Die Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl forscht für die Entlastungsallianz an der Entwicklung eines rechtsgebietsübergreifenden Werkzeugkastens zur Bewertung verfahrensrechtlicher Entlastungen - konkret an einem Verfahren mit dem bewertet werden kann, ob und wie eine Genehmigung durch alternative Formen ersetzt werden kann.
Hintergrund und Ziel der Studie
Bürokratische Genehmigungsverfahren gelten als eine der größten Herausforderungen für Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Verwaltungen. Zur Beurteilung, welche dieser Verfahren effizienter und wie ausgestaltet werden könne, zeigt die Kurzstudie die im Rahmen der Unterarbeitsgruppe “Eigenverantwortlicher Projektträger” der Entlastungsallianz Baden-Württemberg unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Frey von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl konkrete Möglichkeiten auf, wie Genehmigungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden können, ohne dabei den Schutz wesentlicher Rechtsgüter zu vernachlässigen.
Die Studie kommt dabei zum Ergebnis, dass das deutsche bzw. baden-württembergische Verwaltungsrecht in weiten Teilen einen stark präventiven Ansatz verfolgt. Zahlreiche Vorhaben erfordern Ex-ante Zulassungen in Form von Genehmigungen, Erlaubnissen oder Konzessionen, zu deren Erteilung in der Regel eine umfassende Prüfung durch die zuständige Behörde erforderlich ist.
Ansätze zur Verfahrensvereinfachung
Die Studie konzentriert sich grundsätzlich nicht auf materiell-rechtliche Aspekte, wie z. B. das Weglassen von Tatbestandsvoraussetzungen, sondern auf die rechtlichen Alternativformen zu einer klassischen Ex-ante-Vollgenehmigung und entwickelt rechtsgebietsübergreifend einen auf absoluten (Ausschluss-) und relativen (Bewertungs-)Kriterien aufbauenden Katalog, mit dem rechtsgebietsübergreifend Verfahrensvereinfachungen identifiziert werden können.
Dabei werden verschiedene Instrumente zur Effizienzsteigerung vorgestellt. Eine Möglichkeit besteht in der vollständigen oder teilweisen Verfahrensfreistellung für Vorhaben mit geringem Risiko für schützenswerte Güter. Daneben wird ein Vorhaben im Rahmen eines Anzeige- oder Kenntnisgabeverfahrens nicht einer obligatorischen präventiven Kontrolle durch eine Verwaltungsbehörde unterworfen, sondern eröffnet dieser - im Unterschied zu einer vollständigen Verfahrensfreistellung - durch die obligatorische Anzeige eine präventive Kontrollmöglichkeit und unterstellt dem Vorhaben ansonsten die formelle Rechtmäßigkeit. Eine Erleichterung besteht nur, wenn durch den Verzicht auf eine Prüfung keine Haftungsansprüche entstehen. Darüber hinaus könnten Typengenehmigungen und Standardisierungen für wiederkehrende Bau- oder Infrastrukturprojekte eingeführt werden. Auch durch eine vollständige oder teilweise Externalisierung von Genehmigungen, etwa in Form einer Verlagerung an externe Gutachter oder Prüfsachverständige, können Entlastungseffekte generiert werden. In diesem Zusammenhang wäre an entsprechende Zertifizierungen oder Zulassungsvoraussetzungen und Haftungsregelungen für Prüfsachverständige zu denken. Unabhängig davon soll noch auf die Möglichkeit der Digitalisierung standardisierter Prüfverfahren und die Möglichkeit einer automatischen Prüfung der Zulässigkeit hingewiesen werden.
Absolute und relative Abwägungskriterien
Die Überprüfung, ob eine Genehmigung durch eine der genannten alternativen Zulassungsformen ersetzt werden kann und wenn ja, ob dies auch sinnvoll ist, erfolgt anhand von absoluten bzw. Ausschlusskriterien.
Unter absoluten Kriterien werden solche Kriterien verstanden, die sich aus der Perspektive des Landesgesetzgebers nicht unmittelbar überwinden lassen und die den Einsatz bestimmter Genehmigungsformen und ihrer Alternativen entweder zwingend vorschreiben oder ausschließen. Charakteristisches Beispiel sind hier zwingende Vorgaben aus höherrangigem Recht, etwa aus EU- oder Bundesrecht. Eine Überwindung dieser Vorgaben ist nur über eine Änderung der höherrangigen Rechtsnorm, aus der sich die Vorgaben ergeben, möglich. Für das Land bedeutet dies, dass hier Änderungen allenfalls mittelbar beeinflussbar sind.
Relative Kriterien sind solche, die nicht geeignet sind, den Einsatz bestimmter Genehmigungsformen und ihrer Alternativen zwingend auszuschließen, die aber im Rahmen einer Abwägungsentscheidung für oder gegen bestimmte Genehmigungsformen sprechen.
Bedeutung des Schutzguts und die Schwere sowie die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sowie der Aufwand für die Beseitigung etwaiger Schäden. Dabei kann ein geringes Risiko für das jeweilig fachgesetzlich zu definierende Schutzgut (Sachverhalte mit geringem Gefährdungspotential) für, ein hohes Risiko (Bedeutung des Schutzguts, Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, Schwere des Schadens und Aufwand für dessen Beseitigung) gegen eine stärkere Flexibilisierung sprechen.
Für eine Externalisierung spricht, wenn der Vorhabenträger in der Regel über ein so hohes Professionalitätsniveau verfügt, dass eine Entscheidung durch die zuständige Behörde kein höheres erwarten lässt. Allerdings sind dann die Kriterien für die Annahme der Professionalität festzulegen.
Entsprechendes gilt auch für die Fälle, in denen der Vorhabenträger ein so hohes Maß an Verhaltens- bzw. Zustandsverantwortlichkeit aufweist, dass erwartet werden kann, dass eine eigenverantwortliche Bearbeitung im Vergleich mit einer vollständigen Ex-ante-Prüfung durch die Behörde ein gleichwertiges Maß an Sicherheit erwarten lässt.
Klare und einfach zu prüfende Genehmigungsvoraussetzungen sprechen hier für eine Verfahrensflexibilisierung, komplexe hingegen gegen eine Verfahrensflexibilisierung. Die Prüfung der Voraussetzungen durch den Vorhabenträger kann auch z. B. dann verantwortet und zugemutet werden, wenn vom Land notwendige Erläuterungen und
Eine große Zahl gleichartiger Fälle spricht für eine Verfahrensflexibilisierung, eine geringe Zahl bzw. gar eine Neuartigkeit des zu beurteilenden Falles für eine Ex-ante-Vollgenehmigung.
Flexibilisierungsmaßnahmen können den administrativen Aufwand auf Vorhabenträgerseite und Behördenseite im Vergleich zu einer präventiven Prüfung und dem für die an deren Stelle erforderlichen nachgelagerten repressiven Überwachung reduzieren. Dabei spricht eine große Reduktion an administrativen Aufwand bei gleichzeitig nur geringfügig erhöhten administrativen Aufwand zur repressiven Überwachung für eine Verfahrensflexibilisierung, wohingegen ein dem ersparten Aufwand im Vorfeld entsprechender Aufwand bei der repressiven Überwachung gegen eine Verfahrensflexibilisierung spricht. Bei der Prüfung sind auch eventuelle Reduzierungen des Überwachungsaufwands bei der repressiven Kontrolle zu berücksichtigen. Allerdings sollte auch hier der Maßstab nicht der Aufwand für eine nachträgliche Vollkontrolle sein, sondern der Aufwand für eine repressive Ahndung, die die Rechtsdurchsetzung hinreichend sicher ermöglicht, also z.B. eine Stichprobenkontrolle.
Außerdem sind in diesen Fällen auch die Möglichkeiten der Weiterleitung des Haftungsrisikos an Dritte (Versicherungen etc.) mitzuberücksichtigen. Entsprechendes gilt für das Haftungsrisiko und den Haftungsumfang der Behörde. Dabei sprechen ein großes Haftungsrisiko oder ein hoher Haftungsumfang sowohl auf Vorhabenträger- als auch auf Behördenseite gegen eine Verfahrensflexibilisierung, ein geringes Haftungsrisiko oder ein nur geringer Haftungsumfang für eine Verfahrensflexibilisierung, ebenso die Möglichkeit einer weiteren Haftungsabsicherung für den Vorhabenträger.
Fazit und Output der Studie
Das deutsche bzw. baden-württembergische Verwaltungsrecht verfolgt einen stark präventiven Ansatz. Daher ist der normative Standard im Zulassungsrecht weiterhin die umfassende Ex-Ante-Prüfung in Form eines Genehmigungsverfahrens. Dies betrifft auch Fallgruppen, in denen alternative Lösungen denkbar sind, etwa bei Sachverhalten mit geringem Gefährdungspotential. Auch die Professionalität, aber auch die Pflichtigkeit des Vorhabenträgers oder weitergehende Einsatzmöglichkeiten externer Gutachter finden nur selten Berücksichtigung. Insoweit scheint schon bereits deshalb eine kritische – aber ergebnisoffene - Überprüfung der Genehmigungen mit Außenwirkung im Landesrecht geboten. Dies gilt umso mehr, als dass auch die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung zu sowohl für den Antragsteller als auch für die Gesellschaft nicht mehr hinnehmbaren Verzögerungen führen können.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Flexibilisierung von Entscheidungen mit Außenwirkung auch zu Verschiebungen im Bereich der Haftung, sowohl auf Behörden- als auch auf Vorhabenträgerseite führen kann. Hier müssen Möglichkeiten zur Absicherung, etwa durch entsprechende Sicherungsmittel (Bankbürgschaften oder Versicherungspflichten) mit in die Bewertung einfließen. Zudem ist bei einer Bewertung auch zu berücksichtigen, dass eine Ex-ante-Verfahrensflexibilisierung in der Genehmigungsphase vielfach zu einem erhöhten repressiven Überwachungsaufwand ex post führen kann. Eine Flexibilisierung ist in diesen Fällen nur sinnvoll, wenn sichergestellt werden kann, dass die Nachteile ex post nicht die Vorteile ex ante überwiegen. Dies kann z. B. durch die Nutzung von Entschließungsermessen bei repressiven Maßnahmen erfolgen.
Im laufenden Jahr sollen die Ergebnisse dieser Studie anhand von mindestens zwei Beispielen getestet und die Umsetzung dieser Beispiele begleitet werden.