Gerade auch wenn es um den beispiellosen Absturz der Kommunalfinanzen geht, hat die alte Redewendung ihre volle Berechtigung: Zahlen sagen mehr als 1000 Worte. Daher vorneweg ein Blick auf die Entwicklung der kommunalen Haushalte. Bereits das vergangene Jahr haben die deutschen Landkreise, Städte und Gemeinden mit einem noch nie dagewesenen Defizit in Höhe von 24,3 Milliarden Euro abgeschlossen. In diesem Jahr wird das bundesweite Defizit der Kommunen die Schallmauer von 30 Milliarden Euro durchbrechen. Und in den kommenden Jahren werden die kommunalen Haushalte dann allen seriösen Prognosen zufolge von einem Rekorddefizit zum nächsten eilen, wenn es jetzt nicht zu einem veritablen Turnaround kommt. Ausschlaggebend für diese dramatische Deckungslücke ist eine massive Ausgabendynamik, die deutlich über dem Einnahmenzuwachs liegt. Und die Folgen liegen auf der Hand. Da die Rücklagen der Kommunen vielerorts bereits jetzt aufgebraucht sind und dort, wo es noch welche gibt, wegschmelzen wie das Blutorangeneis im hochsommerlichen Freibad, sind die Konsequenzen nur allzu absehbar: massive Liquiditätsprobleme, massive Kassenkreditverschuldung, massiver Absturz von Investitionen.
Historisch beispielloser Absturz der Kommunalfinanzen
„Ich selbst habe unsere finanzielle Situation jedenfalls noch nie so desaströs und vor allem auch so perspektivlos erlebt wie momentan.“ So hat es bei der diesjährigen Landkreisversammlung Dr. Achim Brötel formuliert, der dort zum Präsidenten des Landkreistags Baden-Württemberg gewählt wurde, nachdem er dreizehn Monate zuvor bereits das Amt des Präsidenten des Deutschen Landkreistags übernommen hatte. Und in der Tat: Blickt man auf die vergangenen Jahrzehnte zurück, dann wird rasch klar, dass es einen solchen Absturz der Kommunalfinanzen wie aktuell bisher nicht gegeben hat.
Die bislang höchsten kommunalen Defizite waren in den Jahren 1992 und in 2003 zu verzeichnen. Vergleichen lässt sich die damalige Situation mit der heutigen allerdings nicht. Dies verbietet sich schon, wenn man das schiere Ausmaß der jeweiligen Defizite miteinander vergleicht. Nominal wurden diese bisherigen Rekordwerte allein schon im Jahr 2024 um nahezu das Dreifache übertroffen; und auch inflationsbereinigt ist das Defizit von 2024 immer noch um 50 % höher als das von 1992 und um 87% höher als das von 2003.
Ein weiterer, noch viel entscheidenderer Unterschied liegt darin, dass die Defizite von 1992 und 2003 zu einem Gutteil auf spezifische Einzelphänomene ursächlich rückführbar sind. 1992 waren dies die hohen Defizite der ostdeutschen Kommunen nach der Wiedervereinigung, in 2003 die einbrechenden Gewerbesteuer nach der Unternehmenssteuerreform 2001 unter Rot-Grün. Die aktuelle Finanznot der Kommunen ist demgegenüber ungleich stärker als seinerzeit strukturell bedingt. Plastisch veranschaulichen lässt sich die über Jahre gewachsene strukturelle Schieflage bei den Kommunalfinanzen anhand jener beiden sprechenden Kennzahlen, auf die von kommunaler Seite immer wieder hingewiesen wird: Die Kommunen müssen für deutlich mehr als ein Viertel der Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts geradestehen, haben aber nur einen Anteil von rund einem Siebtel an den Steuereinnahmen. Diese strukturelle Unterfinanzierung verschärft sich naturgemäß, wenn sich die deutsche Wirtschaft wie aktuell in einer lang anhaltenden Stagnationsphase befindet.
Was es jetzt braucht
Wie lässt sich angesichts einer solch desolaten Situation Remedur schaffen? Die kommunale Familie formuliert hier einen dreifachen Appell: Es bedarf erstens einer kurzfristigen finanziellen Stabilisierung der kommunalen Haushalte. Zweitens muss die Ausgabendynamik bei den Sozialleistungen durchbrochen werden. Drittens gilt es, systematisch Standards zu überprüfen und Verfahren konsequent zu vereinfachen.
Was die Stabilisierung der Kommunalfinanzen anbelangt, ist im Ausgangspunkt fraglos von den finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben unseres Grundgesetzes auszugehen. Danach sind die Kommunen bekanntlich Teil der Länder. Und infolgedessen ist es auch das Land Baden-Württemberg, das eine aufgabengerechte Finanzausstattung der baden-württembergischen Landkreise, Städte und Gemeinden sicherzustellen hat. Von dem verfassungsrechtlich verbürgten Zielbild einer aufgabengerechten Finanzausstattung der Kommunen haben wir uns freilich auch in Baden-Württemberg zuletzt deutlich entfernt. Auf 3,1 Milliarden Euro belief sich allein in 2024 das Defizit der hiesigen Landkreise, Städte und Gemeinden.
Das Land hat vorerst geliefert
Allerdings wird man dem Land zugestehen müssen, dass es am 10. Oktober mit den Kommunalen Landesverbänden ein Finanzpaket geschnürt hat, das die immense Finanznot der Landkreise, Städte und Gemeinden zwar sicherlich nicht beseitigen kann, aber doch zum richtigen Zeitpunkt entlastend wirkt und den Kommunen Luft zum Atmen verschafft. Insofern gebührt der Landesregierung ebenso wie den Regierungsfraktionen Lob, Dank und Anerkennung. Wobei ein solcher Dank dann natürlich wieder die schärfste Form der Bitte ist. Die Kommunen werden, damit sie wieder zu geordneten Finanzverhältnissen zurückfinden können, in absehbarer Zeit weitergehende Unterstützung durch das Land benötigen. Diese Unterstützung braucht dabei übrigens, kleiner fun fact, auch nicht immer gleich Geld zu kosten. Ein deutlicher Schritt nach vorne wäre es beispielsweise, wenn das Land sich endlich darauf verstehen würde, die Schutzlücken, die das Konnexitätsprinzip aufweist, durch eine entsprechende Änderung der Landesverfassung zu schließen. Ministerpräsident Kretschmann hat in seiner Ansprache bei der Landkreisversammlung erklärt, man müsse als Land gegenüber dem Bund auf der Einhaltung der Veranlassungskonnexität bestehen. Dasselbe tun wir Kommunen gegenüber dem Land.
Jetzt muss endlich der Bund handeln
Dass nach unserer grundgesetzlichen Ordnung das Land Baden-Württemberg alleiniger finanzverfassungsrechtlicher Adressat der baden-württembergischen Landkreise, Städte und Gemeinden ist, darf über eines allerdings nicht hinwegtäuschen. Für einen Großteil der Belastungen, unter denen die Kommunen ächzen und stöhnen, trägt der Bund die maßgebliche Verantwortung. Und daher richtet sich die aktuelle finanzpolitische Kernforderung der Kommunen auch gegen niemand anderen als den Bund. Mantraartig betont die kommunale Familie, dass es einer Verdreifachung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer auf künftig 6 % bedarf. Dies würde auf kommunaler Seite Mehreinnahmen pro Jahr von 11 bis 12 Milliarden Euro erbringen. Dadurch würde die kommunale Finanznot zwar noch nicht beseitigt, aber doch spürbar abgemildert. Dass sich Berlin dem aktuell ebenso verschließt wie der Rückkehr zur vollständigen Übernahme der Unterkunfts- und Heizkosten für die SGB II-Bedarfsgemeinschaften mit Fluchthintergrund, erweckt den Anschein, als ob man sich an der Spree des Ausmaßes des kommunalen Finanzdesasters entgegen anderslautender Beteuerungen immer noch nicht so richtig bewusst ist.
Ausgabendynamik im Sozialbereich brechen
So nötig die Stärkung der kommunalen Einnahmenseite auch ist, so unabdingbar ist es gleichzeitig, die ausgabenseitige Wachstumsdynamik etwa im Sozialbereich signifikant zurückzuführen. Gewisse Hoffnungen setzen wir in die Sozialstaatskommission. Es geht um eine Entregulierung der Sozialbücher mit Fokus auf Vereinfachung und pauschale Lösungen statt kleinteiliger Einzelfallgerechtigkeit. Diese massive Rechtsvereinfachung ist ihrerseits von zentraler Bedeutung, um bei der Digitalisierung voranzukommen und deren Effizienzpotenziale schöpfen zu können.
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Allein nur durch Vereinfachung und Digitalisierung wird es nicht gelingen, die Ausgabendynamik zu brechen. Entscheidend ist es daher auch, Sozialleistungen auf bedürftige Menschen zu konzentrieren. Bürger mit vergleichsweise hohen Einkommen oder Vermögen sollten nicht durch steuerfinanzierte Sozialleistungen gefördert werden. So müsste etwa – um nur ein Beispiel herauszugreifen – das Angehörigen-Entlastungsgesetz überdacht werden, das unterhaltspflichtige Kinder erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro zur Finanzierung der Sozialhilfeleistung für ihre Eltern heranzieht. Denn dadurch wird nicht nur die Angehörigenpflege geschwächt, die wir angesichts der demographischen Entwicklung eigentlich stärken wollen. Zugleich ist durch diesen seinerzeitigen Federstrich des Gesetzgebers ein Loch von vielen hundert Millionen Euro in die öffentlichen Kassen gerissen worden. Derartiges muss heute zwingend hinterfragt werden.
Aufgaben und Standardkritik als Daueraufgabe etablieren
Schließlich braucht es eine konsequente Aufgaben- und Standardkritik. Hier wird es vor allem auch darauf ankommen, diese Aufgaben- und Standardkritik nicht nur in vorübergehenden Allianzen und zeitlich befristeten Initiativen voranzubringen. Vielmehr muss die Aufgaben- und Standardkritik als Daueraufgabe systemisch implementiert werden. Dies ist auch deshalb so wichtig, weil unsere parlamentarische Demokratie den seinerseits systemisch angelegten Hang zu beständiger Aufgabenmehrung und zu immer neuer Regulierung aufweist. Und dies aus einem ganz simplen Grund: Wer gewählt und wiedergewählt werden möchte, setzt sich für das Mehr und Besser ein, nicht für das Weniger. Damit trägt die repräsentative Demokratie sozusagen wesensmäßig zur Dynamik der Aufgaben- und Regulierungsexpansion bei.
Umso wichtiger ist es, ein systemisches Gegengewicht zu schaffen und die Aufgaben- und Standardkritik im erwähnten Sinn als Daueraufgabe strukturell zu verankern. Hierfür gibt es unterschiedliche instrumentelle Ansätze. Ein Beispiel will ich hier nennen. Einem unabhängigen Normkontrollrat sollte ein suspensiven Veto eingeräumt werden, sodass eine nochmalige Parlamentsbefassung verlangt werden kann, wenn entgegen seiner substantiierten Stellungnahme durch Gesetz neue Aufgaben bzw. Standards etabliert werden sollen, die mit einem relevanten Ressourcenaufwand verbunden sind.
Gerade diese bitter nötige Aufgaben- und Standardkritik war und ist übrigens ein Herzensthema von Joachim Walter, der im Rahmen der Landkreisversammlung aus dem Amt des Präsidenten des Landkreistags verabschiedet und sozusagen uno actu zum überhaupt ersten Ehrenpräsidenten des Landkreistags bestellt wurde. In seiner beeindruckenden Abschiedsrede hat er nochmals deutlich betont, dass kraftvolle Schritte der Deregulierung, eben weil sie unser Land voranbringen, immer auch so etwas wie praktische Extremismusprävention bedeuten.
Und so endet dieses Editorial denn auch mit einem nochmaligen herzlichen Dank an denjenigen, der zwölf Jahre lang an der Spitze der baden-württembergischen Landkreise stand und mit höchstem Engagement, immenser Schaffenskraft und viel Herzblut für die kommunale Selbstverwaltung gestritten hat und für sie eingestanden ist. Dankeschön, Ehrenpräsident Joachim Walter.