Ansprache bei der 41. Landkreisversammlung

Land und Landkreise in der Verantwortungsgemeinschaft

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie alle recht herzlich begrüßen, besonders Sie, Herr Präsident Walter, und Ihnen gute Fortschritte mit Ihrem Knie wünschen, damit Ihr Stehvermögen wieder vollumfänglich gewährleistet ist.
Winfried Kretschmann · Stuttgart · 24. Oktober 2022
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Ich darf die Präsidenten der anderen kommunalen Spitzenverbände, Herrn Oberbürgermeister Dr. Kurz und Herrn Jäger, recht herzlich begrüßen. Ich darf stellvertretend für alle Abgeordneten die anwesenden Fraktionsvorsitzenden Hagel, Stoch und Dr. Rülke recht herzlich begrüßen und stellvertretend für alle Kollegen aus dem Kabinett meinen Stellvertreter, Herrn Minister Strobl, und Sie alle, meine Damen und Herren.

Dass ich jetzt im Stehen rede, ist natürlich ein bisschen unhöflich gegenüber meinem Vorredner, aber, wenn ich sitzen geblieben wäre, wäre es etwas unhöflich Ihnen gegenüber gewesen.

Ja, wir leben in sehr herausfordernden Zeiten. Das ist keine Frage. Uns allen, die wir in Ämter gewählt worden sind, kommt eine hohe Verantwortung zu, die wir in einer Verantwortungsgemeinschaft in solch schweren Krisen auch wahrnehmen müssen. Die Landesregierung ist selbstverständlich bereit, diese Verantwortungsgemeinschaft mit den Kreisen und Kommunen wahrzunehmen.

Am 14. November kommt die Gemeinsame Finanzkommission zusammen. Ich kann jetzt hier natürlich nicht in Finanzverhandlungen eintreten. Das ist ja das, was ich bei jeder Rede bei Ihnen zu Beginn sage.

Den Regierungsentwurf zum Doppelhaushalt werden wir übermorgen im Landtag einbringen. Wir haben darin Vorsorge getroffen für Steuermindereinnahmen, für Mehrausgaben, sofern dies dann noch möglich ist, für die Schuldentilgung, für den Inflationsausgleich bei Investitionen, Personalausgaben und den Ausgleich für Energiepreissteigerungen.

Aber wir wissen alle, die Herbst-Steuerschätzung kommt erst noch. Dann lässt sich absehen, wovon wir in nächster Zeit ausgehen können. Natürlich ist es noch vollkommen unklar, in welchem Umfang sich Land und Kommunen am dritten Entlastungspaket des Bundes beteiligen müssen. Im Raum stehen allein für das Land Baden-Württemberg 3,1 Milliarden Euro. Ich meine, es ist klar: Das ist unrealistisch. Solche Rücklagen haben wir selbstverständlich nicht gebildet, und das würde den Haushalt sprengen.

Bei der letzten MPK mit dem Bundeskanzler ist, salopp gesagt, nichts herausgekommen. Sie hat keine Ergebnisse gezeitigt. Wir hatten jetzt die Jahres-MPK, wo wir die Situation vorberaten haben. Die Minister Lindner und Habeck haben uns ausführlich berichtet und haben Stellung genommen. Wir haben jetzt beschlossen, am 2. November die Sonder-MPK zu machen. Dazu ist eine Vorbereitungsgruppe aus fünf Ministerpräsidenten ins Leben gerufen worden, die mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeskanzler verhandelt. Ich bin Mitglied dieser Gruppe.

Dieser 2. November muss ein meiner Ansicht nach abschließendes Ergebnis zeitigen. Nichts ist in schweren Krisen so gefährlich, wie wenn man keine Beschlüsse fasst, die Entscheidungen ewig vor sich herschiebt und dadurch ein Gefühl der Unsicherheit bei Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei den Unternehmen eintritt.

Ich erinnere daran: In der Corona-Pandemie haben wir, die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten, uns sage und schreibe 39 Mal – meistens natürlich nur digital – getroffen. Dieses Commitment hat leider stark abgenommen. Jedes Mal gab es hinterher Beschlüsse. Diese haben nicht allen gefallen. Aber es war klar für jeden, woran er ist. Das ist in einer Krise meiner Ansicht nach sehr wichtig.

Deswegen haben wir darauf gedrängt, dass die Sitzung nicht erst am 10., sondern schon am 2. November nach der Steuerschätzung stattfindet. Hoffentlich kommen wir da auch zu Beschlüssen. Ich jedenfalls werde alles dafür tun, auch wo es Kompromissfähigkeit von mir abverlangt, dass wir zu Entscheidungen bei den wichtigsten Paketen kommen.

Fest steht: Wir werden in eine Rezession kommen – die Frage ist nur, wie stark sie sein wird -, und die öffentlichen Haushalte können nicht mehr so selbstverständlich vom Wirtschaftswachstum profitieren, wie das bisher der Fall war.

Hinzu kommt der Reformstau, der in vielen Bereichen entstanden ist – Sie haben davon einige genannt –, z. B. bei den großen sozialen Sicherungssystemen oder bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern.

Wir brauchen – da sind wir, glaube ich, auf einer Linie – keine zeitlich begrenzten Programmförderungen des Bundes, sondern eine dauerhaft auskömmliche Ausstattung und eine Klarheit darüber, wie die Aufgaben, die Sie angesprochen haben, dauerhaft gewährleistet sein können, damit jeder weiß, wie er auf lange Sicht belastet ist und ob er das auch nachhaltig stemmen kann.

Dazu kommen noch die enorm gestiegenen Ausgaben in vielen Bereichen.

Dann taucht natürlich die Frage auf, die Sie gestellt haben, die aber auch Präsident Jäger mir persönlich schon des Öfteren vorgetragen hat: Was können Staat und Kommunen in solch einer Zeit leisten, ohne sich zu überfordern? Sie haben hier von einer Überforderung der kommunalen Verwaltungsebene gesprochen, und Sie fordern jetzt die Absenkung von Standards, Entbürokratisierung.

Mir ist eine ehrliche Analyse dabei immer höchst willkommen. Diese müssen wir durchführen. Wir haben das auch in Spitzengesprächen angesprochen. Aber wenn Sie einsteigen wollen in eine Absenkung von Standards, müssen Sie konkret sagen, wo. Alles andere führt zu keinen Ergebnissen. Beim Bürokratieabbau ist es nicht anders. Wir müssen genau sagen: Wo können wir überflüssige Bürokratie abbauen? Anders wird das nicht funktionieren.

Ich erinnere daran: Schon mein Vorvorgänger Erwin Teufel hat im Staatsministerium einen Beauftragten für Bürokratieabbau eingerichtet. Und da hat sich gezeigt, wie schwer das ist.

Die entscheidende Frage lautet: Wie sollen die Formate aussehen, in denen wir das besprechen? Das umfasst ja praktisch alle Gebiete der Politik. Ich merke das jetzt bei der Task Force Erneuerbare Energien, wo ich mal selber tiefer in das Verwaltungshandeln eingestiegen bin. Das machen ja in der Regel die Minister und nicht der Regierungschef. Es stimmt: Es ist unglaublich, was sich alles in vielen Jahrzehnten on top angehäuft hat. Es verschwindet unten wenig, und es kommt immer etwas obendrauf. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Ich bin da ganz bei Ihnen.

Aber wie sollen die Formate aussehen? Sie müssen sehen: Das große Problem dabei ist, dass sämtliche Ebenen – Europa, der Bund, das Land, die Kommunen – sehr miteinander verschränkt und verschachtelt sind. Wenn Sie keine Formate haben, in denen alle an demselben Ziel mitarbeiten, kommen Sie einfach nicht sehr gut voran. Das ist jetzt meine Erfahrung, die ich nach einem Jahr gemacht habe. Wir werden jetzt in der ganzen Frage der erneuerbaren Energien einen Sprung nach vorn machen, weil durch den Regierungswechsel in Berlin wir das, was wir selber uns schon in der Task Force vorgenommen haben, mit den Kommunen zusammen vorantreiben können.

Die erste Adresse solcher Ansagen sind natürlich die Fachressorts. Es betrifft immer bestimmte Bereiche der Politik. Da müssen die Themen eingespeist und mit den entsprechenden Fachressorts verhandelt werden. Wenn wir jetzt eine allgemeine Standardkommission einsetzen, die sich über Sinn und Höhe von Standards auseinandersetzt, wird außer allgemeinen Aussagen wenig dabei herauskommen. Daher bitte ich um Vorschläge: Wie sollen solche Formate aussehen, bei denen wir einigermaßen davon ausgehen können, dass dabei etwas herauskommt?

Meine Erfahrung ist ganz einfach: Das, was Ihnen in solch einem Prozess aufstößt, müssen Sie ganz konkret angehen.

Es sind ja immer Einzelfälle, wo etwas auftritt. Meistens ist es so: Dann wird der Einzelfall gelöst, und dann geht man wieder zur Tagesordnung über, statt zu sagen: Wenn das bei den Fällen A und B auftritt, tritt es wahrscheinlich bei den Fällen C bis Z ebenso auf, und wir nehmen das zum Anlass, insgesamt dieses Hindernis zu beseitigen, das uns da entgegensteht. Jeder kann sich vorstellen: Das sind unglaublich dicke und unglaublich harte und unglaublich schwer zu bohrende Bretter.

Alle, die hier sitzen, und ihre Vorgänger waren in den letzten 70 Jahren irgendwo an der Regierung auf jeder Ebene. Warum ist es so gekommen, wie es jetzt ist? Warum beklagen wir jetzt das alle? Das muss ja Gründe haben.

Klar ist natürlich, Herr Präsident, dass in guten Zeiten – und wir haben eine lange Prosperitätsphase hinter uns – die Standards nicht gesenkt, sondern erhöht werden. Das liegt in der Natur der Sache. Wir sind ja alle in die Politik gegangen, um die Welt zu verbessern, und nicht, um sie zu verschlechtern. Ob das dann nachhaltig ist auch für schlechtere Zeiten, das ist dann die große Frage. Dass wir uns in Zukunft auch mit der Nachhaltigkeit solcher Fragen beschäftigen, das ist jedenfalls eine Erfahrung, die wir jetzt alle machen, weil wir jetzt in einer Zeitenwende leben und die guten Phasen vorbei sind. Jeder kann sich an den fünf Fingern abzählen, dass etwa die Energie nicht mehr so billig wird, wie sie vor dem Ukrainekrieg war. Natürlich müssen wir die explodierenden Kosten eindämmen, aber dass die Energie wieder so billig wird, wie sie bisher war, ist nicht absehbar, jedenfalls mittelfristig nicht. Das ist klar.

Wenn wir jetzt mehr in die nationale Verteidigung investieren wollen und müssen, dann ist auch klar, dass dieses Geld woanders nicht mehr zur Verfügung steht. So können Sie die ganze Palette durchgehen, und dann wird deutlich: Wir müssen mit materiellen Wohlstandsverlusten rechnen. Die Bürgerschaft und wir alle müssen uns darauf einstellen, dass wir unser Geld wieder für die wichtigen Dinge des Lebens ausgeben müssen und dass vieles, was schön, aber nicht unbedingt notwendig ist, bis zu einem bestimmten Grad reduziert werden muss. Daran wird kein Weg vorbeiführen. Davon bin ich jedenfalls persönlich überzeugt.

Ich werde mich dem Thema Bürokratieabbau, wenn der Peak der Krise hoffentlich mal vorbei ist, ganz zentral widmen. Ich möchte Ihnen als Landräte aber auch sagen: Es ist jetzt nicht so, dass die Landratsämter frei von Amtsschimmeln wären. Das kann man, glaube ich, nicht behaupten. Also stellen Sie sich darauf ein, dass Bürokratieabbau auch von unten anfangen muss und nicht nur von oben.

Unsere Beamtinnen und Beamten agieren alle auf allen Ebenen rechtstreu. Sie setzen die Gesetze um. Das ist richtig und gut so. Sonst wären wir ja schließlich eine Bananenrepublik. Dass Verwaltungen das, was der Gesetzgeber beschließt, auch tatsächlich umsetzen, ist der Unterschied zwischen einer Demokratie und korrupten Staaten. Deswegen sind natürlich Bürokratie und Verwaltung notwendig, damit wir einen Rechtsstaat haben, damit die Leute wissen, woran sie sind, damit ein Unternehmen planen kann.

Es geht bei Bürokratieabbau immer nur darum: Wo haben wir überflüssige Bürokratie? Wie bekommen wir diese weg? Ich denke, das ist auch eine Frage der Haltung. Da möchte ich Sie aufrufen, den Abbau einzuleiten. Wir müssen in diesen Prozess kommen. Natürlich müssen unsere Beamtinnen und Beamten aller Ebenen rechtstreu agieren. Sie müssen aber auch lageorientiert agieren. Beides zusammenzubringen, auf den Prozess zu achten, aber auch auf das Ergebnis, ist das Entscheidende. Auch da muss sich einiges ändern, sodass wir mentalitätsmäßig zu einer Politik des Ermöglichens kommen und nicht einfach immer nur in allem Hindernisse sehen. Darüber sollten wir, denke ich, im neuen Jahr mal reden.

Herr Präsident, Sie haben das Konnexitätsprinzip angesprochen. Das steht in der Landesverfassung. Wir achten dieses Prinzip. Jedes Gesetzesvorhaben wird darauf überprüft, dass das Konnexitätsprinzip eingehalten wird. Wenn es da unterschiedliche Auffassungen gibt, muss man das am konkreten Fall besprechen und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Aber wir ziehen keine Landesverbände über den Tisch, schon deshalb nicht, weil sie sich ja gar nicht über den Tisch ziehen lassen. Insofern, denke ich, kommen wir da immer zu Lösungen. Aber wenn es da eine konkrete Kritik gibt, nehmen wir das gern auf.

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Lassen Sie mich jetzt noch zu dem ganz wichtigen Thema der Energieversorgung kommen, meine Damen und Herren. Wir befinden uns da in einem Dauerkrisenmodus. Sie leisten dabei gute Arbeit, für die ich sehr dankbar bin. Wir müssen das Dringliche tun, ohne das Wichtige zu unterlassen, also – das haben Sie auch gesagt – die Krise bewältigen, aber auch an den zentralen Zukunftsaufgaben weiterarbeiten. Das stellt uns vor große Herausforderungen.

Es geht bei der Energieversorgung um drei Stränge: den kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Strang. Über die kurzfristige Versorgung mit Gas und Strom muss ich, glaube ich, nicht weitersprechen. Sie alle hier kennen die Fakten. Das wird das zentrale Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 2. November mit dem Bundeskanzler. Ich will mitteilen, was wir dazu seitens der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten beraten haben.

Erstens: Die Gaspreisbremse – das höre ich jetzt aber auch verstärkt aus der Bundesregierung selber – darf nicht erst im März greifen. Sonst hätten wir die Situation: Im Dezember wird die Abschlagszahlung ersetzt, und dann gehen anschließend die Preise wieder steil nach oben. Das können wir, glaube ich, wirklich nicht machen. Daran wird gearbeitet werden müssen: Wie können wir diese Gaspreisbremse vorziehen? Das muss natürlich auch finanzierbar sein.

Zweitens – dafür habe ich mich besonders eingesetzt: Die Mittelständler waren beim Energiekostendämpfungsprogramm gar nicht mit einbezogen, sondern nur die großen Unternehmen. Wir fordern, dass auch unsere kleinen und mittleren Unternehmen in dieses Energiekostendämpfungsprogramm einbezogen werden. Es ist, glaube ich, das Entscheidende, dass es uns gelingt, die Fragen vorzuziehen. Denn allen ist ja klar: Vor allem viele kleine und mittlere Unternehmen, aber auch viele Handwerksbetriebe werden die Krise sonst nicht überstehen. Wir unterliegen der Gefahr, dass jetzt Einzelne gar nicht erst in Insolvenz gehen, sondern einfach aufhören. Und dann nicht wieder aufmachen. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt schnell zu Maßnahmen kommen.

Mittelfristig ist es notwendig, dass wir – das haben Sie angesprochen – den Windkraft- und Photovoltaikausbau forcieren. Da bauen wir jetzt massiv Hürden ab. Eine Genehmigung in Schwäbisch Hall hat jetzt nur acht Monate gedauert. Chapeau, muss ich sagen. Das können sich wirklich alle zum Vorbild nehmen, dass es auch so schnell gehen kann. Aber jetzt treten andere Probleme auf. Vor allem bei den Windkraftanlagen kommt es zu Kostensteigerungen, die sich gewaschen haben, sodass die Gefahr droht, dass wir zwar die Bürokratie abbauen, aber Kostenfragen den Anlagenausbau behindern. Auch darüber werden wir auf der Ministerpräsidentenkonferenz reden müssen. Immerhin sind – das hat Minister Lindner auf der letzten MPK vorgetragen – die steuerlichen Rahmenbedingungen für Photovoltaikanlagen drastisch vereinfacht worden, sodass es viel attraktiver wird, solche Anlagen zu installieren.

Was wir auch noch ansprechen werden, ist ein Schutzschirm für die kommunalen Energieversorger und die Stadtwerke. Auch das wird ein wichtiges Thema werden. Denn man kann sich jetzt nicht nur um die ganz großen, systemrelevanten Energieversorger kümmern. Auch jedes größere Stadtwerk, das in Insolvenz ginge, wäre ein katastrophales Signal für die Märkte, könnte aber auch eine Kettenreaktion auslösen. Deswegen werden wir auch das besprechen.

Ich will vor allem Herrn Professor von Komorowski danken für die engagierte Teilnahme und das Einbringen in die Task Force. Ich denke, wir sind jetzt schon ein erhebliches Stück weitergekommen. Allerdings bei meiner Vorgabe, die Zeit mindestens zu halbieren, sind wir noch nicht. Aber dahin müssen wir kommen. Davon werde ich nicht abrücken. Es sind jetzt bereits wichtige Maßnahmen beschlossen und angeregt worden, etwa die Digitalisierung der Genehmigungsverfahren, die Vermarktungsoffensiven von Flächen im Staatswald, die Öffnung der Landschaftsschutzgebiete für Windenergieanlagen. Das alles zusammen bildet ein erhebliches Beschleunigungspotenzial. Die Arbeit der Task Force geht weiter.

Dass die Beteiligung der Kommunen an den Erträgen der Windkraft und der Photovoltaik verbessert wird, nicht nur freiwillig, sondern verpflichtend, hat die Ministerpräsidentenkonferenz am 21. Oktober ebenfalls besprochen.

Wichtig ist, meine Damen und Herren – das sehe ich aus vielen Einzelfällen –, dass die Genehmigungsbehörden der Landratsämter nun sehr eng mit den Stabsstellen in den Regierungspräsidien zusammenarbeiten. Wichtig ist mir immer, dass es auch eine klare Arbeitsteilung gibt. Die unteren Genehmigungsbehörden sind zuständig für das, was örtlich von Belang ist. Und das, was überörtlich in Genehmigungsverfahren ist, muss dann eher von den Regierungspräsidien kommen. So dass wir da zu schnellen Entscheidungen kommen und nicht jeder Sachbearbeiter in jedem Landratsamt dazu genötigt ist, all die vielen Fragen von Windkraftgegnern selber beantworten zu müssen. Wenn hier ein gutes Zusammenspiel erfolgt, dann können wir das alles, glaube ich, beschleunigen. Diese Stabsstellen sollen ja nicht die Genehmigungsbehörden ersetzen, sondern sie in ihrer Arbeit unterstützen.

Ich komme zum Thema Flüchtlinge. Wir müssen uns doch klarmachen: Das, was Putin jetzt macht – einen allgemeinen Beschuss der ganzen Ukraine mit Drohnen und eine Beschießung der Städte mit wenig gesteuerten Raketen –, hat doch gerade den Zweck, eine Flüchtlingswelle zu produzieren. Damit bezweckt er, die ukrainische Bevölkerung zu zermürben und zu demoralisieren. Daher müssen wir, wenn die internationale Gemeinschaft durch geeignete Waffenlieferung das nicht schnell genug stoppen kann, damit rechnen, dass wir in der Tat noch mehr Flüchtlinge aus der Ukraine bekommen werden. Wir müssen ihnen Schutz gewähren. Das ist gar keine Frage. Das ist ein Terrorkrieg, der veranstaltet wird und der vor nichts haltmacht, nicht einmal vor der Bombardierung von Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern. Deswegen war es, glaube ich, richtig, dass die EU bereits kurz nach dem russischen Angriffskrieg die Massenzustromrichtlinie aktiviert hat, um schnelle Hilfe zu ermöglichen.

Insgesamt nehmen Deutschland und Polen aber mehr als 2,2 Millionen, also über 50 % der Ukraine-Flüchtlinge auf.

Das zeigt, dass wir in Europa zu einer besseren Verteilung von Flüchtlingen kommen müssen. Dafür setzen wir uns alle ein. Aber Sie wissen auch, wie schwierig das ist.

Bund, Länder und Kommunen müssen mehr Raum für die Unterbringung und mehr Mittel für die Versorgung bereitstellen. Wir haben als Land unsere Kapazitäten in der Erstaufnahme mehr als verdoppelt und werden weitere Kapazitäten aufbauen. Wir haben das Programm „Wohnraum für Geflüchtete“ neu aufgelegt und mit 80 Millionen Euro beschlossen. Ich denke, die Kreise und Kommunen leisten da wirklich Großartiges. Aber auch das wird jetzt ein wichtiges Thema auf der Ministerpräsidentenkonferenz sein.

Wir haben die Zusage des Bundes schon vom März, dass er sich an den Kosten beteiligt, und zwar rückwirkend ab dem 1. Januar. Aber ich muss Ihnen leider sagen: Wir konnten uns bisher noch nicht einmal auf die Flüchtlingszahlen einigen. Ich muss mich schon fragen: Wie soll man verhandeln, wenn man sich noch nicht einmal auf die Zahlen einigt? Jedenfalls die Zahlen, die ich von der Migrationsministerin Gentges habe, bedeuten, dass wir schon anderthalbmal so viele Flüchtlinge haben wie 2015. Ich finde das eine belastbare Zahl, und wir müssen schauen, dass der Bund diese jetzt mal anerkennt. Dabei brauche ich auch Ihre Unterstützung, was belastbares Zahlenmaterial betrifft. Das wird eine ganz entscheidende Voraussetzung sein, denn da liegen wir mit dem Bund noch sehr weit auseinander. Deswegen ist das ein sehr wichtiges Thema.

Was ich hier aufgenommen habe, Herr Präsident, ist: Wir brauchen auch das entsprechende Personal. Dieses ist aber schwer zu bekommen, wie Sie richtig gesagt haben. Die Fragen, die Sie dazu aufgeworfen haben, liegen – das wissen Sie – im Kern alle bei der Bundesregierung und nicht bei uns. Auch der Rechtskreiswechsel war nicht etwas, das das Land Baden-Württemberg betrieben hat. Der ist aber gekommen.

Jetzt solche Beschlüsse rückgängig zu machen, dafür sind die Chancen minimal, und ich würde das auch nicht empfehlen. Wir können jetzt nicht Dinge, die entschieden sind, ständig wieder infrage stellen. Das führt nur dazu, dass wir in den Fragen und Verhandlungen nicht weiterkommen. Das muss man, glaube ich, jetzt so akzeptieren.

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Ich komme zum Thema Mobilität. Ich will mich da jetzt kurzfassen. Wir alle beabsichtigen, die Mobilität zu verbessern, und sind auch gut vorangekommen beim Ausbau des ÖPNV und mit innovativen Mobilitätskonzepten wie dem Jugendticket, das ab März nächsten Jahres kommen soll. Die Mobilitätsgarantie ist mit dem Mobilitätspass verbunden. Die Karte zur Finanzierung muss der Bund dann auch ziehen. Das sehe ich bisher noch nicht.

Das ist eine ganz wichtige Frage. Der Bund will uns jetzt anderthalb Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Dieses Nachfolgeticket kostet aber etwa 3 Milliarden Euro, an denen wir uns zur Hälfte beteiligen sollen. Ich sehe aber nicht, dass er uns bei den Regionalisierungsmitteln die entsprechenden Mittel zuweist. Ich will klar sagen: Dass wir die Regionalisierungsmittel bekommen, steht uns einfach durch die Verfassung zu. Das ist ein klares Ergebnis der Bahnreform, dass diese Mittel zukünftig den Ländern zugewiesen werden.

Sie haben angesprochen, dass wir dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen zugestimmt haben. Das ist ganz einfach: Der Bund macht Pakete mit einer ganzen Reihe von Dingen, und da können Sie zum Schluss entweder insgesamt zustimmen oder ablehnen. In der Regel stimmt man dann zum Schluss dem Gesamtpaket zu, selbst wenn dann zum Teil nur zeitlich befristete, nicht nachhaltige Programme dabei sind. Das ist die Crux.

Bei diesem Billigticket ist das wieder dieselbe Masche: Es ist gar nicht klar, wie lange es dauern soll, wer es dauerhaft finanziert, aber es wird ins Schaufenster gestellt. Das war jetzt nicht die Idee der Länder, so etwas einzuführen, sondern des Bundes. Wenn er das macht, bekommt man es ganz schwer aus dem Schaufenster wieder heraus. Wir sind dann jedes Mal in der ganz schwierigen Verhandlungssituation, Dinge ablehnen zu müssen. Sie müssen sich vorstellen:

Wenn ich einzelne wichtige Punkte wie etwa die Frage der Regionalisierung ablehne, dies aber in einem Gesamtpaket ist und ich das Gesamtpaket scheitern lasse mit all den wichtigen Hilfen, die da drinstehen – jetzt frage ich Sie: Wer tut denn so was? Keiner. Darum kommt es jedes Mal so. Das ist genau der Grund.

Wenn wir das nicht im Grundsatz ändern, wird sich das auch nicht im Großen und Ganzen ändern. Das ist zuerst das konstitutionelle Missverhältnis. Sie haben mich zu einer Bundesratsinitiative aufgefordert. Selbst wenn ich dafür im Bundesrat eine Mehrheit bekomme, kann der Bundestag die Initiative einfach liegen lassen, was er in der Regel mit Bundesratsinitiativen auch macht. Sie kommen gar nicht auf die Tagesordnung. Umgekehrt muss der Bundesrat jede Initiative aus dem Bundestag behandeln. Wir können die nicht liegen lassen, was wir sicher öfters auch gerne täten. Das ist ein asymmetrisches Verhältnis im konstitutionellen Gefüge, das ich aber nicht ändern kann.

Das Zweite ist, dass wir so gut wie keine Steuererhebungsrechte haben. Das hat sich jetzt erstmals geändert mit der Grundsteuer. Das ist die erste Steuer, über die wir tatsächlich selber entscheiden. Auch da entsteht dieses Ungleichgewicht. Wir sind zwar ordentliche Staaten, haben sogar eine Verfassung, aber keine Steuererhebungsrechte. Bei der Grunderwerbsteuer können wir lediglich die Sätze bestimmen. Aber wir haben jetzt zum ersten Mal eine autochthone Steuer, die Grundsteuer, über die wir entscheiden. Das ist aber ein bisschen wenig. Wenn wir wenigstens über die Steuern entscheiden könnten, deren Erträge uns zufließen, dann wäre schon ein Stück gewonnen. Dann wären wir in einer ganz anderen Situation.

Deswegen bin ich der Ansicht, dass wir in der Tat aus vielen Gründen – einen wichtigen haben Sie genannt, nämlich die Überbürokratisierung unserer ganzen Gesellschaft – uns dem Problem widmen müssen. Dem kommen wir nur bei, wenn wir dafür ein geeignetes Format entwickeln, zumindest eine Föderalismuskommission III, die allerdings nicht im Koalitionsvertrag steht, weil der Bundeskanzler das offensichtlich nicht will im Gegensatz zur FDP oder den Grünen, die nichts dagegen hätten.

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Ich möchte zum Abschluss Folgendes sagen. Sie haben auf meine Reise in die USA hingewiesen. Gott sei Dank habe ich sie nicht abgesagt. Ich hätte mich sehr geärgert, wegen einer Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler, bei der nichts herauskommt, auf so eine wichtige Reise zu verzichten.

Zwei Dinge können wir von dieser Reise mitnehmen. Das eine ist, mit welcher Entschlossenheit dort Wege gegangen werden, um Neues in Gang zu setzen, dass man einfach anfängt und nicht alles, bevor etwas geschieht, schon in Bedenkenträgerei erstickt. Wir haben es in der Stadt Pittsburgh gesehen: ein vom Niedergang bedrohter Stahlstandort, der eine gewaltige Transformation geschafft und sich zu einer modernen und lebenswerten Stadt entwickelt hat. Diesen Spirit nehmen wir für unsere eigenen Transformationsprozesse mit.

Wir haben uns da in ganz zentralen Bereichen der Schlüsseltechnologien der Zukunft wie etwa der künstlichen Intelligenz als sozusagen dem Glutkern der Digitalisierung der Zukunft intensiv ausgetauscht, aber auch mit der Gesundheitswirtschaft, weil es meine erklärte Absicht ist, dass wir Baden-Württemberg zu dem führenden Gesundheitsstandort Europas machen. Dafür ist der Strategiedialog einberufen worden, und wir sind da auf einem sehr guten Weg. Wir müssen das, was wir haben, in der richtigen Weise zusammenführen, aber auch da Hemmnisse abbauen, z. B. beim Datenschutz.

Wir müssen von einem abwehrenden zu einem gestaltenden Datenschutz kommen, sodass man z. B. anonymisierte Daten verwenden kann. Das ist ein Gebot der Stunde, denn da wird etwas getan für den Patienten, für neue Geschäftsmodelle und vieles andere mehr.

Das ist das eine, was wir da mitgenommen haben. Ich finde, das ist ganz wichtig.

Wir haben die Partnerschaften verstärkt, die wir mit Kalifornien haben. Wir werden jetzt in Baden-Württemberg eine Dependance für wirtschaftliche Fragen einrichten, wie wir sie schon seit einigen Jahren in Kalifornien haben.

Dann habe ich aber noch ein Zweites mitgenommen: die unglaubliche Spaltung und Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft. Ich habe mit Governor Newsom gesprochen. Dem ist die Sorge, wenn nicht gar die Angst um die Demokratie in Amerika aus jeder Pore gesprungen. Man sieht daran – wir müssen nur schauen nach Schweden, Frankreich oder jetzt nach Italien –, was sich auf der Welt tut.

Wir haben große Aufgaben; damit will ich schließen. Sie haben sie genannt, teilweise auch sehr kritisch. Aber zum Schluss müssen wir zusammenhalten und zusammenstehen. Glauben Sie mir: Wenn ich mir die Situation in den USA anschaue, bin ich froh, dass wir solche Instrumente haben wie die Ministerpräsidentenkonferenz oder den Bundesrat. Das sind letztlich Konsensmaschinen gegenüber dem Polarisierenden, das die Parteien pflegen und auch pflegen sollen und pflegen müssen. Das ist das Gegengewicht, das immer wieder auch zusammenführt. Dafür dürfen wir sehr dankbar sein. Ich bin auch sehr dankbar, dass wir bei allem Streit in der Sache und im Detail doch Gremien haben wie etwa die Gemeinsame Finanzkommission, wo wir uns zusammenraufen und zusammenraufen müssen. Das ist unglaublich wertvoll. Wir haben schwere Krisen. Aber wenn wir in den Krisen am Ende zusammenhalten und zusammenstehen, werden wir diese Krisen bewältigen. Davon bin ich fest überzeugt. Das ist der große Vorteil der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, dass sie für beides Institutionen hat: für den Meinungskampf – der darf ruhig scharf sein –, aber andererseits auch für die Zusammenführung, wenn es zu Ergebnissen kommt.

Sie haben Tocqueville zitiert. Da kann ich Ihnen nur sagen: Die Gemeindefreiheit gehört für mich zum Föderalismus dazu. Liebe zum Föderalismus, zur kommunalen Selbstverwaltung und Gemeindefreiheit ist für mich dasselbe. Bei mir finden Sie immer offene Türen, wenn es darum geht, Dinge zu kommunalisieren, die heute der Staat macht. Ich glaube, da gibt es einige andere Adressen, wo man das nicht so sieht wie ich.

Darauf können Sie immer vertrauen, dass ich ein großer Anhänger der kommunalen Selbstverwaltung und der Gemeindefreiheit bin. Die Gemeinden haben Gemeinderäte, die direkt vom Volk gewählt sind. Die Oberbürgermeister und Bürgermeister sind vom Volk gewählt. Auch dort findet lebendige Demokratie statt. Wir haben das jetzt gerade in Tübingen gesehen, wo sich die Wahlbeteiligung sogar noch relevant erhöht hat. Auch da kann man Dinge, die streitig sind, entscheiden. Deswegen kommen Sie mit Vorschlägen zur Kommunalisierung. Ich bin, glaube ich, da immer eine gute Adresse.

In diesem Sinne weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit!

Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg
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