Der Landkreis Reutlingen ist mit einer hervorragenden flächendeckenden palliativen Versorgung ausgestattet, um die sich ein gut gepflegtes und sehr aktives Netzwerk kümmert. Das 2015 gegründete Palliativ-Netzwerk Landkreis Reutlingen – angedockt an das Sozialdezernat und die Altenhilfefachberatung des Landratsamts – setzt sich für das Recht jedes Menschen auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen ein. 2018 unterschrieb der Landkreis die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ und bekannte sich damit explizit zu seiner Aufgabe der Daseinsfürsorge.
Die palliative Versorgung im Landkreis wird zu einem großen Teil von ehrenamtlicher Hospizarbeit getragen – Hospizgruppen sind auch im ländlichen Raum des Flächenlandkreises Reutlingen bis an dessen Grenzen tätig. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Ehrenamtliche in der hospizlichen Begleitung eine intensive einjährige Ausbildung durchlaufen und sich anschließend für zwei Jahre zu ehrenamtlichen Einsätzen verpflichten. Dass sich dennoch Menschen in diesem Ehrenamt – manche seit Jahrzehnten – engagieren, liegt an seiner Sinnhaftigkeit: Schwerstkranke Menschen bis zu ihrem Lebensende hospizlich zu begleiten, wird von den Tätigen als sinnstiftend, bereichernd und sehr befriedigend erlebt.
Dennoch plagt das Palliativ-Netzwerk Landkreis Reutlingen die Sorge, ob auch in Zukunft Menschen für die ehrenamtliche Hospizarbeit gewonnen werden können, zumal diese Arbeit in der Regel „im Verborgenen“ stattfindet und wenige Menschen von ihr wissen, oft auch nichts davon wissen wollen. Denn der Themenkomplex „Sterben und Tod“ weckt bei vielen Ängste und ruft Abwehr hervor, auch wenn in letzter Zeit – es scheint, seit der Pandemie – das Thema „Sterbebegleitung“ häufiger in den Medien auftaucht. Deshalb entstand im September 2022 in der Steuerungsgruppe des Netzwerks die Idee eines Projekts, mit dem das Ehrenamt in der palliativen Versorgung gewürdigt und gestärkt, die ehrenamtliche hospizliche Arbeit landkreisweit beworben sowie die vielfältige flächendeckende palliative Versorgung im Landkreis sichtbar gemacht und nachhaltig für die Zukunft gesichert werden könnte.
Es war ein glücklicher Zufall, dass zeitgleich zur Projektidee der Förderaufruf für Projekte im Förderprogramm „Gemeinsam engagiert in BW“ lief, auf welchen Frau Stutz von der Fachberatung Bürgerschaftliches Engagement des Landkreistags aufmerksam machte; sie beriet die Altenhilfefachberatung auch bei der Antragstellung für das geplante Projekt „Mit Bürgerschaftlichen Engagement die flächendeckende palliative Versorgung im Landkreis Reutlingen sichern“. Die Förderung wurde zum Jahresende 2022 mit einer Laufzeit bis März 2024 bewilligt; das Projekt wird somit durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag von Baden-Württemberg beschlossen hat, gefördert.
Im Januar ging es dann konzentriert zur Sache. Es wurde ein Projektarbeitskreis gebildet, der Richtung und Inhalte des Projekts – kurz „Das Palliativprojekt 2023“ genannt – vorgibt. Ein Koordinationstandem wurde eingesetzt, das sich um Organisation und Umsetzung kümmert, die Federführung übernahm die Altenhilfefachberatung des Landkreises. Das Projektjahr wurde mit einer Auftaktveranstaltung im April und verschiedenen Fachveranstaltungen im Jahreslauf, mit einer Begleitbroschüre, die die Vielfalt der palliativen Versorgung abbildet und alle Veranstaltungen in deren Zusammenhang bewirbt, und einer Werbekampagne bis hin zur Abschlussveranstaltung im März 2024 durchgeplant. Mit Begeisterung sagten die Akteure der palliativen Versorgung – von den Hospizgruppen über die Hospize, SAPV, Brückenpflege und dem Zentrum für Palliativmedizin der Kreiskliniken bis hin zu den seelsorglichen Einrichtungen und der Stiftung Palliativpflege – ihre Mitwirkung bei den verschiedenen Veranstaltungen zu, um sich und ihre Arbeit vorzustellen. Auch das DRK und der ASB, die im Landkreis Reutlingen Wunschfahrten für Palliativpatienten anbieten, erklärten sofort ihre Teilnahme (und waren bei der Auftaktveranstaltung mit Fahrzeugen und ehrenamtlicher Mannschaft vor Ort).
Ein Schwerpunkt des Projekts ist die Ansprache von Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie sind sowohl in der hospizlichen Begleitung als auch in der Inanspruchnahme der palliativen Versorgung wenig präsent; sie gezielt zu beidem zu ermutigen ist dem Palliativ-Netzwerk wichtig. Deshalb wurden für zwei Veranstaltungen Referenten gewonnen, die das Thema Sterbebegleitung mit den Vorträgen „Das fremde Sterben – Sterbebegleitung von Menschen mit Migrationshintergrund“ und „Am Lebensabend in der Fremde? Migrantinnen und Migranten in der Palliativversorgung“ aus medizinethnologischer und palliativmedizinischer Sicht beleuchten. Zu der Auftaktveranstaltung eingeladen wurden über den Integrationsrat der Stadt Reutlingen insbesondere auch Vertreterinnen und Vertreter der Migrantenorganisationen sowie die Leitungen muslimischer Glaubensgemeinschaften; das Projekt wird außerdem in ihren Communitys beworben.
Der Rest ist schnell erzählt. Die Auftaktveranstaltung im großen Sitzungssaal des Landratsamts war mit über 80 Gästen ein voller Erfolg. Ministerialdirektorin Leonie Dirks sprach ein Grußwort, der Vortrag zum Migrationsthema und das Interview zur ehrenamtlichen Hospizarbeit wurden mit Spannung verfolgt, die Vielfalt der palliativen Angebote interessiert aufgenommen. Die Atmosphäre war entspannt, es fanden lebhafte Gespräche statt, die musikalische Umrahmung und ein schmackhaftes Catering (halal) trugen das Ihre dazu bei. Die bislang zweite Veranstaltung in Zwiefalten an der Landkreisgrenze auf der Schwäbischen Alb war ebenfalls gut besucht – auch hier waren die entspannte Atmosphäre und der angeregte Austausch bemerkenswert.
Alle Veranstaltungen und Aktionen des Palliativprojekts 2023 werden medial auf verschiedenen Kanälen gezielt beworben. Das Palliativ-Netzwerk hofft, das auch die weiteren Fachveranstaltungen in der Öffentlichkeit aufmerksam wahrgenommen und zahlreich besucht werden. Vor der Sommerpause trifft sich der Projektarbeitskreis erneut, um den bisherigen Verlauf zu reflektieren und für den Herbst noch zusätzliche Veranstaltungen und Aktionen zu Themen zu planen, die mit den Fachveranstaltungen nicht abgedeckt sind: Das wären zum einen die Initiierung und Etablierung von Trauergruppen im ländlichen Bereich, die von bürgerschaftlich Engagierten geleitet werden könnten, und zum anderen eine kleine Erhebung zu weiteren Bedarfen und Möglichkeiten in den Landkreisgemeinden im Zusammenhang mit der zukünftigen flächendeckenden palliativen Versorgung im Landkreis Reutlingen.
Ermöglicht wurde das oben Beschriebene durch die großzügige Förderung des Landesprogramms „Gemeinsam engagiert in BW“. Das Palliativ-Netzwerk Landkreis Reutlingen bedankt sich dafür ganz herzlich beim Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
Weitere Informationen zum Projekt und zum Palliativ-Netzwerk Landkreis Reutlingen finden Sie auf www.kreis-reutlingen.de/palliativ-netzwerk.