Kommunale Jobcenter als Erfolgsmodell

20 Jahre kommunales Jobcenter Landkreis Biberach

Vor zwei Jahrzehnten wagte der Landkreis Biberach einen mutigen und wichtigen Schritt: Die Gründung eines eigenen, kommunalen Jobcenters. Was damals als Experiment begann, hat sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Ein Erfolg, der sich auch mit Zahlen belegen lässt.
Philipp Friedel · Landkreis Biberach · 11. April 2025
Klausurtagung des Jobcenters Biberach 2004 mit dem damaligen Landrat Peter Schneider (vorne rechts) und der Sozialdezernentin Petra Alger (2. von rechts)
Klausurtagung des Jobcenters Biberach 2004 mit dem damaligen Landrat Peter Schneider (vorne rechts) und der Sozialdezernentin Petra Alger (2. von rechts)
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Seit Mitte der Nullerjahre wurden mehr als 16.000 Bürgerinnen und Bürger in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder in eine betriebliche Ausbildung integriert, im Schnitt sind das mehr als zwei Personen pro Tag.

„Von Anfang an waren wir überzeugt, dass wir die Arbeitsvermittlung vor Ort am besten gestalten können“, erinnert sich Sozialdezernentin Petra Alger. „Der damalige Landrat Peter Schneider unterstützte die Idee und war ein überzeugter Anhänger der kommunalen Trägerschaft. Nach intensiven Diskussionen stimmten auch die Kreisgremien zu, der Landkreis Biberach wurde Optionskommune.“
 

Wettbewerb um die bessere Trägerschaft

Die heftig geführte Diskussion um die Hartz IV-Reform, die zum 1. Januar 2005 in Kraft trat, und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe machten damals auch vor dem Landkreis Biberach nicht halt. „Wir wussten lange nicht, was kommt, und erst nach einem schwierigen Vermittlungsverfahren konnte das Kommunale Optionsgesetz vom Bundestag verabschiedet und der Streit um die Organisation und Finanzierung beigelegt werden“, so Petra Alger. Ein politischer Kompromiss, der es bundesweit 69 Optionskommunen ermöglichte, zunächst befristet für sechs Jahre, die Aufgaben in eigener kommunaler Trägerschaft zu übernehmen. Das Experiment war auch als Wettbewerb um die bessere Trägerschaft angelegt. Die Optionskommunen standen von Beginn an unter Beobachtung. „Der Erfolgsdruck war groß, wir mussten die Organisation rasch zum Laufen bringen und Erfolge in der Vermittlung aufzeigen“, so Petra Alger.

Es waren unheimlich spannende und herausfordernde Zeiten. So konnte das Landratsamt erstmals einen so großen neuen Aufgabenbereich organisatorisch und konzeptionell selbst gestalten. Die Anfangszeit war von Aufbruchsstimmung und Teamgeist geprägt.
 

Unterstützung durch den Landkreistag

Innerhalb kürzester Zeit mussten rund 40 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und geschult werden. „Wir waren alle hochmotiviert, die Hausspitze, die Kreisgremien, die Kommunen und die Träger stärkten uns den Rücken, alle wollten die Option unterstützen. Das machte vieles leicht“, so die Dezernentin. Dank der damals noch sehr guten Bewerberlage wählte das Landratsamt die 40 neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus rund 800 Bewerbungen aus. „Weiter konnten wir auf ein hervorragendes und erfahrenes Team im Sozialamt zurückgreifen, das diese Aufgabe unbedingt umsetzen wollte“, so Petra Alger. Sehr hilfreich war auch die Unterstützung und Begleitung durch den Landkreistag, der zeitnah den Arbeitskreis Option mit den fünf optierenden Kreisen einrichtete und die Option politisch in Land und Bund stark unterstützte und verteidigte. „Wir konnten uns in vielen inhaltlichen, rechtlichen und strategischen Fragen austauschen und abstimmen“, berichtet die Dezernentin.
 

Hohe Integrationsquote

Der Einsatz zahlte sich aus: Bereits im Dezember 2004 konnte das Biberacher Jobcenter eine große Auftaktveranstaltung mit allen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchführen. Einige von ihnen sind dem Jobcenter bis heute treu geblieben. Auf die guten Erfahrungen mit Projekten der Hilfe zur Arbeit oder dem Mainzer Modell wurde aufgebaut, und in den Folgejahren konnte das kommunale Jobcenter zahlreiche Erfolge verbuchen. „Dank der Option konnten wir unsere Eingliederungsinstrumente an den individuellen Bedarfen unserer Bürgerinnen und Bürger und den Betrieben im Landkreis ausrichten. Dies bildete die Grundlage für eine überdurchschnittlich hohe Integrationsquote und für die Nachhaltigkeit der Beschäftigungsverhältnisse“, freut sich Harald Lämmle, von Anfang an Leiter des Biberacher Jobcenters. Die Integration kommunaler Eingliederungsleistungen wie Sucht- und Schuldnerberatung sowie die Abstimmung mit der Jugendhilfe konnten unter dem Dach des Jobcenters optimal realisiert werden. Sozialdezernentin Petra Alger ergänzt: „Stolz sind wir auf die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren lokalen Partnern. Förderinstrumente wie beispielsweise der Europäische Sozialfonds konnten bedarfsorientiert eingesetzt und mehrere nachhaltige Projekte umgesetzt werden.“ Ein juristischer Meilenstein für den Landkreis Biberach war der gewonnene Musterprozess gegen die Bundesrepublik Deutschland, der bundesweit mit Interesse verfolgt wurde und letztlich den Bestand der Option sicherte.
 

Niedrigste Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg

Der Landkreis Biberach kann auch auf eine erfolgreiche Arbeitsmarktsituation zurückblicken. Er hat nicht nur die niedrigste Arbeitslosenquote im Land, sondern auch die niedrigste SGB II – Quote. So sank die Zahl der vom Jobcenter betreuten Arbeitslosen in den vergangenen 20 Jahren von 2.999 auf 1.602, während die Bevölkerung im selben Zeitraum um rund 20.000 Personen zunahm.

Auch in Krisensituationen, wie der Flüchtlingszuwanderung ab 2015, bewährte sich die enge Kooperation und unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen Ausländerbehörden, Amt für Flüchtlinge und Integration, ehrenamtlichen Helfern, freien Trägern und dem kommunalen Jobcenter. Es war möglich, vor Ort, maßgeschneiderte Lösungen und Absprachen zu treffen. Teams von Jobcenter, Amt für Flüchtlinge und Ausländeramt waren bei Bedarf auch mal in größeren Flüchtlingsunterkünften tätig oder managten ad hoc die Ankunft eines ukrainischen Sinfonieorchesters mit rund 150 Musikerinnen und Musikern von der Krankenversicherung über Leistungen bis hin zur Unterbringung.
 

„Es braucht dringend Reformen“

Ein großer Einschnitt waren die Einführung des Bürgergeldes und der Rechtskreiswechsel von Vertriebenen aus der Ukraine. „Unser Jobcenter ist seit seiner Gründung von vielen gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen betroffen gewesen und hat sich in Krisenzeiten hervorragend bewährt. Allerdings wächst die Arbeitslast für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesichts eines immensen Bürokratieaufbaus und eines komplexen Leistungsrechts sowie steigender Fallzahlen immer weiter. Hier braucht es dringend Reformen“, sagt Landrat Mario Glaser.

Zudem hat sich die Zusammensetzung der Kundinnen und Kunden sehr verändert. Die Jobcenter müssten darauf reagieren können und benötigten wieder mehr Beinfreiheit und eine ausreichende Finanzausstattung. „Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Wir müssen uns wieder mehr um unsere Kernaufgabe kümmern: „Menschen in Arbeit bringen““, so Landrat Mario Glaser.

Trotz aller Herausforderungen zieht der Landkreis Biberach nach 20 Jahren eine positive Bilanz. Wir würden wieder optieren und wollen auch in Zukunft für die Menschen in unserem Landkreis da sein und eine wichtige Rolle für den lokalen Arbeitsmarkt spielen.“, so Sozialdezernentin Petra Alger.

Philipp Friedel leitet die Zentralstelle im Landratsamt Biberach
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