Der Landkreis Esslingen liegt im Herzen Baden-Württembergs, in einer der wirtschaftsstärksten Regionen Europas. In den 44 Städten und Gemeinden des Landkreises leben mehr als 541.000 Menschen. Mit dem Flughafen Stuttgart und der neuen Messe liegen zwei Einrichtungen im Landkreis, deren Bedeutung weit über die Landesgrenze hinaus strahlt.
Entsprechend der Größe des Landkreises ist auch das in fünf Dezernate und zahlreiche Ämter gegliederte Landratsamt mit den großen Bereichen Soziales, Infrastruktur, zentrale Steuerung sowie Gesundheit, Ordnung und Verkehr eine Behörde mit mehr als 2.000 Beschäftigten. Das Amt für Bauen und Naturschutz gehört zum Dezernat 4 (Umwelt und Technik) und ist für alle Aufgaben einer unteren Baurechts- und Naturschutzbehörde zuständig.
Modernes Projektmanagement in der Verwaltung
In einer Arbeitswelt, in der die Anforderungen an den öffentlichen Dienst immer komplexer werden, in welcher der Termindruck steigt und gleichzeitig die Ressourcen (Personal und Finanzen) immer knapper werden, spielt modernes Projektmanagement in der Verwaltung eine zunehmend bedeutende Rolle. Vorliegend wird die erfolgreiche Einführung des „Virtuellen Bauamts Baden-Württemberg“ (ViBa BW) bei der unteren Baurechtsbehörde des Landkreises Esslingen vorgestellt. Die damit verbundene Verwaltungsmodernisierung eignet sich als hervorragendes Beispiel, um die Themenfelder Digitalisierung, New Work, Partizipation, Personal, Prozesse und Service als Good Practices der Verwaltungsinnovation darzustellen. Die durch den Prozess gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auch auf andere Bereiche des öffentlichen Dienstes übertragen.
Mit der Novellierung der Landesbauordnung im Jahr 2019 wurden die Weichen für einfacheres, schnelleres und kostengünstigeres Bauen gestellt. Gleichzeitig wurde erstmals die Möglichkeit für die Abgabe digitaler Bauanträge eingeräumt. Die mit einem fixen Datum versehende Aufforderung des Landesgesetzgebers zur Digitalisierung der Bauverwaltung war ein Weckruf für zahlreiche Baurechtsbehörden, sich zu einem modernen und effizienten Dienstleister zu entwickeln. Um die Digitalisierung im vorgegebenen Zeitraum zu schaffen, wurde im Amt für Bauen und Naturschutz im Landratsamt Esslingen zunächst eine Projektstruktur etabliert, da in der herkömmlichen Linienstruktur die Umsetzung einer solchen Mammutaufgabe nicht vorstellbar war. Bei der Einführung des Virtuellen Bauamts waren alle Merkmale eines Projekts gegeben:
Dieses amtsinterne Projekt wurde als Teilprojekt in die 2019 innerhalb des Dezernats Zentrale Steuerung entwickelte, mehrjährige Digitalisierungsstrategie des Landratsamts Esslingen integriert und hatte damit Zugriff auf etablierte Projektstrukturen und Ressourcen, die für das Vorhaben wesentlich waren. Die Zusammensetzung der amtsinternen Projektgruppe war ein repräsentatives Abbild aller im Amt vertretenen Berufsgruppen; einbezogen wurden Sachbearbeiter, Bauverständige, die Baukontrolle und das Verwaltungssekretariat. So konnten die unterschiedlichen Aufgaben gleichermaßen berücksichtigt werden. Die Projektleitung hatte die Amtsleitung inne.
Die Digitalisierung der Baurechtsbehörde erfolgte zunächst im laufenden Betrieb ohne zusätzliches Personal oder Freistellungen. Wichtige Projektpartner waren im Rahmen des Gesamtprojekts Digitalisierung das Amt für Informationstechnik und -sicherheit sowie das Sachgebiet Digitale Akte und Digitalisierung beim Kreisarchiv für die Einführung der eAkte und des Dokumentenmanagementsystems enaio, außerdem das Sachgebiet Organisation für bestimmte Prozesse. Externe Ansprechpartner waren insbesondere das Unternehmen „Prosoz“ in Herten, welches das verwendete Fachverfahren ProBauG lizensiert, sowie das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg als oberste Baurechtsbehörde.
Im Anschluss an die Auftaktveranstaltung („Kick-Off“) erfolgte die Definition von weiteren Teilprojekten, wie die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems, die Umstellung von der Papierakte auf die elektronische Akte, die Erweiterung des Fachverfahrens um die Bausteine Denkmalrecht und Brandverhütungsschau, die Digitalisierung des Posteingangs sowie die Anbindung des Fachverfahrens an die landesweit vorgesehene Plattform „Service-BW“.
Zwecks Netzwerkbildung schloss sich der Landkreis Esslingen zu Projektbeginn der „Initiative Digitale Landkreiskonvois“ (INDILAKO) an, welche vom Landkreistag Baden-Württemberg ins Leben gerufen wurde. Ziel war die gemeinsame Entwicklung einer multifunktionalen Verfahrensakte für das Baugenehmigungsverfahren.
Motivation und Mehrwert für die Beschäftigten, sich bei der Implementierung des Virtuellen Bauamts zu engagieren, waren die Einführung moderner digitaler Arbeitsstrukturen und die damit verbundene Möglichkeit, schon während des laufenden Projekts losgelöst von einem festen Büroarbeitsplatz tätig zu sein. Jeder Arbeitsplatz wurde einheitlich mit Laptop, zwei Bildschirmen, Tastatur, Maus und Headset ausgestattet, die auch für Homeoffice genutzt werden können.
Herausforderungen im Prozess
Herausfordernd für den Projektverlauf war die Entscheidung der Landesregierung, die zunächst favorisierte Umsetzung mittels der bekannten und in anderen Verwaltungsbereichen etablierten Plattform „Service-BW“ im Bereich der Bauverwaltung nicht weiterzuverfolgen, sondern stattdessen auf eine neue Lösung aus Mecklenburg-Vorpommern mit der Bezeichnung „Virtuelles Bauamt Baden-Württemberg“ zu setzen. ViBa BW ermöglicht den gegenseitigen Austausch von Informationen und entspricht dem Übertragungsstandard X-Bau zur medienbruchfreien Datenübertragung. Der Wechsel von „Service-BW“ zu „ViBa BW“ hatte zur Folge, dass bereits weit fortgeschrittene Lösungsansätze neu entwickelt werden mussten, da vorgesehene Schnittstellen und wichtige Verfahrensbausteine wie die Beteiligung von Fachämtern und Angrenzern obsolet waren. Von diesem Wechsel nicht betroffene Verfahrensschritte, wie die Anbindung der Baurechtsbehörde an das im Landratsamt zentral eingerichtete Scanzentrum, die Mitarbeiterschulungen für die E-Akte und die Erarbeitung von Dienstanweisungen zur elektronischen Aktenführung, konnten unabhängig davon weiterverfolgt werden. Hilfreich für den Entscheidungsprozess, sich dem einheitlichen Standardverfahren des Landes anzuschließen, war eine in Aussicht gestellte Anschubfinanzierung des zuständigen Ministeriums.
Die Projektgruppenmitglieder waren während des Prozesses wichtige Multiplikatoren, um die mit der Einführung des digitalen Bauamts verbundenen Innovationen in ihren jeweiligen Teams vorzustellen. Schwierig im mehrjährigen Projektverlauf waren immer wieder personelle Wechsel in der Projektgruppe. Der Fachkräftemangel ist inzwischen auch im öffentlichen Dienst angekommen und führt mitunter zu mehrmonatigen Vakanzen bei der Wiederbesetzung von offenen Stellen. Ein Ziel des Digitalisierungsprozesses ist es deshalb auch, sich künftig als modernen, dienstleistungsorientierten und innovativen Arbeitgeber zu präsentieren, um im Wettstreit um die besten Köpfe attraktiv zu sein. Unterstrichen werden sollte an dieser Stelle auch die Wichtigkeit eines möglichst breit aufgestellten Teams. Ein Schlüssel zum Erfolg war zum einen der Erfahrungsschatz langjähriger Mitarbeitenden im Bereich des Baurechts und auf der anderen Seite die Innovationsfähigkeit junger Hochschulabsolventen, welche vorhandene Strukturen kritisch hinterfragt und ihr Wissen als „Digital Natives“ in das Projekt haben einfließen lassen. Getreu dem Motto: „Nur gemeinsam sind wir stark!“
Erfolgsfaktoren und Meilensteine
Positiv bei der Einführung des Virtuellen Bauamts war die Etablierung eines einheitlichen Ansprechpartners beim Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen für alle beteiligten Baurechtsbehörden. Regelmäßig angebotene Schulungen zu weiteren Verfahrensschritten haben für einen direkten Draht zwischen der obersten und den unteren Baurechtsbehörden geführt. Präsenztermine im Ministerium sowie Besuche von Ministeriumsvertretern in einzelnen Landratsämtern haben einen Austausch über alle Verwaltungsebenen ermöglicht und das Vorhaben der Digitalisierung greifbarer erscheinen lassen. Persönliche Begegnungen und Kontakte, der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen anderer Baurechtsbehörden und das Schwarmwissen aller sind unverzichtbare Voraussetzungen, um die Baugenehmigungsverfahren zielführend zu digitalisieren.
Mit fortschreitendem Projektverlauf wurde erkennbar, dass die mit der Digitalisierung verbundenen neuen Aufgaben innerhalb des Amts nicht ausschließlich nebenher mit dem vorhandenen Personal erledigt werden können; hier müssen Spezialisten als zusätzliche Kräfte unterstützen.
Auch muss die Digitalisierung einer einzelnen Organisationseinheit stets in ein Gesamtkonzept der Kreisverwaltung eingebunden sein und eine planmäßige Strategie für das gesamte Haus entwickelt werden, um sämtliche Verwaltungsprozesse zu analysieren und einer effizienten digitalen Umsetzung näherzukommen. Rückgrat aller digitalen Prozesse in der Verwaltung muss die E-Akte sein, ohne die langfristig rechtssicheres behördliches Handeln nicht denkbar ist. Grundlage der Digitalisierungsstrategie für das Landratsamt Esslingen ist zudem ein klares Bekenntnis der Verwaltungsleitung und des Kreistags zur vollumfänglichen Digitalisierung der Verwaltung, ohne das die notwendigen Ressourcen nicht bereitgestellt werden könnten.
Traditionell bestehen im Baurecht enge Strukturen zwischen der unteren Baurechtsbehörde im Landratsamt sowie den zugehörigen Städten und Gemeinden ohne eigene Baurechtszuständigkeit. Für eine gute und enge Zusammenarbeit mit den kreisangehörigen Gemeinden sorgte die anfangs aus Landesmitteln geförderte Stelle für die E-Government-Koordination. Mit ihr wurde dauerhaft eine Schnittstelle im Landratsamt geschaffen, über die intern im Landratsamt verankerte Prozesse mit der Digitalisierung in den Gemeinden verknüpft werden. Sie unterstützte im engen Kontakt mit den Rathäusern die Implementierung und die Anwender. Gerade diese intensive Kommunikation, der laufende Austausch und die enge Vernetzung der Anwender waren ein Erfolgsrezept, das auf andere E-Government-Themen übertragbar ist, wichtig ist hier auch personelle Kontinuität. Gesetzliche Änderungen der Landesbauordnung haben dazu geführt, dass beispielsweise die Eingangsbearbeitung von Bauanträgen und die Nachbarbeteiligung neu organisiert werden mussten. Hier war die Kreisverwaltung an einer möglichst einheitlichen Umsetzung in den Städten und Gemeinden ohne eigene Baurechtszuständigkeit interessiert.
Im Anschluss an die Inbetriebnahme von ViBa-BW wurde die über einen Zeitraum von vier Jahren im zweiwöchigen Turnus tagende Projektgruppe aufgelöst und die verbliebenen Daueraufgaben an eine neu geschaffene Stelle - den sogenannten „Digital Mover“- übergeben. Die bisherige 20-prozentige Freistellung eines Baukontrolleurs zur Programmbetreuung reicht nicht aus, um die bei einer großen Baurechtsbehörde anfallenden Aufgaben beim Ausbau digitaler Strukturen fortlaufend zu bewältigen.
Ein Schlüssel zum Erfolg bei der Einführung des Virtuellen Bauamts war eine gute Kommunikation mit allen Beteiligten. Regelmäßige Informationsveranstaltungen für die kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie Schulungsangebote des Kreisbaumeisters bei der Architektenkammer haben für Transparenz und gegenseitiges Verständnis bei der Einführung von Innovationen gesorgt. Ebenso fanden mit dem Verband der Prüfingenieure frühzeitig Abstimmungen statt, um auch hier medienbruchfreie Standards zu entwickeln.
In den ersten Phasen des vierjährigen Projekts lag der Fokus zunächst auf der Anpassung interner Strukturen sowie die Zusammenarbeit mit den am Bau beteiligten Fachämtern und Institutionen. Gegen Ende der Einführung des Virtuellen Bauamts ging es nunmehr darum, die eingeführten Neuerungen im Testbetrieb zu erproben und anschließend in den Echtbetrieb zu überführen. Für die Erprobungsphase eigneten sich gut abgrenzbare Teilbereiche. So waren die Bereiche Denkmalrecht und Bauleitplanung innerhalb des Amts die Pilotanwender, welche konsequent die E-Akte nutzten. Um von Außen einen Zugang zum Virtuellen Bauamt zu erhalten, braucht es entweder eine Elster-Zertifizierung oder eine Bund-ID. Hier traten während der Testphase die Bauverständigen des eigenen Amts als Antragsteller auf, um die Zugänge zu ViBa BW und die anschließende Übernahme der Pläne und Gutachten in das Fachverfahren zu prüfen. Im Anschluss an die erfolgreiche Erprobung erfolgte der Wechsel vom Test- in den Echtbetrieb. Begleitet wurde diese Projektphase durch mehrere Pressemitteilungen, um die Bauherren, Architekten und Angrenzer über die künftige Nutzung von ViBa BW zu informieren. Als richtig erwies sich die Entscheidung, ab einem veröffentlichten Stichtag die Antragsannahme ausschließlich in digitaler Form zu akzeptieren. Eine Übergangsphase mit der Wahlmöglichkeit einer herkömmlichen oder digitalen Antragstellung wurde bewusst nicht eingeräumt, um Parallelstrukturen zu vermeiden. Eine vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen veröffentlichte Statistik zu den Nutzerzahlen von ViBa BW bestätigt diese Entscheidung.
Ein dreiviertel Jahr nach Einführung des Virtuellen Bauamts im Landratsamt Esslingen lag die Baurechtsbehörde bundesweit auf Platz eins der digital abgegebenen Bauanträge.
Rückblickend lassen sich nachfolgend aufgeführte Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren bei der Digitalisierung der Verwaltung ableiten:
Ausblick und Übertragbarkeit auf andere Verwaltungsbereiche
Die in vielen Lebenslagen geforderte Digitalisierung von Verwaltungsbehörden wurde mit der Einführung des Virtuellen Bauamts Baden-Württemberg im Bereich der Bauverwaltung angegangen und im Landratsamt Esslingen realisiert. Die Bearbeitung von Bauanträgen erfolgt in Baden-Württemberg inzwischen überwiegend medienbruchfrei und papierlos. Die Korrespondenz mit Bauherren, Architekten, Aufsichtsbehörden und Gerichten erfolgt über die einheitliche Plattform und mittels E-Akte.
Die im Projekt des Landratsamts Esslingen gewonnenen grundsätzlichen Erkenntnisse und Erfahrungen lassen sich auf andere Bereiche der Verwaltung übertragen. Die Strukturen und Abläufe bei der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes sind in vielen Fällen vergleichbar. Wichtig ist die Schaffung einheitlicher Standards und die gemeinsame Umsetzung bei möglichst vielen Behörden. Beispielhaft für diese Herangehensweise ist auch die Initiative Digitale Landkreiskonvois des Landkreistags (INDILAKO), mit der konkrete Digitalisierungsprojekte anwendungsbezogen realisiert werden. Das Rad muss nicht von jeder Verwaltung neu erfunden werden und es sollte für Antragstellende keinen Unterschied machen, ob ein Baugesuch in Esslingen, Stuttgart oder Heidelberg eingereicht wird.
Bei der Bearbeitung von Bauanträgen handelt es sich um komplexe Verwaltungsverfahren, die nunmehr vollständig digital bearbeitet werden können. Was beim Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung funktioniert, muss ebenso bei der Beantragung eines Führerscheins, einer Aufenthaltserlaubnis oder eines Personalausweises möglich sein. Digitalisierungsprozesse scheitern mitunter daran, dass vielmals versucht wird, über Jahrzehnte praktiziertes Verwaltungshandeln eins zu eins im digitalen Format anzubieten. In den Verwaltungen muss die Bereitschaft für Veränderungen vorhanden sein und es sollte immer vom Ergebnis her gedacht werden. Ist das Ziel definiert, können Maßnahmen zur Zielerreichung entwickelt werden. Eine kritische Evaluierung der Ergebnisse sowie die Entwicklung von messbaren Kennzahlen runden die Prozesse ab.
Good Practice: Einführung virtuelles Bauamt Baden-Württemberg
Landkreis: Landkreis Esslingen
Kategorie: Digitales, Prozesse und Services
Mehrwert: Mit der Einführung einer digitalen Akte im Baurechtsamt des Landkreises Esslingen fehlte ein digitaler Antragsprozess für Baugenehmigungen. Um die medienbruchfreie Antragsstellung und
-bearbeitung vollständig zu realisieren, wurde das standardisierte "Virtuelle Bauamt" Viba BW implementiert und eingeführt. Somit besteht ein durchgehender digitaler Prozess, der eine rasche Bearbeitung und eine transparente Vorgehensweise ermöglicht.
Ansprechperson: Stephan Blank, Leitung Amt für Bauen und Naturschutz, Telefon 0711 3902-42012, E-Mail: blank.stephan@lra-es.de