Ein Themenpapier des Deutschen Landkreistages

Aktivierende Alterspolitik der Landkreise

Eine aktive und vorausschauende Alterspolitik der Landkreise verbessert die soziale Infrastruktur für ältere Menschen und ihre Angehörigen. Der Beitrag stellt das Themenpapier des Deutschen Landkreistages „Handlungsfelder für eine aktivierende Alterspolitik der Landkreise“ vor.
Dr. Irene Vorholz · Deutscher Landkreistag · 06. Oktober 2023
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1. Selbstbestimmung und Teilhabe

Ältere Menschen sind heute so gesund und materiell gut gestellt wie keine Generation vor ihnen. Sie verfügen über ein breites Spektrum an Erfahrungen, Wertevorstellungen und Orientierungen und sind eine heterogene soziale Gruppe. Zugleich steigen mit zunehmendem Alter die Unterstützungsbedarfe. Für alle geht es darum, ihre Selbstbestimmung und Teilhabe an der Gesellschaft zu sichern. Daher ist von großer Bedeutung, dass Hilfen nicht erst dann ansetzen, wenn eine Selbstversorgung nicht mehr möglich ist, sondern schon weit vorher greifen. Hier gibt es eine Fülle unterschiedlicher Unterstützungsangebote. Wichtig ist, dass sie frühzeitig in Anspruch genommen werden, um die Lebenssituation so weit wie möglich verbessern zu können. Dies gilt insbesondere für die zunehmenden gerontopsychiatrischen Erkrankungen.


2. Altersgerechte Dienstleistungen

Soziale und hauswirtschaftliche Dienstleistungen wie handwerkliche Hilfsdienste, Fahr-, Besuchs- und Essensdienste, Unterstützung rund ums Haus und bei alltäglichen Verrichtungen ermöglichen vielfältige Unterstützung für ältere Menschen. Für generationenübergreifende bzw. intergenerative Maßnahmen eignen sich Mehrgenerationenhäuser, Familienzentren, lokale Bündnisse für Familien etc., die auf unterschiedliche Weise unter einem organisatorischen Dach verschiedene Dienstleistungen anbieten. Zunehmend werden wieder Sozialstationen und Gemeindeschwestern gefördert, die in ländlichen Räumen gleichfalls kooperativ Hilfe erbringen.

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3. Flexible Altenhilfestrukturen

Durch Beratungs- und Koordinierungsstellen, ambulante Hilfen und die strukturelle Vernetzung von Angeboten kann es älteren, behinderten oder pflegebedürftigen Menschen ermöglicht werden, länger ein selbstständiges Leben in der eigenen Häuslichkeit zu führen. Die Angebote werden über den sozialen Bereich hinaus mit dem Wohnumfeld und Mobilitätsangeboten wie dem ÖPNV verbunden. Denn die Sicherstellung der Mobilität ist für ältere Menschen oftmals von herausragender Bedeutung.

Die Altenhilfe wird von den Landkreisen als übergreifende, präventiv ausgerichtete und sozialraumorientierte Angebots- und Infrastrukturentwicklung verstanden und umgesetzt. Zugehende Beratung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft ist dabei eine weitere Möglichkeit. Dieser Gesamtansatz setzt die ständige Analyse der sich wandelnden Bedarfs- und Versorgungssituation sowie die Fortschreibung einer flexiblen und dynamischen Infrastrukturplanung voraus. Zugleich ist die Steuerung der Landkreise in der Altenhilfe sowie der Hilfe zur Pflege zu verstärken. Rechtlicher Änderungen bei der Altenhilfe bedarf es nicht. Sie ist Pflichtaufgabe und wird von den Landkreisen vielfältig umgesetzt.


4. Digitalisierung

Bei der Gestaltung digitaler Angebote und Dienstleistungen für ältere Menschen sind die Landkreise wichtige Akteure. Die ganz überwiegende Zahl der Landkreise stellt sich den Herausforderungen der digitalen Transformation seit Jahren in einem strukturierten, ganzheitlichen Vorgehen und berücksichtigt die Digitalisierung in den Kreisentwicklungsplänen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Digitalisierungsstrategien für die Aufgabenbereiche Gesundheit und Soziales. Je nach den konkreten Erfordernissen können digitale Technologien zur Vernetzung im Sozialraum beitragen und so helfen, älteren Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern und den Abbau bestehender Infrastrukturen zu kompensieren. Dabei muss jeder Landkreis eine für die eigenen Voraussetzungen passende Digitalisierungsstrategie (weiter-)entwickeln. Vor allem in ländlichen Räumen sollten Ansätze der digital gestützten kommunalen Daseinsvorsorge gemeindeübergreifend konzipiert werden.

Die Digitalisierungsprojekte reichen von App-basierten Mitfahrdiensten über Lieferservices lokaler Läden oder Apotheken bis zu digitalen Angeboten im Bereich der Pflege und eHealth. Dafür muss flächendeckend der Ausbau von Breitband und Mobilfunk vorangetrieben werden.

Es liegt in der Hand der Betroffenen, digitalen Technologien offen zu begegnen und sie zu nutzen. Die Praxis zeigt, dass die ältere Generation überwiegend digital kompetent ist und die Zahl der digital affinen Älteren immer größer wird. Dabei sollte Digitalisierung als Entwicklung betrachtet werden, die den Austausch zwischen den Generationen substanziell fördern kann.
 

5. Fundierte Beratung

Unbeschadet der vielfältigen Potenziale der Digitalisierung bleibt die persönliche Beratung unvermindert wichtig. Beratungsstellen in den Landkreisen informieren ältere Menschen und ihre Angehörigen über die im Landkreis zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie, der Pflegeleistungen und weiterer Hilfeangebote. Die (Pflege-)Wohnberatung ermöglicht es, das häusliche Umfeld so zu gestalten, dass ein Verbleib in der eigenen Wohnung möglichst lange möglich ist. Auch der Allgemeine soziale Dienst oder der Sozialpsychiatrische Dienst des Landkreises berät und unterstützt gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen und ihre Angehörigen oder Personen im näheren Umfeld. Diese Angebote werden komplettiert durch die Information über die Leistungen der Pflegeversicherung, etwaige Ansprüche nach dem Schwerbehindertengesetz oder dem Landesblindengeldgesetz, dem Bundesteilhabegesetz, rentenrechtliche Ansprüche, weitere Sozialleistungen etc.

Wichtig ist, dass die Beratung anbieterunabhängig erfolgt. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist die kultursensible Altenhilfe wichtig.
 

6. Gesundheitsförderung und Prävention

Gesundheitsförderung und gesundheitliche Prävention haben einen hohen Stellenwert für jeden Einzelnen sowie für die Gesellschaft. Es gilt, Krankheiten zu vermeiden, die kognitiven Fähigkeiten zu erhalten und physisch wie psychisch vital zu bleiben. Darin liegt nicht zuletzt der Schlüssel für eine aktive Lebensführung im Alter, z. B. durch Freizeit-, Gesundheits-, Kommunikations- und Bildungsangebote. Über den Öffentlichen Gesundheitsdienst, aber insbesondere auch über die Krankenkassen werden zur Ergänzung dessen vielfältige Maßnahmen der Gesundheitsförderung und der gesundheitlichen Prävention angeboten. Prävention muss gegenüber Behandlung, Rehabilitation und Pflege weiter gestärkt werden. In Zusammenarbeit mit (Kreis-)Krankenhäusern und deren Sozialdiensten und Reha-Kliniken kommt es darauf an, eine sinnvolle Überleitung für kranke oder pflegebedürftige Menschen nach dem Krankenhausaufenthalt oder der Reha-Maßnahme sicherzustellen.

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7. Neue Wohnformen

Sind Verbleib und Betreuung in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus nicht mehr möglich, kommen andere Wohn- und Betreuungsformen wie z. B. Hausgemeinschaften, ambulant betreute Wohngemeinschaften oder betreutes Wohnen in Betracht. Aber auch die klassische Heimbetreuung muss unter Berücksichtigung des individuellen Bedarfs weiterhin zur Verfügung stehen.


8. Bürgerschaftliches Engagement

Ohne die Mobilisierung bürgerschaftlichen Engagements wird die notwendige Stärkung von Unterstützungsleistungen für ältere Menschen nicht möglich und nicht finanzierbar sein. Daher kommen der netzwerkorientierten Gemeinwesenarbeit und dem Ehrenamt große Bedeutung zu, sowohl demjenigen älterer Menschen selbst als auch dem Engagement für ältere Menschen. Durch aktive Einbindung Älterer (Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten, Tätigkeitsfelder im Ehrenamt, Qualifizierungs- und Bildungsmaßnahmen etc.) können ihre Ressourcen für ein gesellschaftliches Engagement genutzt, ihre Aktivierung gefördert und zugleich Vereinsamungsprozessen vorgebeugt werden.

Die Landkreise unterhalten vielfältige Strukturen zur Stärkung und Begleitung des Ehrenamts. Freiwilligenagenturen, Ehrenamtsbörsen, Seniorenbüros und auch die Kreisvolkshochschulen leisten hier seit Jahren eine wichtige Arbeit.


9. Unterstützung Angehöriger

Die weit überwiegende Mehrheit der pflegebedürftigen Menschen (84 %) wird nach wie vor zu Hause gepflegt, fast die Hälfte davon ausschließlich durch Angehörige. Die Landkreise erbringen familienentlastende und familienunterstützende, auch regenerativ wirkende Unterstützungsangebote, die es Familien erleichtern, ihre Angehörigen zu betreuen und zu pflegen. Zugleich muss die Einzelfallkompetenz betreuender und pflegender Angehörigen gefördert werden, um die Pflegebereitschaft im häuslichen Umfeld zumindest zu erhalten, wenn nicht zu erhöhen. Pflegewissenschaftliche Erkenntnisse sollten so weit wie möglich auch in die familiären und ehrenamtlichen Strukturen getragen werden.


10. Grundsicherung im Alter

Wer kein ausreichendes eigenes Einkommen und Vermögen hat, hat Anspruch auf Grundsicherung im Alter. Die Landkreise übernehmen den notwendigen Lebensunterhalt, eine angemessene Miete, etwaige Mehrbedarfe, z.B. bei einer Gehbehinderung, sowie die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und Vorsorgebeiträge. Dies gilt auch bei einer stationären Betreuung im Pflegeheim. Ein Rückgriff auf unterhaltspflichtige Angehörige erfolgt dabei erst ab einem Jahreseinkommen über 100.000 €.


11. Betreuungsrecht

Wer seine Angelegenheiten nicht mehr selbstbestimmt regeln kann, dem wird ein vom Gericht bestellter rechtlicher Betreuer zur Seite gestellt. Als örtliche Betreuungsbehörden klären die Landkreise über Vorsorge in Form der Vorsorgevollmacht und die Betreuungsverfügung auf und beraten und unterstützen die vorrangig ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer. Liegen Anhaltspunkte für einen Betreuungsbedarf vor, vermitteln die Landkreise andere Hilfen, die eine rechtliche Betreuung vermeiden können. Die zum 1.1.2023 in Kraft getretene Betreuungsrechtsreform hat die Selbstbestimmung der betreuten Menschen gestärkt und den Betreuungsbehörden z. B. mit der Registrierung der Berufsbetreuer neue Aufgaben übertragen.


12. Wirkungsvolles Verbundsystem

Die unterschiedlichen Angebote, insbesondere die Beratungs-, Begleitungs- und Entlastungsangebote, werden im Landkreis koordiniert und vernetzt. Wichtig ist ein Verbundsystem von begleitenden und unterstützenden Angeboten – in Kombination mit den kreislichen Kompetenzen für die Hilfe zur Pflege, die Altenhilfe, die Daseinsvorsorge, das bürgerschaftliche Engagement, die Krankenhäuser, den Öffentlichen Gesundheitsdienst etc. Dieses breite Spektrum wird idealerweise in einem seniorenpolitischen oder generationenübergreifend in einem sozialpolitischen Konzept mit der Kreisentwicklungsplanung zusammengeführt.

Um eine bedarfsgerechte und sozialraumorientierte Infrastruktur auch in der Pflege zu erhalten oder zu entwickeln, muss darüber hinaus eine wirkungsvolle Pflegeinfrastrukturplanung der Landkreise ermöglicht werden, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren kann. Bislang schließt die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag mit dem Betreiber, auch wenn das Pflegeheim in der Kreispflegeplanung nicht vorgesehen ist. Zugleich ist in ländlichen Räumen eine wohnortnahe Versorgung nicht mehr überall gewährleistet. Die Kreispflegeplanung muss daher bei der Zulassung von Pflegeheimen und ambulanten Diensten verbindlich berücksichtigt werden. Hierfür bedarf es gesetzlicher Grundlagen im SGB XI sowie in den Landespflegegesetzen.

Fazit:

Eine aktive und vorausschauende Alterspolitik der Landkreise als maßgeblich verantwortliche kommunale Ebene verbessert die soziale Infrastruktur, die Unterstützungsleistungen und das Umfeld für ältere Menschen und ihre Angehörigen. Je nach sachlicher Zuständigkeit sind Schwerpunkte möglich bzw. ergeben sich Verschiebungen zu anderen Leistungsträgern, mit denen die Landkreise partnerschaftlich zusammenarbeiten. Entscheidend sind immer die konkreten Umstände und Bedarfe vor Ort. Dies setzen die Landkreise mit großem Engagement und Kreativität um.

Zum Themenpapier des Deutschen Landkreistages: "Handlungsfelder für eine aktivierende Alterspolitik der Landkreise "Aktivierende Alterspolitik"  

Dr. Irene Vorholz ist Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Landkreistages
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