische, soziale oder innovative Aspekt mitzuberücksichtigen. Ich weiß noch genau wie heftig wir im Europäischen Parlament darum gerungen haben diese Gestaltungsmöglichkeiten den auftraggebenden Behörden zu ermöglichen. Manche Abgeordnete wollten bedingungslos, dass nur das billigste Angebot zum Zuge kommen sollte. Andere Abgeordnete wollten, dass u.a. soziale oder ökologische Aspekt verpflichtend mitberücksichtigt werden müsse. Schließlich ist es gelungen eine Mehrheit im Parlament zu organisieren, die die Möglichkeit den kommunalen Ebenen lässt selbst zu entscheiden ob, und welche Aspekte in den Ausschreibungen zum Tragen kommen – ganz im Sinne der kommunalen Selbstbestimmung. Dass diese Möglichkeit heutzutage kaum zum Tragen kommt, liegt nicht am europäischen Gesetzgeber auch nicht an der Europäischen Kommission.

Die Reaktionen auf solche Vorurteile und das, was wir heutzutage Fakenews nennen, gipfelten gelegentlich auch bei Kommunalpolitiker*innen in Äußerungen wie „diese EU muss abgeschafft werden“. Solche Reaktionen und viele andere verblüffen mich immer wieder und bereiten mir viel Sorge. Zeigen sie doch, dass der eigentliche Wert und Zweck der Einrichtung der Europäischen Union in den Gedanken dieser Menschen verloren gingen.

Ich möchte daran erinnern, dass Anfang des 20. Jahrhunderts nicht weniger als zwei Weltkriege stattgefunden haben, dass in den dreißiger und vierziger Jahren ein Unheil ohne Gleichen auf die Menschen in Europa hereinbrach, weil es verantwortungslosen Menschen gelang in Deutschland an die Macht zu gelangen, um ganz Europa in Schutt und Asche zu legen. Deswegen erinnere ich gern daran:

„Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben“

Zitat des spanischen Philosophen George Santayana am Eingang des Blocks 4 im KZ Ausschwitz

Die Europäische Union ist ein Glücksfall in der Geschichte. Zu welcher Zeit konnten Menschen in unserem geografischen Raum behaupten, sie hätten 80 Jahre lang keinen Krieg erlebt, und heute Achtzigjährige, sie wüssten auch nicht, was Kriegsfolgen seien? Da muss man sehr lange in der Geschichte dieses kleinen Teils der Welt suchen – meine Suche war erfolglos!

Erfolglos? Nein – leider doch nicht, denn am 24. Februar 2022 begann der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Ein Krieg vor den Toren der Europäischen Union!  Ein Angriff, der uns alle sehr betroffen macht. Er macht uns so sehr betroffen, denn wir wissen sehr wohl, dass nicht nur die Ukrainer*innen gemeint sind, sondern auch deren klares Votum für ein demokratisches, freies und friedvolles Leben.

Damit ist dieser Krieg auch ein Angriff gegen uns als Europäer*innen, gegen unsere Lebensweise, gegen unsere Demokratie, gegen unsere Freiheiten. Und das ist nicht die einzige Bedrohung, mit der wir heutzutage konfrontiert werden:

In ganz Europa und darüber hinaus erleben wir ein Erstarken rechtsextremer und autokratischer Kräfte. Denken Sie da etwa an Frau Meloni in Italien, Herrn Wilders in den Niederlanden, Herrn Orban in Ungarn! Nicht zu vergessen die Gefahr eines Donald Trumps in den USA oder einer Frau Le Pen in Frankreich. Das sind nur ein paar Beispiele, die uns vor Augen führen dürften, wie fragil unsere Demokratie und unsere Freiheiten sind. Gemeinsamkeiten der Vorgenannten sind der Wille zur Spaltung der Gesellschaft, die Erlangung der Macht, um der Macht willen, die Ausgrenzung von Menschen aus ideologischen, ethnischen Gründen heraus.

Auch Deutschland ist nicht gefeit vor dem Machthunger solcher Menschen, wie wir sie in vielen Äußerungen von Herrn Höcke oder dem Spitzenkandidaten der AfD zur Europawahl am nächsten 9. Juni hören müssen, um nur zwei Beispiele herauszugreifen. Besonderes Aufmerken sollte ihre Forderung nach der Abschaffung des Europäischen Parlaments sein. Das Organ, dass der Inbegriff der Demokratie ist, das Organ, in dem die vom Volke direkt gewählten Abgeordneten die Geschicke der Zukunft mitgestalten sollen, soll abgeschafft werden? Erinnern wir uns: In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts wurden zunächst die Landesparlamente, danach der Reichstag abgeschafft! Honni soit qui mal y pense (ein Schelm, wer Arges dabei denkt!)!

Im Vertrag der Europäischen Union heißt es:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

Das ist der Auftrag, den wir uns in unserer Gesellschaft gegeben haben. Einen schöneren und besseren Auftrag kann es nicht geben. Diese Werte sind es, die dazu geführt haben, dass sich Wohlstand entwickeln kann und wir gemeinsam in ganz Europa in Frieden und Respekt zueinander leben dürfen. Lassen wir uns das nicht nehmen und sorgen wir gemeinsam bei der Wahl am 9. Juni dafür, dass wir diesen Auftrag weiter erfüllen können.

Evelyne Gebhardt ist Landesvorsitzende der Europa-Union Baden-Württemberg e.V.
Schlagworte: Europa , Wahlen
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