1. Meilensteine
Die über 30jährige Tradition der Förderung Bürgerschaftlichen Engagements in Baden-Württemberg ist durch folgende Entwicklungsphasen gekennzeichnet:
Die Basis wurde zwischen 1990 bis 1996 mit zwei Modellprogrammen im Bereich innovativer Seniorenarbeit gelegt: Die „Seniorengenossenschaften” (1990 - 1993) und die „Initiative 3. Lebensalter” (1994 - 1996) folgten dem Leitbild „produktives Alter“ und rückten den Beitrag, den ältere Menschen durch ihr Engagement für sich selbst und für die Gesellschaft leisten können, in den Vordergrund. Hier war erstmals die Rede von „Bürgerschaftlichem Engagement“ – auch im Sinne neuer Engagementformen jenseits klassischer Ehrenamtlichkeit. Die im Kontext der beiden Programme entstandenen neuen Initiativen schließen sich (gemeinsam mit weiteren Gruppierungen) 1994 zur „Arbeitsgemeinschaft Bürgerschaftliches Engagement/Seniorengenossenschaften“ (ARBES) zusammen.
Mit dem am 20. September 1996 gestarteten und gemeinsam von Sozialministerium und den drei kommunalen Landesverbänden getragenen „Landesprogramm Bürgerschaftliches Engagement“ (1996 - 2000) weitete sich die Perspektive auf alle Generationen und Themenbereiche. Förderpartner des Programms waren insgesamt 30 Städte, Gemeinden und Landkreise. Sie wurden durch finanzielle Mittel, Fachberatung und begleitende Veranstaltungen dabei unterstützt, ihrerseits Strukturen und Strategien der lokalen Engagementförderung zu entwickeln.
Ab 2001 wird der nächste Schritt der Weitung vollzogen: Auf Grundlage einer fortgeschriebenen Vereinbarung zwischen Sozialministerium und kommunalen Landesverbänden wird ein „Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement“ aufgebaut, das im Prinzip für alle Kommunen und Verbände offen ist. Über ein zeitlich und räumlich begrenztes Modellprojekt hinaus soll „die Förderung Bürgerschaftlichen Engagements in Baden-Württemberg den Status einer langfristig angelegten, kontinuierlichen Gestaltungsaufgabe” erhalten. „Allen Städten, Landkreisen und Gemeinden wird die Chance eröffnet, sich an diesem Lernprojekt einer zukunftsfähigen Bürgerkommune zu beteiligen” (AG/BE 2000: 71). In diesem Rahmen entstehen insbesondere das Landkreis-, das Städte- und das Gemeindenetzwerk Bürgerschaftliches Engagement. Wichtige Konstante ist zudem die ARBES. Seit 2001 wurde die Kooperation zwischen den Kommunalen Landesverbänden und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg mehrfach fortgeschrieben. In 2025 wurde die „7. Vereinbarung zum Ausbau des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement“ unterzeichnet (Laufzeit bis Ende 2031).
Einen wichtigen Impuls hinein in diese kontinuierliche Zusammenarbeit brachte die aus dem Landesnetzwerk heraus auf den Weg gebrachte und von der Landesregierung 2012 offizielle beschlossene Entwicklung und Implementierung der „Engagementstrategie Baden-Württemberg“. Übergeordnete Zielsetzung war die Verwirklichung einer sozial lebendigen und solidarischen Bürgergesellschaft als Aufgabe von Landespolitik und engagierten Organisationen. An der Erarbeitung der Strategie wirkten in einem breiten Beteiligungsprozess weit über 100 VertreterInnen von Landesministerien, Kommunen und freien Organisationen (Wohlfahrts- und Sportverbände, Migranten-Selbstorganisationen) sowie engagierte BürgerInnen mit und brachten ihre Expertise ein. Exemplarisch wurden die Schwerpunkte „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Menschen mit Behinderungen“, „Ältere Menschen“, „Pflege“, „Jugend und Freiwilligendienste“ und „Unternehmerisches gesellschaftliches Engagement“ in den Blick genommen. Hierzu wurden ca. 140 Empfehlungen formuliert und den Handlungsebenen Bund, Land, Kommune, Verbände/Vereine bzw. Bürgerschaft zugeordnet. 2018 erfolgte eine Weiterentwicklung mit Blick auf konkrete Lebenswelten der Menschen.
In der Folge wurden seitens des Landes verschiedene Förderlinien aufgelegt, insbesondere das Programm „Gemeinsam engagiert in Baden-Württemberg” (4. Ausschreibung in 2025). Die jüngere Entwicklung ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass intensiv über die Verbindung der Förderung bürgerschaftlichen Engagements mit weiteren Themen diskutiert wird: Bürgerbeteiligung, Integration zugewanderter Menschen, Inklusion von Menschen mit Behinderungen oder Quartiersentwicklung.
Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind in gesellschaftspolitischen Feldern schwer zu treffen. Tatsache ist aber: Was die Quote der Menschen angeht, die sich freiwillig engagagieren, nimmt Baden-Württemberg im Bundesvergleich seit Jahren eine Spitzenposition ein. Dies zeigt der sog. „Freiwilligensurvey“, eine seit 1999 alles fünf Jahre durchgeführte repräsentative Untersuchung.
So hat sich – in wichtigen Meilensteinen nachgezeichnet – die Förderung Bürgerschaftlichen Engagements in Baden-Württemberg in den zurückliegenden drei Jahrzehnten entwickelt. Aber was macht ihren gesellschaftspolitischen Kern aus?
2. Kernpunkte
Charakteristisch für den „baden-württembergischen Weg“ war und ist erstens, dass Engagementförderung als Förderung „Bürgerschaftlichen Engagements“ verstanden und damit in den Horizont der Idee der Zivilgesellschaft bzw. der Bürgerkommune eingeordnet wird. Es geht um die Stärkung der Demokratie und des sozialen Miteinanders in einer lebendigen und solidarischen Gesellschaft, nicht die Rekrutierung von „HelferInnen“. Dass Mensch, die in Baden-Württemberg leben, sich freiwillig engagieren können, wird dabei zuerst und vor allem als ein Moment gesellschaftlicher Teilhabe verstanden.
Dem entsprechend wird zweitens Engagementförderung als Aufgabe und Herausforderung verschiedener Akteursfelder verstanden und praktiziert: Die in Baden-Württemberg lebenden Menschen, das Land und die Kommunen, die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen (vom Sport über die Wohlfahrtspflege bis zum Umweltbereich), aber auch die Wirtschaft.
Drittens wird Engagementförderung als Politikfeld und ordnungspolitische Aufgabe interpretiert, die deutlich über die klassische (finanzielle) Unterstützung des Ehrenamts in Vereinen und Verbänden hinausgeht. Es geht um förderliche Rahmenbedingungen in großer Breite: Was brauchen Menschen, damit sie sich bürgerschaftlich engagieren können – bzw. welche Hemmnisse, die einem Engagement entgegenstehen, sind abzubauen? Und was können bzw. müssen die o.g. Akteure dazu beitragen, um Engagement und damit gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen? Die vom Land Baden-Württemberg seit 30 Jahren wahrgenommene engagementpolitische Verantwortung zeigt sich auch daran, dass es seit den Anfängen im Sozialministerium eine Geschäftsstelle, später Stabsstelle und heue ein Referat Bürgerschaftliches Engagement gibt.
Viertens steht die kommunale Ebene im Fokus, Städte, Gemeinde und Landkreise. Hier leben die Menschen in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bezügen; und hier ist ein zentraler Ort ihres Engagements. Auf dieser Ebene wird damit auch eine besondere Verantwortung für die systematische Förderung des freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements gesehen. Die ordnungspolitische Rolle des Landes besteht darin, die Kommunen bei dieser Aufgabenwahrnehmung zu unterstützen. Dieses (letztlich subsidiäre) Verantwortungsgefüge dokumentiert sich in den seit 1996 geschlossenen Kooperationsvereinbarungen.
Für die Umsetzung eines solchen Konzepts von Engagementförderung kommt der Arbeit in Netzwerken - ein fünftes Charakteristikum - besondere Bedeutung zu. Dies gilt für die örtliche Ebene, insbesondere aber für die Landesebene mit dem Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement als Netzwerk von Netzwerken. Dies macht die besondere Stärke des Landesnetzwerks aus: Es ermöglichte nicht nur - horizontal - ein Zusammenwirken verschiedener gesellschaftlicher Sektoren (Ministerien, Verbände, Bürgerschaft), sondern auch - vertikal – eine Konsultation von der Landesebene über die Kommunen bzw. die örtlichen Verbandsgliederungen bis hin zu aktiven Bürgergruppen.
Mit Blick auf den damit beschrittenen Weg ist dem Süd-West-Bundesland in den vergangenen Jahren des Öfteren ein Vorbildcharakter in der föderalen Landschaft der Bunderepublik bescheinigt worden.
3. Herausforderungen und Perspektiven
Mit dem gesellschaftlichen und politischen Wandel hat sich auch die Förderung Bürgerschaftlichen Engagements in Baden-Württemberg in den zurückliegenden drei Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt. Welche Herausforderungen stehen aktuell an?
In einer Gesamtsituation, die durch multiple Krisen (Covid-Pandemie, Fluchtbewegungen, Klimawandel und Klimakatastrophen, Kriege und politische Instabilität etc.), Infragestellung demokratischer Institutionen und gesellschaftliche Spaltungstendenzen gekennzeichnet ist, ist Engagementförderung als Demokratieförderung bedeutsamer denn je.
Eine angespannte Wirtschaftslage, die die ohnehin oft prekäre Finanzsituation der Städte, Gemeinden und Landkreis zusätzlich verschärft, stellte auch in den zurückliegenden Dekaden mehrfach eine erhebliche Herausforderung für die nach wie vor als Freiwilligkeitsaufgabe eingeordnete Engagementförderung dar. Die aktuelle Krise trifft jedoch - und dies ist ein gravierender Unterschied - mit einer spezifischen demografischen Entwicklung zusammen: Der Renteneintritt der „Babyboomer“ führt einerseits zu einer hohen Belastung des Renten- und Pflegesystems, andererseits zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels. Vor diesem Hintergrund wird eine (demokratisch von statten gehende!) Neuvermessung der Verantwortungsteilungen zwischen bürgerschaftlichen Initiativen und professionellen Dienstleistungen unabweisbar sein.
In den zurückliegenden 30 Jahren hat das Land Baden-Württemberg die lokale Unterstützung freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements kontinuierlich mittels vielfältiger Programme finanziell und durch Expertise gefördert. Die positiven Effekte dieser Förderlinien sind kaum zu überschätzen. Die Fortführung dieser Landesförderung ist dringend erforderlich, um die genannten Herausforderungen ‚vor Ort‘ meistern zu können.
Engagementförderung schreiben sich inzwischen mehrere baden-württembergische Ministerien auf die Fahnen, was im Grundsatz positiv ist. Die Koordination der verschiedenen Strategien (zwischen den Ministerien, aber z.T. zwischen den Referaten des gleichen Ministeriums) bleibt eine Herausforderung, die seit den 1990er Jahren nicht an Bedeutung verloren hat.