In diesem Jahr jährt sich die Einführung des SGB II zum 20. Mal. Im Jahr 2005 wurde mit der sogenannten Hartz IV-Reform die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengeführt. Damit gab es erstmals in Deutschland eine einheitliche, steuerfinanzierte Grundsicherung für Langzeitarbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfebeziehende. Der Leitgedanke: „Fördern und Fordern“.
Die Hartz-IV-Reform wurde kontrovers diskutiert. Gerade in der Anfangszeit kam es zu großen politischen und gesellschaftlichen Debatten, man denke nur an die „Montagsdemonstrationen“. Im Rückblick bleibt festzuhalten: Die Reform war wichtig und richtig.
In den vergangenen 20 Jahren wurde die Grundsicherung immer wieder reformiert, es gab über 100 gesetzliche Änderungen. Die letzte große Reform war die Bürgergeldreform im Jahr 2023. Auch diese hat zu großen gesellschaftlichen und politischen Debatten rund um das Grundsicherungssystem geführt. Aus meiner Sicht ist ein zentraler Leitgedanke der Grundsicherung: Wir brauchen ein System, mit dem wir arbeitslose Menschen nicht nur finanziell unterstützen, sondern vor allem arbeitsuchenden Menschen dabei helfen, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
Ein solches System funktioniert nicht voraussetzungslos. Es braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Wer das System finanziert, muss das Gefühl haben und überzeugt sein, dass mit den von der Gemeinschaft aufgebrachten Mitteln verantwortungsvoll umgegangen wird. Wir müssen immer die Perspektive der Personen einbeziehen, die eine solche Unterstützung durch Steuern und Abgaben finanzieren. Ein solches System braucht ebenso Mitwirkungsbereitschaft: Wer das System in Anspruch nimmt, muss wissen, dass es vorrangig um Hilfe zur Selbsthilfe geht. Niemand wird alleingelassen. Aber alle müssen das Ziel haben, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Diese beiden Perspektiven umschreiben wir mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“. Sie gehören zusammen wir die zwei Seiten einer Medaille.
Nicht alle Ideen der Bürgergeldreform werden diesen Prinzipien gerecht und wurden daher erheblich kritisiert. Es fehlten Verbindlichkeit und klare Grenzen. Es ist nicht vertretbar gegenüber denjenigen, die die Unterstützung finanzieren, wenn einige sich konsequent und dauerhaft der Mitwirkung verweigern – ohne größere Einbußen. Auch wenn das sicher nicht die Masse der Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger ist, so genügen Einzelfälle, um die Bereitschaft bei den vielen anderen zu untergraben.
Weit über das Ziel hinausgeschossen sind auch die Karenzzeiten beim Vermögen und den Unterkunftskosten sowie das Schonvermögen. Natürlich müssen Lebensleistungen berücksichtigt werden. Aber dort, wo keine Lebensleistung dahintersteht, wo Vermögen aus anderen Gründen vorhanden ist, wo ein Lebensstil den Rahmen einer Grundsicherung sprengt, müssen auch Grenzen gezogen werden.
Folglich bin ich der festen Überzeugung, dass wir die Weichen bei der Grundsicherung wieder in Richtung „Fördern und Fordern“ stellen müssen und es eine Revision des SGB II braucht. Die neue Bundesregierung wird hierzu Vorschläge vorlegen müssen.
Alleine dieser Blick auf die Entwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in den vergangenen 20 Jahren zeigt, wie agil und flexibel die Jobcenter agieren mussten und müssen. Hinzu kamen multiple Krisen, von der Finanzkrise über die Flüchtlingskrise 2015/2016 und die Pandemie bis hin zum Krieg in der Ukraine. Die Jobcenter stehen hier stets in der ersten Reihe und helfen dabei, Krisen zu bewältigen und Menschen in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen.
In dieser Agilität liegt aus meiner Sicht einer der größten Stärke gerade unserer kommunalen Jobcenter in Baden-Württemberg. Hier sind für die Bürgerinnen und Bürger die Wege zwischen den verschiedenen Ansprechstellen in den Landratsämtern sehr kurz bzw. manchmal nur eine Tür voneinander entfernt. Hilfe und Unterstützung gibt es aus einer Hand und verschiedene Lebenslagen werden zusammengedacht. Diese Agilität zeigt sich gerade auch in Krisenzeiten, in denen in kürzester Zeit neue Lösungen gefunden werden müssen, die zu den örtlichen Gegebenheiten passen. Ich bin daher sehr froh, dass wir in Baden-Württemberg mit unseren elf kommunalen Jobcentern eine starke kommunale Position im SGB II haben.
In Baden-Württemberg wird aber auch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen gemeinsamen Einrichtungen und kommunalen Jobcentern gelebt, sowohl unterjährig als auch bei der gemeinsamen Tagung Forum SGB II. Vom fachlichen und persönlichen Austausch profitieren alle Seiten. Auch wir als Land sind gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden in ständigem Austausch mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Baden-Württemberg. Diese gute Zusammenarbeit zwischen kommunaler und „BA-Welt“ ist bundesweit keine Selbstverständlichkeit, gerade nach den Anfangsjahren der Hartz IV-Reform, in der sich die kommunalen Jobcenter zunächst als vermeintlich konkurrierende Organisationsform behaupten mussten. Daher bin ich sehr dankbar, dass wir in Baden-Württemberg das Thema Jobcenter gemeinsam angehen, das ist ein wichtiger Baustein für den Erfolg. Sowohl die gemeinsamen Einrichtungen als auch die kommunalen Jobcenter haben sich in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich bewährt. Damit stellt sich die Organisationsfrage aus meiner Sicht überhaupt nicht mehr.
Mir ist sehr bewusst, wie angespannt die Lage aktuell in den Jobcentern ist. Die finanzielle Ausstattung durch den Bund ist schon lange nicht mehr auskömmlich und die Jobcenter müssen mit immer weniger Mitteln haushalten. Ein wichtiger Schritt, um mit den begrenzten finanziellen Ressourcen zukünftig auszukommen, ist sicherlich die fortschreitende Digitalisierung der Verwaltung. Viele Jobcenter sind zwar schon auf einem guten Weg und bereits digital erreichbar, teilweise sogar über eine App, aber es wird natürlich darauf ankommen, sich ständig an die neuen Entwicklungen anzupassen und für die Bürgerinnen und Bürger ein nutzertaugliches, einfaches digitales Zugangssystem zur Verfügung zu stellen. Spannend dürfte sicherlich auch werden, in wie weit durch KI Verwaltungsabläufe vereinfacht werden können.
Gerade auf die kommunalen Jobcenter dürften große Herausforderungen zukommen, um mit den Digitalisierungsprojekten der Bundesagentur für Arbeit Schritt halten zu können. Ich kann nur dafür werben, sich zu vernetzen, wo möglich zusammenzuarbeiten und Ressourcen zu bündeln, um diese große Zukunftsaufgabe gemeinsam anzugehen. Daher stehen wir als Land auch hinter der Idee der Sozialplattform.
Für die Jobcenter wird es in Zukunft trotz Digitalisierung wichtig sein, persönliche Anlaufstellen in der Fläche vorzuhalten. Die wesentliche Aufgabe der Jobcenter, nämlich die Beratung und Unterstützung von Menschen bei der Arbeitsmarktintegration, setzt persönliche Kontakte voraus. Und in einem Flächenland wie Baden-Württemberg dürfen die Wege für die Bürgerinnen und Bürger nicht zu lang werden.
Auch als Land ist es uns wichtig, in Ergänzung zu den Jobcentern arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu fördern. Mit unserer Landesarbeitsmarktprogramm „Neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ und den Bausteinen BeJuga, Arbeitslosenberatungszentren, Netzwerk Teilzeit und Ideenwettbewerb leisten wir einen Beitrag zur Unterstützung arbeitsloser Menschen in Baden-Württemberg. Ich bin den Jobcentern für ihre gute Zusammenarbeit mit unseren Projektträgern sehr dankbar.
Trotz einer der niedrigsten Arbeitslosenquoten im Bundesgebiet wird aktuell der Südwesten durch die lang anhaltende Konjunkturflaute und den Strukturwandel im Automobilsektor überdurchschnittlich belastet. Insbesondere Langzeitarbeitslose haben es aktuell schwer, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen, da Unternehmen eher mit Stellenabbau als mit Neueinstellungen planen. Zuverlässige Aussagen über die Arbeitsmarktentwicklung sind aufgrund der vielen Unsicherheiten derzeit kaum möglich.
Ich fürchte daher, den Jobcentern wird auch in Zukunft die Arbeit nicht ausgehen. Da ich aus der Vergangenheit weiß, wie gut unsere Jobcenter in Baden-Württemberg Krisen bewältigen, bin ich überzeugt, dass diese Aufgabe in guten Händen ist.