Doch beginnen wir mit einer Begriffsklärung. Beim Bevölkerungsschutz unterscheiden wir zwischen dem Zivilschutz einerseits und dem Katastrophenschutz andererseits. Aufgabe des Zivilschutzes ist es, die Bevölkerung vor Kriegseinwirkungen und den Folgen militärischer Maßnahmen zu schützen. Der Katastrophenschutz umfasst hingegen die Gefahrenabwehr bei Katastrophen, also etwa bei Hochwasser, aber auch großen Industrieunfällen oder Trinkwasserverunreinigungen. Während der Zivilschutz dem Bund obliegt, fällt der Katastrophenschutz in die Verantwortung der Länder. Die Regelzuständigkeit für den Katastrophenschutz ist in allen Flächenbundesländern auf der Kreisebene verortet, in Baden-Württemberg bei den Landratsämtern sowie den Bürgermeisterämtern der Stadtkreise als unteren Katastrophenschutzbehörden.
Hände weg vom Grundgesetz
Diese historisch gewordene Kompetenzverteilung beim Bevölkerungsschutz ist in den letzten Jahren verschiedentlich infrage gestellt worden. Vor dem Hintergrund insbesondere der Corona-Pandemie, der Hochwasser-Katastrophe 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie der zunehmenden Zahl von großflächigen Waldbränden in Ostdeutschland ist die Forderung laut geworden, der Bund müsse mehr Verantwortung für den Bevölkerungsschutz übernehmen und notfalls das Grundgesetz dazu angepasst werden.
Was aber wäre die Folge, wenn im Bereich des Katastrophenschutzes Zuständigkeiten auf die Bundesebene verlagert würden? Es käme zu zusätzlichen Kompetenzverschränkungen, neue Schnittstellen würden entstehen und das Risiko der Verantwortungsdiffusion nähme vermutlich zu. Dabei ist es doch fast schon eine Binsenweisheit, dass es gerade beim Krisenmanagement klare, eineindeutige Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten braucht. Es ist daher nicht nur nicht nötig, sondern es wäre regelrecht riskant, die föderale Verfassung des Bevölkerungsschutzes neu zu justieren. Dies gilt umso mehr, als das Grundgesetz in seinem Art. 35 eine Regelung zur Amts- und Katastrophenhilfe trifft, die sich gerade auch in den vergangenen Jahren als leistungsfähig erwiesen hat und auch für die Zukunft einen guten bundesstaatlichen Rahmen bei regionalen und überregionalen Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen bietet.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass es der Unterstützung durch Stellen des Bundes nicht bedürfte und diese nicht noch optimiert werden könnte. So ist von Seiten der Landkreise erst unlängst darauf hingewiesen worden, dass ein bundesweites digitales Lagebild und ein fortlaufend aktualisiertes, unmittelbar von den Katastrophenschutzbehörden einsehbares Register zu verfügbaren Ressourcen ein echter Mehrwert wäre. Auch das im Juni 2022 bei der Innenministerkonferenz in Würzburg aus der Taufe gehobene Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz geht in die richtige Richtung, weil es die ebenenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern, Kommunen sowie Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz stärkt, ohne die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Zuständigkeiten zu verwässern.
Booster für das Thema Katastrophenschutz
In Baden-Württemberg hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ wie ein Booster für das Thema Katastrophenschutz gewirkt. Denn im Rahmen ihres Handlungsfelds 2, das der „Staatlichen Krisenvorsorge und Krisenbewältigung“ gewidmet war, hat sich die Kommission intensiv mit Fragen rund um den Katastrophenschutz beschäftigt und konkrete Handlungsempfehlungen formuliert. Als eines der sieben parlamentsexternen Mitglieder hat auch der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim Walter, an den Arbeiten der Kommission mitgewirkt. Manches in dem 884 Seiten starken Abschlussbericht der Kommission trägt daher auch die Handschrift der baden-württembergischen Landkreise. In jedem Fall kann allen an der Thematik Interessierten die Lektüre des im Internet frei verfügbaren Abschlussberichtes nur empfohlen werden.
Dies gilt ungeachtet dessen, dass in dem Abschlussbericht keineswegs nur Neues und bislang Unbekanntes zu lesen steht. Auch Altbekanntes und Bewährtes wird dort noch einmal bekräftigt. So heißt es im Kommissionsbericht, dass sich in den Sachverständigenanhörungen zwei Erkenntnisse durchgezogen hätten: „Übung macht den Meister“ sowie „In der Krise Köpfe kennen“. Beides freilich gehört nun in der Tat zum Kerngeschäft der Landratsämter als unteren Katastrophenschutzbehörden und etwa auch zum A und O der regelmäßig angesetzten Stabsrahmenübungen der Landkreise.
Ausgehend von dem, wie erwähnt, empfehlenswerten Abschlussbericht der Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ möchte ich im Weiteren nun auf drei für die baden-württembergischen Landkreise aktuell besonders bedeutsame Thematiken des Katastrophenschutzes näher eingehen, nämlich auf die Novelle des Landeskatastrophenschutzgesetzes, die Weiterentwicklung der Integrierten Leitstellen sowie den inklusiven Katastrophenschutz.
Novelle des Landeskatastrophenschutzgesetzes
Die vom Innenministerium erarbeitete Novelle des Landeskatastrophenschutzgesetzes hängt aktuell in der Ressortabstimmung. Dass diese Novelle dringend erforderlich ist, lässt sich dem Abschlussbericht der Kommission an verschiedenen Stellen entnehmen. Er unterstützt auch an mehreren Stellen Erwartungen, die der Landkreistag an ein novelliertes Landeskatastrophenschutzgesetz knüpft. Dazu nur zwei Beispiele.
Die Krisen verändern sich nach Art und Qualität, sodass auch die Rolle der unteren Katastrophenschutzbehörden und damit zusammenhängend auch ihre Ressourcenausstattung neu bewertet werden müssen. Bisher waren es vornehmlich „Blaulicht“-Szenarien, für die man sich gewappnet hat. Nunmehr sind es auch ganz andere Krisenszenarien, mit denen die unteren Katastrophenschutzbehörden konfrontiert sind. Zu nennen sind etwa die Herausforderungen durch den Klimawandel, Energiemangellagen, Pandemien oder die Geflüchtetenaufnahme. Der Enquetekommission kann daher nur beigepflichtet werden, wenn sie dem Land rät, die unteren Katastrophenschutzbehörden unter Bereitstellung der dafür notwendigen Ressourcen zu funktionalen „Bevölkerungsschutzämtern“ weiterzuentwickeln und in diesem Zusammenhang konsequenterweise auch die Zuweisungen über das Finanzausgleichsgesetz in den Blick zu nehmen. Genau dies und nicht weniger erwarten die Landkreise von der Novelle des Landeskatastrophenschutzgesetzes.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es unterhalb des Katastrophenfalls, also neben den sogenannten Außergewöhnlichen Einsatzlagen, noch weitere Handlungsoptionen geben sollte, und zwar insbesondere solche, die gezielte Zugriffe auf ambulante und stationäre Versorgungsstrukturen eröffnen. So waren und sind beispielsweise Corona-Abstrichstellen für symptomatische Personen unzweifelhaft Aufgabe der Regelstrukturen, mithin also der Selbstverwaltung im Gesundheitssystem. Wenn es hier zu Dysfunktionen kommt, benötigt die Katastrophenschutzbehörde staatliche Durchgriffsrechte auf diese Bereiche. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat eine entsprechende Ermächtigungsnorm bereits vor geraumer Zeit geschaffen. Die Enquetekommission hat nun der Landesregierung empfohlen, Vergleichbares auch für unser hiesiges Landeskatastrophenschutzgesetz zu prüfen. Sie greift damit eine Forderung auf, die der Landkreistag Baden-Württemberg bereits 2022 in seinem Positionspapier „Bevölkerungsschutz – ‚Das Bessere ist der Feind des Guten‘“ erhoben hat.
Weiterentwicklung der Integrierten Leitstellen
Die Integrierten Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst sind, wie der Abschlussbericht der Kommission treffend ausführt, das Herzstück der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr. Eben weil den Landkreisen dies sehr bewusst ist, sind sie an Optimierungen des Leitstellensystems ausgesprochen interessiert. Insofern sprechen sie sich auch dafür aus, durch eine gute technische Vernetzung der bestehenden Leitstellen die notwendigen Redundanzen zu schaffen und Synergien zu schöpfen. Die Einführung und den Betrieb von einheitlicher, vernetzter Leitstellentechnik befürworten sie ausdrücklich und erkennen die Vorteile einer solchen zukunftsgerichteten Aufstellung der Leitstellen. Insofern befinden sich die Landkreise auf exakt derselben Linie wie die Enquetekommission, die ihrerseits dafür plädiert, über eine einheitliche und vernetzte Technik und Software in den Leitstellen und entsprechende Schnittstellen einen landesweiten zielgerichteten Datenaustausch zu gewährleisten und dadurch rettungsdienstbereichsübergreifend die Zusammenarbeit zu verbessern.
Was die Landkreise hingegen entschieden ablehnen, sind systemische Veränderungen, wie sie insbesondere mit einer kompletten Verstaatlichung oder Kommunalisierung der Leitstellen verbunden wären. Stattdessen bekennen sie sich ausdrücklich zur doppelten Trägerschaft der Integrierten Leitstellen durch Kreis und Rotes Kreuz. Hier hat die Enquetekommission eine leicht andere Position vertreten. Sie hält die Übernahme der operativen Gesamtverantwortung über die Integrierten Leitstellen durch das Land für zumindest prüfenswert, wobei allerdings betont wird, dass die bisherigen Betreiber immerhin beteiligt und eingebunden werden sollen.
Überzeugend ist diese Empfehlung der Enquetekommission aber dennoch nicht. Denn auch bei der von ihr für zumindest erwägenswert erachteten Verstaatlichung würden die aktuell bestehenden Herausforderungen wie insbesondere der Fachkräftemangel unverändert weiterbestehen. Insofern wäre nichts gewonnen. Indessen stünde bei einer Änderung der Trägerschaft der Integrierten Leitstelle zu befürchten, dass sich die verschiedenen Akteure über Jahre hinweg mit Fragen der Systemtransformation beschäftigen müssten und die eigentlichen Herausforderungen zwangsläufig in den Hintergrund rücken würden. Daran aber können weder die Feuerwehr noch der Rettungsdienst und erst recht nicht das Land und die Landkreise ein Interesse haben.
Auch Zwangszusammenschlüsse von Leitstellenbereichen lehnen die Landkreise ab. Diese sind im Falle einer gelingenden digitalen Vernetzung auch entbehrlich. Freiwillige Zusammenschlüsse sind hingegen ausdrücklich erwünscht. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf aufgabenbezogene Kooperationen oder für eine großräumige Planung im Krankentransport.
Inklusiver Katastrophenschutz
Ein sichtliches Anliegen der Enquetekommission war es, Katastrophenschutz sehr bewusst auch von den Menschen mit Behinderung her zu denken. Anlass hierfür dürften nicht zuletzt auch die Geschehnisse im Ahrtal gewesen sein. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf den im Internet frei verfügbaren Film „Rette sich, wer kann“, der an das schreckliche Ereignis vom 14. Juli 2021 erinnert, als bei dem Hochwasser im Ahrtal zwölf Bewohnerinnen und Bewohner in einem Heim für Menschen mit Behinderung gestorben sind. In der Enquetekommission ist vor diesen Hintergrund nicht nur die Erwartung formuliert worden, dass in den Katastrophenschutzplänen die besondere Situation von Menschen mit Behinderung hinreichend reflektiert werden muss. Es wurde auch thematisiert, wie die Selbsthilfefähigkeit von Menschen mit Behinderung gesteigert werden kann und wie sich ihre Interessenvertretung im Kontext des Katastrophenschutzes verbessern lässt.
Für den Landkreistag war es daher auch nur selbstverständlich, dass er sich im Juli dieses Jahres der „Initiative inklusive Katastrophenvorsorge Baden-Württemberg“ angeschlossen hat. Sie wurde von der Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderung, Simone Fischer, und dem Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Roten Kreuzes angeregt und steht unter der Schirmherrschaft von Innenminister Thomas Strobl. Ziel der Initiative ist es nicht nur für die besondere Situation von Menschen mit Behinderungen im Katastrophenfall zu sensibilisieren, sondern vor allem auch konkrete Maßnahmen zu entwickeln. Denn im Katastrophenschutz gilt ganz besonders, was auch sonst seine Richtigkeit hat und was Erich Kästner, dessen 125. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, so wunderbar in Epigrammform gebracht hat: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.“