Ein Beispiel für den Lückenschluss im Risiko- und Krisenmanagementkreislauf

Resilienzzentrum Ostalbkreis – so kann es rund laufen

„Nichts ist wünschenswerter, als vor der Lage zu sein.“ - so hört man es immer wieder von Einrichtungen, die für die Bewältigung von Krisen und Notfälle zuständig sind. Doch was heißt das eigentlich genau?
Michael Rembold , Petra Weber · Ostalbkreis · 11. Oktober 2024
Risiko- und Krisenmanagementzyklus
Risiko- und Krisenmanagementzyklus
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Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zeigt auf der eigenen Internetseite einen Risiko- und Krisenmanagementkreislauf, der den Ablauf und die Maßnahmen des ineinander verzahnten Risiko- und Krisenmanagements idealisiert darstellt. Dass nach einem Ereignis eine Nachbereitung der Bewältigung stattfinden sollte, um diese Erfahrungen in die Prävention einfließen zu lassen, die wiederum Erkenntnisse generiert, die in der Vorbereitung auf eine nächste Krise berücksichtigt werden sollen, wird häufig als notwendig betrachtet und bestätigt. Nur wie gut funktioniert dies im übervollen Alltagsgeschäft einer Landkreisverwaltung?

Wurzel, die unter einer Brücke hing
Wurzel, die unter einer Brücke hing
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Der Ostalbkreis hat in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen mit der Bewältigung der Corona-Pandemie, mit der zunehmenden Hitze und Extremwetterereignissen gesammelt. Landrat Dr. Joachim Bläse hatte es sich mit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2020 zum Ziel gemacht, die Resilienz im Ostalbkreis zu stärken, um aus den Erfahrungen der letzten Jahre den Bevölkerungsschutz zu stärken. Hierfür sollte eine Einrichtung geschaffen werden, die fachübergreifend die Prävention und Vorsorge auf der Agenda hat und somit eine wichtige Lücke im Risiko- und Krisenmanagementkreislauf schließt.

Das Resilienzzentrum Ostalbkreis wurde Ende 2023 als Novum in der Vorsorgelandschaft als Förderprojekt gestartet und hat das Ziel, den Ostalbkreis resilienter gegenüber Krisenereignisse zu machen. Es sieht neben der Einrichtung eines Risikodialoges in der Landkreisverwaltung und innerhalb des Landkreises auch die Vernetzung der Beteiligten im Vorsorgeprozess vor. Zusätzlich soll die Bevölkerung mit eingebunden und mit Hilfe von Bildungs- und Informationsangeboten in der Eigenvorsorge und Selbsthilfefähigkeit gestärkt werden.

Gefördert wird das Projekt als eine von zehn Regionen in Deutschland mit einer Fördersumme von knapp 700.000 Euro aus dem Bundesprogramm ländliche Entwicklung (BULE) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.

Die Maßnahmen im Risiko- und Krisenmanagementkreislauf sind fester Bestandteil der Aufgaben im Resilienzzentrum. Doch ist man nun automatisch vor der Lage, wenn diese Aufgaben innerhalb einer Landkreisverwaltung wahrgenommen werden?

Ein gutes Beispiel hierfür hat sich in diesem Jahr gezeigt, als das Resilienzzentrum vom Bürgermeister der Gemeinde Waldstetten, Michael Rembold, gebeten wurde, unterstützend in einer Bürgerversammlung zum neu erstellten Katastrophenschutzplan mitzuwirken. Waldstetten ist in der Vergangenheit wiederholt durch Extremniederschläge von Überflutungen betroffen gewesen. Der neu erstellte Katastrophenschutzplan, vorgestellt durch den Feuerwehrkommandanten Ingo Brosch, sollte eine Grundlage für die Vorbereitung und Bewältigung eines möglichen neuen Ereignisses sein. In diesem Rahmen hat die Gemeinde Waldstetten mit Unterstützung des Resilienzzentrums den Bürgerinnen und Bürgern mit Informationsständen wertvolle Tipps zur Anlage einer Dokumentenmappe, zum Inhalt eines Notfallrucksacks gegeben und auch, wie ein geeigneter Notvorrat aussieht. Zusätzlich konnte den Gästen in der Halle mit einem Vortrag technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen zum Schutz vor Hochwasser und Starkregen vorgestellt werden.

Dass die Inhalte der Veranstaltung nur knapp vier Wochen später auf die Probe gestellt wurden und wie wichtig es ist, mit einer guten Vorbereitung und Kommunikation VOR der Lage zu sein, wird in dem Bericht von Bürgermeister Michael Rembold zur Schadensnacht eindrücklich beschrieben:

"In der Nacht vom 02. auf den 03. Juni 2024 wurde Waldstetten nach dem Jahr 2016 zum wiederholten Male von Hochwasser heimgesucht. Der Starkregen hielt seit Tagen vor der Hochwassernacht an. Durch intensive Vorbereitungen von Gemeinde, Feuerwehr, Deutsches Rotes Kreuz, Gemeindebauhof und Wasserversorgung im Rahmen einer Katastrophenschutzplanung hatten alle Beteiligten zueinander Vertrauen aufgebaut. Dabei konnten Szenarien durchgespielt werden, wie koordiniertes und abgestimmtes Verhalten im Krisenfall untereinander zu erfolgen hat. Nachdem die Bäche in der Gemeinde immer mehr Wasser aufzunehmen hatten und wild abfließendes Wasser zunahm, kamen Bürgermeister, Feuerwehrkommandant und Bauhofleiter zu kleineren Gesprächsrunden im Vorfeld zusammen. Dort stimmte man sich regelmäßig über zu erfolgende Maßnahmen ab. Eine der Maßnahmen war, an neuralgischen Punkten des Waldstetter Baches diese Mittels Sandsäcken zu sichern. Betroffene Anwohner des Baches machten sich das Vorbild von Gemeinde und Feuerwehr zu eigen und begannen ebenfalls, Türen und Lichtschächte zu sichern. Das heißt, dass sich der neue Katastrophenschutzplan schon im Vorfeld des Hochwasserereignisses spürbar bewährt hatte. Dies auch deswegen, weil im Rahmen der Planung ein Bürgerbeteiligungsprozess in Form eine Bürgerversammlung vorausging. Diese fand in enger Kooperation mit dem neuen Resilienzzentrum des Ostalbkreises statt. Der Bürgerschaft wurden hierbei Maßnahmen zu ihrem Schutze aufgezeigt, welche gut und mit teilweise wenig Aufwand umzusetzen sind. Das kam sehr positiv in der Gemeinde an. Mehrere Bürgerinnen und Bürger bestätigten mir im Nachgang der Zusammenkunft, dass sie persönlich einen großen Mehrwert aus den zahlreichen praktischen Informationen gezogen hätten.

Auf dieser vertrauensbildenden Grundlage gestaltete sich der zuvor geplante Einsatz von Feuerwehr, Bauhof, DRK und Wasserversorgung reibungs- und problemlos. Jeder Einzelne wusste in der Hochwassernacht was zu tun war. Die kritischen und neuralgischen Punkte in der Gemeinde standen ganz oben auf der Prioritätenliste. Das gesamte Helfer-Team war so eingespielt, dass teilweise schon vor der jeweiligen Alarmierung Einsatzkräfte zur Verfügung standen. So packte das DRK mit an und nahm eine Gebäudeevakuierung vor. In der örtlichen Halle wurden die Betroffenen sehr liebevoll versorgt. Auch standen uns Landwirte zur Seite, die mit ihren Traktoren Schlamm auf Straßen und Hofzufahrten beseitigten. Positiv war genauso, dass Bürgerinnen und Bürger aus umliegenden Straßenzügen zusammenfanden. Sie packten ganz unkonventionell mit an und unterstützten ihre Nachbarschaft. In Erinnerung geblieben ist ein akuter medizinischer Notfall. Durch das zufällige schnelle Eintreffen von Feuerwehrleuten konnte dieser glücklicherweise schnell und unkompliziert gelöst werden. Viele Bürgerinnen und Bürger zeigten sich nach dem Ereignis dankbar dafür, dass es in unserer Gemeinde ein so starkes und zuverlässiges Ehrenamt gibt. Neben den hauptamtlichen Kräften aus Bauhof und Wasserversorgung erfuhren ehrenamtliche Kräfte aus Feuerwehr und DRK viel Lob und Anerkennung. Vor diesem Hintergrund hat unser Bürgerbeteiligungsprozess gemeinsam mit dem Ostalbkreis bereits viele Früchte getragen. Bei einem anschließenden Dankessen wurde das erste Resümee gezogen. Und das war trotz Unwetterereignis positiv!

Als Bürgermeister einer Gemeinde mit 7.100 Einwohnern habe ich es als sehr angenehm und wohltuend empfunden, hauptamtliche Kräfte eines Resilienzzentrums an unserer Seite zu haben. Mit großer Professionalität wurde die Bürgerschaft auf verschiedene Krisenszenarien vorbereitet. Egal, ob es um eine angemessene Lebensmittelbevorratung, um wichtige Dokumente im Notfall oder um präventive Maßnahmen im Hochwasserfall ging, die Mitarbeiterinnen des Resilienzzentrums waren professionell vorbereitet. Dadurch fasste unsere Bürgerschaft schnell Vertrauen zu handelnden Personen und zu notwendigen Maßnahmen. Davon profitiert unsere Gemeinde ganz entscheidend. Von daher bin ich unserem Landrat und unserem Ostalbkreis sehr dankbar dafür, dass er unsere kreisangehörigen Gemeinden in der wichtigen Frage des vorbeugenden Bevölkerungsschutzes so vorbildlich unterstützt. Auch haben wir das Glück, ein gut ausgebildetes und professionelles Team im neuen Resilienzzentrum zu haben. „Nur gemeinsam sind wir stark!“ 

In diesem Fall hat sich deutlich gezeigt, dass die Investition in Prävention einen elementaren Beitrag in der Stärkung des Bevölkerungsschutzes darstellt. Vor der Lage sein heißt, sich außerhalb von akuten Krisenzeiten damit zu beschäftigen, bekannte Risiken zu behandeln, unbekannte zu analysieren, die vorhandenen Netzwerke zu nutzen, um sich gegenseitig zu unterstützen und die Kommunikation von Risiken auf vielen Ebenen zu stärken. Vor der Lage sein heißt auch, mehr Zeit für die Vorbereitung zu haben und durch die Risikokommunikation Vertrauen aufzubauen.

Durch das Extremwetter waren viele der 42 Städte und Gemeinden im Ostalbkreis gleichzeitig betroffen. Zum Zeitpunkt des Ereignisses in Waldstetten fand eine große Evakuierungsaktion entlang des Gewässers Lein statt, da ein Hochwasserrückhaltebecken drohte überzulaufen. Auch an vielen anderen Orten waren Einsatzkräfte dabei, Schäden zu beseitigen oder abzuwenden. Vollkommen unvorbereitet traf es die Gemeinden nicht, viele Maßnahmen wurden gut bewältigt, weil Überflutungen als ein relevantes Risiko bekannt sind und einige Tage vorab über Kreisbrandmeister Andreas Straub die örtlichen Feuerwehren über das herannahende Unwetter informiert wurden. Doch nicht immer bleibt genügend Zeit zur Vorbereitung, wenn es um plötzlich eintretende Krisen oder Extremereignisse geht.

Erleichtern würde den Landkreisen eine Unterstützung seitens des Landes, wie vergleichsweise in Hessen, wo eine Hessische Resilienzstrategie (als Konkretisierung der Deutschen Resilienzstrategie) die Steigerung der Resilienz und Krisenfestigkeit der Gesellschaft erzielen möchte, indem Grundlagen zur Orientierung für jegliches Verwaltungshandeln beschrieben werden. Gleichzeitig wird die Gewährleistung des Schutzes und der Versorgungssicherheit der Bevölkerung als Kernaufgabe des Staates beschrieben und die Resilienzstrategie in sämtlichen Ressorts der hessischen Landesregierung und Fachbereiche der Landesverwaltung angewendet. Die Kreise sowie Städte und Gemeinden müssen in ihren Gebieten ebenfalls Resilienzmaßnahmen sicherstellen. Ein Ansatz, der auch in Baden-Württemberg Schule machen könnte, um eine Durchgängigkeit der Steigerung der Resilienz vom Bund bis hin zu den kleinen Gemeinden zu erreichen.

Michael Rembold ist Bürgermeister der Gemeinde Waldstetten , Petra Weber ist Leiterin des Resilienzzentrums Ostalbkreis im Landratsamt Ostalbkreis
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