Übungen jenseits der Komfortzone
Der Katastrophenschutz in Baden-Württemberg findet auf mehreren Ebenen statt. Ein wesentlicher Aspekt bei der Bekämpfung von Katastrophen ist die Vorbereitung. Zu diesem Zweck setzt der Neckar-Odenwald-Kreis auf anspruchsvolle und möglichst realitätsnahe Katastrophenschutzübungen. „Wir möchten gezielt Szenarien üben, bei denen die Möglichkeit des Eintretens gering ist. Denn nur dann ist man in Zeiten von Großkrisen und des Klimawandels auch wirklich gut vorbereitet“, betont der Kreisbrandmeister des Neckar-Odenwald-Kreises, Jörg Kirschenlohr. So wurde zuletzt unter dem Übungstitel „Motorisierter Kfz-Marsch der Katastrophenschutz-Einheiten“ ein aufwändiges Hilfeersuchen eines anderen Landkreises abgebildet, das die Verlegung von Einheiten aus dem Neckar-Odenwald-Kreis notwendig macht. An der Übung, die in einen theoretischen und einen praktischen Part aufgeteilt war, haben vier Einheiten der Feuerwehren, des Deutschen Roten Kreuzes und des Wasserrettungszuges der DLRG teilgenommen. Am theoretischen Teil der Übung war außerdem das THW beteiligt. Nachdem die 100 Einsatzkräfte am Bereitstellungsraum eingetroffen waren, wurden sie vor Ort durch den Verbandsführer in die fiktive Lage eingewiesen. Die anschließende Kolonnenfahrt ging über die Autobahn 81 in Richtung Main-Tauber-Kreis bis ein geplanter technischer Halt durchgeführt wurde. Anschließend wurden die Einsatzkräfte, aufgeteilt in drei Marschgruppen, über die Bundesstraße 27 zurück in den Kreis verlegt. Das Ziel der Übung bestand nicht nur darin, die Kenntnisse rund um den motorisierten Marsch aufzufrischen, sondern auch die Zusammenarbeit verschiedener Einheiten des Katastrophenschutzdienstes im Neckar-Odenwald-Kreis zu stärken sowie deren Fähigkeiten zu schärfen. „Erst bei der Umsetzung der theoretischen Konzepte wird man in der Lage sein, Schwachstellen zu identifizieren, Optimierungen vorzunehmen und sich für den Ernstfall zu wappnen“, ordnet Jörg Kirschenlohr ein. Ebenso wurde im Vorfeld die Bevölkerung darüber informiert, wie beispielsweise mit Kolonnenfahrten umzugehen ist. „Wir versuchen, die Bevölkerung immer möglichst eng und über verschiedene Kanäle mitzunehmen, um sie auch so für den Fall des Falles vorzubereiten. Hier ist in den letzten Jahrzehnten viel Wissen verloren gegangen“, so Kirschenlohr weiter.
Was hilft, wenn die eigenen Kräfte schwinden
Ein bisher einzigartiges Übungsszenario wird im Herbst zudem Antworten auf die Frage geben, was hilft, wenn im Rahmen von Lagen weder benachbarte Landkreise noch Bundesländer aushelfen können. Denn unter dem Titel „Magnitude“ findet die erste europäische Katastrophenschutzübung in Deutschland und eben auch im Neckar-Odenwald-Kreis statt. Schauplatz ist unter anderem das Training Center Retten und Helfen (TCRH) in Mosbach. Thematisch wird sich die Großübung dort hauptsächlich mit einem Erdbebenszenario befassen. Geprobt werden soll das Anforderungsverfahren von Hilfskräften europäischer Mitgliedsstaaten sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Von der Anforderung bis hin zum Eintreffen der Einsatzkräfte und der letztendlichen Verlegung in das Einsatzgebiet sollen alle Mechanismen getestet werden. Getreu dem Motto „Nur gemeinsam sind wir stark“ zielt die Übung neben dem organisatorischen Part auch darauf ab, die Vernetzung unter den beteiligten Akteuren zu stärken und das vorhandene Fachwissen zu multiplizieren. „Um auch für das Undenkbare gewappnet zu sein, müssen wir anfangen, Katastrophenschutz über unsere Landesgrenzen hinaus zu denken und die Möglichkeit in Betracht ziehen, externe Hilfskräfte anzufordern“, sagt Kreisbrandmeister Kirschenlohr. Bisher sei man glücklicherweise noch nicht in der Situation, die Lagen nicht mehr alleine bewältigen zu können. „Doch die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass nichts mehr unmöglich ist. Um auf mögliche Katastrophen optimal vorbereitet zu sein, ist es unerlässlich, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Genau diese Abläufe sollen nun erprobt werden, um aus den Erfahrungen die richtigen Schlüsse zu ziehen und im Realfall Reibungsverluste auf ein Minimum reduzieren zu können“, erklärt Kirschenlohr.
Was der Kreis alles auf Lager hat
Neben der Durchführung von Übungen ist aber auch die Ausstattung ein entscheidender Faktor. Der finanzielle Aspekt spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. Nicht selten sehen sich die verantwortlichen Personen dabei mit einem Dilemma konfrontiert: Während ihnen einerseits die zunehmend schlechten staatlichen Haushaltslagen bewusst sind, möchten sie auf der anderen Seite alle notwendigen Beschaffungen tätigen, um einer Lage effektiv begegnen zu können. Ausgaben für Gerätschaften, die im besten Fall nie benötigt werden, müssen gerechtfertigt werden. Gleichzeitig wird erwartet, dass entsprechende Technik vorgehalten wird. Ein Spagat, der nicht immer einfach ist.
Zu diesem Zweck wird im Neckar-Odenwald-Kreis ein zentrales Katastrophenschutzlager vorgehalten. In den vergangenen Jahren wurden gezielt Beschaffungen getätigt, um ein stabiles Gerüst an Ausstattung zusammenzustellen. In Anbetracht des aktuellen Tierseuchengeschehens steht derzeit besonders die bereits 2021 beschaffte Desinfektionsschleuse für Fahrzeuge und Geräte im Fokus. Diese dient vor allem als Vorkehrung gegen die Ausbreitung von Tierseuchen wie der Afrikanischen Schweinepest, kann jedoch auch für andere Desinfektionszwecke eingesetzt werden. Für den Gebrauch stehen Mitglieder von kreisangehörigen Feuerwehren zur Verfügung, die die Funktionen der Schleuse erprobt haben. Sie werden als Multiplikatoren eingesetzt, um die Schleuse im Falle eines Ausbruchs einsatzbereit zu übergeben und die Benutzer einzuweisen.
Ein dauerhaftes Thema im Kontext des Katastrophenschutzes ist die Notstromversorgung. Eine stabile Energieversorgung ist unabdingbar, um im Einsatzfall die Handlungsfähigkeit der Einheiten und den Einsatz von Einsatzmitteln jederzeit gewährleisten zu können. Sollte die übergeordnete Stromversorgung unterbrochen werden, hält der Neckar-Odenwald-Kreis zwei mobile Stromerzeuger als Rückfallebene vor. Aktuell ist zudem die Beschaffung von drei Rollwägen mit jeweils unterschiedlicher Beladung vorgesehen. Diese umfasst eine Hygienekomponente, ein Rollcontainer Sitzgelegenheit und eine Verpflegungseinheit. Die Container werden zentral gelagert und können bei Bedarf eingesetzt werden. Auch die beste Planung erweist sich als wirkungslos, wenn die notwendige Infrastruktur nicht verfügbar ist. Um in Notsituationen den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren, verfügt der Neckar-Odenwald-Kreis seit geraumer Zeit über ein Satellitentelefon. Im Falle des Ausfalls bodengebundener Netze stellt es somit die Erhaltung der Kommunikationsfähigkeit sicher.
Die Frage nach den Handelnden
Im Grunde klingt so Katastrophenschutz ganz einfach – quasi nach Rezept, so könnte man meinen, lässt es sich auf den Katastrophenfall vorbereiten. Doch nicht zuletzt bleibt die Frage nach dem Personal. Wer soll diese Vorarbeit leisten und wer möchte Verantwortung übernehmen? Sowohl das dünn gesäte Fachpersonal in der Verwaltung wie auch der erhebliche Aufwand, Pläne und Konzepte aktuell zu halten und hinzu auch noch außergewöhnliche Übungen auszuarbeiten und durchzuführen, fordern die handelnden Akteure im Kreis immer wieder heraus. Nicht wegzudenken sind deshalb die ehrenamtlichen Hilfskräfte, die als tragende Säule für den Katastrophenschutz fungieren. „Einen Blick in die Glaskugel werfen können wir leider nicht“, so Kirschenlohr, „bedingt durch die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse muss man wohl akzeptieren, dass dem Bedürfnis nach absoluter Sicherheit nicht vollständig abgeholfen werden kann. Wir im Neckar-Odenwald-Kreis versuchen uns bestmöglich auf alle Krisen vorzubereiten. Alles auf einmal geht aber nicht, denn Katastrophenschutz ist komplex und muss ständig den Anforderungen anpasst werden.“ Darin liege die Herausforderung, die man tagtäglich gern annehme.
Informationen zu der europäischen Katastrophenschutzübung „Magnitude“ sind abrufbar unter www.magnitude2024.com.