Dialogische Bürgerbeteiligung stärkt Zufriedenheit

Dem Trend trotzen.

Die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie nimmt seit Jahren ab. Vor allem im Bund. 15 Jahre Politik des Gehörtwerdens haben diesen Trend auch im Land nicht außer Kraft setzen können, aber sorgen für bessere Ergebnisse. Woran liegt das? Und was lässt sich hieraus für unser politisches Handeln auch auf der kommunalen Ebene ableiten?
Barbara Bosch · Staatsministerium Baden-Württemberg · 12. Dezember 2025
Staatsrätin Bosch bei der Landespressekonferenz zur Übergabe der Empfehlungen des Bürgerforums zu G8/G9
Staatsrätin Bosch bei der Landespressekonferenz zur Übergabe der Empfehlungen des Bürgerforums zu G8/G9
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Seit 2021 veröffentlicht die Universität Hohenheim den sogenannten Demokratie-Monitor. Wiederkehrend wird repräsentativ unter anderem zur Zufriedenheit mit dem „Funktionieren der Demokratie“ in Deutschland, im jeweiligen Bundesland und in der Kommune befragt. Der Trend der letzten Jahre gibt Anlass zur Sorge. Während 2021 noch 65 Prozent mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland zufrieden waren, brach diese Zustimmung bis 2025 um ganze 21 Punkte auf 44 Prozent ein. Für die Länder sank die Zufriedenheit von 66 Prozent auf 53 Prozent.

Baden-Württemberg konnte sich diesem Trend nicht entziehen. Die Zufriedenheit ist aber hier um bemerkenswerte 10 Prozentpunkte höher (63 %) als im Durchschnitt aller Bundesländer. Der Autor der Studie hält die „Politik des Gehörtwerdens“ für einen wesentlichen Einflussfaktor. Darauf verweisen auch die Antworten auf die Frage, wie die Menschen diese einschätzen. Die Idee hinter ihr finden 84 Prozent der Befragten im Land gut. 97 Prozent sind der Meinung, die Grundsätze der Politik des Gehörtwerdens sollte auch die nächste Landesregierung ab März 2026 fortführen. Da sind sich alle Parteianhänger übergreifend einig. Dieser hohe Zuspruch ist das Ergebnis einer in Baden-Württemberg in über 15 Jahren entwickelten Beteiligungskultur, Schritt für Schritt aufgebaut und inzwischen in der Fläche angelangt. Damit können wir uns im nationalen wie internationalen Vergleich sehen lassen.
 

Aufbau einer Beteiligungskultur in der Landesverwaltung

Mit der Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung hat sich die Landesverwaltung verpflichtet, bei der Planung von Infrastrukturvorhaben über die formalen Erfordernisse hinaus Beteiligung zu praktizieren, wo dies angezeigt ist. Das zahlt sich aus. Zwar verschwinden Konflikte um Radschnellwege, Hochwasserschutz, Straße oder Schiene dadurch nicht, aber der Konfliktaustrag findet konstruktiv statt. Das wirkt sich positiv auf die Akzeptanz der Planungsverfahren aus, was durch eine Evaluation bestätigt worden ist.

2015 machte eine Reform Bürgerentscheide und Volksabstimmungen wesentlich anwendungsfreundlicher. Die Reform waren zwischen allen damaligen Landtagsfraktionen Konsens. Sie öffnete den Weg für Bürgerentscheide über die Bauleitplanung. Gleichzeitig gewährleistet sie nach Ablauf einer Frist Rechts- und Planungssicherheit für Investoren und Kommunalverwaltungen. Mit dem Volksantrag schaffte der Landtag zudem eine Möglichkeit, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mit einem Anliegen direkt an ihn wenden können.

Im Jahr 2013 startete das Land das Beteiligungsportal Baden-Württemberg (www.beteiligungsportal-bw.de). Die Landesregierung veröffentlicht dort eigene Gesetzentwürfe und andere Vorhaben, bei denen man sich online beteiligen kann. Somit haben nicht nur Interessensgruppen Mitwirkungsmöglichkeiten, sondern praktisch die gesamte Einwohnerschaft des Landes.

Um die Methode der Zufallsauswahl bei Bürgerforen rechtssicher durchführen zu können, beschloss der Landtag 2021 das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung. Seitdem dürfen Kommunen und andere Behörden im Land auf die Melderegister zugreifen, um die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wegen einer Teilnahme anzufragen und aus den Rückmeldungen per Los eine breite Streuung zu erreichen. Mittlerweile hat Hamburg ein solches Gesetz ebenfalls eingeführt.

Eine Reihe von Beteiligungsverfahren zu wichtigen landespolitischen Themen konnten inzwischen durchgeführt werden. Der Landtag berief 2017 eine Kommission und ein Bürgerforum zur Altersversorgung der Abgeordneten ein. Es folgten Bürgerforen zur Sanierung der Staatstheater in Stuttgart, zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, zur Corona-Pandemie, zur Erweiterung des Nationalparks, zur Landwirtschaft, zum Umgang mit den Ressourcen Wasser und Boden, zum Landesentwicklungsplan, zur Frage G8 oder G9 und zuletzt zum Nichtraucherschutz. Bedeutende Projekte vor Ort, wie der Gefängnisneubau in Rottweil und wichtige Gewerbegebiete in Mundelsheim, Bischweier oder Weilheim/Teck wurden mit Bürgerforen und anderen Beteiligungsformen begleitet.
 

Beteiligung in den Kommunen als Rückhalt für die Demokratie

Die kommunale Ebene erreicht in den Demokratie-Monitoren stets die höchsten Zufriedenheitswerte. Waren in Baden-Württemberg 2021 noch 70 Prozent mit der kommunalen Demokratie zufrieden, sind es 2025 noch starke 65 Prozent. Das zeigt, dass die Menschen durchaus zwischen den Ebenen differenzieren. Die Mitwirkungsmöglichkeiten vor Ort sind vielfältiger, erlebbarer und zugänglicher, die Auswirkungen konkreter nachvollziehbar. Kommunalpolitikerinnen und -politikern wird mehr Vertrauen entgegengebracht. Wenn wir die Zufriedenheit mit der Demokratie und den Zuspruch zu ihr als Staatsform stärken wollen, lohnt sich der Fokus auf die Kommunalpolitik besonders. Auch hier setzen wir an.

Mit der Allianz für Beteiligung e.V. wurde bereits 2012 ein landesweites Netzwerk aus der Überzeugung heraus geschaffen, dass sich gesellschaftlichen Herausforderungen besser im Austausch von Bürgerschaft, Verwaltung und Politik begegnen lässt. Die Allianz ist dabei zentrale Anlaufstelle für oft nicht organisierte, zivilgesellschaftliche Akteure. Viele Menschen möchten ihre Nachbarschaft, ihr Quartier oder ihre Kommune aktiv mitgestalten. Aber gute Ideen bleiben ungenutzt, wenn Ressourcen, Know-how oder Strukturen fehlen. Die Allianz bietet hier Beratung und Austausch, Bildungs- und Qualifizierungsangebote sowie niederschwellige Förderprogramme an.

Über Gut Beraten! erhalten Initiativen professionelle Unterstützung für die Entwicklung tragfähiger Konzepte – etwa in Ofterdingen, wo die „Alte Mühle“ in ein Café umgewandelt wird. Die Nachbarschaftsgespräche fördern Dialogformate, die selbst bei kontroversen Themen neue Verbindungen schaffen und soziale Spannungen abbauen, z.B. beim Demoslam in Winterlingen oder dem Dialograum in Nürtingen. Mit Kickstart Klima entstehen lokale Klima- und Nachhaltigkeitsinitiativen wie das Repair-Café in Ingersheim. Die Wahlkreistage wiederum bringen beispielsweise in Sulz, Mengen und Herrenberg Bürgerschaft und Politik auf Augenhöhe zusammen. Mit den Quartiersimpulsen erhalten Kommunen und Landkreise Unterstützung, um generationengerechte und lebensnahe Quartiere zu entwickeln. In Blaustein, Schorndorf oder Mannheim entstehen so Orte, die dazu beitragen, dass Menschen länger in ihrem gewohnten Umfeld gut leben können - als Teil einer Gemeinschaft.

Mehr als 1.600 geförderte Projekte seit 2015 bestätigen: Die Wirkung dieses Ansatzes zeigt sich unmittelbar. Es entstehen neue Begegnungsräume (nicht nur virtuell!), das Vertrauen in politische Entscheidungen wächst und die Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld steigt. Kommunen wiederum profitieren von zusätzlichen Impulsen, neuen Engagierten und einer gestärkten Fähigkeit, Herausforderungen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zu bewältigen. Der Zusammenhalt wächst.

Um den Mehrwert der dialogischen Bürgerbeteiligung und die Expertise auch den Kommunen zur Verfügung zur stellen, wurde vor mehr als zwei Jahren die Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung Baden-Württemberg gegründet. Sie ist die zentrale Beratungs- und Unterstützungsstelle für Behörden, wenn es um dialogische Bürgerbeteiligung geht. Über einen Rahmenvertrag werden rechtssicher und einfach Dienstleister vermittelt. Das macht Vergabeverfahren nicht nur überflüssig, sondern wirkt auch preisdämpfend. Gemeinden unter 20.000 Einwohnern können unbürokratisch und schnell eine Landesförderung hierfür abrufen. Auch Landkreise können sich der Servicestelle bedienen. Ein gelungenes Beispiel für ein Bürgerforum auf Landkreisebene ist das Bürgerforum „Zukunft Kliniken Ostalbkreis“.

Bei der Dialogischen Bürgerbeteiligung geht es darum, die Entscheidungen der gewählten Gremien vorzubereiten. Sie hilft, „dicke Bretter“ zu bohren – also konkrete und strittige Themen zu versachlichen und die vielen Argumente abzuschichten. Ich kenne kein anderes Format, was Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und sozialen Hintergrunds auch nur annähernd so gut zusammenbringt – und Themen nicht nur in der Tiefe auslotet, sondern Konflikte transparent diskutiert und gemeinsam tragfähige Empfehlungen entwickelt. Ohne das Hineinhören in die Breite der Gesellschaft überließe man Lobby- oder Randgruppen die öffentliche Debatte. Dialogische Bürgerbeteiligung balanciert dies aus. Die Rückmeldungen aus den beteiligten Kommunen sind sehr positiv. Das ist ein großer Erfolg. Er zeigt, dass die Errichtung der Servicestelle der richtige Schritt war – für Kommunen und Mandatsträger, im Vorfeld ihrer oftmals schwierigen Abwägungen.

Der Demokratie-Monitor enthält seit Anbeginn eine positive Nachricht bereit: Zweidrittel der Befragten sprechen sich stabil für die repräsentative Demokratie aus. Aber: Sie wollen vor den Entscheidungen gehört werden. Hier setzt die Dialogische Bürgerbeteiligung an. Um den Gefährdungen für die Demokratie zu begegnen, muss sich erfolgreiche Politik dieser „stillen“ Mehrheit zuwenden, ihr vermitteln, dass sie wahrgenommen wird. Gerade auf der kommunalen Ebene gibt es vielfältige Möglichkeiten hierfür. Das Beispiel Baden-Württemberg zeigt, dass die Idee der Politik des Gehörtwerdens die Akzeptanz von politischen Entscheidungen erhöhen kann und demokratische Einstellungen maßgeblich stärkt. Dass der Staat funktioniert und Politik Entscheidungen trifft, muss sich selbstredend in Taten zeigen. Das muss jedoch auch immer wieder erklärt werden. Gerade in Zeiten umfassende Veränderungen für uns alle. Die Neuausrichtung auf so vielen Feldern gelingt nur mit den Menschen, nicht ohne sie. Die Erfahrung zeigt: Dies funktioniert mit der Dialogischen Bürgerbeteiligung besonders gut. Deshalb: Befähigen Sie die Menschen, sich einzubringen, beziehen Sie sie aktiv bei wichtigen Themen ein. Die Allianz für Beteiligung und die Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung unterstützen Sie gern dabei.

Barbara Bosch ist Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der Landesregierung Baden-Württemberg
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