Mit dem Ende der Berufstätigkeit sind gravierende Veränderungen verbunden – Gewinne, aber auch Verluste, die ausgeglichen werden müssen.
Wie jedes einschneidende Ereignis im Leben wird auch der Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand auf sehr individuelle Art und Weise bewältigt. Er verändert Routinen, Zeitstruktur und soziale Netzwerke und kann sowohl als Befreiung als auch als Herausforderung erlebt werden. Die Lebenslage im Alter hängt stark von der Erwerbsbiografie und sozialen Faktoren ab. Der Ruhestand wird zunehmend als eigenständige Lebensphase mit Potenzial zur Teilhabe verstanden. Heute bedeutet Ruhestand mehr als Rückzug: Er führt viel mehr zu neuen Möglichkeiten und bietet Gestaltungspotenzial. Unter dem Motto „Berufsende in Sicht – Perspektiven für einen neuen Lebensabschnitt“ lud der Kreisseniorenrat Esslingen e. V. gemeinsam mit dem Landratsamt Esslingen, der Stiftung der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen und weiteren Partnern zu einer achtteiligen Vortragsreihe ein. Sie richtete sich an Menschen, die kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand stehen oder diesen gerade begonnen haben.
Die Bedeutung des Themas ist offensichtlich: In den kommenden 15 Jahren wird ein Viertel der Bevölkerung in Baden-Württemberg älter als 65 Jahre sein. Im Landkreis Esslingen steigt die Zahl der über 65-Jährigen bis 2040 um rund 20 Prozent. Damit gehen nicht nur Wissen und Kompetenzen verloren, sondern es entstehen auch neue gesellschaftliche Aufgaben. Der Übergang in den Ruhestand ist weit mehr als eine organisatorische Frage – er ist eine psychische und physische Herausforderung. Die Vortragsreihe setzte Impulse, diesen Lebensabschnitt aktiv und selbstbestimmt zu gestalten. Im Mittelpunkt standen Fragen der bewussten Vorbereitung, der Orientierung und Standortbestimmung sowie der Suche nach neuen Aufgaben und Zielen. Außerdem ging es um Gesundheit und Prävention, um die Veränderungen in den sozialen Beziehungen und die Bedeutung neuer Netzwerke. Ein weiterer Schwerpunkt war das bürgerschaftliche Engagement, denn die geburtenstarken Jahrgänge sind eine wertvolle Ressource für Kommunen, Institutionen, Vereine und Initiativen. Schließlich wurde auch die innere Haltung thematisiert, denn die nachberufliche Phase ist auch immer eine Auseinandersetzung mit dem Älterwerden und den eigenen und gesellschaftlichen Vorstellungen vom Alter.
Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ist weit mehr als eine individuelle Entscheidung – er betrifft zentrale gesellschaftliche Strukturen. Mit dem Eintritt in den Ruhestand verändert sich nicht nur die Lebenssituation der Einzelnen, sondern auch die Verteilung von Ressourcen zwischen den Generationen. Altersgerechte Arbeitsbedingungen, soziale Teilhabe und gesundheitliche Versorgung müssen gesamtgesellschaftlich gestaltet werden, um soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt zu fördern. Dabei spielen auch die Anerkennung von Lebensleistungen und die Integration älterer Menschen in das gesellschaftliche Leben eine wichtige Rolle. In einer alternden Gesellschaft ist der Ruhestand nicht das Ende von Teilhabe, sondern ein neuer Abschnitt, der aktiv gestaltet werden muss – politisch, sozial und ökonomisch.
Die Veranstaltungen fanden von Frühjahr bis Herbst 2025 im hybriden Format statt – vor Ort und online, kostenlos für alle Interessierten. Rund 500 Personen besuchten die Abende, weitere 700 nutzten den Livestream. Landrat Marcel Musolf eröffnete die Reihe und unterstich die Bedeutung der anstehenden gesellschaftlichen Entwicklung, auch mit Blick auf die Wirtschaft: „Für unseren Landkreis Esslingen ist dieses Thema von besonders großer Relevanz. Wir haben in unserer Region eine hohe Zahl an gut ausgebildeten und erfahrenen Fachkräften, die im Laufe der nächsten Jahre in den Ruhestand treten werden. Damit wird sich für die Unternehmen im Landkreis eine wichtige Frage stellen: Wie können diese Übergänge möglichst reibungslos und mit einem positiven Effekt für die gesamte Gesellschaft gestaltet werden? Denn Unternehmen im Landkreis Esslingen, sowohl große Betriebe als auch Mittelständler sind ebenso wie die Kommunen auf die Erfahrung und das Know-how ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen.“
Burkhard Wittmacher, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen und großer Arbeitgeber in der Region äußert sich folgendermaßen: „Der demografische Wandel stellt Unternehmen, Krankenkassen und die Politik vor große Herausforderungen, aber auch vor enorme Chancen. Es ist entscheidend, dass wir gemeinsam für die Notwendigkeit eines fließenden Übergangs vom Berufsleben in den Ruhestand sensibilisieren. Nur durch eine enge Zusammenarbeit können wir sicherstellen, dass die wertvolle Erfahrung und das Wissen der Babyboomer-Generation weiterhin genutzt wird, um die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Insbesondere Unternehmen müssen Strategien entwickeln, die nicht nur den Ruhestand erleichtern, sondern auch das Potenzial für ein nachhaltiges Engagement der Ruheständler aktivieren.“
Den Auftakt bildete eine Veranstaltung mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Sozialwesen, die über die Rolle von Unternehmen und die persönliche Vorbereitung auf den Ruhestand diskutierten. In den folgenden Einheiten beleuchteten namhafte Referentinnen und Referenten unterschiedliche Aspekte des Übergangs.
Prof. Dr. Eckart Hammer, Sozialwissenschaftler und Vorsitzender des Landesseniorenrates Baden-Württemberg, sprach über die psychologischen Herausforderungen des Ruhestands und die Bedeutung tragfähiger sozialer Netze sowie sinnstiftender Tätigkeiten.
Dr. Markus Marquard von der Universität Ulm zeigte Chancen und Risiken des Ruhestands und stellte gemeinsam mit dem Senior Expert Service Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement vor. Ursula Werner, Diplom-Gerontologin, betonte die Bedeutung stabiler Beziehungen und regte zur aktiven Pflege und Erweiterung des sozialen Umfelds an.
Prof. Dr. Andrea Helmer-Denzel von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg thematisierte die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen am Ende des Berufslebens und gab praktische Tipps für Bewegung und Gesundheit. Joachim E. Keding ermutigte die Teilnehmenden, eigene Vorstellungen vom Alter zu reflektieren und eine „lebenskünstlerische“ Haltung zu entwickeln.
Prof. Dr. Paul-Stefan Roß zeigte die Vielfalt moderner Engagementformen und ermutigte zur Suche nach passenden Einsatzfeldern, während die Esslinger Freiwilligenagentur konkrete Angebote vorstellte.
Den Abschluss bildete ein Vortrag von Inge Hafner über die Suche nach Glück und Sinn im Ruhestand, verbunden mit einem Rückblick und Ausblick auf die Reihe.
Die Resonanz war groß und zeigte, wie sehr das Thema bewegt. Die Auswertung von Themenkarten machte deutlich, welche Fragen besonders interessieren: neue Kontakte, Vorsorge und Rentenversicherung, Älterwerden als Familienthema sowie den Spagat zwischen Enkeln und Pflege der Eltern. Weitere Wünsche betrafen Wohnen, Mobilität, Partnerschaft, Alleinsein und Altersarmut. Eine Arbeitsgruppe plant die Fortführung der Reihe mit praxisnahen Angeboten und Raum für Austausch mit weiteren Partnern.
Viele sind offen für freiwillige Tätigkeiten, die Sinn stiften und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.
„Die Babyboomer sind eine schlummernde Engagementreserve. Mehr als doppelt so viele Befragte, als sich bereits engagieren, sind offen für ein Engagement – nur ein kleiner Teil von ihnen plant das allerdings konkret. Die größte Generation für ein lokales Engagement zu gewinnen, lohnt sich für Kommunen, schon quantitativ. Aber es ist kein Selbstläufer“, stellt auch die Körber-Stiftung fest.
Unternehmen und Wirtschaftsverbände sind daher gefordert, Konzepte für einen fließenden Übergang zu etablieren. Diese ermöglichen es, die Kompetenzen älterer Beschäftigter weiterhin zu nutzen und gleichzeitig deren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Studien zeigen, dass etwa 27 % der Beschäftigten Vorruhestandsregelungen nutzen, während 29 % eine Weiterbeschäftigung bei vorgezogener Rente bevorzugen. Unternehmen profitieren dabei nicht nur von der Erfahrung älterer Mitarbeitenden, sondern stärken auch ihre Arbeitgeberattraktivität in Zeiten des Fachkräftemangels.
Auch die gesetzlichen Krankenkassen spielen eine zentrale Rolle in der Gestaltung dieses Übergangs. Mit zunehmendem Alter steigen die Risiken für chronische Erkrankungen, psychische Belastungen und Pflegebedürftigkeit. Der Renteneintritt ist für viele Menschen ein kritischer Lebensabschnitt, der mit dem Verlust von Struktur, sozialer Einbindung und beruflicher Identität einhergeht. Präventionsmaßnahmen, wie sie der gesetzliche Rahmen bereits jetzt ermöglicht (§§ 20–20b SGB V), sollen hier gezielt ansetzen. Die Krankenkassen fördern Programme zur Bewegung, Stressbewältigung, Ernährung und sozialen Teilhabe – sowohl individuell als auch in Lebenswelten wie Kommunen und Betrieben.
Die Planung der nachberuflichen Phase ist somit nicht nur eine individuelle Aufgabe, sondern auch eine gesellschaftliche. Sie erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, mit Fragen der Sinnstiftung und mit den Vorstellungen von Alter in einer sich wandelnden Gesellschaft. Der Übergang in den Ruhestand sollte daher nicht als Bruch, sondern als gestaltbare Lebensphase verstanden werden – mit Unterstützung durch Kommunen, Unternehmen, Krankenkassen und politische Rahmenbedingungen.
Finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag von Baden-Württemberg beschlossen hat.
Literatur:
Adam, Nancy/Bartnik, Jörg (EY Tax GmbH): Wie der Weg in den Ruhestand für Jung und Alt flexibel gestaltet werden kann. Abgerufen von: https://www.ey.com/de_de/insights/tax-law-magazine/offboarding-in-den-ruhestand, zuletzt geprüft: 30.10.2025.
Hübner, Inga-Marie (2017): Subjektive Gesundheit und Wohlbefinden im Übergang in den Ruhestand. Eine Studie über den Einfluss und die Bedeutsamkeit des subjektiven Alterns und der sozialen Beziehungen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Körber-Stiftung (2024):„Engagiert euch, Boomer! Hamburg.
Kunz, Carolin/ Brandt, Martina (2024): Alter(n) und soziale Ungleichheit in Deutschland und Europa. In: Böhnke, Petra, Konietzka, Dirk (Hrsg): Handbuch Sozialstrukturanalyse. Springer VS, Wiesbaden.
Statistisches Bundesamt (Destatis) (2025): 13,4 Millionen Erwerbspersonen erreichen in den nächsten 15 Jahren das gesetzliche Rentenalter. Pressemitteilung Nr. N048 vom 3. September 2025. Wiesbaden.