Risiko- und Krisenkommunikation im Landkreis Lörrach

Vor der Lage – Über Risiken und Katastrophen sprechen

Die Situation ist bekannt: Kaum gibt es in einem Landkreis ein großes Ereignis, werden die Behörden mit Presseanfragen überhäuft. Plötzlich stehen Fragen im Raum, die zuvor kaum Beachtung fanden. Gerade deshalb ist es wichtig, bereits im Alltag umfassend über den Bevölkerungsschutz und die bestehenden Risiken in der eigenen Region zu informieren. Dies ermöglicht es auch, frühzeitig Strukturen für eine wirksame Krisenkommunikation aufzubauen.
Domenico Baumann · Landkreis Lörrach · 11. Oktober 2024
Rettungsübung von Feuerwehren und Bergwacht auf der Kreismülldeponie Scheinberg im Landkreis Lörrach
Rettungsübung von Feuerwehren und Bergwacht auf der Kreismülldeponie Scheinberg im Landkreis Lörrach
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„Vor die Lage kommen“

Eine Krise endet entweder von selbst, etwa durch ihre natürlichen Gegebenheiten, oder sie wird durch gezielte Maßnahmen positiv beeinflusst und schließlich unter Kontrolle gebracht, womit Schäden reduziert werden. Um jedoch für möglicherweise zukünftige Ereignisse gerüstet zu sein, im Bevölkerungsschutz heißt dies „in einer Krisensituation vor die Lage zu kommen“, ist eine proaktive, sorgfältige Vorbereitung unerlässlich.

Am Beispiel einer Naturkatastrophe bedeutet dies, bauliche Maßnahmen wie Hangsicherungen, Hochwasserschutzanlagen oder Brandschneisen anzulegen. Darüber hinaus ist die Vorhaltung von Engpassressourcen wie Pumpen, Sandsäcken, Unterbringungsmaterialien oder medizinischen Vorräten ein wichtiger Bestandteil der Vorsorge.

Was jedoch im Gesamtkontext oft vergessen wird: die Kommunikation. Im Risikomanagement-Kreislauf des Bevölkerungsschutzes spielt die Kommunikation eine zentrale Rolle – sowohl in der Präventionsphase (Risikokommunikation) als auch in der Bewältigungsphase (Krisenkommunikation). Von großer Relevanz ist eine kontinuierliche, fortlaufende und transparente Kommunikation – dies schafft Vertrauen und stärkt das Krisenmanagement.

Eine gut informierte Bevölkerung ist der Schlüssel zu Resilienz. Aus diesem Grund muss die Bevölkerung frühzeitig über Pläne informiert werden. Eine resiliente Bevölkerung kann in der akuten Einsatzlage dazu beitragen, die Situation abzumildern und den Übergang zur Bewältigungsphase zu erleichtern. Hieraus ergibt sich die Frage: Über welche Risiken sollte eine Katastrophenschutzbehörde informieren, und wie verbreitet sie diese Informationen effektiv?

Idealerweise steht am Anfang eines solchen Prozesses eine wissenschaftsbasierte Risikoanalyse, aus der hervorgeht, welche Risiken aufgrund ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit besonders schlimm auf die eigene Region einwirken könnten. Sind diese Risiken identifiziert, sollte auch darüber kommuniziert werden.

Auch wenn keine umfassende Risikoanalyse vorliegt oder geplant ist, kann dennoch eine Risikokommunikation durchgeführt werden. Bestimmte Risikofaktoren sind der unteren Katastrophenschutzbehörde in der Regel auch ohne detaillierte Analyse bekannt. So stellt beispielsweise das Vorhandensein von Betrieben der oberen Klasse gemäß Störfallverordnung im Landkreis einen klaren Risikofaktor dar – etwa im Fall eines schweren Unfalls in solchen Anlagen. Ebenso sind kerntechnische Anlagen in der Nähe, auch grenznah im Ausland, als potenzielle Risiken zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind extreme Wetterereignisse wie Starkregen und Hochwasser den Behörden meist bekannt und sollten in die Risikokommunikation aufgenommen werden.

Schäden durch ein Starkregenereignis im Juli 2021 im südlichen Landkreis Lörrach
Schäden durch ein Starkregenereignis im Juli 2021 im südlichen Landkreis Lörrach
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Grundlagen der Krisenkommunikation im Landkreis Lörrach

Der Landkreis Lörrach hat sich in den vergangenen Jahren viele Gedanken zu diesem Thema gemacht. Es wurden dabei unterschiedliche Risikofaktoren identifiziert und entschieden, mehrere Projekte anzustoßen.

In einem ersten Schritt konnte auf der Website des Landkreises eine eigene Seite zum Thema Bevölkerungsschutz eingerichtet werden. Unter den Überschriften „Leben im Landkreis; Bevölkerungsschutz“ finden Bürgerinnen und Bürger die neuesten Nachrichten zu Themen des Bevölkerungsschutzes sowie wichtige Informationen zu Warnmitteln, Notfalltreffpunkten, Risiken, Vorsorgemaßnahen und den im Bevölkerungsschutz mitwirkenden Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Die Internetseite bildet die Grundlage, auf der alles gebündelt zu finden ist und auf die verwiesen werden kann.

Als Risiken identifiziert und anschließend veröffentlicht wurden Erdbeben, Stromausfälle, Unwetter, Hochwasserlagen, nukleare Unfälle und Hitze – eine große Spanne zwischen zivilisatorischen und natürlich bedingten Risiken, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

In einem weiteren Schritt stellte sich die Frage, wie man die Informationen in jeden Haushalt bringt. Es entstand die Idee, einen eigenen Flyer zur Risikokommunikation zu erstellen und den jährlichen Postversand des Abfallkalenders des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft zu nutzen, um die Informationen beizulegen. Der achtseitige Flyer, der auch digital auf der Website verfügbar ist, enthält kompakte Informationen zu den auf der Website veröffentlichten Themenfeldern. Zu jedem Themenbereich ist ein QR-Code abgedruckt, der direkt zur entsprechenden Informationsseite führt. Zusätzlich wird dazu aufgefordert, den für sich passenden Notfalltreffpunkt herauszusuchen und handschriftlich aufzuschreiben. Auf diese Weise hat jeder Haushalt die Möglichkeit, die wichtigsten Informationen für einen Notfall immer griffbereit und stromausfallsicher – etwa am Kühlschrank – zu haben. Dies stellt sicher, dass im Krisenfall die wesentlichen Informationen zur Verfügung stehen.

Ein einmaliges Projekt wie dieses wird die Bevölkerung kaum in messbarem Maße resilienter machen. Jedoch wurde der Grundstein gelegt. Im nächsten Schritt muss dieser Informationskanal verstetigt werden. Dazu plant der Landkreis Lörrach, zukünftig jährlich eine kleine Information als Erinnerung an das Thema mit dem Abfallkalender zu verschicken.

Broschüre zur persönlichen Notfallvorsorge des Landkreises Lörrach
Broschüre zur persönlichen Notfallvorsorge des Landkreises Lörrach
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Stromausfallplanung, Darksites und Instagram-Serien

Auf Grund der Energiekrise der vergangenen Winter beauftragte das Landratsamt Lörrach ein externes Unternehmen damit, eine Stromausfallplanung für den Landkreis und die Kommunen zu erstellen. Neben technischen Aspekten und Stabsstrukturen wurden in Workshops auch Fragen zur Kommunikation intensiv erörtert. Der Landkreis forderte die Gemeinden eindringlich auf, aktiv Risikokommunikation zu betreiben und konkrete Pläne für die Kommunikation mit der Bevölkerung im Krisenfall zu entwickeln. Eine wichtige Empfehlung war, die bestehenden Kommunikationsstrukturen bereits vor einer Krise mit den geplanten Krisenkommunikationswegen zu verknüpfen. Denn es liegt in der menschlichen Natur, Informationen von einem bekannten Absender mehr Vertrauen zu schenken als von einem neu geschaffenen Informationskanal im Krisenfall.

Aus diesem Grund arbeitet der Landkreis Lörrach aktuell auch an der Entwicklung von sogenannten Darksites, die im Ereignisfall aktiviert und über alle bekannten Links zur Website des Landkreises erreichbar sein werden. Dies gewährleistet eine Kontinuität im Informationsfluss, sodass die wichtigsten Informationen sowohl vor als auch während einer Krise an derselben Stelle abgerufen werden können. Zusätzlich ist geplant, diese Kontinuität auf andere Kanäle auszuweiten. Eine Instagram-Serie soll die Risiken im Landkreis thematisieren, präsentiert durch das zuständige Personal. Durch regelmäßige Updates und Anpassungen dieser Inhalte wird erwartet, dass die Bürgerinnen und Bürger den Kanal als vertrauenswürdige Informationsquelle auch in Krisensituationen anerkennen.

Abschließend bleibt festzuhalten: Ein effektiver Bevölkerungsschutz funktioniert nur gemeinsam mit der Bevölkerung. Dazu muss die Behörde aktiv auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen und sie transparent und umfassend informieren. Die Mittel für eine effektive Teilhabe der Bevölkerung am Bevölkerungsschutz sind meist vorhanden, sie müssen nur koordiniert, in einem Kommunikationskonzept abgestimmt und eingesetzt werden. Zudem darf nicht die Erwartungshaltung entstehen, eine einzelne Aktion würde direkt sichtbare Erfolge erzielen. Der Schlüssel liegt in der Kreativität, Kontinuität und Zusammenarbeit entsprechender Fachstellen innerhalb der Behörde. Wie das Bundesministerium des Innern in seinem Leitfaden zur Krisenkommunikation bereits festgestellt hat, braucht eine gute Risikokommunikation Offenheit, Transparenz, Glaubwürdigkeit und Dialogorientierung. Ein Blick in die vergangenen Jahre zeigt, wie sich die Mediennutzung verändert hat. Für Behörden ist es wichtiger denn je, hier am Ball zu bleiben und auch den Bevölkerungsschutz für die Zukunft aufzustellen. Krisen werden schon heute auch in den Medien bekämpft. Risiko- und Krisenkommunikation sollte kein Beiwerk, sondern zentraler Bestandteil der Krisenmanagementstrukturen einer Behörde sein.

Domenico Baumann ist Sachbearbeiter Bevölkerungsschutz (Chemie, Nuklear, externe Notfallplanung) im Landratsamt Lörrach
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