Mit den Verwaltungsreformen der letzten Jahrzehnte und gesetzlichen Leistungsversprechen haben die Landratsämter immer mehr Aufgaben übernommen. Seit 2008 ist die Beschäftigung im öffentlichen Sektor stetig gewachsen, allein in den letzten zehn Jahren um fast 14%[1]. Das führte im Rems-Murr-Kreis über die Jahre zu Raumnot und einer Zersplitterung der Verwaltung auf zahlreiche angemieteten Büroflächen (allein zwölf Verwaltungsstandorte in der Kreisstadt Waiblingen).
Zeitgleich steht der öffentliche Sektor vor größten Herausforderungen: Sanierungsrückstau, Fachkräftemangel und demografischer Wandel, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und knappe Kassen lassen kein „weiter so“ zu. Die Verwaltung muss sich wandeln, um zukunftsfähig zu sein. „Moderner, digitaler und insgesamt intelligenter müssen wir werden“ – so hat es der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Versammlung des Deutschen Landkreistages 2021 in Timmendorfer Strand auf den Punkt gebracht[2].
Wir arbeiten im Rems-Murr-Kreis konsequent an der Transformation der Verwaltung, an unserem Landratsamt der Zukunft. Mit unserem Drei-Zonen-Konzept schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass digitale und effiziente Verwaltungsabläufe möglich werden. Eine digitale Akte allein wird nicht ausreichen. Verwaltung muss neu gedacht und Verwaltungsmodernisierung gelebt werden. Mit der richtigen Einstellung gelingt es nach unserer Überzeugung, moderner, digitaler und insgesamt intelligenter zu werden. Wir wollen mehr als amtlich sein. Wir wollen im Rems-Mur-Kreises die Anpassungen an die größten Herausforderungen nicht verschlafen, sondern mit gutem Beispiel vorangehen.
Das Herzstück: Unser Drei-Zonen-Konzept
Gemeinsam mit dem Kreistag wurde daher in einem größeren Rahmen gedacht: Verwaltungsmodernisierung und eine Gesamtimmobilienkonzeption wurden zu strategischen Zielen erklärt. Es wurde ein klares Zielbild entwickelt, das seitdem schrittweise, konsequent und doch immer mit Blick auf die Haushaltslage umgesetzt wird.
Das Herzstück der Immobilienkonzeption ist das Drei-Zonen-Konzept. Die Kreisverwaltung hat es gemeinsam mit Drees & Sommer erarbeitet. Das neue Raumkonzept unterteilt alle Flächen unserer Verwaltungsgebäude in einen öffentlichen, einen halböffentlichen und einen internen Bereich. Dies ermöglicht ein gänzlich neues Nutzungskonzept der Verwaltungsgebäude. Die konsequente Umsetzung des Konzepts schafft erst die Voraussetzungen, um die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung umfassend zu nutzen und in Verwaltungsabläufe zu integrieren. Der Rems-Murr-Kreis geht mit seinem Drei-Zonen-Konzept neue Wege und hat ein Vorzeigeprojekt für die moderne öffentliche Verwaltung in Deutschland geschaffen. Das Konzept weckt bundesweit Interesse. Mehr als 100 Delegationen aus ganz Deutschland haben das innovative Konzept bereits vor Ort besichtigt und die Idee hält vielerorts Einzug in Immobilienkonzepte moderner Verwaltungen. Es gab eine Immobilienwerkstatt zum Thema „New Work Spaces in der öffentlichen Verwaltung“ unter dem Dach des Landkreistags im April 2024, deren Neuauflage aufgrund großer Nachfrage bereits für Herbst 2025 in Planung ist.
Praxistest bereits bestanden
Das Drei-Zonen-Konzept hat seinen Praxistest bereits bestanden: In dem 2023 fertig gestellten Verwaltungsgebäude für das Gesundheit- und Ordnungsdezernat, wird das Modell erfolgreich gelebt. Seit Sommer 2023 arbeiten etwa 170 Beschäftigten für das Ausländeramt, das Ordnungsamt und das Gesundheitsamt in neuen Strukturen. Alle Ämter wurden mit dem Einzug ins neue Gebäude vollständig digitalisiert. Das Bearbeiten besonders vertraulicher, emotionaler und zuweilen auch sicherheitsrelevanter Anliegen wird durch die Trennung von öffentlichen und nichtöffentlichen Bereichen Rechnung getragen.
Zukunftstheke - Abläufe in der Verwaltung neu denken
Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schwierig es ist, den Besucherverkehr unter schwierigen Rahmenbedingungen auf Ämtern zu regeln. Bereits die Erkenntnisse aus der Flüchtlingskrise 2015/16 haben gezeigt, dass Abläufe in einer Verwaltung von Grund auf neu gedacht werden müssen. Das Thema Sicherheit und Sicherheitsbedürfnis wird seither im Landratsamt Rems-Murr-Kreis immer mitgedacht und ist ein Aspekt der für das Drei-Zonen-Konzept spricht.
Das neue Raumkonzept schafft zudem Flexibilität und denkt die Abläufe bis hin zur Mobilität der Beschäftigten neu. Neue Arbeitsmodelle mit Homeoffice und hohen Teilzeitquoten könnten ebenfalls optimal berücksichtigt werden. Nach zwei Jahren kann sogar eine erste Nachverdichtung erfolgen. Die ursprüngliche Desk-Sharing-Quote von 0,8 (8 Arbeitsplätze für 10 Mitarbeitende, bzw. Vollzeitäquivalente) ist mehr als auskömmlich. Es können weitere 40 Mitarbeitende in die Räume des neuen Gebäudes in der Waiblinger Rötestraße einziehen, ohne dass die Qualität und Attraktivität des Arbeitsumfeldes beeinträchtigt. Dies unterstreicht auch die Wirtschaftlichkeit des Konzepts, das Mitarbeitenden zukunftsfähige Räumlichkeiten bietet, in denen sie sicher und effizient arbeiten können.
Den Bürgerinnen und Bürgern bieten wir mit dem neuen Konzept ein auf Dienstleistung ausgerichtetes Beratungsumfeld. Im öffentlichen Bereich befindet sich für jedes der drei Ämter ein Servicepunkt als erste Anlaufstelle für Besucher mit oder ohne Termin. Für uns ist Digitalisierung Maßstab und strategisches Ziel, aber auf diesem Weg wollen wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Eine Zukunftstheke, in der wir Bürgerinnen und Bürger beraten, die mit digitalen Angeboten (noch) nicht zurechtkommen, ist daher ein weiterer Baustein unserer Strategie. Digitalisierung ermöglichen und erlebbar machen, das ist unser Verständnis von einem Landratsamt der Zukunft. Wir können Digitalisierung nicht nur verordnen.
Keine Beratung mehr zwischen Aktendeckel, Kaffeetasse und Pausenbrot
In der zweiten, halböffentlichen Zone befindet sich der Beratungsbereich. Termine finden nicht mehr in den Büros der Mitarbeitenden zwischen Akten, Kaffeetasse und Pausenbrot statt, sondern in Räumen, die in Ausstattung, Größe und Diskretionsmaß zu den jeweiligen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger passen. Neben kleinen Räumen für Einzelgespräche gibt es größere Räume für Besuchergruppen und Familien. Die Arbeitsplätze sind so ausgestaltet, dass alle Mitarbeitenden dort ihr mobiles Endgerät anschließen können und vollen Zugriff auf alle Akten haben. Die IT-Ausstattung der Landkreisverwaltung ist für alle Mitarbeitenden an allen Arbeitsplätzen einheitlich. Immobilienkonzept und Digitalisierung wurde mit Blick auf die Abläufe nicht isoliert entwickelt, sondern aufeinander abgestimmt.
Zum internen Bereich haben ausschließlich die Beschäftigten Zugang. In diesem Bereich ohne Besucher- und Bürgerverkehr befinden sich die Arbeitsplätze. In traditionellen Verwaltungsgebäuden kann sich meist jeder uneingeschränkt durch das gesamte Gebäude bewegen. Wartebereiche befinden sich oft auf den Fluren und nicht selten empfangen die Mitarbeitenden Besucher an ihrem Arbeitsplatz. Aus Sicht des Datenschutzes birgt dies ein hohes Risiko und bietet den Mitarbeitenden zudem keinen Schutz vor Übergriffen, die bundesweit leider immer häufiger vorkommen. Das Drei-Zonen-Prinzip erhöht sowohl die Sicherheit der Mitarbeitenden als auch das Level an Diskretion und Datenschutz durch eine nicht-öffentliche Zone drei.
Wandel gelingt nur mit der richtigen Einstellung
Das Konzept verzichtet auf Einzelbüros und setzt auf geteilte Arbeitsplätze, das sogenannte Desk-Sharing – und das über alle Hierarchieebenen hinweg, einschließlich Landrat und Führungskräfte. Offene Strukturen sind Ausdruck einer Haltung, schaffen Transparenz und Akzeptanz. Unsere Gebäude spiegeln wieder, dass alle ihren Beitrag für ein Landratsamt der Zukunft leisten. Verwaltungsmodernisierung kann man nicht verordnen, man muss sie leben und mit Leben füllen.
Dazu war zunächst eine Bestandsaufnahme notwendig: Welche Bedürfnisse, Gewohnheiten und Anforderungen haben die späteren Gebäudenutzer in Bezug auf ihre Arbeitsplätze? Wer ist wann vor Ort beziehungsweise außer Haus, wer telefoniert viel? Diese Punkte wurden im Rahmen von intensiven Workshops mit den Mitarbeitenden und externen Experten detailliert erfasst.
Neue Wege und Neues wagen
Zur Umsetzbarkeit trägt bei, dass in den jeweiligen Ämtern beinahe papierlos und weitgehend mit elektronischen Akten gearbeitet wird. Digitalisierung funktioniert nur, wenn digitale Abläufe in die Strukturen und Abläufe integriert werden. Der Rems-Murr-Kreis hat daher seine Immobilienkonzeption eng mit seiner Digitalisierungsstrategie verzahnt. Zudem gibt es für die Mitarbeitenden multifunktionale Räume, die es erlauben, sich für Telefonate oder konzentriertes Arbeiten zurückzuziehen oder bewusst in den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu gehen. Das ist nichts Neues, aber verlangt gerade in Verwaltung ein Umdenken und ein sich einlassen auf neue Strukturen und neue Wege.
Die Erfahrungen aus dem Gebäude des Ordnungs- und Gesundheitsdezernat zeigen: Das Konzept geht auf. Die Mitarbeitenden schätzen die modernen und sicheren Arbeitsplätze, was die Fluktuation nach ersten Erfahrungen senkt. Die Bürgerinnen und Bürger profitieren von einer effizienten und modernen Verwaltung. Ab Juni 2025 kommt das Konzept für große Teile des Sozialdezernats und die Stabsstellen des Landrats im Erweiterungsbau am Alten Postplatz zum Einsatz. Rund 350 Mitarbeiter werden dann moderner, digitaler und sehr bürgernah arbeiten.
Zukunftsfähigkeit geht auch ohne Neubau
Neue Raumkonzepte mit Neubauten umzusetzen ist immer möglich, aber man muss nicht zwingend groß und neu bauen. Die Verwaltung kann angesichts angespannter Haushaltlage nicht allein auf Neubau setzen. Daher war im Rems-Murr-Kreis immer das Ziel, das Drei-Zonen-Konzept auch in Bestandgebäuden umzusetzen. Dass dies möglich ist, zeigt die erfolgreiche Sanierung eines Gebäudes aus den 50er-Jahren, das den Neubauten in Sachen Funktionalität und Attraktivität in nichts nachsteht. Das Drei-Zonen-Konzept konnte in dieses Gebäude aus den 50ern mit überschaubarem Aufwand integriert werden und dient nun als Blaupause für weitere Sanierungen im Bestand.
Fußnoten:
[1] Marcel Thum, Verschläft der öffentliche Sektor die Anpassung an den demografischen Wandel?, in Ifo-Dresden 01/2025, S.4
[2] Siehe Rede des Bundespräsidenten, abrufbar unter Der Bundespräsident - Reden und Interviews - Jahrestagung des Deutschen Landkreistages
Good Practice: Drei-Zonen-Modell im Rahmen der Gesamtimmobilienkonzeption
Landkreis: Rems-Murr-Kreis
Kategorie: New Work
Mehrwert: Meilenstein für moderne und effiziente Verwaltung: Mehr Sicherheit für Mitarbeitende und zeitgemäßer Service für Bürgerinnen und Bürger, Optimierung von Büroflächen für Verwaltungen.
Übertragbarkeit: Hoch
Ansprechperson: Jennifer Gärtner, Projektleiterin im Amt für Beteiligungen und Immobilien, 07151/501-1928, J.Gaertner@rems-murr-kreis.de