I. Wie kam es zu den kommunalen Jobcentern?
Um zu verstehen, warum es zwei unterschiedliche Organisationsformen der Jobcenter gibt, muss man die Entstehungsgeschichte des SGB II kennen.
Das SGB II führte 2005 die Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III und die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zusammen. Das Nebeneinander der beiden Leistungen war seit langem kritisiert worden. Für einen ähnlichen Personenkreis und eine ähnliche Leistung waren zwei unterschiedliche Behörden zuständig: die damalige Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitslosenhilfe und die Landkreise bzw. kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe für die Hilfe zum Lebensunterhalt.
Die zuständige Behörde für die neue Leistung allerdings war zwischen Bund und Ländern umstritten: Der Regierungsentwurf zum SGB II sah eine alleinige Zuständigkeit der BA vor, was von den Ländern schon aus fiskalischen Gründen 16:0 abgelehnt wurde. Denn da die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Finanzverantwortung des Bundes überführt werden sollten, hätten die Länder die hierfür aufgebrachten Mittel durch die Abgabe von Umsatzsteuerpunkten an den Bund weiterleiten müssen. Da die Länder zudem auch in der Sache mehr einer kommunalen Verantwortung zuneigten anstelle der BA, beschloss der Bundesrat einen Gesetzentwurf mit der Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte.
Nach langen Diskussionen einigten sich Bund und Länder in einem Vermittlungsverfahren auf das neue SGB II. Um hinsichtlich der Finanzfolgen eine Neuverteilung von Umsatzsteuerpunkten zwischen Bund und Ländern zu vermeiden, hält das Gesetz an dem Nebeneinander von BA und Kommunen im Regelfall fest: Die Landkreise und kreisfreien Städte sind zuständig für die kommunalen Eingliederungsleistungen – das sind die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder und die häusliche Pflege von Angehörigen, die Schuldnerberatung, die psychosoziale Betreuung und die Suchtberatung –, die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, die Erstausstattungen für die Wohnung einschl. Haushaltsgeräten, für Bekleidung und bei Schwangerschaft und Geburt sowie die Bedarfe für Bildung und Teilhabe (Letztere wurden später eingeführt). Für die übrigen Leistungen ist die BA zuständig: Dies sind die Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, die Mehrbedarfe und insbesondere die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Da es Ziel des SGB II war, Leistungen aus einer Hand zu gewähren, verfiel der Gesetzgeber zur Gewährleistung einer einheitlichen Aufgabenwahrnehmung auf den in der Umsetzung schwierigen Ausweg einer „Arbeitsgemeinschaft“ zwischen BA und Landkreis/kreisfreier Stadt.
Daneben wurde den Landkreisen und kreisfreien Städten ein Antragsrecht („Option“) mit Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde eingeräumt, anstelle der BA die komplette Aufgabenträgerschaft zu übernehmen. Die Ausgaben der optierten Aufgaben werden wie bei der BA in vollem Umfang vom Bund getragen. In einem weiteren Gesetzgebungsverfahren zum Kommunalen Optionsgesetz wurden im Wege einer Experimentierklausel die näheren Regelungen bestimmt und die Zahl auf 69 kommunale Träger festgelegt.[2] Ihre Zulassung (63 Landkreise, sechs kreisfreie Städte) erfolgte im September 2004 mit Wirkung zum 1.1.2005 – eine extrem kurze Zeit, um eine so große und umfangreiche Aufgabe zu übernehmen. Den Optionskommunen gelang durch ihr großes Engagement gleichwohl ein reibungsloser Start der neuen Leistung.
Als das Bundesverfassungsgericht 2007 die Mischverwaltung in den Arbeitsgemeinschaften für verfassungswidrig erklärte,[3] flammte die Diskussion zu den unterschiedlichen Trägerschaftsmodellen erneut auf, und es kam 2010 zur sog. Jobcenterreform. Durch eine Verfassungsänderung in Art. 91e GG wurde die Mischverwaltung in den „gemeinsamen Einrichtungen“ legalisiert. Zugleich wurden die kommunalen Jobcenter als gleichberechtigte Organisationsform aufgenommen und einfachgesetzlich sowohl entfristet als auch zahlenmäßig ausgeweitet. Das Optionskontingent wurde auf 25 % der kommunalen Träger erweitert – das waren 110 der damals 439 Landkreise und kreisfreien Städte –, sodass zu den bestehenden 69 Optionskommunen weitere 41 kommunale Jobcenter (32 Landkreise, neun kreisfreie Städte) zugelassen wurden. Auch hier gelang der Übergang und Neustart reibungslos.
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II. Was sind die kommunalen Besonderheiten und Stärken?
Seitdem stellen die kommunalen Jobcenter ihre Leistungsfähigkeit tagtäglich unter Beweis und sind ein Erfolgsmodell. Erfolgsfaktoren sind die Ganzheitlichkeit, die Nähe vor Ort und die permanente Organisationsentwicklung. Die kommunalen Jobcenter arbeiten mit höheren Freiheitsgraden als die gemeinsamen Einrichtungen, klaren Strukturen und einem eigenen, stabilen Personalkörper, wie auch der vormalige BA-Vorstand Heinrich Alt mittlerweile anerkennt.[4]
1. Örtliche Aufstellung
Die Besonderheit und die Stärke der kommunalen Jobcenter liegen in ihrer kommunalen Verankerung. Dies bedeutet örtliche Verantwortung, dezentrale Steuerung und Leistungserbringung aus einer Hand. Diese Aufstellung unterliegt den Entscheidungen und der Kontrolle durch den von der Bürgerschaft direkt gewählten Kreistag bzw. Stadtrat und die Landrätin/den Landrat bzw. die Oberbürgermeisterin/den Oberbürgermeister. Die Aufsicht obliegt dem Land.
Die kommunalen Jobcenter sind nah an der örtlichen Wirtschaft und deren starke Partner. Zugleich liegt das Alleinstellungsmerkmal in der sozialpolitischen Perspektive, die einen individuellen Blick auf die Arbeitsmarktintegration jedes einzelnen Leistungsberechtigten erlaubt und im Zusammenspiel mit anderen kommunalen Aufgaben wie der Kinder- und Jugendhilfe, der Bildungspolitik, dem Ausländerrecht oder der Wirtschaftsförderung ganzheitliche und nachhaltige Lösungen im Interesse der Menschen hervorbringt. Die bürgernahe kommunale Philosophie besteht darin, kurze Wege, rasche Entscheidungsprozesse und passgenaue Hilfeleistungen im Interesse der Bürger zu organisieren. Jedes kommunale Jobcenter trifft im Sinne der von Kommune zu Kommune unterschiedlichen Erfordernisse seine eigenen strategischen Entscheidungen und setzt eigene Schwerpunkte einer erfolgreichen und nachhaltigen regionalen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Im Vergleich zu den gemeinsamen Einrichtungen zeigt sich nicht nur eine demokratische Verankerung, sondern auch eine deutlich höhere örtliche Gestaltungsmöglichkeit. Die auf Vereinheitlichung angelegten Fachlichen Weisungen der BA gelten nur für die gemeinsamen Einrichtungen, nicht für die kommunalen Jobcenter. Diese können mit einem umfassenden Gesamtkonzept, das Grundsicherung für Arbeitsuchende, Wirtschaftsförderung, Erwachsenenbildung, Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, Schule im Rahmen der kreislichen Verantwortlichkeiten, Kinder- und Jugendhilfe sowie Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung verknüpft, nachhaltigere und umfassendere Effekte erzielen als mit punktuellen Maßnahmen. Allerdings stoßen die Handlungsmöglichkeiten an Grenzen, wenn die finanzielle Ausstattung der Jobcenter durch den Bund so unauskömmlich ist, wie sie es die letzten Jahre war und unverändert ist.
Die kommunalen Jobcenter können – anders als die gemeinsamen Einrichtungen – schließlich auch selbst Maßnahmeträger sein. Hier haben die Landkreise und Städte vielfach Erfahrung aus der Zeit vor dem SGB II, als sie im Zuge der Hilfe zur Arbeit kommunale Beschäftigungsgesellschaften geschaffen hatten.
Unter www.kommunale-jobcenter.de, dem gemeinsamen Internetauftritt der kommunalen Jobcenter, der vom Deutschen Landkreistag betrieben wird, finden sich weitere Informationen, z. B. das gemeinsame „Strategische Leitbild 2030“.
2. Benchlearning
Als gegenseitigen Lern- und stetigen Verbesserungsprozess führen die kommunalen Jobcenter ein gemeinsames Benchlearning durch. Kernstück des mit Unterstützung eines externen Dienstleisters selbstorganisierten Projektes ist die praktische Arbeit in zehn etwa gleichgroßen Vergleichsringen, denen die kommunalen Jobcenter nach Kriterien wie SGB II-Quote, Größe, Bundesland u. ä. zugeordnet sind. Das Benchlearning wird von einer Geschäftsstelle koordiniert und gesteuert, die durch den Deutschen Landkreistag geführt wird.
3. Tag der kommunalen Jobcenter
Die Spitzenverbände der kommunalen Jobcenter, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag, veranstalten jährlich den Tag der kommunalen Jobcenter in Berlin. Entweder mehr als politische Veranstaltung oder mehr als Fachtagung geplant, werden aktuelle Fragen diskutiert und Zukunftswerkstätten zu fachlichen Themen durchgeführt. Die zweitägigen bundesweiten Veranstaltungen erfreuen sich großer Beliebtheit und bieten ein weiteres Format, sich über die eigenen Grenzen hinweg auszutauschen und voneinander zu lernen. Dieses Jahr wird der Tag der kommunalen Jobcenter am 29./30.9.2025 stattfinden.
III. Fazit
„Stark. Sozial. Vor Ort.“ – das ist mehr als die gemeinsame Marke, unter der die 104 kommunalen Jobcenter firmieren. Es ist ihr Anspruch, ihre Richtschnur und ihr Kompass. Sie sind für die Menschen da, unterstützen sie, um wieder eigenverantwortlich zu leben. Sie kennen die Lebensgeschichten und setzen auf die Potenziale und Stärken jedes Einzelne. Durch ihre örtliche Verankerung und ihre demokratische Legitimation sind die kommunalen Jobcenter nah an den Menschen, ihren Lebensentwürfen und Herausforderungen. Unter der Voraussetzung, dass das gesetzgeberische Handwerkszeug sowie die finanzielle Ausstattung die gute Arbeit nicht behindern, sondern befördern, zeigt sich in ihnen kommunales Engagement von seiner besten Seite.
Fußnoten:
[1] Der Deutsche Landkreistag hat die Januar/Februar-Ausgabe 2025 seiner Zeitschrift „Der Landkreis“ dem Schwerpunktthema „20 Jahre kommunale Jobcenter“ gewidmet. Auf S. 22 ff. findet sich eine Langfassung des vorliegend stark gekürzten Beitrags.
[2] Eine sachliche Herleitung für die Zahl 69 besteht nicht; es handelt sich vielmehr um die Stimmenzahl der Länder im Bundesrat, die dementsprechend viele Optionsplätze besetzen konnten.
[3] Urteil vom 20.12.2007, Az. – 2 BvR 2433/04 u. a. –, BVerfGE 119, 331, NJW 2008 S. 1212.
[4] Heinrich Alt, 20 Jahre Jobcenter, in: Der Landkreis 2025 S. 27.