Europapolitik beeinflusst Kommunen

Die Lebensrealität vor Ort beginnt mit den Entscheidungen in Brüssel

Gesetze suchen sich ihren Weg durch die Verwaltungsebenen. Daher müssen Kommunen über kurz oder lang die Auswirkungen europäischer Rechtsvorschriften tragen. Eine rechtzeitige und deutliche Mitsprache ist deshalb unerlässlich.
Dr. Christoph Schnaudigel · Landkreis Karlsruhe · 11. April 2024
Der CEMR bringt Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen auf europäischer Ebene zusammen.
Der CEMR bringt Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen auf europäischer Ebene zusammen.
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Europa und die Gesetze, die in Brüssel gemacht werden, klingen oftmals nach „weit weg“. Dabei ist der Einfluss der Entscheidungen, die auf europäischer Ebene fallen, weitaus größer, als auf den ersten Blick deutlich wird. Das beste Beispiel: Grenzen zwischen europäischen Ländern sind völlig selbstverständlich verschwunden und können jederzeit überquert werden – für Reisen, die Arbeit oder das Freizeitprogramm. Aber auch in vielen kleineren Rechtsvorschriften stecken europäische Ideen. Die Kommunen und das Leben der Bürgerinnen und Bürger vor Ort spiegeln Europa wider. Dass sich Landkreise, Städte und Gemeinden in der Europapolitik einbringen, ist deshalb essentiell. Das Bewusstsein für diese Zusammenhänge zu schaffen, ist eine der wichtigen Aufgaben europäischer Interessensvertretungen.  
 

Das Netzwerk stärkt das kommunale Wissen

CEMR, RGRE, AdR: Die Abkürzungen, die dafür stehen, der kommunalen Ebene eine Stimme zu verleihen, sind zunächst abstrakt. Die Gremien mit Schlüsselpositionen, in denen politische Vertreterinnen und Vertreter zusammenkommen und aktiv an der Richtung von europäischen Entscheidungen mitwirken, sind die Mittler zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Europäischen Union. Dabei entsteht ein großes Netz an Verbindungen, gegenseitiger Erfahrungsaustausch und ständiges Lernen von den Lösungen anderer. Dieses Wissen tragen die Vertreterinnen und Vertreter zurück in ihre Verwaltungen, um auch dort das Verständnis für Europäische Zusammenhänge zu stärken.
 

Aus vielen Kommunen wird eine Stimme

Doch was hat es mit den Gremien auf sich? Die Struktur europäischer Interessensvertretungen ergibt sich aus einzelnen Puzzleteilen verschiedener Länder und Verwaltungsebenen, die am Ende ein meinungsstarkes Gesamtbild ergeben. Im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) / Deutsche Sektion organisieren sich – wie der Namen schon sagt – deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise sowie die jeweiligen Spitzenverbände. Im gemeinsamen Austausch werden nicht nur die Positionen zur europäischen Gesetzgebung erarbeitet und auf einen Nenner gebracht, sondern zusätzlich auch untereinander konstruktive Netzwerke geschaffen.

Mit der Prager Erklärung, die die Vorsitzenden des CEMR im Juli 2023 unterzeichnet haben, fordert das Gremium mehr Mitsprache der kommunalen Ebene bei der Gesetzgebung der EU.
Mit der Prager Erklärung, die die Vorsitzenden des CEMR im Juli 2023 unterzeichnet haben, fordert das Gremium mehr Mitsprache der kommunalen Ebene bei der Gesetzgebung der EU.
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Die Ergebnisse werden im europäischen Dachverband, dem Council of European Municipalities and Regions (CEMR), aufgegriffen. In diesem internationalen Verband haben sich kommunale Gremien und Interessensverbindungen wie der RGRE / Deutsche Sektion länderübergreifend zusammengeschlossen. Denn je stärker der kommunale europäische Zusammenhalt ist, desto stärker ist am Ende der Einfluss auf das Europäische Parlament und die Europäische Kommission. 60 Mitgliedsverbände aus 40 Ländern sitzen hier an einem Tisch, um für die Interessen der lokalen und regionalen Politik einzutreten.
 

Der Einfluss kommt durch die Beratung

Offizielle beratende Funktion für das EU-Parlament kommt dem Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR) zu. Durch ihn haben Landkreise, Städte und Gemeinden förmliches Mitspracherecht bei der europäischen Gesetzgebung. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament müssen den AdR anhören, wenn Rechtsvorschriften die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften betreffen, was bei immerhin 70 Prozent aller EU-Rechtsvorschriften der Fall ist. Als Stimme der Regionen und der Städte gibt der AdR dazu Stellungnahmen ab.

Die Kommunalen Landesverbände Baden-Württembergs, darunter der Landkreistag Baden-Württemberg, haben der Europapolitik mit der Zeit einen immer größeren Stellenwert eingeräumt und sind mit dem Kommunalen Europa-Pool jetzt noch einen weiteren Schritt gegangen. Stärker sollen zukünftig Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister und Landrätinnen und Landräte aktiv in die Arbeit des Europabüros eingebunden werden. Als Vertreterinnen und Vertreter aus dem Europa-Pool unterstützen sie dabei, die Anliegen aus der Praxis zu erläutern und die Auswirkungen der europäischen Gesetzgebung sichtbar zu machen. Erste Themen mit Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Kommission und weiteren Verbänden waren etwa die kommunalfreundliche Ausgestaltung des Verordnungsvorschlages zur Wiederherstellung der Natur, die Überarbeitung des Beihilferechts und die Überarbeitung der Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser.
 

Der positive Effekt reicht von Brüssel bis in die Gemeinde

Von der kommunalen Europaarbeit profitieren Politik, Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen: Das Bewusstsein für eine europäische Bürgerschaft und die Vorteile, die damit zusammenhängen, steigt. Im Landkreis Karlsruhe erleben wir die Bedeutung von grenzüberschreitenden Projekten auf vielen Ebenen. Lösungen zu Mobilitätsfragen, zu einem offenen Arbeitsmarkt, zu Herausforderungen im Bevölkerungsschutz oder der Energieversorgung müssen an Ländergrenzen nicht Halt machen. Im Oberrheinrat, dem trinationalen Parlament, das die Grenzregionen aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz zusammenbringt, aber auch mit dem Eurodistrikt PAMINA, der deutsche mit französischen Regionen verbindet, werden genau solche Aspekte gemeinsam untersucht und grenzüberschreitend gelöst. Aufgrund der geografischen Lage ist der europäische Gedanke im Landkreis Karlsruhe besonders tief verwurzelt.

Der Eurodistrict Pamina erreichte im Juni 2023 eine Vereinbarung, mit der Gesundheitsleistungen in der Region grenzüberschreitend möglich wurden.
Der Eurodistrict Pamina erreichte im Juni 2023 eine Vereinbarung, mit der Gesundheitsleistungen in der Region grenzüberschreitend möglich wurden.
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Ein Austausch solcher Art, ob nun entlang des Rheins oder in Brüssel, führt dazu, dass für Entscheidungen ein breiter Sachverstand einbezogen wird und der Handlungsspielraum wächst. Rechtsetzungsverfahren können auf diese Weise optimal für eine breite kommunale Basis beeinflusst werden. Projekte können durch EU-Förderungen realisiert werden – beispielsweise über den Europäischen Fonds für Entwicklung EFRE oder das LEADER-Programm zur Stärkung der Wirtschaft vor Ort. Zudem werden Kommunen frühzeitig auf Veränderungen vorbereitet, die durch EU-Maßnahmen entstehen. Das Ergebnis: Kommunale Europaarbeit macht Städte, Gemeinden und Landkreise zukunftsfähig.
 

Strukturelle Probleme werden sichtbar

Mit Blick auf die Europawahl hat daher beispielsweise der Deutsche Landkreistag zehn Forderungen aufgestellt, mit denen die europäische Politik künftig noch näher an die Kommunen rücken soll. Lösungen für Städte, Gemeinden und Landkreise sollen mit diesen und nicht nur für diese getroffen werden. Denn in den Herausforderungen von Kommunen spiegeln sich größtenteils die strukturellen Probleme innerhalb der europäischen Grenzen wider.

Das sind ganz konkrete Anliegen, die auch wir auf Landes- und Bundesebene immer wieder zur Sprache bringen. Das größte Thema ist dabei die Überregulierung. Die Normenkomplexität und der scheinbare Wille, auch kleinste Details „gerecht“ zu regeln, wandert bis zu den Landkreisen. Diese wiederum müssen als Verwaltungsbehörden EU-Recht vom Papier in alltägliche Verwaltungspraxis umwandeln, an der dann nicht selten Bürgerinnen und Bürger leiden. Dass dabei manche Details nicht in Brüssel, sondern manchmal auch erst auf Länderebene eingeflochten werden, erschwert den Kommunen zusätzlich die Arbeit. Ein Beispiel aus der Vergangenheit war das vermeintliche Verbot von Bebauung in Kreisverkehren für mehr Verkehrssicherheit. Gespräche mit anderen Nationen bringen hier Entspannung und Klarheit in die vorauseilende Überregulierung, die oft durch die innerstaatliche Gesetzgebung nochmals verstärkt wird.
 

Kommunales Wissen verbessert Vorgaben

Europa profitiert vom Wissen und den Erfahrungen der Kommunen, wie umgekehrt die Kommunen von dem europäischen Gedanken. Das gilt bei der Ausgestaltung von Zielen aber auch bei Fragen zur Bewältigung von Krisen. Nimmt man beispielsweise den Klimaschutz, beginnt die tatsächliche Umsetzung internationaler Klimaschutzziele bei den kommunalen Energieerzeugern, bei Klima- und Wärmekonzepten von Gemeinden und beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs in den jeweiligen richtungsweisenden Entscheidungen der kommunalen Gremien. Ein wesentlicher Teil der Umsetzung des Green Deal wird von den Kommunen geleistet werden müssen. Hier kommen ebenso die Unteren Naturschutzbehörden oder Träger der Entsorgungsunternehmen ins Spiel, da die Kreislaufwirtschaft eines der wichtigsten Elemente in Hand der Kommunen ist. Zudem werden viele öffentliche Dienstleistungen in den Landratsämtern und Rathäusern ausgeführt. Hakt es im grundlegenden Beschluss, der von der EU zuvor getroffen wurde, kann das Problem durch die Kommunen konkret erfasst und für Verbesserungen zurückkommuniziert werden.

Landrat Dr. Christoph Schnaudigel ist nicht nur als Vertreter des Landkreises Karlsruhe auf europäischer Ebene aktiv, sondern spricht auch für Spitzenverbände.
Landrat Dr. Christoph Schnaudigel ist nicht nur als Vertreter des Landkreises Karlsruhe auf europäischer Ebene aktiv, sondern spricht auch für Spitzenverbände.
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Ein Thema, das wie kein anderes die Bedeutung von kommunaler Mitsprache auf Europaebene unterstreicht, sind die Aufgaben der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Die Folgen der Migrationspolitik tragen hauptsächlich die Kommunen, denn hier kommen die Geflüchteten an. Der Ukraine-Krieg hat diese strukturelle Last erneut deutlich gemacht. Dabei teilen alle Kommunen dieselben Herausforderungen und Fragen rund um Unterbringung und Integration sowohl im Hinblick auf finanzielle wie auch personelle Belastung. Bereits bei den gesetzlichen Regelungen auf diese Erfahrungswerte zu setzen, kann künftige Krisen besser abfangen und rechtzeitig Lösungen vorhalten.
 

Die kommunale Ebene und Europa gehören zusammen

Europa ist letzten Endes nur so stark und handlungsfähig wie seine Städte, Gemeinden und Landkreise. So wichtig es ist, dass kommunale Anliegen in Brüssel zur Sprache kommen, so unerlässlich ist das Verständnis für die Bedeutung der Europapolitik bei den Bürgerinnen und Bürgern. Denn eine Kommunalpolitik gegen Europa hätte fatale Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Einschränkungen im Alltag sowie ein Verlust von Wirtschaftskraft, von Freiheit und von vielsprechenden Lösungen in  Zukunftsfragen wären die Folge.

In seiner Funktion als Landrat nimmt Dr. Christoph Schnaudigel Aufgaben in unterschiedlichen Gremien der grenzüberschreitenden und europäischen Politik wahr:

  • Mitglied des kommunalen Europa-Pools für den Landkreistag Baden-Württemberg
  • Co-Präsident, Mitglied im Europäischen Hauptausschuss und Spokesperson Public Services für den Council of European Municipalities and Regions (CEMR)
  • Erster Vizepräsident und Mitglied des Präsidiums im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) / Deutsche Sektion
  • Stellvertretendes Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR)
  • Mitglied des Vorstandes, Vorsitzender der Kommission Verkehr, Raumordnung, Katastrophenhilfe und Dritter Vorstand der baden-württembergischen Delegation für den Oberrheinrat
  • Präsident, Mitglied des Vorstandes, Vorsitzender des Ausschusses für Finanzen, Wirtschaft und Soziales sowie Mitglied in der Vertreterversammlung für den Eurodistrikt Pamina
  • Mitglied im Deutsch-Französischen Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Dr. Christoph Schnaudigel ist Landrat des Landkreises Karlsruhe
Schlagworte: Europa , Karlsruhe
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