50 Jahre Kreisreform Baden-Württemberg

"Identität - Funktion - Innovation"

Am 26. Juni erschien im Kohlhammer-Verlag das von den drei Kreisarchivaren Wolfgang Sannwald (Landkreis Tübingen), Clemens Joos (Schwarzwald-Baar-Kreis) und Manfred Waßner (Landkreis Esslingen) herausgegebene Buch "Identität - Funktion - Innovation - 50 Jahre Kreisreform Baden-Württemberg".
Michael Schlichenmaier · Landkreistag Baden-Württemberg · 12. Juli 2023
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Am 1. Januar 1973 ist das "Kreisreformgesetz" in Baden-Württemberg in Kraft getreten. Das Gesetz regelt in § 2 die Auflösung der bisherigen Landkreise und legt in § 3 die neuen Landkreise fest - von A wie Alb-Donau-Kreis bis Z wie Zollernalbkreis.

Das Gesetz setzte den Schlusspunkt unter eine hoch emotionale Debatte, in der es vordergründig um das Ob und Wie größerer Gebietskörperschaften ging, bei der freilich im Hintergrund Fragen eine Rolle spielten, die - unter anderen Vorzeichen - bis heute jede  moderne Gesellschaft umtreiben, nämlich Fragen wie die nach Heimat und Zukunft, nach Identität und Funktionalität, nach Tradition und Aufbruch.

Sowohl Fachliteratur als auch Publizistik sind sich einig, dass diese Reform ein „großer Wurf“ war. Aus 63 Landkreisen wurden damals 35. Das Ausmaß des Erfolgs zeigt sich aber erst anhand der Tatsache, dass die 1973 geschaffenen Landkreise mit den Funktionalreformen von 1995 und 2005 weiter gestärkt wurden, nämlich durch die Übertragung etlicher staatlicher Aufgaben auf die Landratsämter.

Ganz offensichtlich waren die neu geschaffenen Landkreise willens und in der Lage, hohe Verwaltungskraft und fachliche Professionalität einerseits sowie Bürger- und Unternehmensnähe andererseits gelingend zu verknüpfen.

Dass die 35 baden-württembergischen Landkreise auch heute noch buchstäblich „gut in Form“ sind, konnten sie in den vergangenen, krisenreichen Jahren eindrücklich unter Beweis stellen. Die Aufnahme Schutzsuchender in den Jahren 2015/2016, die Bewältigung der Corona-Pandemie sowie die Versorgung der zahlreichen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wären ohne leistungsstarke Landkreise mit ihren lebendigen Zugängen in die Zivilgesellschaft hinein nicht möglich gewesen.

Und deshalb gab es mehr als genug Gründe, das Jubiläum zu „50 Jahre Kreisreform“ gebührend zu feiern.

Im Rahmen der Aktivitäten rund um das Jubiläum entstand die Idee eines Sammelbandes, in dem Beiträge aus allen Landkreisen rund um die Kreisreform und ihre Folgen zusammengeführt werden sollten. Die Federführung für das wirklich außergewöhnliche Buch oblag der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchivarinnen und Kreisarchivare des Landkreistags Baden-Württemberg.

Das Buch, das den Titel „Identität – Funktion – Innovation – 50 Jahre Kreisreform Baden-Württemberg“ trägt, ist wie folgt aufgebaut: die verschiedenen Themen der Kreisreform werden zunächst in sogenannten „Dachbeiträgen“ ausführlich behandelt. Diese tragen Überschriften wie „Die lange Kreisreform in Baden-Württemberg (1967-2005)“, „Kreisreform, Zentrale Orte und zerrissene Räume“, „Kreissitz oder Landschaft? Diskussionen um Kreisnamen“ oder auch „Wappen, Märsche und Hinkelsteine. Kreissymbolik und Kreisidentität in den Landkreisen Baden-Württembergs“. An diese Dachtexte knüpfen jeweils eine Vielzahl verschiedener kürzerer Mosaiktexte an, die auf ganz unterschiedliche Weise, zum Teil auch gespickt mit humoristischen Elementen, die unterschiedlichen Themen beleuchten. Hier exemplarisch ein paar Titel: „Die Tuttlinger: ‚gebietslüsterne‘ Schwaben?“, „Kein (blauer!) Dunst im Landratsamt!“, „LEO – muss bleiben“ oder „Unterm ‚Silberadler‘ lässt es sich gut leben“.

Kurz um: es lohnt sich, mehr als einen kurzen Blick in diesen außergewöhnlichen Sammelband zu werfen.

Anlässlich der Veröffentlichung hat der verantwortliche Lektor beim Kohlhammer-Verlag, Herr Dr. Peter Kritzinger, den Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg, Prof. Dr. Alexis von Komorowski, zum Buch interviewt. 

Ergänzt werden die Dach- und Mosaiktexte durch Interviews mit Zeitzeugen, darunter dem früheren Waldshuter Landrat und ehemaligem Regierungspräsident Dr. Norbert Nothhelfer, Ministerpräsident a.D. Erwin Teufel oder auch dem erst vor wenigen Monaten verstorbenen Dr. Franz Susset, dem früheren Landrat des Hohenlohekreises.

Zwei dieser Interviews, nämlich die mit Dr. Norbert Nothhelfer und Dr. Franz Susset, wurden gefilmt und stehen im Folgenden als Aufzeichnung für Interessierte bereit.

Die Interviews führte Prof. Dr. Wolfgang Sannwald bereits im Sommer/Herbst 2022.

Das letzte Drittel des Buchs umfasst Kreisportraits, in denen jeder einzelne der 35 Landkreise in seiner Entstehungsgeschichte nochmals en détail gewürdigt wird.

Spätestens damit wird das Buch auch zu einem wertvollen Nachschlagewerk, auch für zukünftige Auseinandersetzungen mit den Verwaltungsstrukturen Baden-Württembergs.

 

Identität - Funktion - Innovation: 50 Jahre Kreisreform Baden-Württemberg
Wolfgang Sannwald, Clemens Joos und Manfred Waßner (Hrsg.)
erschienen im W. Kohlhammer-Verlag (VÖ: 28.06.2023)
ISBN-10: 3170431560

Klappentext

So viele emotionale Diskussionen zum Thema Landkreise wie zwischen 1969 und 1973 hat es in Baden-Württemberg weder vorher noch nachher gegeben. In dieser kurzen Zeitspanne schufen Landesregierung und Landtag den heutigen Gebietszuschnitt der Kreise. Knapp die Hälfte der damaligen Kreisstädte verlor damals den hervorgehobenen Status als Kreissitz, manche fühlten sich gegenüber alten Konkurrenten zurückgesetzt. Bei den Diskussionen prallten technokratische Planung und identitätsorientierte Tradition aufeinander, sodass mitunter politisches Kalkül für die Zuordnung einzelner Gemeinden sorgte. Zu dem vorliegenden Jubiläumsband haben alle Landkreise bunte und charakteristische Mosaikbeiträge zum Reformgeschehen beigetragen. Überblicksartikel ordnen die Kreisgebietsreform historisch und erinnerungspolitisch ein. Feuilletonistische Beiträge veranschaulichen die Rolle der durch Gebietsreform und nachfolgende Verwaltungsreformen gestärkten Landkreise beispielhaft an der Bewältigung von Fluchtbewegungen, Epidemien oder bei der Verwaltungsmodernisierung.

Michael Schlichenmaier leitet die Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Landkreistag Baden-Württemberg
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