Die Hochwasser- und Starkregenereignisse im Juni 2024 haben im Rems-Murr-Kreis Schäden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht. Die Schäden haben sich besonders auf einige Städte und Gemeinden konzentriert, da ein Starkregenereignis und weniger eine allgemeine Hochwasserlage ursächlich war. Zwei Menschen verloren dabei ihr Leben. Besonders stark getroffen hat es die Gemeinde Rudersberg und die Stadt Schorndorf. Die Gesamtschäden im Landkreis belaufen sich auf etwa 330 Millionen Euro, wovon rund 136 Millionen Euro auf die öffentliche Infrastruktur entfallen. Nach den Erfahrungen in Braunsbach geht man auch im Rems-Murr-Kreis davon aus, dass der vollständige Wiederaufbau mehrere Jahre dauern wird.
„Die riesigen Schäden, die im Rems-Murr-Kreis entstanden sind, und erst recht zwei Todesopfer, sind ein Riesenunglück und die größte Katastrophe seit Jahrzehnten. Dennoch sind wir in Bezug auf das, was uns damals gedroht hätte, wenn sich die Gefahren der ebenfalls bestehenden extremen Hochwasserlage im Remstal realisiert hätten, noch vergleichsweise glimpflich davongekommen. Durch intensive Vorbereitung auf den Krisenfall, viel Steuerung und persönlichen Einsatz der Verantwortlichen im Kreis, bei den Gemeinden, Feuerwehren und Wasserverbänden konnte zunächst die Hochwasserlage im Remstal kontrolliert werden. Nicht zu beherrschen war hingegen die partielle Starkregenzelle, die sich zudem über Teilen des Rems-Murr-Kreises entladen hatte. Selbst erfahrene Einsatzkräfte, wurden innerhalb von Sekunden von Wassermassen umzingelt und mussten sich u.a. erst einmal selbst auf die Dächer ihrer Fahrzeuge retten. Dank aller Einsatzkräfte hat aber auch in den von Starkregen betroffenen Gebieten die Koordination schnell gut funktioniert, schildert Landrat Dr. Richard Sigel rückblickend die Ereignisse vom 2. auf den 3. Juni 2024.
Gemeinsam mit den Kommunen, den anderen betroffenen Landkreisen in der Region Stuttgart und mit Unterstützung der kommunalen Spitzenverbände hat sich die Kreisverwaltung nach der Katastrophe erfolgreich für die Gewährung von Hilfen durch das Land Baden-Württemberg für den Wiederaufbau eingesetzt. Die Behebung von Schäden an der öffentlichen Infrastruktur kann und soll in erster Linie über 29 Förderprogramme des Landes finanziert werden. Darüber hinaus wurde durch das Land ein zusätzliches Hilfspaket für Kommunen in Höhe von 25 Millionen Euro beschlossen. Hieraus fließen 13,5 Millionen Euro in den Rems-Murr-Kreis.
Erkenntnisse nach dem Ernstfall
Die Ereignisse haben gezeigt, wie elementar wichtig eine gute Krisenprävention ist. Denn im Katastrophenfall spielt der Landkreis eine zentrale und entscheidende Rolle. Eine wichtige Erkenntnis nach dem erlebten Ernstfall: Die Abläufe des Katastrophenschutzes haben gut funktioniert.
Der Katastrophenschutz ist für den Rems-Murr-Kreis ein strategisches TOP-Thema und steht schon seit Jahren als Daueraufgabe mit höchster Priorität auf der Agenda. Dazu gehört auch die ständige Vorbereitung auf mögliche Katastrophensituationen wie Hochwasser, Starkregen oder ein flächendeckender Stromausfall. Seit dem Jahr 2021 wurden bereits sechs Katastrophenschutz- bzw. Stabsübung durchgeführt. „Als Kreisverwaltung müssen wir uns bestmöglich wappnen und uns gemeinsam mit den Städten, Gemeinden und den Blaulicht-Fraktionen vorbereiten. Szenarien müssen durchgespielt, Abläufe trainiert werden. Risikomanagement ist für uns eine Gemeinschaftsaufgabe. Was sich in der Krise nun auch erwiesen hat: Unsere neuen Stabsräume, welche wir seit Anfang 2024 im Landratsamt neu eingerichtet haben, haben sich absolut bewährt“, so Landrat Dr. Richard Sigel.
Neben dem Katastrophenschutz ist und war es dem Landkreis ein wichtiges und zentrales Anliegen für die Betroffenen da zu sein und diese bestmöglich über die aktuelle Lage zu informieren.
Die Informationsweitergabe spielte dabei eine zentrale Rolle: Der Landkreis sorgte dafür, dass die Bevölkerung über die verschiedenen Kanäle (wie z.B. die Warnapp NINA) regelmäßig über die Lage und notwendige Maßnahmen informiert wurden. Um die Bürgerinnen und Bürger außerdem zu erreichen, setzte der Rems-Murr-Kreis einen Schwerpunkt auf die Kommunikation über Instagram und die Website. Die Videobotschaft von Landrat Dr. Richard Sigel zur Entwarnung nach den Ereignissen erreichte 15.300 Menschen. Die Website diente als gute Anlaufstelle mit einer umfangreichen FAQ-Liste zu den wichtigsten Fragen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Seit August können außerdem Schäden an Gewässern infolge von Hochwasser und Starkregen, etwa Uferabbrüche oder Unterspülungen über den neu eingerichteten online Schadenmelder des Rems-Murr-Kreises unter www.rmk-hochwasser-schadensmelder.de gemeldet werden.
Die Solidarität und der Zusammenhalt im Rems-Murr-Kreis waren enorm. Feuerwehren, das Technische Hilfswerk, das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, das DLRG, die Polizei, die Gemeindeverwaltungen, die Mitarbeitenden der Bauhöfe haben Sandsäcke gefüllt, Keller leergepumpt, Straßen gesichert und unterstützt, wo es nur ging. Zahlreiche Helferinnen und Helfer haben unmittelbar nach den Ereignissen tatkräftig und über viele Tage hinweg bei den Aufräumarbeiten in den betroffenen Haushalten mit angepackt. In Rudersberg und Schorndorf wurden für die unzähligen helfenden Hände Helferfeste veranstaltet.
Kreis, Kommunen und Städte haben schnelle und pragmatische Hilfen ermöglicht: 8.000 Tonnen Sperrmüll wurden aus Privathaushalten kostenfrei durch die Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) entsorgt, um nur ein Beispiel zu nennen.
Bereits am zweiten Tag nach den Ereignissen richtete der Rems-Murr-Kreis ein kreisübergreifendes Spendenkonto mit den ebenfalls betroffenen Nachbarlandkreisen Ludwigsburg, Göppingen und dem Ostalbkreis ein.
Noch in derselben Woche, wurden die ersten Spendengelder an besonders stark betroffene Haushalte und Vereine ausbezahlt. Über 2,7 Millionen Euro konnten somit pragmatisch an Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Ehrenamt und die Gemeinden weitergegeben werden. es gab auch Spendenkonten in den Städten und Gemeinden, aber gerade die Bündelung und ein zentrales Spendenkonto haben die Reichweite der Aktion enorm „beflügelt“ und neben Berichterstattung durch die Bildzeitung waren auch Großspenden des VfB Stuttgart und des FC Bayern München das Ergebnis.
Eine wichtige Maßnahme im Zuge der Aufarbeitung der Ereignisse war es außerdem entsprechende Informationsveranstaltungen in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Stadt oder Gemeinde, der Energieagentur, den Versicherungen und beispielsweise einem Bauunternehmer mit Erfahrungen aus dem Ahrtal zu organisieren. Auch wurde eine gemeinsame Veranstaltung mit der IHK für Unternehmen angeboten und Sondergemeinderatssitzungen anberaumt. Hierbei konnten erste dringende Fragen der Betroffenen geklärt oder weitere Beratungstermine vereinbart werden.
Um an mögliche Fragen der Bürgerinnen und Bürger aber auch der Schülerinnen und Schüler rund um den Katastrophenschutz anzuknüpfen, erstellt der Rems-Murr-Kreis derzeit ein Video zum Katastrophenschutz. Ziel ist es, die Arbeit des Kreises und der Blaulichtorganisationen vorzustellen sowie zu sensibilisieren, wo sich jede und jeder informieren und vorbereiten kann. Auch soll das Video zum Mitmachen in den Rettungs- und Hilfsvereinen anregen. Das fertige Video wird ab Mitte Oktober auf den Kanälen des Landratsamts (Instagram und Youtube) veröffentlicht und insbesondere den Schulen als passenden Beitrag für die „Aktionstage Katastrophenschutz“ zur Verfügung gestellt.
Rückblick Aufbau des Katastrophenschutzes und Ausblick Weiterentwicklung
Seit 2021 wurde begonnen die Stabsarbeit rund um den Katastrophenschutz im Landratsamt neu zu strukturieren. Im Herbst 2021 wurde mit allen Städten und Gemeinden im Lagezentrum des Polizeipräsidiums in Aalen der Schulterschluss geübt. Zudem wurde vom Krisenstab des Landkreises im Jahr 2022 eine mehrtägige Schulung an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung in Ahrweiler durchgeführt. Ebenfalls im Jahr 2022 fand dann zusammen mit allen Blaulichtorganisationen eine große landkreisweite Hochwasserübung im Oberen Murrtal statt. Im März und Juni 2023 wurden weitere Krisenszenarien, wie der Ausbruch der Amerikanischen Schweinepest, ein Hochwasser und ein flächendeckender Stromausfall geübt. Im März 2024 fand ebenfalls eine Stabsübung zu Hochwasserereignissen statt.
Ausbau Pegelmessnetz
Was die jüngsten Ereignisse im Rems-Murr-Kreis gezeigt haben ist, dass der bauliche Hochwasserschutz von allen beteiligten Akteuren noch weiter vorangetrieben werden muss. Um künftig besser gegen Hochwasser- und Starkregenereignisse gewappnet zu sein, arbeitet der Rems-Murr-Kreis gemeinsam mit den Städten und Gemeinden an einem kreisweiten Pegelmessnetz. Dadurch sollen Informationen bei Starkregen oder im Fall eines Hochwassers möglichst frühzeitig bereitgestellt werden. Das Landratsamt hat daher im Rahmen eines landesweiten Pilotprojekts Ende 2022 ein Ingenieurbüro damit beauftragt, geeignete Pegelstandorte auch an kleineren Flüssen und Bächen zu ermitteln. In enger Abstimmung mit den Städten und Gemeinden im Rems-Murr-Kreis haben sich 80 neue Standorte ergeben. Zusammen mit 54 bereits bestehenden kommunalen Pegeln sollen diese insgesamt 134 Standorte nun mit einem digitalen Sender ausgestattet werden, so dass auch Nachbarkommunen und das Landratsamt jederzeit alle Pegelstände über das behördeninterne Flutinformations- und Warnsystems FLIWAS im Blick behalten können.
Das Pegelmessnetz bringt somit auch eine Modernisierung mit sich: Automatisierte Alarmierungen bei Überschreiten eines bestimmten Pegelstands sorgen dafür, dass die Rathäuser die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig warnen und dass auch die Feuerwehren sich früher wappnen können. In vielen Kommunen mussten bisher gelb-schwarze Lattenpegel vom Bauhof oder von Feuerwehrleuten abgelesen und die Pegelstände per Telefon oder Funk weitergegeben werden. Seit Ende August 2024 können nun alle am Projekt beteiligten Städte und Gemeinden Pegel an den ausgewählten Standorten beschaffen und damit das erste kreisweite Pegelmessnetz in ganz Baden-Württemberg errichten.
Integrierte Leitstelle
Das Landratsamt plant außerdem den Neubau einer Integrierten Leitstelle (ILS) mit DRK-Rettungswache und DRK-Kreisgeschäftsstelle in Waiblingen. Die Integrierten Leitstelle ist das Herzstück der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr. Bei der Neukonzeption der ILS investieren der Landkreis (zu 45 Prozent) und die Krankenkassen (zu 55 Prozent) in modernste Technik und in eine Optimierung der Arbeitsbedingungen und Abläufe. Die ILS ist somit ein entscheidender Baustein für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger im Landkreis. Der Baubeginn für die neue ILS ist für Herbst 2024 geplant, die Fertigstellung voraussichtlich 2026.
Ausbau Sirenennetz
Ziel des Landkreises ist es unter anderem, gemeinsam mit den Städten und Gemeinden ein möglichst breites Sirenennetz aufzubauen. Die Stabsstelle Brand- und Katastrophenschutz des Landratsamtes hat im Herbst 2021 für Sirenen-Standortempfehlungen ein flächendeckendes Schallgutachten für den Landkreis beauftragt. Hintergrund war auch eine entsprechende Förderung für den Aufbau von Sirenen von Bund. Die ersten Sirenen des neuen Sirenennetzes wurden im Sommer 2023 in Burgstetten aufgebaut und im Oktober 2023 in Murrhardt. Aktuell installiert eine Fachfirma reihum Sirenen und die notwendige Sirenensteuerungstechnik. Im kommenden Jahr wird es somit in 24 von 31 Kommunen im Landkreis Sirenen geben. Sie ergänzen das Warnsystem des Bundes.
Auch bei größeren Bränden oder beim Austritt von radioaktiver Strahlung unterstützt der Landkreis die Städte und Gemeinden. Der Landkreis hat deswegen einen neuen Gerätewagen Atemschutz und Strahlenschutz angeschafft, der die Feuerwehren im Kreis mit Atemschutzgeräten bei größeren Brand- und Gefahrguteinsätzen ausrüstet.
Nach dem Ernstfall ist vor dem Ernstfall
Sven Plöger, Meteorologe, ARD-Wettermoderator und Autor, hat bei einer Veranstaltung zum Klimawandel in Waiblingen Mitte September diesen wie folgt beschrieben: „Es ist, als hätten wir den Thermostat aufgedreht.“ So schnell könne sich die Erde nicht anpassen. Das bedeutet: Extremwetterereignisse wie etwa der Starkregen im Rems-Murr-Kreis im vergangenen Juni werden immer wahrscheinlicher. Dabei brachte Plöger die Themen Katastrophen- und Klimaschutz in Einklang und appellierte an die Politik, beide ernst zu nehmen und priorisiert weiter zu verfolgen. „Wir jedenfalls werden die jüngsten Ereignisse zum Anlass nehmen, um beide Bereiche weiter voranzutreiben und die Klimaschutzziele als Landkreisverwaltung bis 2030 zu realisieren“, sagt Landrat Sigel.