Dauerthema Pflege

Altenhilfefachberatung und Altenhilfeplanung in den Landkreisen

Ein Gespräch mit Martin Erdmann (Landkreis Heilbronn) und Robert Müller (Landkreis Lörrach). Beide waren bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2023 bzw. 2022 über Jahrzehnte für die Altenhilfeplanung verantwortlich und prägende Konstanten in der Netzwerkarbeit des Landkreistages.
Daniel Werthwein · Landkreistag Baden-Württemberg · 06. Oktober 2023
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Bereits die ersten Empfehlungen des Landkreistages Baden-Württemberg zur Einrichtung einer Altenhilfefachberatung in den Landkreisen aus dem Jahr 1977 beschreiben die Zuständigkeit und damit die Leitfunktion der Landkreise in diesem Bereich. Die Arbeitsgemeinschaft Altenhilfefachberatung unter dem Dach des Landkreistags ermöglicht den Fachkräften einen strukturierten Austausch. Bei den zweimal jährlich stattfindenden Arbeitstagungen ist die zuständige Referatsleitung des Sozialministeriums ständiger Gast. Die alle zwei Jahre stattfindende zweitägige Klausurtagung greift aktuelle Themen auf und stellt den Transfer mit Vertretern der Praxis und Wissenschaft sicher.


Wie sind Sie zu Ihrer Aufgabe in der Altenhilfe gekommen?

Martin Erdmann: Nach 4 Jahren beim ASD des Jugendamtes bot sich die Chance, die freiwerdende Stelle der Altenhilfe-Fachberatung – damals noch Kreisaltenberater – zu übernehmen. Dabei konnte ich an meinen damaligen Studienschwerpunkt Erwachsenenbildung/Altenarbeit anknüpfen.

Robert Müller: Ich habe an der damaligen staatl. Fachhochschule für Sozialwesen in Mannheim von 1978 – 1982 Sozialpädagogik studiert und meine Diplomarbeit zum Thema „Altenbildung als Lebenshilfe“ geschrieben. Als mir eine Stellenausschreibung als Kreisaltenberater im Landkreis Lörrach in die Hände kam, habe ich mich dafür zusammen mit meiner späteren Frau beworben und wir erhielten beide einen Arbeitsvertrag zu je 50%.


Wo lagen Ihre Aufgabenschwerpunkte und haben diese sich über die Jahre verändert?

Martin Erdmann: Die 35 Jahre meiner Tätigkeit als Altenhilfe-Fachberater und Altenhilfeplaner waren geprägt von 3 großen Kreispflegeplänen und Teilfortschreibungen. Mit der Verabschiedung eines Planes fing die Arbeit erst an. Der Arbeitsauftrag und die damit verbundene Begleitung initiierter Projekten begleitete mich oft über Jahrzehnte. In den 1990er Jahren lag ein Schwerpunkt beim Aufbau eines kreisweiten Beratungsnetzwerkes für alte und pflegebedürftige Menschen, den IAV-Stellen (Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstellen). In den 2000er Jahren stand der Ausbau der wohnortnahen stationären Pflege und die Qualitätsentwicklung in der Pflege im Vordergrund. Die Kreispflegeplanung ab Mitte der 2010er Jahre trug den Untertitel „sorgende Gemeinschaft als Herausforderung für die Kommunen“ und führte zu verstärkter Zusammenarbeit und Austausch mit den Gemeinden. 

Ein Aufgabenschwerpunkt lag über alle Jahre in der Vernetzung der verschiedenen Akteure im Landkreis, dem gegenseitigen Austausch, deren Unterstützung und der Organisation kreisweiter Aktionen. Zur Vernetzung trug auch die Herausgabe eines Info-Dienstes bei, den ich für Interessierte aus der Seniorenarbeit und Altenpflege 3 mal jährlich herausgegeben habe. 

Deutlich verändert haben sich die Dimensionen. Während die Einwohnerzahl unseres Landkreises in 35 Jahren um ein Drittel gewachsen ist, hat sich die Zahl der 85-Jährigen und älteren vervierfacht. Ebenso vervierfacht hat sich die Platzzahl in den Pflegeheimen.

Robert Müller: Die Arbeitsschwerpunkte haben sich über die annähernd 40 Jahre beim Landkreis Lörrach erheblich verändert. Zu Anfang ging es schwerpunktmäßig um die offene Altenarbeit. Aber auch die Altenhilfeplanung spielten damals schon eine Rolle. So war eine meiner ersten Aufgaben, im Jahr 1983 den in Arbeit befindlichen Kreisaltenhilfeplan zu vervollständigen. Mit den Jahren gewann die Altenhilfeplanung zunehmend an Bedeutung in meinem Arbeitsfeld. Ende der 80er Jahre wurde unsere Stelle in „Kreis-Altenhilfe-Fachberatung“ umbenannt. Der Landkreis Lörrach folgte damit den Empfehlungen zur Altenhilfe des Landkreistags aus dem Jahr 1987, die im wesentlichen darauf abzielten, die strukturelle Entwicklung in der Altenhilfe in den Kreisen voranzubringen. Ende der 80er Jahre wechselte meine Frau vom Landkreis zur Stadt Lörrach und ich nahm die Aufgabe beim Landkreis ab diesem Zeitpunkt alleine wahr.


Wie würden Sie die Situation vor Ort beschreiben – was ist gelungen?

Martin Erdmann: Der Landkreis Heilbronn verfügt heute über breit aufgestellte, gut kooperierende Beratungsstrukturen für alte und für pflegebedürftige Menschen mit einem stabilen Netzwerk von einem ausgebauten Pflegestützpunkt und 10 IAV-Stellen. An der Finanzierung sind neben den Pflegekassen und dem Landkreis auch die Gemeinden beteiligt.

Aus einem Modellversuch zur Qualitätssicherung in der stationären Pflege im Vorfeld der Einführung der Pflegeversicherung haben wir als Landkreis mit interessierten Heimträgern über 20 Jahren einen Qualitätssicherungsverbund moderiert, der in Fachkreisen bundesweit Beachtung fand. Er hat auch Maßstäbe in der Qualität der stationären Pflege im Landkreis gesetzt.

Durch den Kreispflegeplan 2001 wurde der Gerontopsychiatrische Schwerpunkt mit eine breiten Fortbildungsangebot für MitarbeiterInnen in der Pflege und für ehrenamtlich Engagierte aufgebaut. Seit diesem Jahr ist er auch Motor eines neuen Netzwerkes Demenz Landkreis Heilbronn, bei dem sich insbesondere Gemeinden beteiligen, die das Thema im Rahmen ihrer Quartiersarbeit aufgreifen wollen.

Robert Müller: Der Landkreis hat die Neuordnung der ambulanten Hilfen in den 90er Jahren umgesetzt, obwohl das Sozialministerium sich schon nach kurzer Zeit von dem von ihm selbst initiierten Projekt zurückzog. Die damals eingerichteten Austauschformate (regionale Arbeitsgemeinschaften Ambulante Hilfen) existieren bis heute und gehen jetzt in die Kommunale Pflegekonferenz über. Die Bedarfsplanung in der stationären und teilstationären Altenhilfe auf der Grundlage landesweit abgestimmter Bedarfseckwerte hat sich bewährt, wenn auch durch die Umstellung von der Objekt- zur Subjektförderung als mittelbare Folge des Pflegeversicherungsgesetzes der Einfluss der Landkreise auf die Entwicklung des Platzangebots stark zurückgegangen ist. Die Selbststeuerung des Pflegemarktes durch Angebot und Nachfrage wird vor allem durch den Fachkräftemangel defacto außer Kraft gesetzt. Die Digitalisierung in der Altenhilfe ist heute allenthalben nicht mehr wegzudenken.


Wo sehen Sie den größten Handlungsdruck der Politik?

Martin Erdmann: Der größte Handlungsdruck liegt aus meiner Sicht in der Sicherstellung des Personals in der Pflege, aber auch der künftigen Finanzierung der Pflege. Der erforderliche weitere Ausbau unserer Versorgungsstrukturen und die Sicherung bestehender Strukturen und Standards kann nur gelingen, wenn dazu ausreichend Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Dazu gibt es eine Vielzahl von Bausteinen und Ansätzen, die aber auf allen Ebenen zielstrebig verfolgt und mit einander verzahnt werden müssen. Gefordert sind die Politik auf Bundes- und Landesebene, die Verantwortlichen auf kommunaler Ebene, die Pflegeeinrichtungen und -schulen. Notwendig ist ein enger Schulterschluss vor Ort, auch mit den jeweiligen Koordinierungsstellen für Pflegeberufe. 

Robert Müller: Ich sehe nach wie vor eine gemeinsame Verantwortung von Land, Stadt- und Landkreisen und der Pflegeversicherung für die bedarfsgerechte pflegerische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger. Diese sicherzustellen ist für mich die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre. Die Bürger haben im Versicherungsfall ein Recht darauf, die Leistungsansprüche aus der Pflegeversicherung, für die sie jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben, einlösen zu können. Der Fachkräftemangel in der Pflege ist wie in vielen anderen Bereichen ein zentrales Problem. Ohne eine qualifizierte Zuwanderung wird er nicht zu bewältigen sein. Bürokratische Hürden, die professionelle pflegerische und hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen durch Einzelpersonen erschweren bzw. verhindern, sollten abgebaut werden. Die Pflege darf nicht zum Renditeobjekt werden. Derartigen Bestrebungen von Leistungsanbietern gilt es entschieden zu begegnen. Angesichts der schnellwachsenden Zahl älterer Menschen gerät die Generationensolidarität in Gefahr. Die junge Generation darf nicht durch ihren Beitrag zu den Sozialleistungen überfordert werden. Jungrentner könnten die Möglichkeit erhalten, solange sie es möchten in einem frei gewählten Umfang steuerbegünstigt weiterzuarbeiten.

Informationen zu den Gesprächspartnern

Martin Erdmann:
Jahrgang 1958, Dip. Sozialpädagoge (FH), 1988 – 2023 Altenhilfe-Fachberater beim Landratsamt Heilbronn

Robert Müller:
Jahrgang 1956, 1976 Abitur in Weinheim a.d.B., 1978 – 1982 Ausbildung zum Diplom-Sozialpädagogen an der staatl. Fachhochschule für Sozialwesen in Mannheim, 1982 – 2022 Altenhilfe-Fachberater beim Landratsamt Lörrach, seit 2022 in geringfügiger Beschäftigung IT-Coach für das Sozialdezernat des Landratsamts Lörrach

Daniel Werthwein ist Referent für Pflege, Integration und soziale Sicherung beim Landkreistag Baden-Württemberg
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