In der Natur überlebt, frei nach Darwin, der Anpassungsfähigste. Damit einher geht der Untergang einer Art oder eben deren Weiterentwicklung, um das Überleben zu sichern. An einer ähnlichen Wegscheide scheint, zugegebenermaßen etwas überspitzt formuliert, die Jugendhilfe aktuell auch zu stehen. Die Gründe hierfür sind vielfältiger als jemals zuvor: Fachkräftemangel, hohe Verantwortung und im Vergleich dazu wenig Anerkennung. Zudem: Seit Jahren Krisenmodus in den Bereichen der unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA), dann die Corona-Pandemie, aktuell wieder hohe UMA-Zugänge und nicht zuletzt ein wirklicher Eingriff in die DNA der Jugendhilfe durch die Reform des Achten Sozialgesetzbuchs. Dies alles zusätzlich zum ohnehin stark fordernden Aufgabengebiet, in dem der Kinderschutz die zentrale Rolle einnimmt.
Politisch scheint dabei keine wirksame Entwicklungshilfe in Sicht zu sein, sondern es sind nach dem Eindruck der letzten Jahre eher weitere Stolpersteine zu erwarten. Vielerorts liegt aufgrund der genannten Gründe der Fokus bereits jetzt fast nur noch auf dem Kinderschutz und viele anderen Themen müssen hintenanstehen. Konkret bedeutet dies aber, dass Raum, Zeit und Personal für die nötige Evolution gar nicht vorhanden sind. Folgen wir also erneut Darwin, dann bedeutet das: Die bisherige Art „Jugendamt“ wird aussterben – oder weniger evolutionsbiologisch ausgedrückt: Die Lage der Jugendämter ist ebenso dramatisch wie die Entwicklungsaufgabe groß. Dies ist eine denkbar ungünstige Ausgangslage.
Das neue System nicht mit alten Mechanismen bedienen
Die „alten Aufgaben“ können unter diesen Bedingungen also nur noch schwer erfüllt werden, „neue Aufgaben“ kommen hinzu. Was den Jugendämtern an dieser Stelle noch bleibt, ist schlichtweg Teilbereiche weiterzuentwickeln, die tatsächlich in deren Einflussbereich liegen. Es können keine Fachkräfte in die Jugendämter gezaubert oder der Kinderschutz weniger belastend gemacht werden. Es kann nur versucht werden, über Inhalte den Knoten zu lösen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Aufgabe ist hier der Ansatzpunkt, den die Jugendämter als Fachämter haben, da diese, zumindest aktuell noch, deren Hoheitsgebiet ist.
Der Neckar-Odenwald-Kreis hat seit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes den inhaltlichen Fokus immer wieder nachjustiert und sich bewusst für eine starke Ausrichtung an den Frühen Hilfen entschieden. Möglich wurde dies vor allem durch die sehr gewinnbringende Kooperation mit dem Verein Gute Fee, der für die Methode „STEEP – Steps Toward Effective and Enjoyable Parenting – Schritte hin zu gelingender und Freude bereitender Elternschaft“ steht und sich für die Weiterbildung und Verbreitung der bindungsbasierten Methode eingesetzt hat (vgl. Info-Box). Durch das Engagement von Gute Fee, insbesondere von Schwester Dr. Frumentia Maier und des mittlerweile leider verstorbenen Prof. Gerhard Suess (Hamburg), sowie der finanziellen Unterstützung des Lions Clubs Madonnenland und der Firma Seitenbacher (Buchen/Odenwald) stieg der Kreis zunächst großflächig in die Weiterbildung der Fachkräfte ein. Später folgte dann die Einführung der Methode als Leistung der Jugendhilfe.
Aber was bringt STEEP in der praktischen Arbeit? STEEP ist eine dreigeteilte Methode zur Bindungsarbeit für junge Eltern und deren Kinder. So wird in der Praxis videogestützt mit den Eltern unter anderem an den Themen Feinfühligkeit, Feinzeichen und kindliche Bedürfnisse gearbeitet. Zielrichtung ist die Verbesserung der Feinfühligkeit und damit der Bindung. Dahinter steht die Überlegung, dass Menschen nicht in jedem Bereich zu verändern sind, dass aber Feinfühligkeit die Basis für sichere Bindung ist und trainiert werden kann. Einen zweiten Teil bilden die Gruppenaktionen ab. Eltern, Kinder sowie deren STEEP-Beraterinnen kommen regelmäßig zu Gruppenterminen zusammen. Hier werden Inhalte vermittelt, aber auch ein weiterer praxiswirksamer Teil bedient. Mit diesen Treffen von STEEP-Familien geht ein sicheres und regelmäßiges Aufbrechen der Isolation der jungen Eltern einher. Insbesondere im ländlichen Raum, wo Angebotsstruktur und Erreichbarkeit oft nicht optimal sind, ist der Abbau von Isolation ein wirksames sowie Kinder-schützendes Mittel. Der dritte Teil sind die sogenannten Familienaktionen. Die STEEP-Beraterinnen zeigen ihren Familien Möglichkeiten auf, mit sehr kleinem Budget positive Erlebnisse zu schaffen. Es ist in der heutigen Zeit nicht mehr üblich, dass Eltern wissen, wie man beispielsweise Zeit in der Natur verbringt oder sich mit Kindern abseits des Smartphones beschäftigt. Zusammengefasst gibt es damit drei Säulen: videogestützte Beratung, Gruppentermine und Familientermine.
Reaktion auf veränderte Bedürfnisse
Zielgruppe der STEEP-Beratung sind junge Familien vor und an der Schwelle zur Kindeswohlgefährdung, die im Begriff sind, den positiven Kontakt zu ihren Kindern (0 bis 3 Jahre) zu verlieren, also zwischen den klassischen Frühen Hilfen, dem Bereich der Hilfen zur Erziehung (HzE) und dem Kinderschutz. Die praktische Umsetzung war im Landkreis daher schnell gefunden und es wurden Fachkräfte des Jugendamts aus dem Bereich der Ambulanten Hilfen zu STEEP-Beraterinnen ausgebildet. Dadurch kann nun die Methode STEEP als Sonderform der Familienhilfe gemäß Paragraph 31 des Achten Sozialgesetzbuchs und zukünftig als Teil der Frühen Hilfen in Anspruch genommen werden. STEEP ist mittlerweile eine etablierte Hilfeform und soll nun auch mehr und mehr vor das klassische HzE-Angebot rücken.
Mit Optionen wie STEEP reagierte der Neckar-Odenwald-Kreis auf die sich veränderten Bedürfnisse, die auch Eltern mitbringen und verabschiedete sich aktiv von herkömmlichen Grenzen in der Hilfegestaltung. In die Zukunft geblickt werden sich mit dem zusätzlichen Zugang über die Frühen Hilfen weitere positive Entwicklungen und in der Folge auch eine Entlastung des klassischen Jugendhilfesystems erhofft. Bestenfalls geht damit auch ein sinnvollerer Einsatz der knappen Ressourcen in den Kernaufgaben einher. Letztendlich soll der inhaltliche Hebel aber auch verhindern, gänzlich in eine Mangelverwaltung abzugleiten, in der nur noch die besonders kritischen Fälle Unterstützung erhalten können.
Einsatz mit eigenem Personal bundesweit einmalig
Die inhaltliche Grundausrichtung ist das einzige Schlüsselelement, welches die Jugendämter weitestgehend selbst gestalten können. Die Methode STEEP, die der Neckar-Odenwald-Kreis als bisher einziges Jugendamt im Bundesgebiet im Bereich des eigenen Personals etabliert hat, ist dabei nur ein Beispiel, wie andere Aufgabenbereiche der Jugendämter ergänzt, angepasst oder teilweise auch ausgelagert werden können. Vor allem aber müssen die Unterstützungsangebote vor dem Bereich der Hilfen zur Erziehung und des Kinderschutzes gestärkt werden. Es werden leichte Zugänge, Frühe Hilfen sowie starke Beratungsangebote gebraucht.
Die nächsten Schritte ist der Neckar-Odenwald-Kreis dabei bereits gegangen: Mit den „Spielplatzpiraten“ unter Federführung von Florian Pfannenschwarz ist ein Verein entstanden, der in der Sommerzeit mit einem mobilen Spielplatz durch den Landkreis tourt. Neben Spiel und Spaß geht es vor allem auch hier darum, Isolation aufzubrechen und Kinder und Eltern aller Gesellschaftsschichten zueinander zu bringen. Begleitet wird dies von Helfern aus dem Verein, die Unterstützungsmöglichkeiten im Landkreis kennen und so auch bei Bedarf passende Auskünfte geben und Angebote machen können.
Ein weiterer Schritt in Richtung Zukunft war die Einrichtung eines Beratungs- und Teilhabemanagements im Jugendamt, das die allgemeinen Beratungsaufgaben des Jugendamtes abbildet. Es tritt als erster Ansprechpartner und damit verlässliche Schaltstelle nach innen und außen auf. Die Zielrichtung ist klar: Ein einfacherer Zugang zu allen Leistungen für jeden Klienten, der Abbau der allgemeinen Unsicherheit im Jugendamt durch die Schaffung einer Art Fachberatung, die auch im Reha-Recht geschult ist, sowie eine Trennung von Kinderschutzarbeit und dem neuen großen Thema der Jugendhilfe als Rehaträger.
Die Aufgaben der Personalgewinnung, Personalbindung, angemessener Bezahlung und ein dringend angezeigter Krisenstopp ohne weiter steigende Anforderungen sind aber auch Aufgaben der Personalämter, Gewerkschaften und der Politik. Kein Jugendamt kann hier alleine etwas verändern. „Kinder- und Jugendhilfe quo vadis?“ ist also kein Thema der Jugendämter alleine! Wenn die Jugendämter sich gesund weiterentwickeln sollen, müssen alle ihren Teil dazu beitragen. Der Neckar-Odenwald-Kreis hat sich zumindest in einem kleinen Teilbereich hier bereits aufgemacht.
Das Programm STEEP basiert auf der Bindungstheorie. Erfolgreich eingesetzt wird es in hoch belasteten Familien, wo dann die Eltern-Kind-Interaktion, einfühlsames Verhalten und die Sensibilität für die Bedürfnisse der Kinder trainiert und gefestigt werden. Das Programm setzt im Idealfall bereits in der Schwangerschaft an und erstreckt sich bis ins dritte Lebensjahr. Es umfasst kontinuierliche Einzelkontakte sowie ein Gruppenangebot.
Verweise
ipu-berlin.de/fort-und-weiterbildung/steeptm-praeventiver-kinderschutz-0-3-jahre