Feuerwehrübung „Roter Heuberg“

Wie der Bevölkerungsschutz durch organisationsübergreifende Stationsausbildung gestärkt wird

Der „Rote Heuberg“ ist im Landkreis Sigmaringen sowie im Zollernalbkreis bei der Blaulichtfamilie eine feste Institution. Das gemeinsame Ziel: die Stärkung des Bevölkerungsschutzes für besondere Herausforderungen. Wie das gelingt.
Sven Röger · Zollernalbkreis · 11. Oktober 2024
Starke Kulisse: Vertreter der Blaulichtfamilie während der Großübung "Roter Heuberg" im April 2024
Starke Kulisse: Vertreter der Blaulichtfamilie während der Großübung "Roter Heuberg" im April 2024
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Die jüngste Auflage fand im April statt. Knapp 800 Feuerwehrangehörige, darunter Einheiten aus ganz Baden-Württemberg, aus Niedersachsen und sogar aus Österreich, absolvierten auf dem Truppenübungsplatz Heuberg und auf dem Areal der Alb-Kaserne in Stetten am kalten Markt ähnlich wie bei einem Zirkeltraining Rundkurse mit Übungsstationen, an denen sie unterschiedlichsten Szenarien begegneten: etwa Gebäude- und Vegetationsbrände, Bahnunfälle und Türöffnungen. Oder das Verhalten in Polizeilagen und der Umgang mit Personen in psychischen Ausnahmezuständen sowie das richtige Türöffnungs-Prozedere. Ebenso die Rettung von Personen aus einem von Wasser eingeschlossenen Wagen oder einem unter Strom stehenden Auto. Die Stationen wurden von mehr als 500 Einsatzkräften aller Blaulichtorganisationen – auch aus der Schweiz und aus Liechtenstein – ehrenamtlich ausgearbeitet und betrieben.

Bei Vegetationsbränden ist die richtige Technik und Taktik entscheidend. Zur Entwicklung geeigneter Strategien ist die enge Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung ratsam.
Bei Vegetationsbränden ist die richtige Technik und Taktik entscheidend. Zur Entwicklung geeigneter Strategien ist die enge Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung ratsam.
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Für die Feuerwehrleute ist der „Rote Heuberg“ eine optimale Gelegenheit, die Vielfalt der Herausforderungen, vor die sie täglich gestellt werden, unter realitätsgetreuen Bedingungen intensiv zu trainieren. Durch die Beteiligung und enge Einbindung weiterer Organisationen der Blaulichtfamilie – Technisches Hilfswerk, DRK, Polizei, DLRG, außerdem Bundeswehr – fördert die Großübung die organisationsübergreifende Zusammenarbeit sowie das gegenseitige Verständnis und Vertrauen.  Die Einrichtung von Meldeköpfen und Bereitstellungsräumen, die Zusammenstellung taktischer Einheiten, die Sicherstellung von Kommunikationswegen, die Verpflegung und Betreuung der Vielzahl an Personen sowie die stabsmäßige Durchführung der Übung sind, das zeigt die mittlerweile mehrjährige Erfahrung, eine wertvolle Vorbereitung im Bevölkerungsschutz für Großschadens- und Flächenlagen.
 

Übungskonzept und Ablauf

Für die Übung werden im Vorfeld jeweils drei Löschfahrzeuge mit Staffelbesatzung (6 Einsatzkräfte je Fahrzeug) zu einem Zug zusammengefasst. Sogenannte „Roadbooks“ geben die Stationsabfolge für jeden Zug vor. Sie stellen sozusagen die Drehbücher der Übung dar. Jedes Fahrzeug erhält morgens bei der Registrierung ein individuelles Roadbook. Auf der Titelseite sind neben der Information, welchem Zug das Fahrzeug zugeteilt wurde, auch die weiteren Fahrzeuge im Zug sowie die zur An- und Abmeldung während der Übung zu nutzenden Rufgruppen bzw. Kanäle ersichtlich. Es folgen wichtige Hinweise und Sicherheitsregeln, die im gesamten Übungsverlauf einzuhalten sind. Wesentliches Element des Roadbooks ist die individuelle Stationsabfolge. Zusammen mit einer Karte des jeweiligen Rundkurses dient diese als Fahrplan für den gesamten Zug. Zu jeder Station ist die An- und Abrückezeit sowie eine Bewertung einzutragen. Weil die Roadbooks am Ende des Tages durch die Übungsleitung eingesammelt werden, dienen sie auch zur Weiterentwicklung und Qualitätssicherung. Die Bewertungen werden für Optimierungsbedarfe in der Planung der nächsten Übung analysiert.

Vor Übungsbeginn werden die anreisenden Kräfte registriert und erhalten ihre Roadbooks.
Vor Übungsbeginn werden die anreisenden Kräfte registriert und erhalten ihre Roadbooks.
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Nach der Registrierung der Teilnehmer und Ausgabe der Roadbooks erhalten die Teilnehmer in der Kaserne eine Einweisung in den Übungsablauf und eine Sicherheitsbelehrung sowie ihre Tagesverpflegung. Anschließend arbeiten die Züge die Stationen auf dem ihnen zugewiesenen Rundkurs in der vom Roadbook vorgegebenen Reihenfolge ab und absolvieren dort unterschiedlichste Übungsszenarien aus dem Feuerwehralltag. Die kurzen, intensiven Übungen erlauben es den Teilnehmern, an einem Tag viele unterschiedliche Aufgaben zu trainieren.

Bei Erreichen und Verlassen einer Station melden sich die Züge über Funk bei der Übungsleitung. Diese überwacht den Fortschritt jedes Zugs, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Durch die Roadbooks steuert sich der Übungsablauf im Wesentlichen selbst. Lediglich bei zu großen Verzögerungen schreitet die Übungsleitung ein und befiehlt erforderlichenfalls Abweichungen vom Roadbook, um das gemeinsame Übungsende einhalten zu können.

Bei realen Notfällen alarmiert die Übungsleitung die erforderlichen Rettungskräfte über die Leitstelle. Da auf dem weitläufigen Übungsgelände ggf. lange Anfahrtszeiten des Rettungsdienstes in Kauf genommen werden müssen, hält die Übungsleitung zudem einen ehrenamtlichen Rettungswagen vor. Fachpublikum wird in einer eigenen Rundtour über das Übungsgelände zu ausgewählten Stationen geführt. Neben herausragenden Stellen aus dem Feuerwehrwesen und von Hilfsorganisationen zählen hierzu unter anderem auch Vertreter von Katastrophenschutz-, Forst- und Veterinärbehörden. Durch die Einblicke und Gespräche soll das organisationsübergreifende Netzwerk gestärkt werden.

Beobachter bekommen während des "Roten Heubergs" 2024 einen Einblick in die Arbeit der Übungsleitung und des  Führungsstabs.
Beobachter bekommen während des "Roten Heubergs" 2024 einen Einblick in die Arbeit der Übungsleitung und des Führungsstabs.
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Geschichte des "Roten Heubergs"

Die Anfänge des „Roten Heubergs“ gehen ins Jahr 2007 zurück, als der Landkreis Sigmaringen das erste Mal eine eintägige Übung für die Feuerwehren aus dem eigenen Landkreis auf dem Gelände der Bundeswehr organisierte. Von der anfänglichen Durchführung eines großen Übungsszenarios, an dessen Abarbeitung alle übenden Einheiten gleichzeitig beteiligt wurden, ging man in folgenden Übungen zur Stationsausbildung über. 2012 beteiligte sich erstmals der Zollernalbkreis an der Organisation, um den hiesigen Feuerwehren ein entsprechendes Übungsangebot machen zu können.

In den Folgejahren wurde das Übungskonzept stetig weiterentwickelt und anhand der Rückmeldungen von Übenden und Stationsbetreuern optimiert. Positive Rückmeldungen und das große Interesse der Feuerwehren bestärkten die Organisatoren, die Kapazität der Übung weiter auszubauen. So wurde die Übung ab 2017 zweitägig angeboten, um mehr Feuerwehren eine Teilnahme ermöglichen zu können. Dennoch mussten Anmeldungen abgewiesen werden, weil auch das deutlich erhöhte Angebot die Nachfrage nicht decken konnte. Damals erfasste die Übungsleitung über das Wochenende insgesamt 530 Teilnehmer inklusive Stationsbetreuer und Organisation.
 

Vielseitige Übungsmöglichkeiten

Das weitläufige Gelände des Truppenübungsplatzes bietet vielseitige Übungsmöglichkeiten, die in den folgenden Jahren in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr für die Übung erschlossen wurden. 2019 konnten 16 Stationen auf zwei verschiedenen Rundkursen angeboten werden. Unter den 950 Teilnehmern waren erstmals Einheiten aus Österreich und der Schweiz.

2020 musste die traditionell für Anfang April angesetzte Übung aufgrund der Corona-Pandemie kurzfristig abgesagt werden. Auch 2021 war kein „Roter Heuberg“ möglich - zu groß wäre das Risiko gewesen, eine Vielzahl von Einsatzkräften außer Gefecht zu setzen und schlimmstenfalls die Einsatzbereitschaft ganzer Einheiten zu gefährden. 2022 wurde das Vorhaben mit einem umfassenden Sicherheits- und Hygienekonzept wieder aufgegriffen und umgesetzt. Die Zahl der Anmeldungen zeigte, dass das Interesse an der Übung trotz Pause ungebrochen groß war.

2023 wurden die Züge erstmals mit einem zusätzlichen Zugführer ergänzt, der den drei Fahrzeugen während der Übungsszenarien jeweils anstehende Aufgaben zuweist und so die Zusammenarbeit innerhalb des Zugs koordiniert. In vorangegangenen Übungen musste diese Funktion immer von einem der drei Einheitsführer parallel zu seiner eigentlichen Aufgabe ausgefüllt werden. Es hat sich gezeigt, dass dies für die Einheitsführer eine willkommene Entlastung darstellt. Zudem können dadurch auch Einzelpersonen an der Übung teilnehmen und die Tätigkeit als Zugführer in verschiedenen Szenarien kompakt trainieren.

Die Gegebenheiten auf dem Truppenübungsplatz erlauben während des "Roten Heubergs" auch ausgefallene Übungsszenarien - wie hier einen Verkehrsunfall nach der Notlandung eines Hubschraubers auf der Autobahn.
Die Gegebenheiten auf dem Truppenübungsplatz erlauben während des "Roten Heubergs" auch ausgefallene Übungsszenarien - wie hier einen Verkehrsunfall nach der Notlandung eines Hubschraubers auf der Autobahn.
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Erfreulicherweise regt die Teilnahme im Zug Feuerwehren immer wieder dazu an, sich den Organisatoren für künftige Übungen als Stationsbetreuer anzubieten. So konnte die Anzahl der Stationen für die Übung im April 2024 auf 21 erhöht werden, nachdem gemeinsam mit der Bundeswehr weitere Übungsobjekte auf dem Truppenübungsplatz erschlossen wurden. Die Stationen wurden diesmal auf drei Rundkurse aufgeteilt. Einige der neuen Übungsobjekte lagen weit von den übrigen Objekten entfernt, was teilweise zu längeren Fahrzeiten zwischen den Stationen führte. Im Rahmen der Übungsorganisation mussten die Rundkurse daher besonders sorgfältig geplant werden. Es wurden Lotsenfahrzeuge eingesetzt, um die übenden Einheiten zu den weiter entfernten Stationen zu führen. So konnte, obwohl buchstäblich Neuland betreten wurde, ein flüssiger Übungsablauf gewährleistet werden.

Die Polizei sensibilisiert bei der Übung Einsatzkräfte der Feuerwehr für lebensbedrohliche Einsatzlagen.
Die Polizei sensibilisiert bei der Übung Einsatzkräfte der Feuerwehr für lebensbedrohliche Einsatzlagen.
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Kommunikation

Da die Netzabdeckung im Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben auf dem weitläufigen Gelände nicht lückenlos ist, stellt das Technische Hilfswerk für die Übung seit einigen Jahren eine mobile Basisstation auf, um das Netz temporär zu ergänzen. Jedem Rundkurs wird eine eigene Rufgruppe zugewiesen, über die die Züge und die Stationen mit der Übungsleitung kommunizieren. Da die Ausstattung mit Digitalfunk im Land noch nicht flächendeckend abgeschlossen ist, werden parallel zudem Kanäle im anlogen Funknetz der Feuerwehren verwendet. So wird sichergestellt, dass jedes Fahrzeug mit der Übungsleitung kommunizieren kann.
 

Ausblick

Der „Rote Heuberg“ soll weiterhin jährlich stattfinden. Die Planungen für 2025 sind bereits angelaufen. Um die im Rahmen der Organisation anfallende Arbeit auf mehreren Schultern zu verteilen, hat der Landkreis Konstanz Interesse an einer Beteiligung als Mit-Organisator bekundet.

Sven Röger ist Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz und Kreisbrandmeister des Zollernalbkreises
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