"Mit über 80 Jahren"

Adventskalender offenbart Chancen für hochaltrige Menschen – Beispiel zum Nachmachen

Es gibt bundesweit rund 6 Mio. Menschen, die über 80 Jahre alt sind. Entgegen mancher Vorurteile wird enorm vieles zum gesellschaftlichen Nutzen von ihnen geleistet. Ein Adventskalender bietet die Chance, das Bild Hochaltriger zu korrigieren.
Inge Hafner · Landkreis Esslingen · 06. Oktober 2023
©

Die Entwicklung der Zahl hochaltriger Menschen ist fulminant. Gab es 1950 grade 0,7 Mio. dieser Altersgruppe in Deutschland, so waren es  30 Jahre später, als viele der ersten Landkreis-Altenhilfepläne erstellt wurden, bereits 2,12 Mio. Wobei damals zur „Altenbevölkerung“ in der Regel die über 65Jährigen gerechnet wurden. Längst ist offenbar, dass ab diesem Alter die Pluralität der Lebensstile und Möglichkeiten in den Blick zu nehmen ist. Bedeutet die nachberufliche und nachfamiliäre Phase vor allem neue Lebenschancen, so ist das höhere Alter durch zunehmende Hilfebedürftigkeit gekennzeichnet. Dies allerdings nicht in dem Maße, wie es eine überholte aber immer noch wirksame Einschätzung in der Bevölkerung vermutet: über 80jährige Menschen sind geistig und körperlich so fit wie noch keine solche Alterskohorte in der Geschichte. Es muss also  darum gehen, Altersbilder zu korrigieren, zu differenzieren und die Potentiale zu erkennen, die auch hochaltrige Menschen in die Gesellschaft einzubringen in der Lage sind.

Unter dem Motto „Mit über 80 Jahren“ beleuchtet die KDA-Stiftung ProAlter (in „Fortschreibung“ des Udo-Jürgens-Titels) seit 2018, in welch enormem Maße diese Zielgruppe sich engagiert – nicht nur in großelterlicher Fürsorge und in partnerschaftlicher Pflege – sondern auch in vielen Bereichen des bürgerschaftlichen Engagements. Eine erste Veranstaltung am 23. Oktober 2018 in Ostfildern erlebte bei einem Vortrag von Prof. Dr. Ursula Lehr und Gesprächsrunden, bei denen Engagierte und Hauptamtliche zu Wort kamen, mit 200 Teilnehmenden eine enorme Resonanz. Der Bericht darüber in den Landkreistags-Nachrichten öffnete bundesweit die Türen. Bei einer zweiten Veranstaltung in der Stadthalle Hofgeismar trafen sich 2019 bereits 500 Interessierte. Weitere Planungen wurden durch Corona durchkreuzt, sodass die Stiftung gefordert war, alternative Wege zur Verbreitung ihrer Botschaft zu suchen.

©

2021 wurde ein Buch mit Portraits über 80jähriger Engagierter veröffentlicht, vorangestellt das Memorandum „Mit 80 schon zum alten Eisen? Wir sagen nein!“. Für Dezember 2022 entstand ein digitaler Adventskalender, der täglich eine Person vorstellte – jeweils mit Foto und kurzem Text, aufzurufen über die Homepage der Stiftung. Dabei waren Beispiele aus sämtlichen Bundesländern und einer großen Vielfalt an Engagement-Bereichen vertreten: Kultur, Soziales, Umwelt… Die große Resonanz ermutigte den Vorstand zusammen mit dem KDA, Kommunen für die lokale Fortsetzung zu gewinnen. Im Landkreis Esslingen fiel sie auf fruchtbaren Boden - in den Städten Filderstadt und Kirchheim sowie in den Gemeinden Denkendorf und Neuhausen/Fildern.


Vier Kalender im Landkreis Esslingen

In allen vier Kommunen fand sich eine 3-6köpfige Redaktionsgruppe, die sämtliche Engagement-Bereiche durchforstete und Namen sammelte. Die Menschen zu finden, war kein Problem: weder in der größten der vier Kommunen (Filderstadt: ca. 46 000 Einwohner*innen/ 5 Teilorte), - noch in der kleinsten (Denkendorf: ca. 11 000).

Alle Redaktionsmitglieder (überwiegend Volunteers) werteten die Durchführung der Interviews als großen persönlichen Gewinn und waren oft überrascht, sehr intensive Einblicke ins Leben der Befragten zu bekommen. Nicht selten empfanden es die Portraitierten ihrerseits als „Geschenk“, auf diese Weise geehrt zu werden.

In Denkendorf war bereits voraus bedacht, dass ein großer Anteil der Älteren wohl keinen Internet-Zugang hat. So war geplant, sämtliche Portraits nicht nur auf der Homepage der Gemeinde, sondern auch regelmäßig im Gemeindeanzeiger zu veröffentlichen. In Filderstadt fanden die 24 Kalendertürchen als Aushang im Quartiersladen in Sielmingen und in Neuhausen im Bürgertreff Ostertagshof große Beachtung. Über das Projekt „Demokratie leben“ war es in Kirchheim dem Verein buefet e.V. finanziell möglich, täglich ein Portrait in der Tageszeitung „Teckbote“ zu veröffentlichen. In sämtlichen Kalendern war ein Türchen dem Beitrag der Ober/Bürgermeister*innen sowie den Zielen der Stiftung ProAlter gewidmet.


Schritte zur Realisierung

Für alle Kommunen, die eine solche Initiative planen, hat die Stiftung ProAlter ein Konzept entwickelt, das die Realisierung in fünf Schritten empfiehlt:

1. Regieperson festlegen

2. Kleine Redaktionsgruppe (v.a. Volunteers) werben, die gerne Interviews macht und kleine Texte daraus fertigt

3. Ein erstes Treffen, um Namen  von infrage kommenden über 80Jährigen zu sammeln, Mittelspersonen zu suchen und den Kontakt zur kommunalen Homepage zu klären

4. Ein zweites Treffen, um die Liste der Vorzustellenden zusammen zu stellen, die Interviews aufzuteilen, Foto-Termine und den gestalterischen Rahmen zu klären

5. Ein drittes Treffen im November, um alle Texte zu sichten und die Reihenfolge festzulegen

Dies zeigt: der Zeitaufwand ist überschaubar – es sind rund 20 Stunden pro Redaktionsmitglied.

Der Lohn: eine sinnvolle Aufgabe für Volunteers und die zuständigen Hauptamtlichen, Teamarbeit in einer engagierten Gemeinschaft und viel öffentliche Anerkennung. Sowohl in der Presse als auch im SWR-Fernsehen wurde die Arbeit gewürdigt.


Impuls für digitale Zukunft

Den vier kommunalen Projekten ist es gelungen, deutlich zu machen, dass die Engagement-Bereitschaft auch für Menschen mit über 80 Jahren gilt. Während der Corona-Pandemie war oft von deren Unterstützungsbedürftigkeit die Rede. Aber die Mehrheit meistert den Alltag – und eine zunehmende Zahl bringt sich mit ihren Talenten aktiv in die Gesellschaft ein.

Das Projekt „Adventskalender – mit über 80 Jahren“ eignet sich somit für jede Kommune, um die Anliegen von Altenhilfe-Planung,  bürgerschaftlichem Engagements Älterer und (neu) der vielgestaltigen Quartiersansätze zu verknüpfen.

Für die noch sehr zurückhaltende Präsenz Hochaltriger im Bereich des digitalen Lebens ergibt sich außerdem eine sehr sinnvolle Verknüpfungs-Option mit örtlichen Internet-Initiativen. Für den Bürgertreff Neuhausen entwickelte sich aus dieser Erkenntnis eine 10teilige  Vortragsreihe „Digitale Wunderwelt – Einführung für Menschen zwischen 60 und 100“. Sie soll leicht verständlich und heiter Zugänge schaffen. Auch dies eine Herausforderung für die Altenhilfe-Planung.

Info-Box

Die 4 kommunalen Adventskalender „Mit über 80 Jahren entstanden auf Anregung der Stiftung ProAlter. Infos über die Arbeit der Stiftung und  über den bundesweiten Kalender von 2021 (Muster zur Nachahmung) finden sich auf der Homepage der Stiftung www.stiftung-pro-alter.de

2-Min. Video-Doku: www.ardmediathek.de > Video > SWR-bw

Inge Hafner war bis im Jahr 2015 als Volunteers-Beauftragte des Landkreises Esslingen tätig
Schlagworte: Altenhilfe
Teilen