Ausgangslage
Die langzeitpflegerische Versorgung in Baden-Württemberg steht vor bedeutsamen Herausforderungen. Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel werden aufgrund der Verschiebung der Altersstruktur in den kommenden Jahrzehnten zunehmend mehr Menschen auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein. Im Gegensatz dazu ist jedoch die Zahl der zur Verfügung stehenden Pflegekräfte rückläufig. In Baden-Württemberg als großes Flächenland stellt sich zudem die Frage, wie die Versorgung im ländlichen Raum sichergestellt werden kann.
Um möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern ein Altern mit hoher Lebensqualität auch bei eintretender Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen, ist es wichtig, den skizzierten Herausforderungen aktiv zu begegnen. Großes Potenzial bietet in diesem Zusammenhang die Digitalisierung. Trotz des großen technischen Fortschritts werden jedoch viele digitale Technologien, die sowohl Menschen mit Pflegebedarf in ihrem Alltag als auch Pflegende bei ihrer Arbeit unterstützen könnten, noch nicht flächendeckend eingesetzt.
Das Landeskompetenzzentrum Pflege & Digitalisierung Baden-Württemberg
Um die Entwicklung in Baden-Württemberg auf diesem Gebiet weiter voranzutreiben und zu begleiten, wurde auf Initiative der Landesregierung das Landeskompetenzzentrum Pflege & Digitalisierung Baden-Württemberg (PflegeDigital@BW) als koordinierende Stelle gegründet. Mit dem Betrieb des Landeskompetenzzentrums wurde das Steinbeis Transferzentrum für Soziale und Technische Innovation in Tübingen beauftragt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Udo Weimar und Prof. Dr. Daniel Buhr arbeitet ein interdisziplinäres Team von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Informatik, Natur- und Technikwissenschaften sowie Sozial- und Pflegewissenschaften an der digitalen Transformation in der Langzeitpflege. Ein externer Fachbeirat unterstützt die Arbeit des Kompetenzzentrums mit wichtigen Impulsen.
PflegeDigital@BW-Webseite: www.pflegedigital-bw.de
Anmeldung für den PflegeDigital@BW-Newsletter: https://maillist.lebensphasenhaus.de/newsletter-anmeldung
Information und Anmeldung zur Zusatzqualifizierung „PflegeDigital“: edu@pflegedigital-bw.de
Information und Buchung des PflegeDigital@BW-Transfermobils: tm00@pflegedigital-bw.de
Anfragen zur Telematikinfrastruktur: ti@pflegedigital-bw.de
Die Aktivitäten des Landeskompetenzzentrums gliedern sich schwerpunktmäßig in vier verschiedene Geschäftsfelder: NET (Netzwerken), CON (Beratung), EDU (Aus-, Fort- und Weiterbildung) sowie INNO (Innovationsinfrastrukturen).
Im Fokus des Geschäftsfeldes NET steht die Stärkung von Netzwerken im Bereich der Digitalisierung in der Langzeitpflege. Neben der aktiven Koordination und Beteiligung in Netzwerken identifiziert PflegeDigital@BW gute Praxislösungen bzw. Best-Practice-Beispiele, begleitet Förderprojekte und trägt mit dem Ziel des Praxistransfers die Erfahrungen und Erkenntnisse in die Breite des Landes.
Darüber hinaus bietet PflegeDigital@BW mit dem Geschäftsfeld CON den Akteuren der Langzeitpflege - wie z.B. Beispiel Pflegeeinrichtungen, Technikherstellern, Beratungsstellen und Kommunen - ein umfangreiches Beratungsangebot in Form von individuellen Gesprächen, Workshops sowie Informationsmaterialien und Leitfäden zu Fragen der Digitalisierung an.
Innerhalb des Geschäftsfeldes EDU werden insbesondere Fragen zu Digitalkompetenzen und der Verankerung der Themen in den Curricula der Pflege- und Hochschulen behandelt. Neben der Konzeption und Durchführung einer Zusatzqualifizierung „PflegeDigital“ werden auch regelmäßige Fachtage veranstaltet.
Anfassen, ausprobieren und reflektieren: Nicht zuletzt haben Räume, in denen die mitunter abstrakt wirkenden digitalen Technologien niedrigschwellig getestet werden können, eine große Bedeutung. Innerhalb des Geschäftsfeldes INNO wird an der Konzeption, dem Aufbau und Betrieb einer stationären Innovationsinfrastruktur in unmittelbarer Nähe des LebensPhasenHauses in Tübingen, dem „Campus PflegeDigital“, gearbeitet. Darüber hinaus steht mit dem „Transfermobil“ bereits eine mobile Innovationsinfrastruktur zur Verfügung, die es ermöglicht, zahlreiche digitale Technologien direkt vor Ort, in Einrichtungen und auf Veranstaltungen unter Anleitung auszutesten.
Doch wie kann Digitalisierung in der Praxis konkret zu mehr Lebensqualität im Alter für Menschen mit Pflegebedarf beitragen?
Technische Unterstützung für Autonomie und Sicherheit in der eigenen Häuslichkeit
Ein Großteil der Menschen möchte auch im Alter selbstbestimmt in der eigenen Häuslichkeit verbleiben. Körperliche und kognitive Einschränkungen im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit sowie Barrieren im Wohnumfeld können dies erschweren. Unter dem Begriff „AAL“, Ambient Assisted Living, werden digitale Unterstützungssysteme zusammengefasst, die dabei helfen können, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Dazu gehören beispielsweise Sensorik zur Herdüberwachung und -abschaltung, zur Lichtsteuerung, um präventiv Stürzen vorzubeugen sowie die automatisierte Steuerung von Rollläden oder des Raumklimas. Die Bedienung kann je nach individueller Präferenz über Funkschalter, digitale Apps oder Sprachassistenten erfolgen.
Darüber hinaus können nach Einstufung in einen Pflegegrad auch Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden. Neben etablierten Angeboten, die das Wohnumfeld verbessern, sowie digitalen Pflegehilfsmitteln werden auch zeitnah erste digitale Pflegeanwendungen wie z. B. Apps zum Erhalt der Selbstständigkeit Eingang in die Versorgung finden.
Digitalisierung in der Pflege- und Gesundheitsversorgung
Eine zentrale Voraussetzung für eine hohe Lebensqualität im Alter, gerade für Menschen mit Pflegebedarf, ist der Zugang zu einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Pflege- und Gesundheitsversorgung. Auch in diesem Bereich eröffnet die Digitalisierung von Prozessen die Chance, den Zugang zu den Leistungsangeboten niedrigschwelliger zu gestalten.
Unter Einsatz von Telemedizin und Telepflege kann eine professionelle Gesundheits- und Pflegeversorgung ortsunabhängig erfolgen. Leistungserbringer können Behandlungen sowie Anleitung und Betreuung über digitale Kommunikationskanäle wie Videotelefonie durchführen. In die Behandlung können zudem ergänzend Vitaldaten, die durch körpernahe Sensoren wie z. B. Smartwatches erhoben werden, in die Diagnostik einfließen. Aber auch die Angehörigen können direkt in die Kommunikation eingebunden werden.
Grundlage für die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich wird der Ausbau und Einsatz der Telematikinfrastruktur sein, einem besonders gesicherten digitalen Netzwerk für die sektorenübergreifende Kommunikation und den Datenaustausch im Gesundheits- und Pflegewesen.
Fachanwendungen wie die elektronische Patientenakte oder das elektronische Rezept ermöglichen, dass relevante Gesundheitsinformationen zentral digital verfügbar sind. Auf der Grundlage von einheitlich strukturierten Medikationsdaten werden sich perspektivisch z. B. auch potenzielle Wechselwirkungen zuverlässiger erkennen lassen.
Digitale Kommunikation und soziale Teilhabe
Die mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden Isolationsmaßnahmen haben verdeutlicht, welche wichtige Bedeutung regelmäßige soziale Kontakte für die Lebensqualität im Alter haben.
Viele ältere Menschen haben die Zeit während der Pandemie genutzt, um sich noch mehr mit digitalen Technologien vertraut zu machen. So konnte dank Videotelefonie und sozialen Netzwerken der Kontakt mit Freunden und Familie aufrecht erhalten werden. Aber auch für weniger technikaffine ältere Menschen stehen Lösungen bereit, die dank einfacherer Benutzeroberflächen oder Bedienhilfen einen Zugang und Teilhabe an der digitalen Welt ermöglichen.
Auch in der sozialen Betreuung von Menschen mit Pflegebedarf stehen mittlerweile zahlreiche digitale Möglichkeiten zur Verfügung. So können in der Praxis beispielsweise digitale Therapiebälle, Aktivitätstische oder Projektoren eingesetzt werden.
Digitalisierung zur Unterstützung und Entlastung von formell und informell Pflegenden
Bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach mehr Lebensqualität im Alter für Menschen mit Pflegebedarf ist es wichtig, auch die Rolle der Pflegenden ins Blickfeld zu nehmen. Hintergrund ist, dass die Sorgearbeit mit besonderen physischen und psychischen Belastungen einhergehen kann und ein Ausfall der Pflegepersonen unmittelbare Folgen für den Menschen mit Pflegebedarf hätte.
Auch in diesem Bereich kann Digitalisierung sinnvoll zur Unterstützung und Entlastung eingesetzt werden. Hier stehen inzwischen zahlreiche digitale Plattformen zur Verfügung, die relevantes Pflegewissen sowohl für Laien als auch Fachkräfte vermitteln, um Unsicherheit und Überforderung zu vermeiden. Darüber hinaus können Exoskelette, die bereits in der Industrie im Einsatz sind, perspektivisch auch vermehrt in der Pflege eingesetzt werden und bei Tätigkeiten wie z.B. der Mobilisierung und Lagerung entlasten. Auch können Feuchtigkeitssensoren im Pflegebett Hinweise geben, wann ein Wechsel von Inkontinenzmaterialien notwendig ist. Des Weiteren können Ortungssensoren eine ständige persönliche Betreuung und Beaufsichtigung unter Umständen entbehrlich machen und z. B. auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen selbstständige Spaziergänge ermöglichen.
Einbezug des Quartiers und kommunale Pflegepolitik
Eine zunehmende Bedeutung für die Lebensqualität im Alter von Menschen mit Pflegebedarf wird auch das Quartier haben. Lebendige Quartiere, in denen wir uns gegenseitig unterstützen, uns um einander kümmern und füreinander da sind, stellen eine niederschwellige Möglichkeit dar, dem Pflegebedarf gerecht zu werden. Mit der Landesstrategie „Quartier 2030 – Gemeinsam.Gestalten.“ unterstützt das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg genau das: eine alters- und generationengerechte Quartiersentwicklung. Die Angebote der Strategie machen es möglich, diesem relevanten Thema gerecht zu werden. Mit einer Förderung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration wurde beispielsweise von einem Verbund mehrerer Kommunen eine digitale Plattform initiiert, die erfolgreich in der Vermittlung von Ehrenamtlichen zur Unterstützung von Menschen mit Pflegebedarf eingesetzt wird.
Eine wichtige Voraussetzung für Lebensqualität im Alter ist auch die Schaffung von günstigen politischen Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene. Im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung kann z. B. im Rahmen der kommunalen Pflegeplanung auf wichtiges Datenmaterial wie Pflegekennzahlen zugegriffen werden, um sicherzustellen, dass die kommunale Daseinsfürsorge bedarfsgerecht ist und Menschen mit Pflegebedarf ein Altern mit hoher Lebensqualität ermöglicht.
Digitalisierung kann dazu beizutragen, Menschen mit Pflegebedarf ein Altern mit hoher Lebensqualität zu ermöglichen. Ziele sind der möglichst lange selbstbestimmte Verbleib in der eigenen Häuslichkeit mit einem Zugang zu einer optimalen Gesundheits- und Pflegeversorgung bei einem hohen Maß an gesellschaftlicher und sozialer Teilhabe sowie der Einbindung in das sozialräumliche Umfeld.
PflegeDigital@BW befördert und begleitet die Entwicklung der Digitalisierung in der Langzeitpflege auf Landesebene durch Vernetzung von Akteuren, Beratung, Schulungsangebote sowie den Betrieb von mobilen und stationären Innovationsinfrastrukturen als praktische Erfahrungsräume für digitale Technologien.