Editorial

Kommunale Jobcenter – Stark. Sozial. Vor Ort.

Vor zwanzig Jahren haben die Kommunalen Jobcenter ihre Arbeit aufgenommen. Seither erbringen sie die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende – seien es die Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, sei es die Unterstützung bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit – in ganzheitlicher kommunaler Verantwortung. Zu der Erfolgsgeschichte, die damit geschrieben wurde, kann man den Kommunalen Jobcenter anlässlich ihres runden Geburtstags nur gratulieren. Wir tun dies in Gestalt unserer neuesten Ausgabe der Landkreisnachrichten, in der die Kommunalen Jobcenter das Schwerpunktthema bilden.
Prof. Dr. Alexis von Komorowski · Landkreistag Baden-Württemberg · 11. April 2025
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Das Kommunale Optionsgesetz, das die Geburtsstunde der Kommunalen Jobcenter markiert, bildet den Schlussstein der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen, die im Jahr 2003 mit der berühmten Agenda 2010 angestoßen wurden und auf immer mit dem Namen des damaligen VW-Personalvorstands Peter Hartz verbunden bleiben werden. Bereits im Dezember 2003 war mit dem vierten der Agenda-Gesetze, im Volksmund Hartz IV-Gesetz genannt, nach harten Auseinandersetzungen und einem langwierigen Vermittlungsverfahren die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe beschlossen worden. Im Sommer 2004 ist dann – ebenfalls als Ergebnis eines intensiven Vermittlungsverfahrens – das besagte kommunale Optionsgesetz verabschiedet worden. Dieses ermöglichte es ab Jahresbeginn 2005 insgesamt 69 Landkreisen und kreisfreien Städten, Langzeitarbeitslose und andere SGB II-Leistungsberechtigte in alleiniger kommunaler Verantwortung zu beraten und zu unterstützen.
 

Kommunale Jobcenter und Gemeinsame Einrichtungen

Heute werden bundesweit 104 der 404 Jobcenter als Kommunale Jobcenter geführt. Ausschlaggebend für den Zuwachs um weitere Kommunale Jobcenter war das Weiterentwicklungsgesetz von 2010, mit dem zudem eine Entfristung der bis dahin lediglich auf einer Experimentierklausel beruhenden Kommunalen Jobcenter einherging. In Baden-Württemberg gibt es heute insgesamt elf Kommunale Jobcenter, davon neun in Trägerschaft der Landkreise. Die Landkreise Biberach, Tuttlingen und Waldshut sowie der Bodenseekreis und der Ortenaukreis waren von Anfang an Träger eines Kommunalen Jobcenters, zum Jahresbeginn 2012 sind zusätzlich die Landkreise Ludwigsburg und Ravensburg sowie der Enzkreis und der Ostalbkreis dazu gekommen.

Rund drei Viertel aller Jobcenter – bundesweit 300, hierzulande 33 – werden freilich nicht als Kommunale Jobcenter, sondern als Gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und eines kommunalen Trägers geführt. Dort gibt es eine geteilte Leistungsträgerschaft. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind Leistungsträger insbesondere für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für Bildung und Teilhabe sowie für die kommunalen Eingliederungsleistungen, sprich: die Betreuung minderjähriger und behinderter Kinder und die häusliche Pflege von Angehörigen, die Schuldner- und Suchtberatung sowie die psychosoziale Betreuung. Die Bundesagentur wiederum steht als Leistungsträger in der Verantwortung für die allermeisten sonstigen SGB II-Leistungen, insbesondere – und zentral wichtig – für die Regelbedarfsleistungen sowie die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit.

Die gespaltene Leistungsträgerschaft führt indes nicht zu einer getrennten Aufgabenwahrnehmung durch Bundesagentur einerseits und kommunalen Träger andererseits. Vielmehr gewährleistet die Organisationsform der Gemeinsamen Einrichtung die einheitliche Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Schließlich wäre es ein regelrechter Treppen- und bürokratischer Irrwitz, wenn SGB II-Leistungsberechtigte mit zwei getrennten Verwaltungen konfrontiert wären und regelmäßig von der einen den Bescheid für die Regelleistungen, von der anderen den über die Leistungen für Unterkunft und Heizung erhielten.
 

Vorzüge und Chancen der Kommunalen Jobcenter

Was die Kommunalen Jobcenter von den Gemeinsamen Einrichtungen unterscheidet und insoweit besonders macht, ist die ganzheitliche Verortung der Aufgaben- und Leistungsverantwortung beim Landkreis oder der kreisfreien Stadt, in Baden-Württemberg Stadtkreis genannt. Dies bietet eine Reihe von Vorzügen und Chancen. So erweist es sich zunächst und zuvörderst für den einzelnen Leistungsberechtigten als vorteilhaft, dass das Kommunale Jobcenter integraler Bestandteil der Kreis- oder Stadtverwaltung ist. Denn dadurch kann beim Case Management vergleichsweise geschmeidig und auf kurzem Weg die Expertise und die Angebotspalette aus anderen Fachbereichen der Kreis- bzw. Stadtverwaltung hinzugezogen werden. Zu nennen sind hier in erster Linie die Kinder- und Jugendhilfe und der Bildungsbereich, aber etwa auch das Ausländerwesen oder die Wirtschaftsförderung. Durch die Einhäusigkeit der verschiedenen Verwaltungszweige fällt es tendenziell leichter, zu umfassend bedachten und deshalb nachhaltig wirksamen Lösungen für den einzelnen Leistungsberechtigten zu gelangen, als dies in einem anderen Setting der Fall wäre.

Von der für die Kommunalen Jobcenter charakteristischen Einheit von Aufgaben- und Leistungsverantwortung kann aber etwa auch die regionale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik profitieren. Diese lebt davon, dass flexibel und bedarfsgerecht auf die Vor-Ort-Verhältnisse reagiert, unkompliziert mit lokalen Netzwerken kooperiert und der gute persönliche Kontakt der Landrätinnen und Landräte, Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister zur örtlichen Wirtschaft strategisch genutzt wird. Der Schluss liegt insofern nahe, dass ein Kommunales Jobcenter mit seiner spezifischen Organisationsform in besonderer Weise auf die hier nur grob skizzierten Gelingensvoraussetzungen regionaler Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einzuzahlen vermag.

Schließlich, aber nicht zuletzt, bedeutet es aus demokratischer Sicht einen legitimatorischen Mehrwert, dass das Kommunale Jobcenter unmittelbar von den demokratisch gewählten Kreistagen und Gemeinderäten, Landrätinnen und Landräten sowie Oberbürgermeisterinnen und -Oberbürgermeistern verantwortet und kontrolliert wird. Denn je unvermittelter staatliche Entscheidungen demokratisch rückgekoppelt sind, desto höher ist auch ihr Legitimationsniveau, wohingegen dieses in dem Maße absinkt, wie staatliche Entscheidungen dem unmittelbaren demokratischen Zugriff organisatorisch entrückt werden.
 

Herausforderungen der letzten Jahre

In den vergangenen Jahren waren die Jobcenter verschiedensten Herausforderungen ausgesetzt. Erwähnt sei zunächst die Corona-Pandemie, als die Leistungsgewährung auch unter den erschwerten Bedingungen von Lockdown, Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln aufrechterhalten, neue Rechtsvorschriften binnen kürzester Zeit zur Anwendung gebracht und ganze Personenkreise, etwa Kleinunternehmer und Soloselbstständige, verstärkt in den Leistungsbezug übernommen werden mussten. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter haben sich hier weit über ihre dienstlichen Pflichten hinaus engagiert, um den Sozialstaat vor Ort am Laufen zu halten.

Mächtig gefordert hat die Jobcenter auch der Rechtskreiswechsel der ukrainischen Geflüchteten aus dem Regime des Asylbewerberleistungsgesetzes ins SGB II. Dadurch ist bekanntlich das Antragsvolumen für Neuanträge in den Jobcentern um ein Mehrfaches angestiegen. Auch diese Mehrbelastung ist geschultert worden. Dies gilt es anzuerkennen, auch wenn die baden-württembergischen Landkreise dem Rechtskreiswechsel als solchem bekanntlich ablehnend gegenüberstanden und -stehen. 

Schließlich, aber nicht zuletzt, haben die Jobcenter seit Längerem schon unter der völlig unzureichenden Mittelbereitstellung sowohl für Eingliederungsleistungen als auch für die Personalkosten zu leiden. Die Integration von Langzeitarbeitslosen wie auch von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt wird dadurch spürbar erschwert. Hier steht zu hoffen, dass die künftige Koalition auf Bundesebene ihren Versprechungen Taten folgen lässt und den Jobcentern für die Eingliederung ausreichend Mittel zur Verfügung stellt. Denn eines dürfte klar sein: Wenn der Bund die Jobcenter weiter schwächt, zahlt die Gesellschaft am langen Ende den doppelten Preis.

Prof. Dr. Alexis von Komorowski leitet als Hauptgeschäftsführer die Geschäftsstelle des Landkreistags Baden-Württemberg
Prof. Dr. Alexis von Komorowski leitet als Hauptgeschäftsführer die Geschäftsstelle des Landkreistags Baden-Württemberg
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In Zukunft noch dickere Bretter bohren

Richtet man den Blick stärker in die Zukunft, dann dürften die zu bohrenden Bretter wohl nicht dünner, sondern im Gegenteil eher dicker werden. So stellt der demografische Wandel die Jobcenter vor erhebliche Probleme, weil sich der Abgang vieler erfahrener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den geburtenstarken Babyboomer-Jahrgängen nicht eins zu eins durch Neuzugänge kompensieren lässt. Vielmehr werden die Jobcenter nicht anders als der Rest der öffentlichen Verwaltung lernen müssen, mit weniger Personal auszukommen. Damit sie auch unter diesen sich wandelnden Verhältnissen den substanziellen Kern ihres sozialstaatlichen Auftrags weiterhin erfüllen können, müssen die Jobcenter zwingend auf strategische Priorisierung, konsequente Effizienzsteigerung und systematische Digitalisierung setzen. Insofern geht es denn auch in die zweifellos richtige Richtung, wenn die Kommunalen Jobcenter in Baden-Württemberg ihre Geschäftsprozesse fortlaufend überprüfen und optimieren, sie bestehende Digitalisierungspotenziale – etwa in Gestalt von Online-Antragsstrecken oder von Kommunikations-Apps – sehr bewusst nutzen und im Übrigen im Zusammenwirken auch mit dem Landkreistag auf Effizienz- und Synergieeffekte durch Kooperation setzen. 

Des Weiteren muss die Grundsicherung für Arbeitsuchende neu ausgerichtet werden. So müssen beim Grundsatz des Forderns und Förderns dessen Teilkomponenten wieder stärker ausbalanciert werden, indem der Aspekt des Forderns zusätzliches Gewicht erhält. Dazu gehört, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende treffsicherer wird und das entsprechende Instrumentarium der Jobcenter geschärft wird. Nur so lässt sich die maßgebliche Zielsetzung dieser staatlichen Sozialleistung erreichen, nämlich die erneute Integration ins und die neuerliche Teilhabe am Arbeitsleben. Darüber hinaus braucht es mehr Pauschalierung und weniger Komplexität im SGB II, damit Digitalisierung und Automatisierung besser und schneller umgesetzt werden können. 

Für die Jobcenter gibt es nach allem allerhand zu tun. Der Aufgabenberg ist ohne jeden Zweifel gigantisch hoch und scheint, wenn man davorsteht, schier unbezwingbar. Aber Mutlosigkeit oder gar Defätismus sind keine Alternative. Schon gar nicht in diesem besonderen Jahr, in dem sich die Erschaffung der Kommunalen Jobcenter zum zwanzigsten Mal jährt. Es gilt vielmehr, die Kommunalen Jobcenter zukunftsfest fortzuentwickeln, damit sie bleiben, was sie ihrer Eigenmarke zufolge sind und sein sollen: Stark. Sozial. Vor Ort.   

Prof. Dr. Alexis von Komorowski ist Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg
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