Aufgrund seiner Grenzlage im Dreiländereck Deutschland/Schweiz/Frankreich kommen im Landkreis Lörrach besonders viele junge Geflüchtete an. Nach den Regelungen des SGB VIII sind ausländische Minderjährige, die im Landkreis ohne Begleitung von sorgeberechtigen Erwachsenen aufgegriffen werden, vorläufig durch die Jugendhilfe in Obhut zu nehmen. Der Landkreis als öffentlicher Träger der Jugendhilfe ist damit zuständig für die Sicherstellung der Unterbringung und Betreuung. Der Fachbereich Jugend & Familie sorgt für die erste Unterstützung.
Landkreis Lörrach muss in Baden-Württemberg die meisten UMA aufnehmen
Allein im vergangenen Jahr sind knapp 1.800 unbegleitete minderjährige Geflüchtete angekommen und vom Landratsamt Lörrach vorläufig in Obhut genommen worden – mehr als in jedem anderen Landkreis in Baden-Württemberg. Diese Größenordnung sprengt das Schaffbare angesichts vorhandener Personal- und Finanzressourcen.
Aktuell nimmt das Jugendamt des Landkreises pro Woche im Durchschnitt 27 jugendliche Geflüchtete vorläufig in Obhut. Wie im vergangenen Jahr ist damit zu rechnen, dass die Zahlen im Sommer stark zunehmen. Im letzten August hatten sich die Zugangszahlen im Vergleich zum Vorjahresmonat verdreifacht. Der Kreis muss alle Hebel in Bewegung setzen, um die ankommenden Menschen unterzubringen, zu versorgen und zu betreuen. Das Landratsamt kann dies nur mit personeller Aufstockung schaffen.
Derzeit gibt es im Landkreis drei Unterkünfte mit fast 200 Plätzen nur für minderjährige Geflüchtete. In den vergangenen zwei Jahren mussten auf Grund der sprunghaften Zugangszahlen sogar zwei Sporthallen zusätzlich als Notunterkunft für insgesamt 160 junge Menschen dienen. Noch immer gilt sie als Notoption, um schnell reagieren zu können, falls in kurzer Zeit wieder viele Minderjährige im Landkreis Lörrach ankommen. Im vergangenen Herbst war der Landkreis sogar gezwungen, zwei Großzelte für insgesamt etwa 150 Minderjährige aufzustellen, um die hohen Zugangszahlen bewältigen zu können.
Umfassende Betreuung notwendig
Werden unbegleitete minderjährige Geflüchtete von der Bundespolizei aufgegriffen, werden sie noch am selben Tag dem Landkreis Lörrach übergeben, teils bis zu 100 an einzelnen Wochenenden. Die Ankünfte der jungen Menschen sind daher nicht im Voraus planbar. Der Landkreis muss sich umgehend um die medizinische Erstuntersuchung und -versorgung und die vorläufige Unterbringung kümmern. Es folgt ein Erstgespräch, bei dem Mitarbeitende des Fachbereichs Jugend & Familie mittels Dolmetschern unter anderem die Familiensituation, Verwandtschaftskontakte und Schulbildung abklären. Dabei achten die Mitarbeiter auch auf mögliche Traumatisierungen. Schließlich folgt die Altersfeststellung und Meldung an die Verteilstelle. In der Aufnahmestelle werden mit den jungen Menschen Programme zur Freizeitgestaltung durchgeführt sowie erste Sprach- und Kulturkenntnisse vermittelt. Nach einem Zeitraum von etwa sechs bis acht Wochen werden die jungen Geflüchteten durch das Land auf andere Landkreise, je nach Quotenstand, in oder außerhalb von Baden-Württemberg verteilt. Die Übernahme an die zugewiesenen Jugendämter funktioniert aufgrund von fehlenden Kapazitäten jedoch nicht automatisch und führt zu längeren Aufenthaltszeiten im Landkreis Lörrach. Stellt sich heraus, dass die Geflüchteten bereits volljährig sind, werden sie an die Landeserstaufnahmestelle für Asylsuchende in Karlsruhe weitergeleitet.
Unterstützung durch Bund und Land notwendig
Die Probleme bei der Versorgung der UMA sind vielschichtig, der eigentliche Kern liegt aber in der ineffizienten Verteilung der Lasten und Ressourcen. Die derzeitige gesetzliche Grundlage und die politische Erwartungshaltung, dass Landkreise eigenständig die Herausforderungen bewältigen können müssen, führen zu enormen Anstrengungen und finanziellen Aufwendungen auf Landkreis-Ebene. Hinzu kommen höhere Ausgaben für die Eingliederungshilfe für traumatisierte Kinder und Jugendliche mit drohender seelischer Behinderung. Das Land erstattet zwar die effektiven Unterbringungskosten, nicht aber den organisatorischen und Verwaltungsaufwand, für den aktuell allein zwölf Mitarbeitende nötig sind. Ihre Arbeitskraft fehlt wiederum an anderer Stelle in der Jugendhilfe.
Übermäßig betroffene Stadt- und Landkreise wandten sich gemeinsam an die zuständigen Landesministerien. Der Städtetag Baden-Württemberg, der Landkreistag Baden-Württemberg sowie das Sozialministerium einigten sich auf einen Fünf-Punkte-Plan, der dabei helfen soll, die Belastungen gleichmäßiger auf die baden-württembergischen Jugendämter zu verteilen. Die erarbeiteten Vorschläge wurden Ende Juni vergangenen Jahres dem Ministerium zur abschließenden Bearbeitung übergeben. Die Ergebnisse lassen weiter auf sich warten.
Es bedarf dringend einer zielgerichteten, überkommunalen Lösung, die die Herausforderungen durch Zusatzaufgaben in der Jugendhilfe in Zeiten der Flüchtlingskrise anerkennt und entsprechend angepasste Rahmenbedingungen schafft. Dies sollte beinhalten, dass der Bund oder die Länder stärker in die Finanzierung und Organisation der Inobhutnahme eingreifen und dabei helfen, die Kapazitäten und Ressourcen gerechter und effizienter zu verteilen. Nur so kann auch sichergestellt werden, dass die Rechte und das Wohlergehen unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter gewahrt bleiben und die Jugendhilfe ihren originären Aufgaben gerecht werden kann, ohne dabei an ihre Grenzen zu stoßen.
Die Zunahme an unbegleiteten minderjährigen Ausländern bedeutet erhebliche Mehraufwendungen, insbesondere in Bezug auf Personal und Sachkosten, um den Betrieb der Unterkünfte sicherstellen zu können. Bereits letztes Jahr wandte sich der Landkreis in einem Schreiben an Manfred Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg: „Es ist zwingend und dringend notwendig, dass uns Lösungen zur Verfügung gestellt werden, um die Anforderungen bewältigen zu können“. Die in der Zwischenzeit gefundenen Lösungsansätze sind ein guter Anfang, es fehlt jedoch an einer grundlegenden und nachhaltigen Lösung.