Möglichkeiten im Ländlichen Raum

Die Stärkung des ÖPNV in der Fläche braucht mehrerlei Ansätze

Der Hohenlohekreis ist der Landkreis mit den geringsten Einwohnerzahlen in Baden-Württemberg, gleichzeitig stellt die disperse Siedlungsstruktur mit vielen kleinen Wohnplätzen eine enorme Herausforderung für die Erschließung aller Orte durch den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) dar.
Alexander Wolf · Hohenlohekreis · 15. Dezember 2023
Die Regiobuslinie 11 verbindet die Gemeinde Dörzbach mit dem Möckmühler Bahnhof. Die Wegstrecke führt am ehemalige Zisterzienserkloster in Schöntal vorbei.
Die Regiobuslinie 11 verbindet die Gemeinde Dörzbach mit dem Möckmühler Bahnhof. Die Wegstrecke führt am ehemalige Zisterzienserkloster in Schöntal vorbei.
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In Zeiten knapper Kassen wurde das Angebot vor ungefähr 10 Jahren deutlich reduziert: Fahrten am Wochenende und am Abend wurden gestrichen, den meisten Linien – bis auf wenige Hauptachsen – wurde eine „Betriebsruhe“ am Vormittag verordnet. Zeit für eine Trendwende!
 

Regiobuslinien als Rückgrat des ÖPNV

Der Hohenlohekreis ist mit nur einer Schienenstrecke – der Hohenlohebahn von Heilbronn nach Schwäbisch Hall – im Gegensatz zu anderen ländlichen Kreisen deutlich unterversorgt, was das Angebot auf der Schiene angeht. Der Busverkehr spielt somit auch auf den überörtlichen Achsen eine zentrale Rolle.

Durch das Förderprogramm des Landes wurde bereits im Jahr 2016 die Chance wahrgenommen, gleich zwei der Hauptlinien auf den Standard der landesweit bedeutsamen „Regiobuslinien“ aufzuwerten. Die Kreisstadt Künzelsau, eine der wenigen Kreisstädte in Baden-Württemberg ohne eigenen Gleisanschluss, sollte damit besser an den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) angebunden werden.

Stündliche Fahrten von früh bis spät, einheitliche Takte und Linienführungen haben ein Angebot geschaffen, das von den Fahrgästen als spürbare Verbesserung wahrgenommen und genutzt wird. Die sowieso schon modernen, klimatisierten Niederflurbusse des Eigenbetriebs Nahverkehr Hohenlohekreis (NVH), der die Linien betreibt, passten zu den Förderbedingungen. Ein positiver Nebeneffekt für alle Fahrgäste war, dass seither alle Fahrzeuge mit dem geforderten kostenfreien WLAN ausgerüstet sind.

Das Mittelzentrum Künzelsau wurde so noch besser an die nahe gelegene Hohenlohebahn angebunden. Am Waldenburger Bahnhof erfolgt der Umstieg bequem und schnell von der Linie 7 zur Bahn in Richtung Heilbronn oder Schwäbisch Hall. In Richtung Norden passiert die Linie 19 drei Täler (Kocher, Jagst und Tauber) bevor die Tauberbahn in Bad Mergentheim erreicht wird.

Das Konzept kommt bei der Bevölkerung gut an: die Fahrgastzuwächse liegen teils im hohen zweistelligen Bereich. Dabei stiegen die Fahrtgastzahlen am Wochenende wie auch unter der Woche.

Beide Verbindungen werden schon in der zweiten Runde gefördert, der Kreistag hat im November 2023 beschlossen, die Förderung für die nächsten fünf Jahre zu beantragen. Nicht nur das Konzept hat hierbei überzeugt: seit Einführung sind die Fahrgastzahlen um ca. 25 % unter der Woche und um ca. 70 – 80 % am Wochenende gestiegen.

Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 kam die dritte geförderte Linie im Landkreis dazu: Die Linie 11 verkehrt zwischen Dörzbach und Möckmühl und erschließt entlang der ehemaligen Trassenführung der Jagsttalbahn das Jagsttal in Ost-West-Richtung, um in Möckmühl den Anschluss an die Frankenbahn zu erreichen.

Alle drei Linien bestanden schon vor der Förderung, haben aber durch die Taktverdichtung und -verlängerung durch die Förderung deutlich an Fahrgästen zugewonnen. Die verlässlichen Fahrzeiten sind attraktiv für Berufspendler, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende, aber auch für Gelegenheitsfahrgäste sowie Freizeitpendler.
 

Rufbus als Ergänzung zum Regelangebot

Zum Jahresbeginn 2023 wurde mit Einführung eines Rufbus-Verkehrs im südlichen Landkreis ein weiterer Schritt in Richtung Angebotsausbau unternommen.

Die Städte und Gemeinden Öhringen, Bretzfeld, Pfedelbach, Neuenstein und Zweiflingen werden seither auch außerhalb der regulären Bedienzeiten durch den ÖPNV angebunden. Der südliche Landkreis, der zwar an die Schienenstrecke angebunden ist und mit der S 4 (Öhringen-Cappel – Heilbronn – Karlsruhe) einen echten Standortfaktor vorweisen kann, war bisher benachteiligt, was den Busverkehr betrifft. Abends und am Wochenende gab es nur wenige oder gar keine Fahrten, um die „letzte Meile“ zurücklegen zu können.

In der "NVH Rufbus WebApp" können Nutzerinnen und Nutzer einen Rufbus zur gewünschten Zeit und Fahrstrecke buchen.
In der "NVH Rufbus WebApp" können Nutzerinnen und Nutzer einen Rufbus zur gewünschten Zeit und Fahrstrecke buchen.
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Der Kreistag stimmte einer dreijährigen Erprobungsphase zu, in welcher das System auf seine Praxistauglichkeit und im Hinblick auf die Akzeptanz durch die Bevölkerung getestet werden soll. Fünf Linien binden die umliegenden Gemeinden nun an die Große Kreisstadt Öhringen und an die S-Bahn an. Der Rufbus verkehrt nach einem festen Fahrplan, die Fahrtwünsche können bis maximal eine Stunde vor der jeweiligen Abfahrtszeit mittels WebApp oder telefonisch gebucht werden. Je nach Tageszeit und Fahrgastaufkommen werden unterschiedliche Fahrzeuggrößen eingesetzt. Fahrten, die unter der Woche nach den regulären Fahrzeiten angeboten werden, werden oftmals auch mit dem „großen“ Linienbus durchgeführt, wenn Fahrzeugumläufe zu geringen Kosten erweitert werden können. Fahrten mit mittlerem oder nicht immer planbarem Fahrgastaufkommen werden mit Kleinbussen durchgeführt, die auch tagsüber auf nachfrageschwachen Linien oder im Schülerverkehr zum Einsatz kommen. Diese verfügen über einen barrierefreien Einstieg, Rollstuhlrampe und vollständiger Vertriebstechnik. In den späten Abendstunden am Wochenende werden Fahrten mit Taxis durchgeführt, da sich hier die Bereitstellung von Omnibusfahrern wirtschaftlich gesehen nicht rechnet.

Zahlen, Daten, Fakten:

  • Seit Jahresbeginn wurden bereits knapp 4.000 Fahrgäste befördert
  • Die durchschnittliche Belegung liegt bei 1,3 Fahrgästen je Fahrt
  • Die Buchung erfolgt zu gleichen Teilen telefonisch und online
  • Anbindung an die S-Bahn wurde durch die Rufbusse ausgebaut

Die Nachfrage stieg seit Einführung des Angebots stetig an. In den ersten zehn Monaten des Jahres konnten knapp 4.000 Fahrgäste gezählt werden. Die Fahrten sind im Durchschnitt mit 1,3 Fahrgästen besetzt. Was sich sehr schnell zeigte: Der Rufbus wird auch in der Praxis als Ergänzung zum Regelangebot wahrgenommen und entsprechend genutzt. Alexander Wolf, Werkleiter des NVH, stellt fest: „Auf den Linien, bei denen es tagsüber schon ein gutes Angebot gibt, ist die Nachfrage in den Tagesrandlagen und am Wochenende auch entsprechend vorhanden. Auf den Achsen mit nur wenigen Verbindungen tagsüber zielt auch ein Angebot mit Spätfahrten bisher ins Leere.“

Das Angebot wird ebenso von Berufspendlern wie von Gelegenheitsfahrgästen genutzt. Der Anteil der telefonischen Buchungen liegt nahezu gleich auf wie die Bestellungen per WebApp. Es zeigt sich aber, dass die Mehrzahl der Fahrgäste bereits einen gültigen Fahrschein, oft im Abo, besitzt, die Verkäufe von Einzel- und Tagesfahrscheinen auf den Rufbus-Linien sind marginal.

Fünf Rufbus-Linien bringen Fahrgäste zur jeweiligen Abfahrtszeit nach Öhringen u. a. an den Bahnhof.
Fünf Rufbus-Linien bringen Fahrgäste zur jeweiligen Abfahrtszeit nach Öhringen u. a. an den Bahnhof.
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Aufhebung der Betriebsruhe am Vormittag

So gut die genannten Einzelmaßnahmen sind, so wichtig sind auch Verbesserungen im gesamten Liniennetz. Vor über zehn Jahren fasste der Kreistag aus Spargründen den Beschluss, die Verkehre am Vormittag außerhalb des Schülerverkehrs auf den meisten Linien ruhen zu lassen. Ausgenommen waren nur wenige Hauptachsen. Diese „Betriebsruhe“ ist zum diesjährigen Fahrplanwechsel ab 10. Dezember 2023 aufgehoben worden.

Öffentlicher Nahverkehr ist auch im ländlichen Raum weitaus mehr als bloße Schülerbeförderung, wenngleich diese Kundengruppe den Großteil der Fahrgäste ausmacht. Nicht nur zu Corona-Zeiten wurde der Bedarf an Fahrten außerhalb der gewohnten Spitzenzeiten spürbar. Die Flexibilisierung von Arbeits- und Schulzeiten macht eine Ausdehnung der Betriebszeiten ebenso erforderlich wie das Verlangen nach einer „echten“ Alternative zum Auto, wenn die Mobilitätswende konsequent gelingen soll. Letztlich profitiert auch das System an sich, wenn sich die Nachfrage auf einen größeren Zeitraum am Vormittag verteilt.
 

Einheitliches Erscheinungsbild

Schon seit vielen Jahren sind die Fahrzeuge im Hohenlohekreis in einem einheitlichen Design unterwegs, welches kürzlich überarbeitet wurde. Ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild soll dem Fahrgast einen genauso hohen Wiedererkennungswert bieten wie das Interieur: eine einheitliche Farbgebung, einheitliche Sitzpolster sowie die einheitliche Fahrgastinfo- und Verkaufsinfrastruktur zeigen dem Fahrgast, dass man sich in einem Fahrzeug des kreiseigenen Verkehrsbetriebs befindet – unabhängig davon, welcher der 16 Auftragsunternehmen die Fahrt durchführt.

Auch an der Haltestelle ist sofort sichtbar, wer den Verkehr betreibt: Im ganzen Landkreis gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten einheitliche Haltestellenschilder.

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Alexander Wolf ist Betriebsleiter des Eigenbetriebes Nahverkehr Hohenlohekreis sowie Dezernent für Mobilität und Straßenbau im Landratsamt Hohenlohekreis
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