Verfahrenslotsinnen und -lotsen

Familien mit beeinträchtigten Kindern werden nicht alleine gelassen

Der Weg zu Sozialleistungen kann undurchsichtig sein. Gerade junge Menschen, die schon durch körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigungen belastet sind, brauchen hierbei Unterstützung. Das gilt auch für ihre Familien. Dazu wurden im Landratsamt Karlsruhe Verfahrenslotsinnen und -lotsen aufgestellt.
Janina Keller-Raviol · Landkreis Karlsruhe · 05. Juli 2024
Mit den Verfahrenslotsinnen und -lotsen unterstützt das Landratsamt Familien und junge Menschen bei ihren rechtlichen Ansprüchen.
Mit den Verfahrenslotsinnen und -lotsen unterstützt das Landratsamt Familien und junge Menschen bei ihren rechtlichen Ansprüchen.
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Für Fachexpertinnen und -experten ist es einfacher, sich zwischen Anträgen, rechtlichen Voraussetzungen und möglichen Ansprüche zurechtzufinden. Alltag sind diese Themen für die meisten jungen Menschen und Familien aber nicht. Das Landratsamt Karlsruhe legt daher einen großen Schwerpunkt darauf, die Jugendhilfe so auszurichten, dass Unterstützung auch wirklich bei den Betroffenen ankommt. Dieses Vorhaben spiegelt sich besonders in den neuen Verfahrenslotsinnen und -lotsen wieder. Junge Menschen, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung nur eingeschränkt am täglichen Leben teilnehmen können, oder auch deren Eltern oder Erziehungsberechtigte werden an die Hand genommen. Sie sollen unkompliziert und zeitnah die notwendigen Hilfestellungen erhalten, die sie benötigen, um angemessene und passsende Leistungen für sich oder die Kinder beantragen zu können.
 

Anspruch ist rechtlich geltend

Das Unterstützungsangebot gilt für junge Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe geltend machen können aufgrund einer Behinderung oder noch bevor diese eintritt. Aber auch ihre Mütter, Väter, Personensorge und Erziehungsberechtigten haben Anspruch darauf, unterstützt zu werden, wenn sie Anträge stellen, Leistungen verfolgen oder wahrnehmen möchten. Eine Verfahrenslotsin oder ein Verfahrenslotse steht ihnen dabei unabhängig zur Seite und wirkt gemeinsam mit ihnen darauf hin, alle Rechte in Anspruch zu nehmen. Sie sind in der örtlichen Jugendhilfe angegliedert. Bereits bevor eine Unterstützung dieser Art seit dem Inkrafttreten des §10b SGB VIII Pflicht ist, hat der Landkreis Karlsruhe  im Sommer 2023 auf ein solches Angebot hingewirkt.

 

Der Landkreis Karlsruhe entscheidet sich schon im Sommer 2023 dazu, das Angebot der Verfahrenslotsinnen und -lotsen zu etablieren.
Der Landkreis Karlsruhe entscheidet sich schon im Sommer 2023 dazu, das Angebot der Verfahrenslotsinnen und -lotsen zu etablieren.
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Fachliches Wissen wird mit Betroffenen geteilt

„Das konkrete Ziel der Verfahrenslotsinnen und -lotsen ist es, die Selbständigkeit der betroffenen jungen Menschen und deren Familien zu stärken. Sie bilden ein Vertrauensverhältnis aus, auch dadurch, dass sie sich Zeit nehmen über die Probleme und Herausforderungen zu sprechen“, erklärt Margit Freund, Sozialdezernentin im Landratsamt Karlsruhe. „Gerade wenn noch keine Erfahrungen mit einer Behinderung gemacht wurden, ist diese Hilfestellung nicht nur für den Alltag, aber auch für das seelische Wohlbefinden enorm wichtig.“

Dabei gehe es um Orientierung im Hilfesystem der Eingliederungshilfe, aber eben auch um Wissen über rechtliche Voraussetzungen und Grundlagen. „Oftmals hilft es den Menschen schon, wenn wir erklären oder übersetzen, was in komplizierter Ausdrucksweise in den Bescheiden steht“, ergänzt die Sozialdezernentin.
 

Landesweites Netzwerk aus 17 Jugendämtern

Anfang des Jahres 2024 nahmen im Landratsamt Karlsruhe die ersten zwei Verfahrenslotsinnen ihre Arbeit auf. Sie stammen fachlich aus dem Jugendamt sowie aus dem medizinischen und sozialrechtlichen Bereich. Eingehende Anfragen werden nach Kapazität aufgeteilt. Durch interne Hospitationen und einen regelmäßigen Austausch mit den Fallmanagerinnen und Fallmanagern der Eingliederungshilfe sowie beim Allgemeinen Sozialen Dienst wird Hintergrundwissen zum jeweiligen Verfahrensablauf erworben. Erste Kooperationsgespräche fanden mit Mitarbeitenden der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) und der Lebenshilfe e.V. statt. Weitere Impulse wurden unter anderem durch den Online-Kurs „Verfahrenslotse“ vom Institut für das Recht der Sozialen Arbeit (IReSA) gegeben.

Zudem haben die beiden Mitarbeiterinnen bereits ein Austauschtreffen von Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen aus ganz Baden-Württemberg initiiert. In regelmäßigen Abständen treffen sich diese seither zum kollegialen Austausch in den Jugendämtern. Seit dem vergangenen Jahr wächst das Netzwerk stetig. Momentan besteht dieses aus 28 Mitgliedern aus 17 Jugendämtern.

„Die Verfahrenslotsinnen haben viel dafür getan, ihre Aufgaben transparent zu machen und damit auch dafür zu sorgen, dass Familien davon erfahren“, betont Dominik Weiskopf, Leiter des Jugendamts im Landratsamt Karlsruhe. Die Informationswege für die betroffenen Menschen seien vielfältig. Die Arbeit der Verfahrenslotsinnen wird auf der Homepage des Landratsamtes präsentiert, es gibt einen Info-Flyer, Presseartikel, aber auch persönliche Vorstellungen bei den zentralen Anlaufstellen. „Wir haben so bereits rund 100 Kontakte zu jungen Menschen und deren Familien, welche von einer Beeinträchtigung oder Behinderung betroffen sind, sowie zu Fachkräften geschaffen", zieht der Jugendamtsleiter ein erstes Fazit.
 

Kontakt ist über viele Wege möglich

Die Kontaktaufnahmen und Beratungen erfolgten überwiegend telefonisch. Dabei ging es hauptsächlich um die „Orientierungsberatung“, „Unterstützung und Begleitung im laufenden Hilfeprozess“, „Unzufriedenheiten im laufenden Verfahren“, „Verständnis und Sprachschwierigkeiten“ sowie „Hilfe bei der Antragsstellung“. Oftmals konnte die Familie nach einem Beratungsgespräch bereits an das zuständige Amt und die zuständige Mitarbeitende vermittelt werden. Im Durchschnitt hatten die Verfahrenslotsinnen pro Familie drei Kontakte.

In einem Erstgespräch geht es darum, das Anliegen zu erfahren. Im gemeinsamen Gespräch entsteht ein erster Einblick in die persönliche Situation und die Herausforderungen im Alltag. Danach wird gemeinsam geklärt, wie die Verfahrenslotsinnen zukünftig unterstützen können. Es sind aber auch Beratungen per Video, im eigenen Zuhause oder vor Ort im Landratsamt sowie seinen Außenstellen möglich.

Janina Keller-Raviol arbeitet im Büro des Landrats des Landratsamts Karlsruhe
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