Fachkräftemangel als zentrale Herausforderung

Modern, zukunftsgerichtet und innovativ

Der Fachkräftemangel treibt insbesondere auch öffentliche Arbeitgeber um. Eine zukunftsgerichtete strategische Ausrichtung und damit einhergehende Umsetzungsprozesse und -maßnahmen können die bestehenden Herausforderungen allerdings abmildern. Dies erfordert allerdings Mut und Ausdauer, vor allem aber auch ein Umdenken und eine in die Zukunft gerichtete Einstellung auf allen Ebenen.
Dr. Mascha Carina Bilsdorfer , Anja Off , Dr. Richard Sigel · Rems-Murr-Kreis · 07. Juli 2023
©

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde und bereits seit einiger Zeit auch im öffentlichen Dienst angekommen. Der öffentliche Dienst steht vor einem Jahrzehnt des personellen Wandels. So werden über 1,3 Millionen, der insgesamt 4,9 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den nächsten 10 Jahren in den Ruhestand gehen.[1]

Aus diesem Grund sollten und müssen sich öffentliche Arbeitgeber mit dieser Problemstellung intensiv auseinandersetzen und mögliche Überlegungen dahingehend anstellen, wie man vorhandene Mitarbeitende langfristig binden und neue Mitarbeitende gewinnen kann.

Benötigt wird hierfür eine belastbare strategische Gesamtausrichtung, denn mit kurzfristigen und nicht ineinandergreifenden Maßnahmen ist es nicht getan. Vielmehr bedarf es einer erheblichen Kraftanstrengung, um letztlich Mitarbeitende vom Bleiben oder dem Neueintritt in die eigene Verwaltung zu überzeugen.

Gelingen kann dies mit einem zukunftsgerichteten und modernen Gesamtkonzept, welches in verschiedene Richtungen wirkt. Überzeugend wird eine Verwaltung allerdings letztlich nur sein, wenn ein Kulturwandel auf allen Ebenen gelingt. Die Haltung und Einstellung der Menschen in einer Verwaltung mit den Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt in Einklang zu bringen, ist der Schlüssel zu einer modernen, digitalen und insgesamt intelligenteren Verwaltung.

Die Einschätzung, dass es eine ganz neue Haltung aller Mitarbeitenden in den Verwaltungen braucht geht noch einen Schritt weiter als die Fachkräftestrategie der Bundesregierung, die  zu dem Ergebnis kommt, dass ein Wandel der Arbeitskultur stattfinden muss, welche sich insbesondere an den Bedürfnissen der Beschäftigten in den unterschiedlichen Lebensphasen und -situationen orientiert.[2] Hierbei lassen sich „harte“ und eher „weiche“ Faktoren finden, die die Entscheidung eines Mitarbeitenden bei der Wahl eines Arbeitgebers maßgeblich beeinflussen können.  Im Folgenden möchten wir auf die eher weichen Faktoren eingehen, welche maßgeblich zur Personalgewinnung und -bindung beitragen können.

Ein solcher eher weiche Faktor kann beispielsweise ein auf Absolventinnen und Absolventen zugeschnittenes Einsteigerprogramm bieten. Dieses kombiniert Alltagsarbeit mit zielgerichteter Projektarbeit zu einem vorab definierten Thema. Der zunächst auf maximal 18 Monate festgelegte Bearbeitungszeitraum inkludiert dabei auch die Teilnahme an Seminaren, Fachgesprächen mit Querschnittsbereichen, regelmäßigen Reflexionsgesprächen und optionalen Hospitationen. Absolventinnen und Absolventen erhalten durch das Einsteigerprogramm nicht nur eine fachliche Weiterentwicklung durch die Kombination unterschiedlicher Arbeitsweisen und Verantwortlichkeiten, sondern auch einen umfangreichen Überblick über das Landratsamt und damit eine verstärkt organisationsübergreifende soziale Integration. Komplementiert wird das Programm, wie auch alle weiteren, durch Absolventinnen und Absolventen besetzte Stellen, durch die Möglichkeit zur Verkürzung der Probezeit um maximal 1,5 Jahre.

Am Konzept der nachhaltigen, modernen und digitalen Landkreisverwaltung orientieren sich langfristige Personalbindungsmaßnahmen. Umfangreiche Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten ohne langwierige Antragsstellung und mit einer Erstausstattung für definierte Arbeitsmittel sind die Regel. Die zugrundeliegende Digitalisierungsstrategie sieht daher beispielsweise nicht nur für jeden Arbeitsplatz eine einheitliche IT-Ausstattung vor, sondern auch die webbasierte Telefonie, Video- und Audiokoferenzen und den schrittweisen Abbau klassischer Telefonapparate. Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsortes wird dadurch ohne Einschränkung möglich.

Auch der Klimaschutz und eine daran ausgerichtete Arbeitskultur können für potentielle Bewerberinnen und Bewerber und bereits in der Verwaltung tätige Mitarbeitende eine tragende Rolle spielen. So zeigt eine bereits im Jahr 2014 durchgeführte Umfrage des Marktforschungsinstituts Nielsen von 30.000 Konsumenten weltweit, dass immerhin ca. 50 Prozent der befragten Personen im Alter von 21 bis 34 Jahren darauf achtet, wie nachhaltig ihr aktueller bzw. zukünftiger Arbeitsgeber agiert.[3]

Auch kommunale Arbeitgeber sollten daher dieses Potential nutzen und in ihre gesamtstrategische Ausrichtung integrieren. Selbstverständlich müssen sich dann auch die eigenen Handlungen daran messen lassen. In der Landkreisverwaltung des Rems-Murr-Kreises wird das eigens gesteckte Ziel einer klimaneutralen Landkreisverwaltung bis 2030 vor allem auch mit konsequent umgesetzten Ertüchtigungs- und Sanierungsmaßnahmen im Rahmen einer Gesamtimmobilienkonzeption angestrebt. Die neue Arbeitswelten sehen dabei ein stringentes 3-Zonen-Modell zur Bürgerinteraktion mit öffentlichen, halb-öffentlichen und internen Bereichen vor.[4] Ebenso ist die Arbeit im „Open Space“ sowie „Desk-Sharing“ in definierten Heimatbereichen die Regel. Dass hierfür die Anpassung der Organisationskultur und die Beteiligung der Mitarbeitenden bspw. über regelmäßige Mitarbeiterbefragungen erfolgen muss, steht außer Frage. Für den Erfolg neuer Immobilienkonzepte ist es ebenso unerlässlich, dass sich die Haltung und Einstellung der Mitarbeitenden verändert. Veränderungsbegleitung, die Definition klarer Rahmenbedingungen und „Spielregeln“ sowie ein gemeinsames Führungsverständnis, das auch in Form klarer (Führungs-) Leitbilder besteht, ist hierfür die Grundlage. Ein ganzheitliches Mobilitätskonzept komplettiert das Vorhaben der CO²-neutralen Verwaltung. Die Herstellung zeitgemäßer Dusch- und Umkleidemöglichkeiten geht mit großzügigen Fahrradabstellmöglichkeiten inklusive kostenfreier Lademöglichkeiten einher. Über die Jobrad-Konzeption wird die Anschaffung eines privaten (E-)Bikes auch durch die Bezuschussung der monatlichen Leasingraten gefördert. Pedelecs, E-Roller und Dienstfahrzeuge können für private Zwecke genutzt werden und eine finanzielle Bezuschussung zum ÖPNV-Ticket ist gegeben.

Fahrradgarage am Alten Postplatz im Landratsamt Rems-Murr-Kreis
Fahrradgarage am Alten Postplatz im Landratsamt Rems-Murr-Kreis
©

Flankierend erfolgt die flächendeckende Ausstattung mit elektrisch höhenverstellbaren Schreibtischen inklusive Ergonomieworkshops über deren Nutzung. Die am jeweils ersten Arbeitstag überreichte Glaskaraffe kann an den zur Verfügung stehenden Wasserspendern kostenfrei befüllt werden und dient im Arbeitsalltag der Erfrischung. Die über die Sommermonate kostenfrei zur Teilnahme angebotenen Sportangebote des Outdoor- und Lauftrainings für alle Mitarbeitenden münden in der gemeinsamen Teilnahme am jährlichen Firmenlauf. Diese Maßnahmen dienen einerseits der Gesunderhaltung und Prävention, andererseits aber auch maßgeblich dem sozialen Miteinander und fördern dieses positiv.

Personalbindungsmaßnahmen während der Elternzeit und zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf bilden ebenfalls maßgeblichen Grundpfeiler in der Organisationskultur. So besteht neuerdings das Angebot einer TigeR-Gruppe (Kindertagespflege in anderen geeigneten Räumen) für Mitarbeiterkinder unter 3 Jahren, welches durch weitergehende Maßnahmen flankiert wird.


Resümee und eine These für die Zukunft

Insgesamt zeigt sich, dass die aktuellen Herausforderungen der Gewinnung und Bindung von Fachkräften weitreichende Maßnahmen erfordern, die sich allerdings an den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen orientieren müssen. Die zuvor geschilderten „Soft Facts“ können dabei eine wesentliche Grundlage für die künftige Ausrichtung bieten, um Bewerberinnen und Bewerbern von einem Einstieg in der Verwaltung zu überzeugen.

Zeitgemäße Arbeitsbedingungen und neue Arbeitswelten, die sich an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden ausrichten sind aber nur ein Baustein für eine moderne Verwaltung.

Verwaltungsgebäude, die dem eines Start-Up-Unternehmens gleichen helfen nicht, wenn sich nicht auch die Haltung in der Verwaltung selbst ändert, denn letztlich kommt es immer noch auf den Inhalt an. Dieses Umdenken ist in vielen Landkreisverwaltung auch längst im Gange. Dies zu vermitteln ist aber für die Landkreise schwierig, wenn Baden-Württemberg als „digital.LÄND“ für sich wirbt, aber der seit Jahrzehnten unveränderte Personalbogen immer noch handschriftlich von Bewerberinnen und Bewerbern ausgefüllt werden muss.

Verwaltungsstrukturen werden auch in den Landkreisverwaltungen nur dann wirklich zukunftsfähig sein können, wenn rechtliche Rahmenbedingungen mehr individuelle Förderung von Mitarbeitenden zulassen, denn dort gibt es auch auf Landkreisebene Grenzen. Innovation und modernes Denken muss sich auch für Mitarbeitende in einer Verwaltung auszahlen. Solange aber die öffentliche Verwaltung an beamtenrechtlichen Strukturen festhält, die gerade junge und motivierte Köpfe bremsen und vielleicht sogar abschrecken, bleibt das Risiko, dass die Verwaltungen auf dem Weg in die Zukunft den Anschluss verpassen.


[1] Vgl. das sog. Bleibebarometer Öffentlicher Dienst.

[2] Fachkräftestrategie der Bundesregierung, S. 24.

[3] Vgl. die Statistik unter: https://de.statista.com/infografik/2435/altersverteilung-der-personen-die-bevorzugt-fuer-unternehmen-arbeiten-die-sich-fuer-nachhaltigkeit-einsetzen/, zuletzt abgerufen am 09.06.2023.

[4] Stuttgarter Immobilienbrief, Ausgabe 349 vom 06.06.2023, Seite 9 ff. abrufbar unter: https://www.immobilienverlag-stuttgart.de/wp-content/uploads/archiv_pdf/2023/Immobrief_349_2023.pdf , zuletzt abgerufen am 10.06.2023.

Dr. Mascha Carina Bilsdorfer ist Amtsleiterin Haupt- und Personalamt Landratsamt Rems-Murr-Kreis , Anja Off ist Fachbereichsleiterin Personal im Landratsamt Rems-Murr-Kreis , Dr. Richard Sigel ist Landrat des Rems-Murr-Kreises
Teilen