Editorial

Transformation - allgegenwärtig und allumfassend

„Land und Landkreise - Gemeinsam #Wandel gestalten" - so lautete das Motto der diesjährigen Landkreisversammlung. Sie fand am 21. Oktober in Bruchsal im Landkreis Karlsruhe statt und wird in diesem Schwerpunkt der Landkreisnachrichten eingehend dokumentiert. Anders als es das Hashtag vor dem Wort Wandel suggerieren mag, stand bei dieser 42. Landkreisversammlung keineswegs nur der digitale Wandel im Fokus. Es ging vielmehr um die Transformation schlechthin, wie sie uns allgegenwärtig und allumfassend begegnet und herausfordert.
Prof. Dr. Alexis von Komorowski · Landkreistag Baden-Württemberg · 13. Dezember 2024
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Was diese ubiquitäre Transformation anbetrifft, gibt es hierzulande alles nur kein Erkenntnisdefizit. Denn nahezu jeder und jedem ist hinlänglich bekannt und bewusst, dass Deutschland in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahre vor im Wesentlichen sieben Transformationsaufgaben steht: Es gilt die Transition der deutschen Wirtschaft erfolgreich zu gestalten, den demografischen Wandel zu bewältigen, dem Klimawandel zu begegnen, zukunftsfähige Infrastrukturen zu gewährleisten, die innere und äußere Sicherheit in der analogen wie auch in der digitalen Welt zu stärken, die Digitalisierung in sämtlichen Sektoren zu beschleunigen und bei alldem den von gesellschaftlicher Erosion bedrohten gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren. In dieser Analyse dürften sich zweifellos die allermeisten wiederfinden.
 

Kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit

Es ist also kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit, mit dem wir es zu tun haben. Sucht man nach dessen Gründen, so wird man über kurz oder lang auf eine Hauptursache stoßen. Diese ist ebenso banal wie offensichtlich. Unter den Bedingungen des hierzulande real existierenden rechtlich-institutionellen Rahmens, neudeutsch: Framework, fehlt es schlicht an den personellen sowie finanziellen Ressourcen, um die gleichzeitig aufschlagenden, mithin kumulierten Transformationsaufgaben in der nötigen Geschwindigkeit zu bewältigen. Daher bleiben die Transformationsbemühungen aktuell vielfach Stückwerk.

Da nun freilich die personellen und finanziellen Ressourcen mehr denn je limitiert sind, gibt es letztlich nur eine Möglichkeit, die zwingend parallel und in hoher Geschwindigkeit zu bewältigenden Transformationsaufgaben tatsächlich zu meistern. Im Zuge einer grundlegenden Staatsmodernisierung muss das rechtlich-institutionelle Framework so modifiziert werden, dass nennenswerte, substantielle Effizienzpotenziale gehoben und bislang gebundene Ressourcen freigesetzt werden können. Nur dann besteht die Chance, dass die Transformationsaufgaben trotz limitierter Ressourcen gelingend umgesetzt werden können, und zwar in der gebotenen Simultanität und dem erforderlichen Tempo.
 

Aufgaben- und Standardkritik als Daueraufgabe systemisch implementieren

Hier kommt insbesondere der Aufgaben- und Standardkritik eine zentrale Rolle zu. In Baden-Württemberg haben wir insoweit mit der Entlastungsallianz zuletzt einen substantiellen Schritt nach vorne gemacht, nachdem es zwischenzeitlich nicht ganz so erfolgreich lief. Im Rahmen einer wirklichen Staatsmodernisierung wird es freilich darauf ankommen, die Aufgaben- und Standardkritik nicht nur in vorübergehenden Allianzen und temporären Initiativen voranzubringen. Stattdessen muss die Aufgaben- und Standardkritik als Daueraufgabe systemisch implementiert werden.

Dies erscheint nicht zuletzt deshalb unverzichtbar, weil unsere parlamentarische Demokratie ihrerseits den systemisch angelegten Hang zu beständiger Aufgabenmehrung und zu immer neuer Regulierung aufweist. Schließlich wollen und sollen Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Aufträge ihrer Wählerinnen und Wähler umsetzen. Dies freilich geschieht in einer repräsentativen Demokratie im Regelfall nun einmal dergestalt, dass die Legislative der Exekutive zusätzliche Vollzugsaufgaben zuweist und neue gesetzliche Regelungen trifft. Anders formuliert: Wer wiedergewählt werden möchte, setzt sich für das Mehr und Besser ein, nicht für das Weniger. Damit trägt die repräsentative Demokratie sozusagen wesensmäßig zur Dynamik der Aufgaben- und Regulierungsexpansion bei.

Prof. Dr. Alexis von Komorowski leitet als Hauptgeschäftsführer die Geschäftsstelle des Landkreistags Baden-Württemberg
Prof. Dr. Alexis von Komorowski leitet als Hauptgeschäftsführer die Geschäftsstelle des Landkreistags Baden-Württemberg
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Instrumente einer systemisch implementierten Aufgaben- und Standardkritik

Umso wichtiger ist es, ein systemisches Gegengewicht zu schaffen und die Aufgaben- und Standardkritik im erwähnten Sinn als Daueraufgabe strukturell zu verankern. Hierfür gibt es unterschiedliche instrumentelle Ansätze. Drei besonders erfolgversprechende seien im Folgenden kurz skizziert.

So könnte beispielsweise routinemäßig im vorletzten Jahr einer jeden zweiten Legislaturperiode im Rahmen eines verpflichtenden Rechtsetzungsverfahrens zu einem Rechtsbereinigungs- und -entlastungsgesetz geprüft werden, ob bestehende Aufgaben und Standards entbehrlich sind oder reduziert werden können – sog. Zweckkritik – bzw., soweit an ihnen festgehalten werden soll, ob sie ressourcenschonender umgesetzt werden können – sog. Vollzugskritik.

Einem unabhängigen Normenkontrollrat könnte die Befugnis eingeräumt werden, mit qualifizierter Mehrheit mittels eines suspensiven Vetos eine nochmalige Parlamentsbefassung zu verlangen, wenn entgegen seiner substantiierten Stellungnahme neue Aufgaben bzw. Standards etabliert werden sollen, die mit einem relevantem Ressourcenaufwand verbunden sind.

Es könnte bestimmt werden, dass es zur Nichtigkeit eines Gesetzes führt, wenn im Gesetzgebungsverfahren Verfahrensvorschriften außer gelassen wurden, die der systematischen Vermeidung übermäßigen Aufgaben- und Standardaufbaus dienen. Gemeint sind etwa Verfahrensvorschriften, die die grundsätzliche Befristung von Rechtsvorschriften vorsehen – sog. sunset clauses –, die „one in, one out“-Regel absichern oder einen Subsidiaritätscheck vorschreiben.
 

Kernbotschaft der diesjährigen Landkreisversammlung      

Dass dem Aufgaben- und Standardabbau eine Schlüsselrolle zukommt, wenn es darum geht, die laufenden Transformationsprozesse wirksam zu gestalten, war eine, wenn nicht die Kernbotschaft der diesjährigen Landkreisversammlung. Verbandspräsident Joachim Walter hat dies in seiner im Weiteren im Wortlaut wiedergegebenen Grundsatzrede mehr als deutlich gemacht. Zugleich hat er entlang plastischer Beispiele veranschaulicht, welche ganz konkreten Optionen es auf den verschiedenen politischen Ebenen gibt, dem „wüsten Brombeergestrüpp“ aus hydrahaft sich vermehrenden Aufgaben und wucherndem Normendickicht „nicht bloß mit der Nagelschere, sondern mit der Motorsense zu Leibe zu rücken“.

Auf diese Handlungsoptionen werden die Landkreise auch in den kommenden Monaten immer wieder zurückkommen – im Rahmen der Entlastungsallianz, mit Blick auf die nach den Bundestagswahlen anstehenden Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene wie auch in der Perspektive der im Frühjahr 2026 anstehenden Landtagswahlen hier in Baden-Württemberg. Denn die Landkreise wollen den großen Wandel nicht schicksalhaft erleiden. Dies passt nicht zu ihrer Grund-DNA. Sie wollen die Transformation gestalten und fordern diesen Gestaltungswillen auch von anderen konsequent ein.
 

Zum Jahresende hin   

Mir bleibt an dieser Stelle, mich zum Jahresende hin – auch im Namen des Präsidenten des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim Walter – bei den Landratsämtern, Kreiseinrichtungen sowie allen unseren Partnerinnen und Partnern in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft für die auch in diesem fordernden Jahr 2024 einmal mehr fruchtbare Zusammenarbeit und das gute Miteinander zu bedanken. Vieles konnte nur deshalb gelingen, weil es in engem Schulterschluss angegangen wurde und bei der Umsetzung Hand in Hand gegriffen hat. Gerade auch daran soll im kommenden Jahr nahtlos angeknüpft werden.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich trotz aller allzu berechtigten Sorgen auch um das Weltgeschehen eine beschauliche Adventszeit, ein frohes, gesegnetes Weihnachtsfest und alles Gute für ein friedvolleres, glückliches Jahr 2025. 

Prof. Dr. Alexis von Komorowski ist Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg
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